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Die gesetzlichen Bestimmungen, welche als Rahmenbedingungen für den Umgang mit Behinderung gelten, haben sich in den letzten hundert Jahren international und national verändert. Anfangs des 20 Jahrhunderts musste das Recht auf Bildung von Eltern und Fachleuten erkämpft werden. Durch die Einführung des Invalidenversicherungsgesetztes wurde 1960 das Recht auf Bildung für Kinder mit leichteren (geistigen) Behinderungen anerkannt. In den 70er Jahren wurde auch die Bildungsfähigkeit für Menschen mit schweren Behinderungen anerkannt. Die Bemühungen für integrative Schulung haben sich langsam, aber stetig verstärkt und gesetzliche Grundlagen erhalten.

2.1.1 Erklärung der Menschenrechte 1948

Als Basis aller integrativen Bestrebungen gilt wohl die Formulierung der Menschenrechte, welche auf dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges von der Generalversammlung der UNO 1948 verabschiedet wurde. Der 1. Artikel besagt, dass alle Menschen frei und gleich an Rechten und Würde geboren sind.

Artikel 22 hält fest, dass jeder Mensch das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch hat, in den Ge-nuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für die Würde und freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind. Artikel 26 schliesslich nennt das Recht auf Bil-dung. Sie soll unentgeltlich sein − wenigstens auf der Primar- und Sekundarstufe. Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den

4 Menschenrechten ausgerichtet sein. Sie soll das Verständnis, die Toleranz und Freundschaft aller fördern (vgl. http://quellen.geschichte-schweiz.ch/allgemeine-).

2.1.2 Kinderrechtskonvention 1989

Die Kinderrechte wurden seit 1948 (Erklärung der Menschenrechte) und 1959 (Deklaration über die Rechte der Kinder) weiterentwickelt. 1979, im Jahr des Kindes, wurden Entwürfe für eine Weiterent-wicklung, die sogenannte Kinderrechtskonvention vorgelegt. Diese wurde zur Basis für das Überein-kommen vom 20. November 1989. Artikel 23 ist dem geistig oder körperlich behinderten Kind gewid-met. Er besagt Folgendes:

1. Die Vertragsstaaten erkennen an, dass ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfüll-tes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kin-des wahren, seine Selbstständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Ge-meinschaft erleichtern.

2. Die Vertragsstaaten kommen dem Recht des behinderten Kindes auf besondere Betreuung nach und stellen sicher, dass dem Kind die Unterstützung zuteil wird, die es gemäss seiner Behinderung braucht.

3. Die Erziehung, die Ausbildung und die Vorbereitung auf das Berufsleben sind unentgeltlich.

Die vollständige soziale Integration, die individuelle geistige und kulturelle Entwicklung und Entfaltung werden gefördert (UN-Konvention über die Rechte des Kindes, 1989, Art. 23 http://www.kinderrechte.gv.at/home/upload/downloads/kinderrechtskonvention/unkonvention).

2.1.3 Bundesverfassung 1998

In der Bundesverfassung von 1998 wird die Gleichberechtigung aller Menschen vor dem Gesetz ex-plizit festgeschrieben: „Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen seiner körperli-chen, geistigen oder psychischen Behinderung“ (Art. 8, Abs. 2). Alle Kinder und Jugendlichen sollen sich „nach ihren Fähigkeiten bilden, aus- und weiterbilden können“ (Art. 41, Abs. 1f). Die Bundesver-fassung schreibt zudem den Kantonen vor, für eine „ausreichende Sonderschulung aller behinderten Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr“ (Art. 62, Abs. 3) zu sorgen.

2.1.4 Salamanca-Erklärung

1994 unterzeichnet die Schweiz die „Salamanca-Erklärung“ der UNESCO. In dieser wird das grund-sätzliche Recht aller Kinder auf Bildung bekräftigt. Jede Schule soll den individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Lernvoraussetzungen eines Kindes gerecht werden, insbesondere durch eine inte-grative Ausrichtung (vgl. UNESCO, Internet: http://bidok.uibk.ac. at/library/unesco-salamanca.htm).

2.1.5 Behindertengleichstellungsgesetz 2002

2002 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz postuliert. Die Kantone werden verpflichtet, für eine den besonderen Bedürfnissen der Kinder angepasste Grundschulung zu sorgen. Sie sollen „soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes dient, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule“ fördern (Art. 20, Abs. 2) (vgl.

Behindertengleichstellungsgesetz http://www.admin.ch/ch/d/sr/1/151.3.de.pdf.).

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2.1.6 Neugestaltung des Finanzausgleichs 2004

2004 fand eine Abstimmung über die Neugestaltung des Finanzausgleichs und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) statt. Die Vorlage wurde deutlich angenommen. Damit zog sich die Schweizerische Invalidenversicherung per 1. Januar 2008 aus der Finanzierung der Sonderschu-lung zurück. Diese liegt nun bei den Kantonen. Diese Tatsache und das BehindertengleichstelSonderschu-lungs- Behindertengleichstellungs-gesetz haben die schulische Ausgangslage grundlegend verändert. Die Kantone, welche nun die Kos-ten für die Sonderschulen zu tragen haben, sind bestrebt, die integrative Beschulung voranzutreiben.

2.1.7 Aktuelle Situation im Kanton Zürich

Im Verlaufe der Recherchen wurde deutlich, dass die schulische Integration, in der Schweiz in jedem Kanton und in Deutschland in jedem Bundesland anders gehandhabt wird. Die Umsetzung der schuli-schen Integration ist unterschiedlich weit fortgeschritten. Im folgenden Abschnitt wird die Situation im Kanton Zürich beleuchtet, weil zwei der Befragten in diesem Kanton arbeiten.

Tuggener, Joller-Graf, Mettauer-Szaday haben (2010) einen Artikel zum aktuellen Stand betreffend sonderpädagogischem Konzept im Kanton Zürich verfasst. Im Juni 2010 machte die Bildungsdirektion im Kanton Zürich einen Rückzieher bezüglich ihres sonderpädagogischen Konzeptes. Die Kantone haben nach der Neugestaltung des Finanzausgleichs (siehe 2.1.6) mehr Verantwortung zu überneh-men. Dies sowohl in finanzieller Hinsicht als auch im Angebot angemessener Bildung. Das sonderpä-dagogische Konzept ist im Kanton Zürich auf breite Ablehnung gestossen. Was waren die Gründe dafür und was heisst das für die betroffenen Kinder? Einerseits gab es zwischen 1999 und 2008 40 % mehr Sonderschüler/innen, also Kinder, die diesen Status bekamen. Dies war für den Kanton mit enormen Mehrkosten verbunden. Das vermehrte integrative Beschulen in Regelklassen, wie es ei-gentlich vorgesehen war, wurde damit unrealistisch. Trotzdem sollte die Integration stärker betont werden, um einen Teil der Mehrkosten einzusparen. Bei den meisten Fachleuten und Eltern löste dies Missfallen aus, weil es als reines Sparkonzept wahrgenommen wurde. Dabei gingen auch gute Kon-zeptideen, wie zum Beispiel die Stärkung der Regelschule, verloren. Ausserdem hatten viele Lehr-personen Angst vor einer „totalen Integration“, obwohl davon im Entwurf nirgends die Rede war. Es sollten lediglich die Bedingungen geschaffen werden, Integration vermehrt möglich zu machen. Son-derschulen sollte es weiterhin geben, nur die Sonderschulplätze im Graubereich zwischen Regel- und Sonderschulung wurden als nicht mehr nötig erachtet. Es stellte sich die Frage, von wem die Integra-tionsfähigkeit abhängt: „Dem Grundsatz dass Schüler/innen mit Beeinträchtigungen vermehrt integra-tiv geschult werden sollen, stimmen alle zu“ (Tuggener et al., 2010). Als es dann aber konkret wurde, wurden viele Wenn und Aber geltend gemacht. Es wurde von Schulpersonal die Ansicht vertreten, dass die Integrationsfähigkeit allein vom Kind abhänge. In anderen Ländern (z.B. Neuseeland) werden nahezu alle Kinder integriert. „Dort wurde erkannt, dass es vor allem von der Gestaltung von Schule und Unterricht, von Haltungen, Zusammenarbeit und Ressourcen abhängt, ob ein Kind mit Beein-trächtigungen angemessen gefördert werden kann oder nicht“ (ebd.). Es stellt sich nun die Frage, was mit der schulischen Integration im Kanton Zürich geschieht. Wird sie allenfalls rückgängig ge-macht? „Nein“ lautet hier die klare Antwort, weil die gesetzlichen Vorlagen (z.B. das Behinderten-gleichstellungsgesetz, siehe 2.1.5) dies nicht erlauben. Die Kantone sind demnach verpflichtet, die integrative Schulungsform zu ermöglichen. Ausserdem hat der Kantonsrat 2006 strategische Leitsätze

6 verabschiedet, die eine verstärkte schulische Integration fordern. „Der Rückzug des sonderpädagogi-schen Konzepts hat die Entwicklung einer integrativen Zürcher Volksschule nicht gestoppt – es wurde lediglich die Handbremse angezogen“ (Tuggener et al., 2010).

3 Theoretische Grundlagen/Begriffsdefinitionen

Die zentralen Themen dieser Arbeit sind die Anforderungen bezüglich Unterricht in Integrationsklas-sen, Schüler/innen mit einer Lernbeeinträchtigung, deren Bedürfnisse und der offene Unterricht. Die folgenden Begriffsdefinitionen und Theorien sollen die Voraussetzung für einen gemeinsamen Aus-gangspunkt und Verständnis schaffen. Da in dieser Arbeit mit Thesen und Hypothesen gearbeitet wird und deren Verständnis als entscheidend angesehen wird, werden diese Begriffe als erstes definiert.