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Funktionsprobleme des Hochschulzugangs in Deutschland

Im Dokument Profil und Passung (Seite 24-27)

Hochschulzugang im differenzierten Hochschulsystem – Von der Studienberechtigung zur individuellen

2. Funktionsprobleme des Hochschulzugangs in Deutschland

Warum funktioniert nun das „alte Modell“ des Hochschulzugangs in Deutschland nicht mehr? Mit

„altem Modell“ ist die enge Kopplung von Abitur, Studienberechtigung, uneingeschränktem Hoch-schulzugang (seit den späten 1960er Jahren allerdings limitiert durch Zulassungsbeschränkungen) und Studierfähigkeit gemeint. Warum funktioniert das in Deutschland, etwas vorsichtiger formu-liert, nur noch eingeschränkt? Hier lässt sich eine ganze Reihe von Ursachen identifizieren.

Die erste Ursache ist sicherlich die enorme Expansion der Studiennachfrage. Das Wachstum der Studiennachfrage und des Hochschulbesuchs von einer jahrgangsbezogenen Studienanfän-gerquote von etwa fünf bis sechs Prozent um 1960 auf inzwischen (2007) gut 37 Prozent hat dazu geführt, dass das Hochschulsystem heute durch eine völlig andere Komposition der Studierenden gekennzeichnet ist, als das früher der Fall war.1 Mit dieser enormen Expansion geht eine deutlich größere Heterogenität in der Zusammensetzung der Studierenden einher. Das ist häufig kritisch mit der Oberstufenreform in Verbindung gebracht worden. Ohne Zweifel hat die Oberstufenre-form mit ihrer größeren Flexibilität in der Kurs- und Fächerwahl mit dazu beigetragen, dass diese Heterogenität größer geworden ist. Viel tief greifender ist aber ein kultureller Wandlungsprozess gewesen, der oft mit dem Begriff der Individualisierung charakterisiert wird und der keine Folge der Oberstufenreform, sondern des expansiven Wachstums und größerer gesellschaftlicher Dif-ferenzierung in unterschiedliche Milieus und Subkulturen gewesen ist. Diese Entwicklung auf der Nachfrageseite findet eine Parallele auf der Angebotsseite. Hochschulen sind heute Großbetriebe, die durch eine deutliche Ausweitung und Diversifizierung des Studienangebots gekennzeichnet sind. Ich will hier nur daran erinnern: Als das Abitur in Deutschland eingeführt worden ist, zu Be-ginn des 19. Jahrhunderts, gab es in Deutschland an einer voll ausgebauten Universität gerade einmal vier Fakultäten. Eine eigenständige naturwissenschaftliche Fakultät war zu Beginn des 19.

Jahrhunderts noch unbekannt. Den Begriff Studiengang gab es noch gar nicht. Das Studienan-gebot beschränkte sich auf wenige breit definierte Fächer. Heute gibt es je nach Zählweise etwa 10.000 unterschiedliche Studienangebote mit einem stark variierenden Spezialisierungsgrad.

Die Vorstellung, dass es sich in Deutschland, qualitativ gesehen, um ein relativ einheitliches Hochschulsystem mit wenigen Hochschultypen und weitgehend ähnlichen Qualitätsstandards und Leistungen in Lehre und Forschung handelt, löst sich mehr und mehr durch eine zunehmende z. T. informelle, z. T. manifeste Differenzierung der Hochschulen auf. Diese Differenzierung kann auf mehreren Ebenen stattfinden. Es kann sich (1) um Formen der horizontalen Differenzierung handeln, wie fachliche Schwerpunktsetzungen, heute häufig, aber nicht ganz zutreffend als Pro-filbildung bezeichnet; schließlich beinhaltet ProPro-filbildung mehr als Schwerpunktbildung. Es kann sich (2) um vertikale Differenzierung entlang solcher Kriterien wie Qualität, Leistungen oder Re-putation handeln. Das wichtigste Instrument einer stärkeren vertikalen Differenzierung des deut-schen Hochschulsystems ist gegenwärtig sicher die Exzellenzinitiative. Differenzierung kann sich aber nicht nur zwischen Hochschulen – also interinstitutionell –, sondern (3) auch intrainstituti-onell vollziehen, so zum Beispiel durch Diversifikation des Studienangebots oder unterschied-licher Studiengangsebenen.

Das Verhältnis zwischen Gymnasium und Universität ist in Deutschland bildungstheoretisch seit dem frühen 19. Jahrhundert im Grunde als zwei konsekutive Stufen einer einheitlichen, durch-gehenden Bildungsbiographie gedacht worden. Diese Bildungseinheit von Gymnasium und Uni-versität hat sich historisch vielleicht nicht gleich aufgelöst, aber gelockert. Eine wichtige Entwick-lung ist hier sicher gewesen, dass die Diskrepanz zwischen dem gymnasialen Bildungskanon mit dem Anspruch auf Studien- und Wissenschaftspropädeutik im Medium allgemeiner Bildung und der Vielfalt sowie dem Spezialisierungsgrad der Studienangebote immer größer geworden ist und dass damit das, was noch hinter unserem Berechtigungsmodell steht, die Fiktion der allge-meinen Hochschulreife, offensichtlich wird. Damit schwindet auch die alte über das Abitur

ver-1 Den sozialen Wandel in der Zusammensetzung der Studierenden in Deutschland kann man zum Beispiel anhand der von HIS durchgeführten Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks (zuletzt Isserstedt, Middendorff, Fabian & Wolter, 2007) und anhand des Konstanzer Studierendensurveys (zuletzt Multrus, Bargel & Ramm, 2005) gut nachvollziehen. Beide Untersuchungsreihen stellen umfangreiche Zeitreihen über Studierende zur Verfügung.

mittelte Identität von Berechtigung und Fähigkeit. Eine ähnliche Gleichheitsfiktion wie im Hoch-schulsystem prägte auch das Schulsystem, indem dort unterstellt worden ist, dass es eine gewisse Gleichheit zwischen den Gymnasien im Blick auf ihre Qualität und ihre Leistungen gibt, die sich in der allgemeinen Berechtigungswirkung des Abiturs niederschlägt. Inzwischen weiß man, dass das nicht zutrifft und die Qualität von Gymnasien nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb der Länder erheblich variiert.

Ich sehe gegenwärtig im Wesentlichen fünf zentrale Probleme des Hochschulzugangs, die ich im Folgenden kurz erläutern möchte.

„Das erste zentrale Problem des Hochschulzugangs bezeichne ich als das Mobilisierungs-problem. Wir beobachten bereits seit langer Zeit, dass die (realisierte) Studierbereitschaft in Deutschland, statistisch ausgedrückt: die Übergangsquote von der Schule in die Hochschule, stagniert und dass seit ein paar Jahren ebenfalls die Studiennachfrage, die Studienanfänger-zahlen ebenso wie die Studienanfängerquoten, stagnieren und diese KennStudienanfänger-zahlen noch weit von den angestrebten Zielzahlen entfernt sind.

„Das zweite Problem bezeichne ich als das Kapazitätsproblem, was sich vor allem in der Aus-weitung von lokalen Zulassungsbeschränkungen manifestiert. Politisch ist diese Entwicklung insofern sehr wichtig, als sie in Erwartung steigender Studienanfängerzahlen eines der Mo-tive für die Diskussion über den Hochschulpakt 2010 beziehungsweise 2020 darstellt.

„Das dritte Problem ist das Allokationsproblem, vereinfacht ausgedrückt: Personen (hier Studi-eninteressierte) zu einem Ort zu bringen (einer Hochschule oder einem Studiengang). Es um-fasst zwei Aspekte. Die Studienentscheidung wird für viele Studienberechtigte zunehmend komplexer aufgrund der Vielzahl der dabei zu berücksichtigenden Kriterien, und der starke ins-titutionelle Wandel, der sich gegenwärtig im Hochschulsystem (z. B. mit den neuen Studien-gängen oder mit der Einführung von Studienbeiträgen) vollzieht, verschärft die Komplexität dieser Entscheidung noch. Der zweite Aspekt ist das Passungsproblem zwischen individuellen Erwartungen und Voraussetzungen auf der einen Seite und den spezifischen Anforderungen des Studiums, insbesondere des angestrebten Studiengangs, auf der anderen Seite. Wenn sich Studiengänge im Rahmen von Differenzierung und Profilbildung stärker voneinander unter-scheiden und ein jeweils besonderes Anforderungsprofil ausbilden, wird diese Komplexität noch mal anwachsen.

„Das vierte Problem ist eng damit verbunden; es wird klassisch mit dem Begriff der Studierfä-higkeit bezeichnet. Ich nenne es das Qualifizierungsproblem des Hochschulzugangs. Die Vor-bildungsleistungen des Gymnasiums und die speziellen Anforderungen eines Hochschul-studiums in einem Studiengang bzw. Studienfach sind nicht mehr so einfach miteinander zu vermitteln, wie das noch bei einem deutlich geringeren Diversifikationsgrad des Studien-angebots der Fall war. Die Hochschulen nehmen dies als mangelnde Studienfähigkeit wahr, auch die Studierenden sehen sich durch die Schule unzureichend auf das Studium vorberei-tet, wie die HIS-Studienanfängerbefragungen immer wieder zeigen.

„Das fünfte Problem schließlich bezeichne ich als das Durchlässigkeitsproblem, das in zwei Vari-anten auftritt, als soziale Durchlässigkeit – das ist das ebenfalls nicht mehr ganz neue Thema der Chancengerechtigkeit des Hochschulzugangs – und als geringe institutionelle Durchläs-sigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschule.

Im Dokument Profil und Passung (Seite 24-27)