• Keine Ergebnisse gefunden

2011 wurden auf dem zentralen Campusgelände der Georg-August-Universität Göttingen im Rahmen von Bauarbeiten für ein neues Universitätsgebäude menschliche Überreste freigelegt.

Die Ausgrabung dieser menschlichen Knochen wurde im Zeitraum vom 13. Juli bis 30.

September 2011 durch die Grabungsfirma Arcontor Projekt GmbH unter der Leitung der Stadtarchäologie Göttingen durchgeführt. Die Grabungsarbeiten wurden dokumentiert. Es ist eine annähernde West-Ost-Ausrichtung der Begräbnisse erkennbar. Die Schädel lagen im Westen und die Füße im Osten. Das Gesetz zur Denkmalspflege ließ nur eine Teilbergung der Skelette zu, welche durch die Bauarbeiten unwiederbringlich zerstört worden wären. Weitere Skelette befinden sich noch immer im Erdreich des angrenzenden Areals.

Abb. 1: Übersichtsaufnahme des Grabungsareals (30.09.11 Blickrichtung Osten). Foto Fa. Arcontor Projekt GmbH.

Das ergrabene Areal (Abbildung 1) von 600 m² ist Teil des südwestlichen Randbereiches der Friedhofsanlage (4000 m²) der katholischen Pfarrgemeinde St. Michael Göttingen, Bistum Hildesheim. Die Belegungsdauer ist zeitlich zwischen 1851 und 1888 einzuordnen. Damit gilt dieser Friedhof als erster katholischer Friedhof Göttingens. Bei der geborgenen Skelettserie handelt es sich um 159 Skelette erwachsener und subadulter Individuen, die durch die Grabungsfirma fortlaufend nummeriert wurden und zu der Fundstellennummer 50/10 gehören.

Fundgut und Materialien - Fundumstände und Bergung der Skelette

lediglich durch zwei Grüfte, welche der Bestattung von wohlhabenden und angesehenen Bürgern dienten (siehe Abbildung 1 mittig und unten) sowie Fundamentreste einer kleinen Kapelle (siehe Abbildung 1 oben) unterbrochen. Bei der Kapelle handelt es sich um die Marienkapelle (Ströbl 2015). Doppelbestattungen kamen vereinzelt vor. In Ausnahmefällen wurden Knochen oder ganze Skelette zusammen mit einer regelhaften Bestattung in einem Grab beerdigt. Die Gräber an der östlichen Grabungsgrenze sind bereits durch frühere Baumaßnahmen, zur Legung von Kabelschächten, gestört worden.

Abb. 2: Bestattung von Anatomieleichen. Fundnummern 104B, 105A-B. Geöffnete Calvaria bei beiden erwachsenen Individuen. Foto Fa. Arcontor Projekt GmbH.

Ein besonderes Augenmerk bei den Untersuchungen liegt auf den menschlichen Überresten mit Sägespuren im Bereich des Craniums und/oder des postcranialen Skelettes, wie sie in Abbildung 2 zu sehen sind. Diese Spuren sind vermutlich durch Sektionen in der Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen, im Rahmen der Ausbildung von Studenten, entstanden.

Während der Grabung zeigte sich, dass es keine räumliche Trennung zwischen den regelbestatteten Individuen und den Anatomieleichen auf der Friedhofsanlage gab. Die Knochen aller Individuen wurden der Abteilung für Historische Anthropologie und Humanökologie des Johann-Friedrich-Blumenbach-Instituts für Zoologie und Anthropologie für weiterführende Untersuchungen übergeben.

Fundgut und Materialien - Fundumstände und Bergung der Skelette

Die überwiegend morphologischen Voruntersuchungen im Rahmen von Abschlussarbeiten (Jugert 2012, Klatt 2012, Frischalowski 2012, Heptner 2012) konnten einen ersten vagen Eindruck über die Skelettserie vermitteln. Die gute Qualität der DNA-Erhaltung wurde ebenfalls in mehreren Abschlussarbeiten (Dicks 2012, Schröder 2012, Trede 2016) durch molekulargenetische Analysen belegt.

In den Gräbern wurden mitunter Grabbeigaben und Beifunde gefunden (z. B. Abbildung 3 bis 5) und der Stadtarchäologie übergeben.

Abb. 3 bis 5: Von links nach rechts: Rosenkranz, Porzellanpüppchen, Fingerhut. Foto Fa. Arcontor Projekt GmbH.

Der Erhaltungszustand der Skelette, die im Bereich des Campus der Universität Göttingen ergraben wurden, ist insgesamt sehr unterschiedlich. Zwar wird der menschliche Körper relativ schnell durch körpereigene Enzyme während der Autolyse abgebaut, jedoch dauern die folgenden anaeroben Fäulnis- und aeroben Verwesungsprozesse bis zur vollständigen Skelettierung mehrere Monate bis Jahre an. Die Abbauprozesse unterliegen verschiedensten Faktoren. So können Faktoren wie Liegedauer, Sauerstoffangebot, Temperatur, Mikroorganismen, Flora, Fauna, Pilzbefall, Feuchtigkeit, Boden-pH und Grabtiefe den Vorgang beschleunigen oder verlangsamen. Auch die Konstitution, das Gewicht und die gesamte körperliche Verfassung eines Menschen haben einen großen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Fäulnis- und Verwesungsprozesse und damit auf den Erhalt der Knochen zum Bergungszeitpunkt. Eine große Anzahl von Skeletten ist gut und vollständig erhalten (siehe Abbildung 6). Voruntersuchungen haben ergeben, dass dies auch auf den DNA-Erhalt zutrifft.

In diesen Fällen war eine sehr detaillierte Untersuchung des genetischen Fingerabdrucks möglich. Einige Skelette sind allerdings durch die Oberflächendegradierung, die Bildung von Brushit und Insektenbefall schlecht oder unvollständig erhalten (siehe Abbildung 7). Im Rahmen von DNA-Analysen zeigten diese Skelettelemente oder Zähne auch einen schlechten DNA-Erhalt.

Fundgut und Materialien - Fundumstände und Bergung der Skelette

Abb. 6: Gut erhaltenes Skelett. Fundnummer 118. Foto Fa. Arcontor Projekt GmbH.

Abb. 7: Schlecht erhaltenes Skelett. Fundnummer 40.

Foto Fa. Arcontor Projekt GmbH.

Der gute Knochen- und DNA-Erhalt vieler Individuen könnte der kurzen Liegezeit und dem in und um Göttingen vorkommenden, kalkhaltigen Boden geschuldet sein. Durch den leicht basischen pH-Wert wird die Knochenstruktur und die darin enthaltene DNA weniger schnell angegriffen und zersetzt. Einige Skelette sind allerdings stark degradiert und zeigen Anzeichen von Brushitbildung. Es ist bekannt, dass das Friedhofsgelände auf ehemaligen Gartengrundstücken (Wehking 1992) errichtet wurde. Gartenerde hat meist einen sauren pH-Wert und kann somit den Vorgang der Diagenese menschlicher Überreste beschleunigen sowie zur Bildung von Brushit führen. Bei einem pH-Wert von unter sieben entsteht Octacalciumphosphat. Das dafür nötige Calcium stammt aus dem Knochen. Sinkt der pH-Wert unter sechs, entsteht Brushit (CaHPO4+2H2O) (Herrmann 1981). Dadurch wird der Knochen meist sehr spröde und vergeht unter Einwirkung von Feuchtigkeit schneller im Boden (Herrmann und Newesely 1982).

Es konnte eine Mindestanzahl von 159 Individuen ermittelt werden. Darunter befinden sich allerdings nicht nur vollständig erhaltene Skelette, sondern auch einzelne Knochenfragmente, die in Einzelfällen als Beifunde in einem Grab neben einem vollständig erhaltenen Skelett entdeckt wurden. In der Tabelle 3 (siehe Kapitel 4.1.1 Demografie) ist der Erhaltungszustand für jedes Individuum vermerkt. Viele am westlichen Grabungsrand gefundene Skelette sind stark fragmentiert aufgrund früherer Bauarbeiten. Häufig sind vor allem Kinderknochen infolge ihrer Grazilität nur schlecht erhalten. Mehrfach sind einzelne Knochenelemente in Gräbern gefunden wurden, welche während einer Sektion anderen Individuen entnommen wurden. So fand man im Grab 4 (1) beispielsweise ein zusätzliches Stück Schienen- und Wadenbein. Sie gehörten nicht zu dem bestatteten Individuum, da das Skelett unter der Fundnummer 4 (1) vollständig ist. Hier ist zu vermuten, dass in der Anatomie präparierte Knochen nachträglich einer Regelbestattung beigelegt wurden.

Fundgut und Materialien - Die historischen Quellenmaterialien