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3.3 Erhebung biologischer Daten

3.3.4 Paläopathologische Daten

3.3.4.4 Arthrose, Arthritis

Der Oberbegriff „degenerative Erkrankungen“ umfasst Vorgänge, bei denen Knochen abgebaut werden. Dies kann alle Strukturen betreffen und führt zu funktionellen Einschränkungen. Meist handelt es sich bei degenerativen Erkrankungen um nutzungsbedingte Knorpel- und Knochenveränderungen, die mit zunehmendem Alter gehäuft vorkommen. Ebenso können starke körperliche Belastung und eine schwach ausgebildete Muskulatur die Bildung einer Arthrose begünstigen. Mehrheitlich werden „degenerative Erkrankungen“ wie Arthrose auch von proliferativen Prozessen begleitet.

Für die Analyse von Bewegungs- bzw. Arbeitsvorgängen eines Individuums werden die Extremitätengelenke jedes Individuums sorgfältig auf Abnutzungserscheinungen und

Untersuchungsmethoden - Erhebung biologischer Daten

proliferative Veränderungen hin untersucht. Die Befundung erfolgte mit einem standardisierten Bewertungsbogen nach Schultz (1988b). Bewertet wurden in erster Linie die arthrotischen Veränderungen der Gelenkflächen und Gelenkränder der großen Extremitätengelenke. Die Einteilung der Gelenkveränderung in unterschiedliche Schweregrade erfolgt nach Schultz (1988b) in Grad 0: Normzustand, Grad I: sehr geringfügige Verschleißspuren bzw. funktionell bedingte Varietäten, Grad II: leicht krankhafte Veränderungen, Grad III: mittlere krankhafte Veränderungen, Grad IV: starke krankhafte Veränderungen, Grad V: sehr starke krankhafte Veränderungen und Grad VI: komplett zerstörtes Gelenk (siehe auch Abbildung 21). Weitere Erläuterungen finden sich bei Schultz (1988b). Die zusätzliche Unterteilung in a, b und c gibt die morphologischen Erscheinungsbilder, wie a: eburnierte Oberfläche, b: poröse Oberfläche und c: mit Auflagerungen versehene Oberfläche, wieder. Im Verlauf der Bewertung wird eine Bewertungsziffer für eine gesamte Gelenkeinheit vergeben, welche jeweils aus Gelenkkopf und Gelenkpfanne besteht. Es werden jeweils der Gelenkrand und die Gelenkfläche beurteilt. Dabei entspricht die Bewertungsziffer dem Schweregrad der stärksten Gelenkveränderung in dieser Gelenkeinheit. Besteht eine Gelenkeinheit aus mehreren Teilgelenken, wie beispielsweise das proximale Sprunggelenk, werden die Bewertungsziffern addiert und es wird ein Mittelwert errechnet. Laut Schultz (1988b) ist das Überschreiten der Bewertungsziffer 1.0 als Zeichen für eine krankhafte Gelenkveränderung zu werten.

Abb. 21: Gelenkveränderungen in sieben Stufen am Beispiel des Caput femoris (Schultz 1988b S. 483) vom Normzustand Grad 0 bis zum zerstörten Gelenk Grad 6.

Untersuchungsmethoden - Erhebung biologischer Daten

Vergleich der Arthroseintensität in den Extremitätengelenken mit anderen Populationen Die Referenzserien, die mit der Skelettserie vom Göttinger Campus verglichen werden sollen, wurden unter dem Aspekt der zeitlichen und/oder räumlichen Nähe ausgewählt. Im Einzelnen sind das die Skelettserien aus Goslar, bei der es sich um eine Bergbaupopulation handelt, und die Serie aus Inden, bei der es sich um eine Population handelt, die auf dem Land lebte. Für diese zwei Serien sind umfassende biologische Basisdaten, basierend auf morphologischen, osteometrischen und lichtmikroskopischen Untersuchungen, zu Sterbealter, Geschlecht und Körperhöhe der Individuen, bekannt.

Die erste Skelettserie, die für Vergleichszwecke genutzt wird, stammt aus Goslar (Niedersachsen). 1993 wurden bei Baumaßnahmen auf dem Friedhofsgelände (1750 - 1810) des ehemaligen Klosters menschliche Überreste entdeckt. In dieser Skelettserie konnten 89 Individuen befundet werden; davon sind 43 männlich und 46 weiblich. Die Bestattungen werden den Bewohnern des Frankenbergviertels zugeschrieben. Hier lebten vor allem Hüttenleute, Bergbauarbeiter und Waldarbeiter. Die harte körperliche Arbeit der Bewohner dieses Viertels zeigt sich anhand von Belastungsmerkmalen am Knochen. So sind häufig degenerative Veränderungen der Gelenke durch typische, sich wiederholende Arbeitsabläufe bei der Verhüttung erkennbar. In Arbeitsberichten von Thomas Finke, Alexander Fabig und Dr.

Barbara Bramanti aus dem Jahr 1999 lassen sich neben den Basisdaten auch Angaben über krankhafte Veränderungen, z. B. im Bereich der Gelenke, finden.

Die zweite Skelettserie stammt von einem Friedhof (1877 - 1924) in Inden (Kr. Düren, Nordrhein-Westfalen). Die Serie umfasst 225 Individuen, welche in Einzelgräbern beigesetzt wurden. Die Ausgrabung zog sich über mehrere Etappen von 1999 bis ins Jahr 2004 hin und wurde wegen der Ausweitung des Braunkohleabbaugebiets am Niederrhein erforderlich. Die Identität zahlreicher Individuen und die Belegung dieses Friedhofs sind durch Kirchenbücher sehr gut dokumentiert. Es liegen morphologische und osteometrische Basisdaten zu der Population von Landarbeitern vor (z. B. Kreye 2016).

Diese zwei Skelettserien sind zeitlich in etwa gleich gestellt mit der Serie aus Göttingen. So können anhand der Daten der degenerativen Gelenkveränderungen unter anderem Vergleiche zwischen der städtischen Population aus Göttingen, der Population vom Land aus Inden und der im Bergbau tätigen Population aus Goslar gezogen werden.

Untersuchungsmethoden - Erhebung biologischer Daten Wirbelsäulenarthrose

Zusätzlich zu den großen Gelenken wurden auch die Wirbelbogengelenke und Wirbelkörper hinsichtlich arthrotischer und arthritischer Veränderungen befundet. Die Befundung fand ebenfalls mit einem standardisierten Bewertungsbogen nach Schultz (1988b) statt. Für die Bewertung der Veränderungen wurden die gleichen Schweregrade und Standards wie für die Gelenkveränderungen der Extremitätengelenke angewendet. Die Bewertungsziffer setzt sich dabei aus den oberen und unteren Anteilen eines Bewegungssegmentes (BSG) zusammen.

Dargestellt in Abbildung 22 ist ein solches BSG, umrandet in Rot. Es gibt 26 Bewegungssegmente, das 1. BSG befindet sich zwischen Schädel und Atlas, das 26. zwischen 5. Lumbalwirbel und 1. Sacralwirbel. Die Auswertung der Bewertungsziffern und die grafische Darstellung fand nach Schelzel (2005) statt.

Darüber hinaus werden auch Veränderungen der Wirbelkörperform, z. B. Keilwirbel, Ankylose (knöcherne Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten) vermerkt, sowie Impressionen in die Grund- und Deckplatten aufgrund Schmorlscher Knorpelknötchen.

Am Skelett verknöcherte Bänder und veränderte Muskelansätze wurden ebenfalls dokumentiert.

Abb. 22: Rot markiert ist ein Bewegungssegment (BSG) der Wirbelsäule. Ein BSG umfasst ein

Untersuchungsmethoden - Erhebung biologischer Daten Myotendopathien und Ligamentopathien

Bei Myotendopathien handelt es sich um exostotische Verstärkungen an Muskelursprungs- und Muskelansatzstellen sowie Grubenbildung durch Knochennekrosen. Die Ursache für solche periostalen Reaktionen im Übergangsbereich von Knochen zu Sehnen und Muskeln wird in der Literatur auf unterschiedlichste Art erklärt. Einige Studien erklären die Veränderung durch chronische Überbeanspruchung der Muskeln, Entzündungsprozesse, metabolische Prozesse oder diffuse idiopathische Skeletthyperostose (Villotte et al. 2010, Gresky et al. 2015).

Ligamentopathien wie sie zum Beispiel an der Ansatzstelle des Ligamentum costoclaviculare entstehen wurden ebenfalls dokumentiert.