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4.1 Biologische Daten

4.1.1 Demografie

Geschlechterverteilung

Die Skelette männlicher und weiblicher Individuen unterscheiden sich durch den voneinander abweichenden Hormonhaushalt ab dem Eintritt in die Pubertät. Vor allem die Anpassung der Frauen an den Geburtsvorgang ermöglicht somit eine morphologische Geschlechtsbestimmung am Becken. In dieser Arbeit wurde die Methode mit der Anwendung der Kriterien für

„kaukasische“ Populationen nach Acsádi und Nemekéri (1970), Ferembach et al. (1980) und Herrmann et al. (1990) genutzt. In Fällen, in denen entscheidende Knochen zu stark fragmentiert waren oder fehlten, konnte mithilfe der Molekulargenetik eine Geschlechtsbestimmung erfolgen. Die molekulargenetischen Analysen sind in der Regel zuverlässiger als morphologische Untersuchungen, da die Geschlechtschromosomen direkt nachgewiesen werden. Morphologische Geschlechtsuntersuchungen hingegen beziehen sich auf Merkmale, auf denen der Geschlechtsdimorphismus beruht. Die Ausprägung dieser Merkmale kann in ihrer Intensität aufgrund individueller Lebensbedingungen variieren. In den beiden hier untersuchten Gruppen ist der Geschlechtsdimorphismus am Becken, Schädel und in Form einer unterschiedlichen Robustizität der Langknochen deutlich ausgeprägt.

Beispielhaft sind in Abbildung 24 die jeweils linke Os coxae eines weiblichen und eines männlichen Individuums zu sehen.

Abb. 24: Größenunterschied einer rechten weiblichen und einer rechten männlichen Os coxa, laterale Ansicht, Strich entspricht 30 cm. Links Fundnummer 36 weiblich und rechts Fundnummer 5 männlich.

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In Fällen, in denen eine morphologische Geschlechtsdiagnose unsicher war (Tendenz männlich/weiblich bzw. eher männlich/weiblich) oder den vorhergehenden Untersuchungen widersprochen hat, konnte die genetische Geschlechtsdiagnose die Richtigkeit des morphologischen Ergebnisses bestätigen. Damit wurde die morphologische Diagnose des Geschlechts mit den hier verwendeten Kriterien zuverlässig angewendet.

Die Gruppe der Anatomieleichen (n = 39) hat mit 34 männlichen und vier weiblichen Individuen ein Geschlechterverhältnis von 8,5 zu 1. Lediglich ein Individuum (2,5 %) konnte weder morphologisch noch molekulargenetisch einem Geschlecht zugeordnet werden. In der Gruppe der Regelbestattungen (n = 120) liegt das Geschlechterverhältnis, mit 62 männlichen und 30 weiblichen Individuen, bei etwa 2 zu 1. Allerdings konnten 28 Individuen (23,3 %) keinem Geschlecht zugeordnet werden. In diesen Fällen waren sowohl die Knochen zu schlecht erhalten als auch die DNA für eine Auswertung zu stark degradiert. Der Unterschied zwischen den Gruppen bezüglich des Geschlechterverhältnisses ist allerdings statistisch nicht signifikant (x² (1; 130) = 0,31; p = 0,07).

Das zahlenmäßige Verhältnis beider Geschlechter zueinander widerspricht in beiden Gruppen der Annahme von Herrmann et al. (1990), wonach in einer städtischen Population tendenziell ein Frauenüberschuss herrscht. Allerdings handelt es sich bei den untersuchten Skeletten um ein durch die Fundumstände selektiertes Fundgut. Für die Individuen, die einen guten DNA-Erhalt aufweisen, konnte ausnahmslos das männliche Geschlecht diagnostiziert werden. Daher ist zu erwarten, dass auch die restlichen, nicht untersuchbaren Individuen beider Gruppen überwiegend männlichen Geschlechts sind. Das bedeutet, dass es sich bei dem morphologisch und molekulargenetisch ermittelten Geschlechterverhältnis von achteinhalb zu eins und zwei zu eins ausschließlich um Minimalwerte handelt. Das Ergebnis der Untersuchung zum Geschlechterverhältnis ist visuell im Bergungsplan in Abbildung 25 dargestellt.

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Abb. 25: Grabungsplan der Fa. Arcontor Projekt GmbH. Blau sind männliche Individuen gekennzeichnet, rot Weibliche und gelb nicht bestimmbare Individuen. Die grauen Areale entsprechen alten Kabelschächten. Es gibt unter den 159 Skeletten und Skelettfragmenten 96 männliche Individuen (34 Anatomieleichen, 62 Regelbestattungen), 34 weibliche Individuen (4 Anatomieleichen, 30 Regelbestattungen) und 29 nicht bestimmbare Individuen (1 Anatomieleiche, 28 Regelbestattungen).

Befunde und Ergebnisse - Biologische Daten Altersverteilung

Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der morphologischen und lupenmikroskopischen Altersbestimmung beider Gruppen sowie die grafische Darstellung der Verteilung auf die Altersklassen vorgestellt. In Tabelle 3 befinden sich alle Untersuchungsergebnisse zum Erhaltungszustand, Alter, Geschlecht und den sonstigen Auffälligkeiten.

Tab. 3: Erhaltungszustand der Knochen, Altersdiagnose (morphologisch), Geschlechtsdiagnose (morphologisch und molekulargenetisch) und Vermerk zu Sektionsspuren und sonstigem. ND = nicht determinierbar, w = weiblich, m = männlich. Die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen stammen aus Dicks (2012), Schröder (2012), Trede (2016) und Frischalowski (Zwischenbericht unveröffentlicht).

Individuum

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mäßig-schlecht erwachsen ND Rosenkranz

35

40 sehr schlecht erwachsen Tw Rosenkranz

41 mäßig smat-fsen (60 ± 7) m Holzkreuz

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mäßig-schlecht mmat-msen (50 - 70) Tm m Rosenkranz, Holzkreuz

74 gut mmat-msen (50 - 70) w

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Goldfüllung in 38, 47 und 48 126

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Aus der morphologischen Untersuchung der Gruppe der Anatomieleichen ergab sich die in Abbildung 26 dargestellte Altersverteilung. Die Gruppe der subadulten Individuen umfasst lediglich sechseinhalb Individuen. Die ungerade Zahl ergibt sich aus der anteiligen Verteilung auf die Altersklassen. Ist ein Individuum zum Beispiel der Altersklasse adult bis matur zugeordnet worden, geht es zur Hälfte in die Berechnung der adulten und zur Hälfte in die Berechnung der maturen Individuen mit ein. Deutlich höher, mit 32,5 Individuen, ist der Anteil in den Altersklassen Adultas (20 - 40 Jahre), Maturitas (40 - 60 Jahre) und Senium (60 Jahre und älter). Wie schon bei der Geschlechtsbestimmung erkennbar, ist der Männeranteil sehr hoch. Der Sterbegipfel der Männer liegt im maturen Altersbereich. Für die Frauen ist ein Sterbegipfel aufgrund der wenigen Individuen nicht festzustellen.

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Abb. 26: Absolute Häufigkeit der Altersverteilung (nach morphologischen Kriterien) der Anatomieleichen in Abhängigkeit vom Geschlecht (n = 39). nd = nicht determinierbar, neonat = Neonatus, Inf1 = Infans 1, Inf2 = Infans 2, juv = Juvenis, ad = Adultas, mat= Maturitas, sen = Senium.

Auf die Berechnung der Sterberate und der Abbildung einer Sterbetafel wird verzichtet, da es sich bei der Bergung der beiden Gruppen lediglich um eine Teilgrabung und damit nicht um ein reales Abbild eines Anteils der katholischen Gemeinde handelt. Ebenso lässt sich die Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit aufgrund des Säuglings- und Kleinkinderdefizits nicht berechnen.

In der Gruppe der Regelbestattungen ist der Unterschied in der Geschlechterverteilung deutlich geringer. Die Altersverteilung der Regelbestatteten in Abbildung 27 weicht aber kaum von der Altersverteilung der Anatomieleichen ab. Auch statistisch gibt es keinen Unterschied zwischen den Gruppen (x² (6; 159) = 1,72; p = 0,46). In der Altersklasse der subadulten sind - mit einer Anzahl von 29,5 - deutlich mehr Individuen vertreten als in der Gruppe der Anatomieleichen.

Der Sterbegipfel der subadulten Individuen liegt im Altersbereich Infans 1 (0 - 6 Jahre). Ein hoher Anteil der subadulten Individuen konnte nicht geschlechtsbestimmt werden.

Der Sterbegipfel der erwachsenen Individuen liegt sowohl für Männer als auch für Frauen im maturen Altersbereich.

0 5 10 15 20 25

neonat Inf 1 Inf 2 juv ad mat sen

Anzahl

Altersklasse

Altersverteilung der Anatomieleichen

männlich n = 34 weiblich n = 4 nd n = 1

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Abb. 27: Absolute Häufigkeit der Altersverteilung (nach morphologischen Kriterien) der Regelbestatteten in Abhängigkeit vom Geschlecht (n = 120). nd = nicht determinierbar, neonat = Neonatus, Inf1 = Infans 1, Inf2 = Infans 2, juv = Juvenis, ad = Adultas, mat= Maturitas, sen = Senium.

Um zu überprüfen, wie weit das makro- und das mikromorphologische bestimmte Alter voneinander abweichen, wurden zusätzlich für einige Individuen beider Gruppen lichtmikroskopische Zahndünnschliffe untersucht. Gezählt wurden die Zuwachsringe (siehe Abbildung 28A und 28B) im Zahnzement (Großkopf 1990), welche im circannualen Rhythmus entstehen. Die Diskrepanz zwischen dem morphologisch bestimmten Alter und dem durch die Dentochronologie bestimmten Alter ist in der Gruppe der Anatomieleichen etwas größer als in der Gruppe der Regelbestattungen. Die meisten Individuen beider Gruppen sind scheinbar kalendarisch jünger als ihr biologisches Alter. Die Anatomieleichen (n = 14) weisen eine durchschnittliche Abweichung von 6,95 Jahren (Maximalabweichung 17,2 Jahre) auf, während die Regelbestattungen (n = 13) eine durchschnittliche Abweichung von lediglich 3,9 Jahren (Maximalabweichung 14,61 Jahre) zeigen. Die Auszählung der Zuwachsringe im Zahnzement wurde bei einigen Individuen durch den teilweise starken Mikroorganismenbefall (siehe Abbildung 28C) erschwert. Zudem ist erkennbar, dass die Zähne der Anatomieleichen sehr häufig in allen Schnittebenen Lakunen von Zementozyten (siehe Abbildung 28D) im Zahnzement aufweisen. Zementozyten befinden sich im zellulären, gemischten lamellären Zement der Wurzelspitze, gehen aus Zementoblasten hervor und besitzen verzweigte Fortsätze, mit denen sie mit ihren Nachbarzellen in Kontakt stehen (Schumacher et al. 1990). Sie haben synthetisierende und resorbierende Funktionen (Schumacher et al. 1990).

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A B

C D

Abb. 28: Mikroskopische Betrachtung von Zahnwurzeldünnschliffen. A Zuwachsringe im Zahnzement, 100 µm, 200-fache Vergrößerung, Strich entspricht 25 µm. Zahnzement mit Zuwachsringen (Pfeil 1), Dentin (Pfeil 2). Fundnummer 159, Zahn 23, männlich, 40 – 60 Jahre. B Zuwachsringe im Zahnzement, 100 µm, 400-fache Vergrößerung, Strich entspricht 25 µm. Fundnummer 39, Zahn 13, männlich, 50 – 60 Jahre. C Mikroorganismen (Pfeil) und Bohrkanäle im Zahnzement und Dentin, 100 µm, 100-fache Vergrößerung, Strich entspricht 50 µm.

Fundnummer 61, Zahn 23, männlich, 40 – 60 Jahre. D Lakune eines Zementozyten (Pfeil) im Zahnzement, 100 µm, 200-fache Vergrößerung, Strich entspricht 50 µm. Fundnummer 83, Zahn 23, männlich, 40 – 50 Jahre.

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