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Forstwirtschaftliche Nutzungsformen, waldbauliche Entwicklungen und

4.1 Kulturlandschaftliche Entwicklung ab dem Ende des 18. Jahrhunderts

4.1.2 Forstwirtschaftliche Nutzungsformen, waldbauliche Entwicklungen und

Jahrhunderts als ein System dar, in dem land- und forstwirtschaftliche Erzeugung eng miteinander verknüpft waren. Für den Wald bedeutete dies, dass ein Großteil der agrarischen Produktion im Wald stattfand bzw. auf einer Versorgung mit Rohstoffen aus dem Wald basierte. Neben der Nut-zung von Brenn- und Bauholz sowie der Ernte von Baum- und Waldfrüchten (z.B. Bucheckern, Esskastanien, Haselnüsse, Beerenfrüchte, Wildobst, Pilze usw.) dienten Waldflächen der Gewinnung von Viehfutter und Einstreu sowie auch der großflächigen Bereitstellung von Weidegründen. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit war auch der Waldfeldbau weit verbreitet, der den zeitweiligen Anbau von Getreide mit der Kultur von Waldflächen verband (Mantel 1980). Des Weiteren nahmen die heute als forstliche „Nebennutzungen“ bezeichneten Nutzungsformen (Jagd, Zeidlerei, Waldweide, Streu- und Rindennutzung, Harzgewinnung usw.) einen großen Anteil an der Bewirtschaftung des Waldes ein. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts setzten sich aufgrund des steigenden Bedarfs an Brenn- und Bauholz Formen der Waldnutzung durch, die den Schwerpunkt auf die Produktion von Nutz-holz legten. Der Gedanke der nachhaltigen Holznutzung hatte sich nach einer Periode der Wald-verwüstung durch Übernutzung12 schon im Laufe des 16. Jahrhundert durchgesetzt und sich in um-fangreichen Forstordnungen niedergeschlagen, die Rodungsverbote und Wiederaufforstungsgebote enthielten. Über die reine Flächennachhaltigkeit von Abholzung und Wiederaufforstung hinaus soll-te jedoch die Einführung neuer waldbaulicher Ziele und Maßnahmen zu einem Wandel vom

12 Zur Geschichte der von dieser Arbeit nicht berührten früheren Perioden der Waldwirtschaft empfiehlt sich die Lektü-re einschlägiger Literatur zur Forstgeschichte, z.B. KLektü-remser (1972), Hasel (1985), Mantel (1980), Mantel und Hauff (1990)

Seite | 83 forstsystem13 zum reinen Kulturwald führen, in dem die Holzproduktion im Rahmen einer geregel-ten Forstwirtschaft stattfindet.

Zum Zeitpunkt des ersten Zeitschnitts (1784, siehe Kap.3.2.1) befanden sich weite Teile des Göttin-ger Waldes noch an der Schwelle vom agrarisch geprägten Nährwald (vgl. Mantel 1990) zum reinen Kulturwald. Der Göttinger Stadtoberförster Walter Früchtenicht hält in seinem 1926 verfassten Be-richt zu Entwicklung der Göttinger Stadtforsten fest, dass sich der Ansatz einer geregelten Forst-wirtschaft, den er an der Führung von Aufzeichnungen über jährliche Holznutzungen festmachte, bis in Jahr 1699 zurückverfolgen lässt. Dabei handelt es sich um die Verzeichnisse der Flächen, auf denen eine noch vielfach ungeregelte Nieder- und Mittelwaldwirtschaft betrieben wurde und deren Nutzung vor allem durch die Waldweide für Rinder, Schweinemast und Laubstreugewinnung noch sehr eng mit der landwirtschaftlichen Produktion verbunden war. Wagenhoff (1987, S. 108 ff.) beschrieb für den damaligen Bereich der königlichen Oberförsterei Bovenden, der mit dem Pleß-forst den nördlichen Teil des Göttinger Waldes bildet, ebendiese Form der vorherrschenden Wald-nutzungen. Die Bewirtschaftungsform des Niederwaldes diente ausschließlich der Brennholzerzeu-gung. Der Waldbestand war in Schläge eingeteilt. Die einzelnen Schläge wurden mit Umtriebszeiten zwischen 15 und 35 Jahren nacheinander gänzlich abgetrieben und verjüngten sich weitestgehend durch Stockausschlag. Dementsprechend kamen für den Niederwald nur ausschlagfreudige Laubge-hölze wie Hainbuche (Carpinus betulus), Eiche (Quercus petraea, Quercus robur), Esche (Fraxinus excelsior), Ahorn (Acer pseudoplatanus, Acer platanoides, Acer campestre ), Pappeln (Populus spec.) und Weiden (Salix caprea), Linden (Tilia cordata, Tilia platyphyllos) sowie verschiedene Sorbus und Prunus – Arten in Frage.

Als einziges Nadelgehölz, dass sich einer Behandlung nach dem Niederwaldsystem anpassen konnte, nennt Wagenhoff (1987, S.116 und 1985) die Eibe (Taxus baccata). Ein Bestand an Eiben hat sich als Besonderheit des Pleßforstes in verschiedenen Forstorten bis heute erhalten (vgl. Preutenborbeck 2009). Eine reine Niederwaldwirtschaft wurde im Göttinger Wald nur auf kleineren Flächen an eini-gen Abhäneini-gen der Muschelkalkebene betrieben, im Übrieini-gen herrschte die Mittelwaldwirtschaft vor.

Mittelwaldbestände hatten ähnlich denen der Niederwälder eine Hauschicht, die in relativ kurzen Umtriebszeiten zur Brennholzgewinnung abgetrieben wurde. Zur Hauschicht kam ein Überhalt aus höheren und stärkeren Bäumen, die der Gewinnung von Bau- und anderem stärker dimensioniertem Nutzholz dienten und die über mehrere Umtriebszeiten der Hauschicht erhalten wurden. Dieser Oberstand entstand entweder durch das Schonen besonders gerader und wüchsiger Stockausschläge (Lassreisel oder –reitel), aus Kernwüchsen (durch aufkeimende Samen) oder aus der Pflanzung

13 Agroforstsystem: System der Erzeugung land- und forstwirtschaftlicher Produkte auf gleicher, überwiegend bestockter Fläche (vgl. Reeg et al. 2008, Reeg 2008, Suchomel und Konold 2008)

Seite | 84 gens herangezogener Jungpflanzen. Als Überhälter waren vor allem Baumarten mit lichtdurchlässi-ger und nicht besonders ausladender Kronenform geeignet, um einen ausreichenden Lichtgenuss in der Hauschicht zu gewährleisten. Auf den überwiegend auf Kalk gewachsenen Böden des Göttinger Waldes wurden vielfach Eichen gewählt. Konnten sie nicht aus Stockausschlag in die Oberschicht einwachsen, wurde sie in Kämpen nachgezogen und entweder als Starklohden (1 - 1,5m) oder als Heister (1,5 - 2,5m) künstlich in die Bestände eingebracht (Wagenhoff 1987). Als besonders für den Göttinger Wald interessante Nebennutzung der Eichen stellte sich die Gewinnung von Lohrinde zum Gerben von Leder dar. Sie wurde im Niederwald als auch in der Hauschicht der Mittelwälder an den jungen Eichen gewonnen. Im nördlichen Bereich des Göttinger Waldes (Pleßforst, Staats-forst Bovenden) finden sich Hinweise auf die Gewinnung und Verarbeitung von Lohrinde zum Bei-spiel in den Flurnamen „Lohberg“ und der „Lohmühle am Rauschenwasser“ (Wagenhoff 1987).

Eine weitere Nebennutzung, die die Förderung von insbesondere Eichen in den Mittelwaldbestän-den zur Folge hatte, war die Eichelmast der Schweine. In Mittelwaldbestän-den Eichenmastjahren stellte das Eintrei-ben der Schweine in die Bestände einen erheblichen Beitrag zur Ernährung der Schweine dar und die Waldeigentümer konnten von den Bauern ein Mastgeld einfordern, da das Weiderecht der Ge-meinden die Schweinemast nicht einschloss. Weitere Baumarten der Oberschicht waren Esche (Fra-xinus excelsior), Ahorn (Acer platanoides, Acer platanus) und Ulme (Ulmus glabra) sowie vereinzelt auch Kirsche (Prunus avium). Die Buche (Fagus sylvatica) als Schattbaumart wurde aufgrund ihrer zu stark ausladenden und dichten Krone zumeist von der Oberschicht ausgenommen, war aber aufgrund der Bucheckern als Beitrag zur Viehernährung und für die Herstellung von Öl interessant.

Die Bedeutung des Waldes für die Viehernährung spiegelt sich des Weiteren in den zahlreichen Hu-te- und Triftberechtigungen wider, die die umliegenden Gemeinden sowie die Göttinger Stadt-bürger am Göttinger Wald hatten. Die Berechtigungen ermächtigten die Bürger, ihr Vieh auf Triften durch den Wald oder auch auf bestimmte Flächen in den Wald zu treiben, damit es sich dort von dem Aufwuchs in den Beständen ernähren konnte. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kühe und Schafe. Ziegen waren von der Hute ausgenommen. In den Nieder- und Mittelwaldbeständen war zwar aufgrund der Lichtsituation und der Standortverhältnisse mit einer verhältnismäßig üppi-gen Bodenvegetation zu rechnen, es liegt jedoch nahe, dass auch die Verjüngung der Gehölze vom Vieh aufgenommen wurde und bei entsprechender Witterung auch mit einer starken Bodenverwun-dung und Trittbelastung zu rechnen war. Insbesondere nach extremem Wetterereignissen wie Dürre oder Überflutungen, die eine Hütung des Viehs auf den Weiden der landwirtschaftlichen Flächen des mittleren Muschelkalks und der Leineniederung unmöglich machten, wurden zusätzlich kurzzei-tig Waldflächen zur Hute freigegeben. Wagenhoff (1987) ermittelte für den Pleßforst einen

zeitweili-Seite | 85 gen Besatz von 500 Kühen und 2000 Schafen, für die die Herrschaft Plesse selbst sowie die Bürger der Gemeinden Eddigehausen, Reyershausen, Oberbillingshausen, Holzerode und Spanbeck Hute-berechtigungen hatten. Für den Göttinger Stadtwald gibt Bartel (1952) SchäfereiHute-berechtigungen des Klosters Walkenried mit 500 Schafen, der Albani-Pfarre mit 400 Schafen und der städtischen Hospi-täler mit 350 Schafen an. Für die Einweidung von Kühen in der Göttinger Wald- und Feldmark mussten die Stadtbürger ein Hutegeld zahlen und ihr Vieh den städtisch beauftragten Hirten über-geben.

Bis zur Mitte bzw. zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschte im Göttinger Wald die Bewirtschaf-tungsform des Mittelwaldes mit den genannten Nebennutzungen vor. Die Verknüpfung dieser Waldwirtschaftsform mit der Viehernährung - insbesondere in Form der Waldhute und -trift mit Hornvieh - führte vielfach zu einem Nutzungskonflikt, in dem die Bewirtschaftung des Holzes nicht selten unterlag. In den praktischen Bemerkungen über das Forstwesen leitet Johann Georg Menz (1792) diesen Konflikt folgendermaßen her: „Da das alte Deutschland […] zu der Viehzucht sehr bequem gelegen gewesen, und dessen Inwohner in zahlreichen Heerden ihren Reichtum und Wohl-stand gesetzt haben, so ist nicht ohnwahrscheinlich, der erste und nächste Ursprung der heutigen Tages üblichen Waidegerechtigkeiten, in diesen dunklen und rohen Zeiten zu suchen. Nur mit dem Unterschied, dass […] ehemals sich jeder eine Waide aussuchen konnte, wo er es für gut und be-quem gefunden, und da beinahe halb Deutschland aus Waldungen bestanden, es eines theils nicht schädlich, andern theils notwendig war, das Vieh darin zu waiden. Zu unsern Zeiten sind es aber in der Forstwissenschaft angenommene ohnläugbare Sätze, dass Waldungen und Viehwaiden auf ei-nem Platz nicht wohl beisammen stehen können [und] dass wer seinen Wald zur Waide und Hütung für zahmes Vieh gebrauchen will, von der Holzung nicht vollen, sondern nur etwa halben Genuß erwarten kann. Und ebenso richtig ist die leidige Erfahrung, dass der Hauptgrund des gänzlichen Ruin und Verderbens so vieler Waldungen in dem Eintreiben des Viehs zu suchen ist.“

Früchtenicht (1926) beschreibt anhand seiner Erkenntnisse über die damalige Niederwaldwirtschaft das Göttinger Waldbild Anfang des 19. Jahrhunderts als lockere Bestände mit viel freigelegtem Bo-den, es sei „Buschwald mit vereinzelten alten und hochstämmigen Bäumen“, dessen Wiederaus-schlag durch den Viehverbiss erheblich verzögert würde. Ein Gutachten zum Waldzustand, dass 1835 von Oberförster Fleischmann aus Nörten erstellt wurde, bestätigte Früchtenichts Einschätzung und beschrieb die „Übernutzung des Waldes durch Kuhweide, Grasnutzung, Laubstreifen und Streunutzung“.

Um die Holzproduktion der Bestände zu verbessern und eine gleichmäßige Holzversorgung sicher-zustellen, wurden in den folgenden Jahrzehnten mehrfach die Flächenausdehnung der Schläge sowie

Seite | 86 die Umtriebszeiten angepasst. Diese Maßnahmen basierten auf den Empfehlungen des Oberförsters Jacobi aus Clausthal, der bereits 1741 auf Gesuch des Stadtrates ein Gutachten zum Zustand und zur weiteren Behandlung des Stadtwaldes erstellt hatte (vgl. Borgemeister 2005, S. 297 ff.). Auch die Neuauflage der Huteordnungen zeigte die Tendenz, die agrarische Waldnutzung einzuschränken und zugunsten der Holzproduktion zu verändern. Forstfrevel – sowohl in Form von unerlaubtem Holzeinschlag, als auch einer Übertretung der Huteberechtigung – wurde mit hohen Geldstrafen bzw. Konfiszierung des überzählig gehüteten Viehs durch Stadtbeamte bestraft (Bartel 1952, S.84).

Eine Einschränkung der Waldweide und eine Ausdehnung der Umtriebszeiten stellten jedoch insbe-sondere in genossenschaftlich genutzten Forsten ein Problem dar, da die Nutzungsberechtigten auf einen jährlich gleichbleibenden Holzertrag sowie auf den Futterertrag für das Vieh angewiesen war-en. Da der Göttinger Wald in weiten Teilen der Amtsbereiche der Inspektionen Bovenden und Reinhausen-Niedeck-Neuengleichen des Göttingschen Oberforstamtes (vgl. Kürschner 1976, S. 113 ff., Brand o.J.) aus genossenschaftlich genutzten Forsten bestand (Genossenschaften Weende, Niko-lausberg, Roringen, Radolfshausen bzw. Ebergötzen14, Geismar, Grone, daneben der Göttinger Stadtforst mit der Gerechtsame von Herberhausen und den Leinedörfern Holtensen und Rosdorf sowie der Göttinger Klosterforst), vollzog sich die Steigerung des Holzertrages durch die Schonung der Waldungen nur langsam. Früchtenicht berichtete noch 1926 von den Forsten Rosdorfs, Men-gershausens und Grones, dass sie zwar nicht mehr Buschwald seien, jedoch wie die meisten bäuerli-chen Waldungen noch immer als Mittelwald genutzt würden. In den benachbarten, überwiegend staatlich bewirtschafteten Waldgebieten wie dem Solling habe die Umstellung der bäuerlichen Waldwirtschaft auf eine geregelte Forstwirtschaft schon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begon-nen. Tatsächlich hatte die Idee der geregelten Forstnutzung in Form einer schlagweisen Hochwald-wirtschaft15 nach den Lehren von Georg Ludwig Hartig (*02.09.1746 †02.02.1837, Massenfachwerk) und Johann Christian Hundeshagen (*10.08.1783 †10.02.1834, Normalwaldmodell) in den meisten Waldungen des Königreiches Hannover bzw. der preußischen Provinz schon früher Einzug gehal-ten. Als Reaktion auf die Nachfrage nach mehr Holz und auch größeren Holzdimensionen sollten Maßnahmen der ertragsorientierten Forstwirtschaft maßgeblich auf Initiative von Heinrich Christian Burkhardt, dem damaligen Forstdirektor (seit 1853) und Generalsekretär für Forsten im Finanzmi-nisterium des Königreiches Hannover (seit Abschaffung der Domänenkammer 1858, nach der

14 Staneberg und Teile der Brandschläge im Südosten des Untersuchungsgebietes

15 Schlagweiser Hochwald, Definition nach Esser 2000 (Ergänzungen d. Verf.): Hochwald entsteht aus Kernwüchsen (aus einem Samen erwachsen), die durch Naturverjüngung, Saat oder Pflanzung entstanden sind (Gegensatz zu Stock-ausschlag). Der Schlagweise Hochwald ist aus gleichalten oder annähernd gleichalten Beständen aufgebaut (, die einer einheitlichen Bewirtschaftung unterliegen und somit in dieser Struktur erhalten bleiben. Im Gegensatz dazu steht der Plenterwald, siehe Esser 2000 S. 76ff. oder Röhrig et al. 2006 S. 293ff.).

Seite | 87 Übernahme durch Preußen 1866 Leiter der Forstverwaltung der preußischen Provinz Hannover) vor allem zunächst im Landeswald umgesetzt werden.

Die Trennung von agrarischer und forstlicher Nutzung durch die Einführung der schlagweisen Hochwaldwirtschaft fand im Göttinger Wald trotz der zeitlich früheren Vorgaben erst ab der Mit-te des 19. Jahrhunderts statt. Die Bewirtschaftung der GenossenschafMit-ten unMit-terstand zwar der Auf-sicht staatlicher Forstbeamte, doch war der Widerstand der Nutzungsberechtigten stark und “die Dienstbeflissenheit der Forstbeamten außerhalb ihres eigentlichen Dienstbereiches nicht immer ausreichend“, so Früchtenicht (1926). So bedurfte es erst einem gesetzlichen Verbot der Waldweide und der Ablösung zahlreicher Weide- und Brennholzberechtigungen im Zuge der Gemeinheitstei-lungen und des Verkoppelungsprozesses, um die Einführung einer planmäßigen Hochwaldwirt-schaft zu ermöglichen. Im Wald der Stadt Göttingen mit den Förstereien Göttinger Wald, Bösing-hausen, Hainberg, Hainholz, Lengderberg und Leinebusch16 begann die Umstellung der Waldwirt-schaft um das Jahr 1860 (Früchtenicht 1926), im Bereich des Amtes Bovenden dauerte es je nach Gemeindezugehörigkeit noch bis zu 20 Jahren länger. Trotz des Übergangs der Hessischen Enklave 1816 zum Königreich Hannover durch die Vereinbarungen des Wiener Kongresses, waren die da-maligen Holzberechtigungen der Bovender Gemeindemitglieder nach der Hessischen Forstordnung bestehen geblieben (nach einem Abkommen von 1859, vgl. Lies 1970). Der Prozess der Ablösung dieser Berechtigungen dauerte nach Lies (1970) von 1878 bis zum 3. November 1885, an dem schlussendlich der Rezess zur Ablösung von allen Gemeindemitgliedern unterzeichnet wurde. Ein-hergehend mit den strukturellen Verbesserungen in der Landwirtschaft, die der Verkoppelungspro-zess mit sich brachte und der z.B. die vermehrte Stallhaltung des Viehs und somit die Schonung der Waldungen ermöglichte (siehe Kap. 4.1.1), sowie dem Rückgang der Schafhaltung, wurde durch die Ablösungen der Holzberechtigungen der Gemeinden der Weg für einen Waldumbau nach den Vor-stellungen der königlichen Regierung und der sich weiter entwickelnden Forstwissenschaft geebnet.

Die entsprechenden Anweisungen zur Überführung der Mittelwaldbestände des Göttinger Waldes in Hochwaldbestände wurden, wie ein zum Beispiel Schreiben der königlichen Forstdirection an die Forstinspection Bovenden vom 22. November 1867 wiedergibt, schon früh gegeben. Die Durchfüh-rung der Maßnahmen wurde jedoch, wie oben beschrieben, durch die gegensätzlichen Interessen der verschiedenen Nutzungsberechtigten verzögert. Das Schreiben17 wurde vom Beamten Knipping der

16 Die Bestände des Leinebusches liegen geographisch und standörtlich getrennt vom Naturraum Göttinger Wald weit südwestlich des Göttinger Stadtgebiets und somit nicht innerhalb der Grenzen des Untersuchungsgebietes, sie seien hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt.

17 abgedruckt in Wagenhoff 1987 unter dem Hinweis, es sei den Forstakten des Forstamtes Bovenden entnommen.

Diese Forstakten wurden im Zuge der Zusammenlegung der Niedersächsischen Forstämter mit der Auflösung des Fos-tamtes Bovenden im Jahr 2004 auf den Dachboden des ForsFos-tamtes Reinhausen verbracht. Leider konnte auch nach

Seite | 88 Königlichen Forstdirection verfasst und mit persönlichen Kommentaren und Ergänzungen des da-maligen Forstdirektors Burckhardt (s.o.) versehen. Es sieht die Überführung der Bestände des Pleß-forstes in vier Nutzungsperioden innerhalb eines Zeitraumes von 80 Jahren vor. Dazu sollten ent-sprechend der damaligen Bestockungsform der Unterstand allmählich abgetrieben und der Ober-stand zur Förderung des Dickenwachstums des Einzelbaumes entweder ausgedünnt oder aus geeig-neten Jungpflanzen neu begründet werden. Die tatsächliche Umsetzung der Anweisung erfolgte letztendlich in fünf Nutzungsperioden von je 20 Jahren (Periodische Umfassungen I - V, vgl.

Kap.6.2.1).

Entsprechend stand in den folgenden Jahrzehnten, im Zeitraum des zweiten (1878, siehe Kap. 3.2.1) und dritten Zeitschnitts (1910, siehe Kap. 3.2.1), die Erzeugung von Nutzholz in starken Dimensio-nen klar im Vordergrund. Als bereits natürlich in den Beständen vorhandene Baumart mit besonders hohen Wuchsleistungen und sehr guter Konkurrenzfähigkeit auf dem Standort bot sich für dieses Ziel die Förderung der Baumart Buche besonders an. Als Schattbaumart kann sie Jahrzehnte unter Schirm überdauern und ihre Krone reagiert auch nach jahrelangem Dichtstand noch sehr plastisch auf plötzlichen Freistand. Durch den Aushieb des Unterstandes, die Vereinzelung und/oder den Abtrieb von Stockausschlägen der anderen Baumarten, sowie das lange Dichthalten von neu be-gründeten Beständen wurden geschlossene, von Buchen dominierte Hochwaldbestände an-gestrebt. Die Buche füllte die Lücken der geernteten Überhälter des Mittelwaldes schnell und dun-kelte zunächst gleichwüchsiges Edellaubholz bald aus. Durch den langen Dichtstand bildete sie zu-dem überproportional lange Stämme, was den Beständen ein augenscheinlich hallenartiges Wuchs-bild gab. Häufig ist in der Literatur für die Phase vom Beginn der Umstellung auf Hochwaldwirt-schaft bis in die 1930er Jahre auch von einer Dunkel- oder Hallenwaldphase die Rede (Burschel und Huss 1999, Sieder 2003, Röhrig et al. 2006). Früchtenicht (1926, S.41), der dieselbe Entwicklung bei der Überführung des Göttinger Stadtforstes verfolgt hat und noch während ihrer Fortführung Dienst tat, beschreibt auch die ihm augenscheinlichen Nachteile dieser Entwicklung: „Es werden manche Holzarten verschwinden, welche den alten Mittelwaldungen ein besonders reizvolles Geprä-ge Geprä-geben: die knorriGeprä-ge Eiche, der eiGeprä-genartiGeprä-ge Wacholder, auch Feldahorn, die Elsbeere, die VoGeprä-gel- Vogel-beere, Wildobst, die Hainbuche, Linde und eine ganze Reihe von Sträuchern. Sie alle werden einmal der Buche weichen müssen […] Auf Muschelkalkboden ist die Buche von derart brutaler Urwüch-sigkeit, dass sie im Emporschießen glatt alles überholt, überwächst und erdrückt.“ Insbesondere den Abtrieb der früher noch so zahlreichen Mittelwaldeichen nennt er als ein Beispiel für die Verarmung

wiederholter Durchsicht des Aktenbestandes, der mittlerweile jeder Ordnung entbehrt, das genannte Schreiben nicht aufgefunden werden.

Seite | 89 der Bestände an Strukturelementen. Als „gänzlich untätiges Mitglied der Arbeitsgemeinschaft des Waldes“ (S. 42) würden sie nach ihrem Überwachsen durch die aufstrebende Buchenverjüngung dem Förster gar keine andere Wahl lassen, als sie zu entnehmen. Auch die noch vorhandene Ei-chenverjüngung sei nur unter einer beträchtlichen Einbuße an BuEi-chenverjüngung zu schützen, was hinsichtlich der damaligen waldbaulichen Bestrebungen nicht geschah (S.43). Der Buche annähernd gleichwüchsig und mit einem nicht zu hohen finanziellen Aufwand zu schützen, seien lediglich Esche, Ahorn und Ulme. Alle anderen Baumarten verschwänden allmählich aus dem Hochwaldbe-trieb (S.43).

Nichtsdestotrotz ist in Bezug auf die Erhöhung des Massenvorrates die Strategie der geschlosse-nen Buchenhochwälder erfolgreich verlaufen. Früchtenicht beschreibt eine Erhöhung der jährlichen Nutzungsmasse zwischen 1860 und 1920 um fast 5 fm/ha (4,98), wobei das anfallende Derbholz einen zunehmend größeren Anteil ausmachte und der stockende Holzvorrat trotz der erhöhten Nutzungsmasse von 46,3 fm/ha (1860) auf 174 fm/ha (1920) anstieg. Der Preis für Buchenbauholz starker Dimensionen stieg durch die zunehmende Industrialisierung des Göttinger Raumes und be-scherte den Forstverwaltungen gute Einkünfte. Die Baumaßnahmen der Industriebetriebe sowie die Erweiterung der städtischen und insbesondere der dörflichen Siedlungen (siehe Kap. 4.1.1) gingen mit einem erhöhten Holzbedarf einher. Diese Entwicklung mündete Ende des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des Deutschen Reiches in einer Erhöhung des Nadelholzanbaus in den Wäldern, um in kürzeren Umtriebszeiten mehr Bauholz absetzen zu können. Die Erhöhung des Nadelholzanteils zur Produktion schnellwüchsigen Bauholzes verlief im Göttinger Wald im Vergleich zum übrigen heutigen Bundesgebiet relativ verhalten. Die flachgründigen Muschelkalkböden und die zumeist mangelnde Wasserversorgung begünstigten in Frage kommende produktive Baumarten wie die Fich-te nicht. Saatgut oder Jungpflanzen mussFich-ten zunächst zugekauft werden, da es keine Saatgutbestände im Göttinger Wald gab und auch wenig Naturverjüngung erfolgen konnte (Wagenhoff 1996). Ver-breitet war dagegen der Anbau von Schwarzkiefern (Pinus nigra) und Weißerlen (Alnus incana) zur Schaffung einer Humusauflage bzw. als bodenverbessernde Maßnahme zur Vorbereitung von

Nichtsdestotrotz ist in Bezug auf die Erhöhung des Massenvorrates die Strategie der geschlosse-nen Buchenhochwälder erfolgreich verlaufen. Früchtenicht beschreibt eine Erhöhung der jährlichen Nutzungsmasse zwischen 1860 und 1920 um fast 5 fm/ha (4,98), wobei das anfallende Derbholz einen zunehmend größeren Anteil ausmachte und der stockende Holzvorrat trotz der erhöhten Nutzungsmasse von 46,3 fm/ha (1860) auf 174 fm/ha (1920) anstieg. Der Preis für Buchenbauholz starker Dimensionen stieg durch die zunehmende Industrialisierung des Göttinger Raumes und be-scherte den Forstverwaltungen gute Einkünfte. Die Baumaßnahmen der Industriebetriebe sowie die Erweiterung der städtischen und insbesondere der dörflichen Siedlungen (siehe Kap. 4.1.1) gingen mit einem erhöhten Holzbedarf einher. Diese Entwicklung mündete Ende des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des Deutschen Reiches in einer Erhöhung des Nadelholzanbaus in den Wäldern, um in kürzeren Umtriebszeiten mehr Bauholz absetzen zu können. Die Erhöhung des Nadelholzanteils zur Produktion schnellwüchsigen Bauholzes verlief im Göttinger Wald im Vergleich zum übrigen heutigen Bundesgebiet relativ verhalten. Die flachgründigen Muschelkalkböden und die zumeist mangelnde Wasserversorgung begünstigten in Frage kommende produktive Baumarten wie die Fich-te nicht. Saatgut oder Jungpflanzen mussFich-ten zunächst zugekauft werden, da es keine Saatgutbestände im Göttinger Wald gab und auch wenig Naturverjüngung erfolgen konnte (Wagenhoff 1996). Ver-breitet war dagegen der Anbau von Schwarzkiefern (Pinus nigra) und Weißerlen (Alnus incana) zur Schaffung einer Humusauflage bzw. als bodenverbessernde Maßnahme zur Vorbereitung von