Zur Einordnung der untersuchten Bakterien anhand ihrer HHD-Werte und/oder MHK-Werte in die Kategorien "empfindlich“, "intermediär“ oder "resistent“ sind verlässliche Grenzwerte ("breakpoints") erforderlich. Bei den Grenzwerten handelt es sich nicht um direkt messbare und nachweisbare Werte (BÖTTNER et al. 2000). Grenzwerte werden aus den Ergebnissen aufwendiger Untersuchungen abgeleitet. Hierbei ist zu beachten, dass die für einen bestimmten Wirkstoff ermittelten Grenzwerte jedoch nur für das originäre pharmazeutische Produkt im zugelassenen Dosierungs- und Applikationsschema für spezielle Indikationen, Tierarten und zum Teil auch Erregergruppen gelten. Aufgrund der insbesondere für "alte" Wirkstoffe wenig aussagekräftigen oder zum Teil auch fehlenden Daten aus der Veterinärmedizin erfolgt die Klassifizierungen bakterieller Erreger animaler Herkunft im Rahmen von Empfindlichkeitsprüfungen häufig anhand humanmedizinischer Grenzwerte. Da jedoch wesentliche Unterschiede hinsichtlich des Erregerspektrums sowie der Verteilung und Verstoffwechselung der Wirkstoffe zwischen Mensch und den verschiedenen Tierarten bestehen, ist eine Übertragung von Grenzwerten vom Mensch auf eine beliebige Tierart wissenschaftlich nicht vertretbar (BÖTTNER et al.
2000).
Für jeden antimikrobiellen Wirkstoff existieren prinzipiell mindestens zwei klinisch relevante Grenzwerte: der Empfindlichkeitsgrenzwert (Sensitivitätsgrenzwert, Rs) und der Unempfindlichkeitsgrenzwert (Resistenzgrenzwert, Rr) (BÖTTNER et al.
2000). Zwischen beiden befindet sich bei manchen Wirkstoffen eine Pufferzone, die die Kategorie "intermediär" repräsentiert.
Als "intermediär" klassifizierte Erreger können mit der vorgegebenen Dosierung des jeweiligen Wirkstoffes nicht sicher erfasst werden. Eine höhere Dosierung des Wirk-stoffes ist im veterinärmedizinischen Bereich, vor allem im Rahmen der Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren, aufgrund der Verlängerung der Wartezeit proble-matisch. Für die Therapie sollten daher nur Wirkstoffe empfohlen werden, gegen-über denen der zu bekämpfende Erreger als eindeutig "empfindlich" getestet wurde.
Für die Grenzwertfestlegung in der Veterinärmedizin existieren seit 1999 von der NCCLS Leitlinien zur Festlegung von Grenzwerten (NCCLS, M37-A, 1999; M37-A2, 2002). Zur Ableitung von Grenzwerten sind folgende Daten erforderlich (DIN 58940 und NCCLS Dokument M37-A2):
- allgemeine Angaben des zu untersuchenden antimikrobiellen Wirkstoffes, die Darreichungsform, Dosis, Dosierungsintervall und Indikation beinhalten;
- chemische und physikalische Daten des Wirkstoffes, wobei die Daten zur chemischen Struktur, Löslichkeit und Stabilität des Wirkstoffes unabdingbar sind;
- Daten zur Pharmakokinetik und Bioverfügbarkeit, wobei für die angegebene Do-sis und Dosierungsintervalle für jede einzelne Tierart Angaben über den Blut-/Plasmaspiegel (Cmax, Tmax, T0,5), das Verteilungsvolumen (Vd) und die Wirkstoff-gehalte in den Körperflüssigkeiten, Organen und Geweben gemacht werden müssen. Dieses gilt weiterhin für alle galenischen Zubereitungen des Wirkstoffes, da hinsichtlich Absorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung erhebliche tierart- und formulierungsspezifische Unterschiede bestehen. Unterschiede in der Pharmakokinetik und deren Einfluss auf eine Grenzwertfestlegung wurden 1994 von WATTS und YANCEY ausführlich beschrieben;
- mikrobiologische Daten, die Angaben zur Minimalen Hemmkonzentration, zur Bakterizidie und zum Resistenzverhalten (Kreuz- oder Parallelresistenz) bein-halten, werden ebenso für eine Grenzwertfestlegung benötigt. Klinische Isolate müssen repräsentativ für die jeweilige Erkrankung sein und in ausreichend gro-ßer Anzahl (300 Isolate nach DIN und NCCLS) vorliegen. Angaben zur klinischen Prüfung können nur von einer ausreichend großen Anzahl bakteriologischer Pro-ben von Tieren vor und nach der Therapie erfolgen. Dabei sind Daten über die Erreger auf Speziesebene, bakteriologische Heilung (Erregerelimination) und klinische Heilung zu erheben.
Während die in den Vorschriften von DIN, CA-SFM und BSAC befindlichen Grenzwerte ausschließlich auf Daten aus der Humanmedizin basieren, finden sich im NCCLS Dokument M31-A2 (2002) veterinärspezifische Grenzwerte für zumindest einige in der Veterinärmedizin verwendete Wirkstoffe (Tabelle 2-3). Die Grenzwerte für nicht in Tabelle 2-3 aufgelistete, aber im NCCLS Dokument M31-A2 (2002) befindliche Wirkstoffe (z.B. Ampicillin, Erythromycin, Tetracyclin) basieren ebenfalls auf Daten aus der Humanmedizin.
Tabelle 2-3: Darstellung der veterinärspezifischen Grenzwerte gemäß NCCLS Dokument M31-A2
Wirkstoff
Tier-art * HHD-Werte (mm) MHK-Werte (µg/ml)
empfindlich intermediär resistent empfindlich intermediär resistent
Spectinomycin R ≥ 14 11-13 ≤ 10 ≤ 32 64 ≥ 128
Penicillin/
Novobiocin
R ≥ 18 15-17 ≤ 14 ≤ 1/2 2/4 ≥ 4/8
Ceftiofur R/S ≥ 21 18-20 ≤ 17 ≤ 2 4 ≥ 8
Enrofloxacin H/K ≥ 23 17-22 ≤ 16 ≤ 0.5 1-2 ≥ 4
G ≥ 23 17-22 ≤ 16 ≤ 0.25 0.5-1 ≥ 2
R ≥ 21 17-20 ≤ 16 ≤ 0.25 0.5-1 ≥ 2
Difloxacin ≥ 21 18-20 ≤ 17 ≤ 0.5 1-2 ≥ 4
Orbifloxacin H/K ≥ 23 18-22 ≤ 17 ≤ 1 2-4 ≥ 8
Clindamycin H ≥ 21 15-20 ≤ 14 ≤ 0.5 1-2 ≥ 4
Pirlimycin R ≥ 13 - ≤ 12 ≤ 2 - ≥ 4
Tilmicosin R ≥ 14 11-13 ≤ 10 ≤ 8 16 ≥ 32
S ≥ 11 - ≤ 10 ≤ 16 - ≥ 32
Florfenicol R ≥ 19 15-18 ≤ 14 ≤ 2 4 ≥ 8
Tiamulin S ≥ 9 - ≤ 8 ≤ 16 - ≥ 32
* G (Geflügel), H (Hund), K (Katze), R (Rind), S (Schwein)
Tabelle 2-4: Zielorganismen und Indikationen für die Anwendung bestimmter Wirkstoffe bei Tieren
Wirkstoff Zielorganismen Indikation
Spectinomycin Mannheimia haemolytica, Pasteurella multocida, Haemophilus somnus
Ceftiofur Mannheimia haemolytica, Pasteurella multocida, Haemophilus somnus
Enrofloxacin Gramnegative Bakterien des Intestinal-traktes, Staphylococcus spp. und andere
empfindliche Organismen
Hauterkrankungen und Harnwegsinfektionen bei
Hund/Katze
Pasteurella multocida, Escherichia coli Infektionen bei Huhn/Pute Mannheimia haemolytica, Pasteurella
multocida, Haemophilus somnus
Atemwegsinfektionen beim Rind
Orbifloxacin Gramnegative Bakterien des Intestinaltraktes, Staphylococcus spp.
und andere empfindliche Organismen
Hauterkrankungen und Harnwegsinfektionen bei
Hund/Katze
Clindamycin Staphylococcus spp. Hauterkrankungen und
Weichteilinfektionen beim Hund
Pirlimycin Staphylococcus aureus, Streptococcus agalactiae, Streptococcus dysgalactiae,
Streptococcus uberis
Mastitis beim Rind
Tilmicosin Mannheimia haemolytica Atemwegsinfektionen beim Rind
Actinobacillus pleuropneumoniae, Pasteurella multocida
Atemwegsinfektionen beim Schwein
Florfenicol Mannheimia haemolytica, Pasteurella multocida, Haemophilus somnus
Atemwegsinfektionen beim Rind
Tiamulin Actinobacillus pleuropneumoniae Atemwegsinfektionen beim Schwein
Die meisten veterinärspezifischen Grenzwerte wurden nur für eine bestimmte kleine Gruppe von hauptsächlich mit dem betreffenden Wirkstoff zu bekämpfenden Bakte-rien erarbeitet. Dementsprechend gelten diese Grenzwerte ausschließlich für die jeweiligen Zielorganismen und können nicht beliebig auf andere Bakteriengruppen übertragen werden. In Tabelle 2-4 sind die Wirkstoffe mit ihren Zielorganismen und Indikationen – sofern im NCCLS Dokument M31-A2 angegeben – aufgelistet.
Weiterhin ist festzustellen, dass die in Tabelle 2-3 dargestellten Grenzwerte für den Agardiffusionstest nur für eine festgelegte Beschickung der Plättchen Gültigkeit besitzen. Diese Beschickungen betragen 100 µg für Spectinomycin, 10 Units/30 µg für Penicillin/Novobiocin, je 30 µg für Ceftiofur, Florfenicol und Tiamulin, 15 µg für Tilmicosin, je 10 µg für Difloxacin und Orbifloxacin, 5 µg für Enrofloxacin und je 2 µg für Clindamycin und Pirlimycin. Plättchen, die eine von diesen Werten abweichende Beschickung mit den jeweiligen Wirkstoffen aufweisen, können nicht für in-vitro Empfindlichkeitsprüfungen anhand der in Tabelle 2-3 aufgelisteten Grenzwerte verwendet werden.
Eine Verwendung dieser veterinärspezifischen NCCLS-Grenzwerte zur Bewertung von MHK- und HHD-Werten, die anhand der DIN-Empfehlungen oder anderer Durchführungsvorschriften erarbeitet wurden, wird aufgrund signifikanter methodischer Unterschiede bei den in-vitro Empfindlichkeitsprüfungen nicht empfohlen. Sofern Institutionen in unterschiedlichen Ländern im Rahmen eines gemeinsamen Monitoringprogrammes tätig sind, ist unbedingt eine in allen Labors gleichermaßen zu verwendende, international anerkannte Methodik festzulegen.
2.5 Taxonomische Einordnung der Genera Pasteurella, Mannheimia,