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7 Beeinträchtigungen der LQ durch Krankheit und HDC

7.4 Fatigue

Ein weiterer Komplex subjektiver Beschwerden wird unter dem Begriff „Fatigue“ zu-sammengefasst. Fatigue soll hier ausführlich dargestellt werden und zwar aus zweierlei Gründen:

1. Fatigue stellt ein gravierendes Problem für Patienten nach HDC dar, sowohl als unmittelbare Reaktion auf die Therapie als auch in der späteren Zeit im Sinne einer chronischen Spätauswirkung

2. Fatigue ist bislang kaum untersucht worden

Fatigue ist ein nichtspezifisches, multidimensionales Konstrukt, das mit Gefühlen von Müdigkeit, Schwäche und Energieverlust einhergeht.55 Fatigue kann durch Schonen und Ausruhen nicht überwunden werden. Fatigue ist ein weit verbreitetes Symptom, das viele Krebspatienten während der Therapie und auch später als sehr belastend beschreiben. 60-90% aller Tumorpatienten sind von Fatigue in unterschiedlichem Ausmaß betroffen (Rüffer & Flechtner 2001).

Während Fatigue früher überwiegend im Bereich der Arbeitsmedizin untersucht wurde, ist es erst in den letzten Jahren als weitere Belastung von Krebspatienten in das Be-wusstsein gerückt. Zunächst hat sich vor allem die Pflegewissenschaft des Phänomens angenommen. Später wurde Fatigue dann auch zum Gegenstand der psychoonkologi-schen Forschung, hier vor allem im Bereich der psychometripsychoonkologi-schen Lebensqualitätsfor-schung. Das erste internationale Symposium hat 1999 stattgefunden. Cella et al.

(1998) gehen davon aus, dass Fatigue ähnlich negative Auswirkungen auf die Lebens-qualität von betroffenen Patienten hat wie chronische Schmerzen.

Schwarz et al. (2001) beschreiben Fatigue folgendermaßen:

„Fatigue kann Krankheitsvorläufer, Kranheitssymptom oder Ergebnis medizinischer Eingriffe sein und kennzeichnet ein besonderes Ausmaß bzw. eine spezifische Qualität von Müdigkeit und Erschöpfung. Fatigue ist ein häufiges Symptom bei vielen physischen, insbesondere chro-nischen Krankheiten und bei Depression, außerdem ist es ein Leitsymptom des Allgemeinen Erschöpfungssyndroms (General Fatigue Syndrome). Mehrwöchige Erschöpfungsphasen sind eine häufige Neben- und Nachwirkung chirurgischer, chemo- und radiotherapeutischer Behand-lungen; Medikamente wie Analgetika, Psychopharmaka und Schlafmittel können tagsüber Fati-gue hervorrufen. Durch FatiFati-gue wird neben der Selbstversorgung auch dieLebensqualität von betroffenen Patienten beeinträchtigt“ (S. 14).

Wie oben erwähnt, wird von den meisten Autoren eine Mehrdimensionalität der Fatigue angenommen. Die Beschwerden können den Dimensionen physisch, kognitiv, motiva-tional, emotional und sozial zugeordnet werden.

Als Ursachen für das Fatigue-Syndrom bei Tumorpatienten kommen, mit jeweils unter-schiedlichem Anteil, je nach Art der Tumorerkrankung und dem Krankheitsstadium, folgende Faktoren infrage:

• Direkte Auswirkungen des Tumors: Zellzerfall, metabolische Veränderungen, Anämie, Zytokinproduktion, Kachexie, Erbrechen, Diarrhö, Dyspnoe

55 Einen aktuellen Forschungsüberblick gibt A. Glaus 1998 in: Fatigue in patients with cancer.

• Auswirkungen der Tumortherapie: Folgen der Zytotoxizität von Radio- und Chemotherapie, Folgen von operativen Eingriffen, Nebenwirkungen der suppor-tiven medikamentösen Therapie

• Psychosoziale Prozesse: Umgang mit der Erkrankung, Anpassungs- und Ab-wehrmöglichkeiten, direkte und indirekte Folgen für soziale Beziehungen und soziale Situation

Da Fatique ein weitverbreitetes Symptom auch in der Allgemeinbevölkerung ist, haben Schwarz et al. (2001) in ihrer Studie eine umfangreiche repräsentative Stichprobe der Bevölkerung mit Stichproben aus Allgemeinarztpraxen verglichen, mit dem Ziel, Norm-werte zu erstellen. Erst mithilfe der NormNorm-werte lassen sich aussagekräftige Vergleiche anstellen, die möglicherweise bei einer sozialmedizinischen Begutachtung von Krebs-patienten eine Rolle spielen könnten. Bisher gibt es den Begriff „Fatigue“ nicht als ei-genständige Diagnose/Symptom im Rahmen der sozialmedizinischen Begutachtung der gesetzlichen Rentenversicherung (Weis, Bartsch & Woltemate 2000). Gerade im Zusammenhang mit der beruflichen Integration nach Erkrankung und Rückkehr in den Arbeitsprozess, ob zu Hause oder außerhalb, spielt das Ausmaß von Fatigue eine Rol-le. In diesem Zusammenhang liefert die Arbeit von Schwarz et al. einen wichtigen Bei-trag. Generell lässt sich für die Bevölkerungsstichprobe feststellen, dass Frauen höhe-re Werte angeben und bei ältehöhe-ren Menschen die Werte höher sind als bei jüngehöhe-ren.

Für die verschiedenen Patientengruppen treffen diese Aussagen nicht zu.

Glaus (2000) berichtet ebenfalls über eine Studie, die zu einer Abgrenzung von Fatigue bei Gesunden und Krebskranken beitragen will. Mithilfe von qualitativer Methodik wur-den unstrukturierte Interviews erhoben und Themen iwur-dentifiziert, die der Kategorie Fa-tigue zugeordnet wurden. Als wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte sich, dass Kranke Fatigue auch als Schwäche bezeichnen während in der Be-schreibung der Gesunden Schwäche nicht als Teil ihrer Müdigkeit enthalten war. Sie folgert, dass der Unterschied zwischen Fatigue bei Kranken und Gesunden sich nicht quantitativ fassen lässt, sondern dass die Qualität der Müdigkeitsgefühle aus einem

„angenehmen Gefühl ein lästiges Leiden“ werden lässt. Schwarz et al. diskutieren, welche kritischen Werte für die Abgrenzung zwischen unauffälligen und auffälligen Fa-tigue-Werten infrage kommen. Die Autoren haben Fatigue-Werte mit dem „Multidimen-sional Fatigue Inventory“ nach Smets et al. in einer für Deutschland repräsentativen Bevölkerungsstichprobe erhoben. Die Auswertung zeigt eine Abhängigkeit der Werte von Geschlecht und Alter. Bei Männern und Frauen gibt es eine lineare Zunahme in Abhängigkeit vom Alter. Kein Zusammenhang war zwischen sozialer Schicht, Wohnort und Fatigue festzustellen.

In einer französischen Studie (Henry-Amar & Joly 2001) geben die Autoren Wertebe-reiche zur Beurteilung von Fatigue bezogen auf den Skalenwert im QLQ-C30. Die Wer-te werden mithilfe einer vierstufigen Likert-Skala gewonnen und dann in eine Skala von 0 – 100 transformiert. Dabei bedeutet 0 keinerlei Fatigue während 100 den höchst möglich vorstellbaren Wert von Fatigue beschreibt. Der Wert von 0 –19 gilt als unauf-fällig, der Wert von 20 – 39 als fraglich und ein Wert von größer 40 als eindeutig auffäl-lig. Ob diese „Cut-off-Werte“ brauchbar sind, wird sich erst in der Zukunft zeigen.

In einer Interviewstudie von Kuuppelmkaki & Lauri (1998) wurden palliative Patienten nach ihren Erfahrungen mit „Leiden“ im Krankheitskontext befragt. Neben Chemothe-rapie und Schmerzen wird Fatigue genannt. In einer weiteren Studie (Stone et al.

1999), ebenfalls mit palliativen Krebspatienten und einer nicht-krebskranken Kontroll-gruppe, wird verglichen, ob sich das Auftreten von Fatigue in den Kollektiven unter-scheidet. In der Patientengruppe leiden 75% der Patienten an ausgeprägten Formen von Fatigue. Es gibt keine Zusammenhänge mit Alter, Geschlecht, Diagnose, Vorhan-densein oder Nicht-VorhanVorhan-densein von Metastasen und deren Lokalisation, Anämie, Schmerzmitteldosierung, hämatologischen oder biochemischen Indizes, Ernährungs-zustand und GemütsErnährungs-zustand. Allerdings gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Fatigue, Schmerzen und Dyspnoe. In der nicht-krebskranken Kontrollgruppe gab es dagegen einen Zusammenhang zwischen Fatigue, Angst und Depression. Das Ergebnis für die Gruppe der Krebskranken steht im Widerspruch zu den Ergebnissen anderer Studien (Aas et al. 1997; Akechi et al. 1999; Blesch & Paice 1998; Glaus 1998;

Hayes 1991), in denen sich signifikante Zusammenhänge zwischen Angst, Depression und Fatigue finden.

Eine sehr schwerwiegende Ausprägung von Fatigue ist fast immer in der Aplasiephase nach der HDC-Behandlung zu beobachten. Untersuchungen, die Patientinnen und Pa-tienten nach Knochenmarks- und Blutstammzelltransplantationen betreffen, bestätigen das Vorhandensein und das Persistieren von Fatigue lange Zeit nach Abschluss (meh-rere Jahre) der Behandlung. Für diese Patientengruppe wird Fatigue mittlerweile als wichtiges Folgeproblem anerkannt.

Wie bereits erwähnt, nimmt Fatigue insofern eine Sonderstellung ein, als verursachen-de Faktoren ungeklärt sind. Infrage kommen sowohl physische als auch psychosoziale Faktoren. Unter den somatischen Faktoren wird vor allem ein niedriger Hb-Wert als mit ursächlich diskutiert. Eindeutig ist dieser Zusammenhang allerdings in den bisherigen Studien nicht nachgewiesen.

Der Zusammenhang zwischen Fatigue und Chemotherapie bei Brustkrebspatientinnen ist ebenfalls nicht konsistent. Mast (1998) und Woo et al (1998) finden in ihren Studien signifikante Zusammenhänge. Andrykowski et al.(1998), Berlund et al. (1991) und

Bo-wer et al. (2000) finden keine oder nur schwache Zusammenhänge in Bezug auf Che-motherapie. In der Radiologie wird Fatigue als gängige Nebenwirkung genannt unter der zwei Drittel aller Patienten leiden (Feyer et al. 2000).

Deutliche Zusammenhänge finden sich zwischen verschiedenen psychologischen Konstrukten wie Angst, Depressivität, emotionale Störung, Unsicherheit in Bezug auf das weitere Krankheitsgeschehen, Schlafprobleme, Menopausensymptome und Fati-gue (Hann et al. 1997; Andrykowski et al. 1998; Broeckel et al. 1998; Mast 1998;

Blesch et al. 1991).

Andere Erkrankungen, unabhängig von der Karzinomerkrankung, wie z. B. Diabetes, Bluthochdruck und Arthritis, gehen ebenfalls mit höherer Fatigue einher. Einen sehr deutlichen Zusammenhang gibt es zwischen Schmerz und Fatigue (Blesch et al. 1991;

Spiegel et al. 1994; Bower et al. 2000).

Wegen des Zusammenhangs zwischen Fatigue und psychischen Störungen werden in der Psychoonkologie unterschiedliche Modellvorstellungen diskutiert.

Reuter & Härter (2000) präferieren Depression als das umfassendere Konzept, da alle Fatigue-Symptome auch bei der Depression nachweisbar sind:

Abb. 9: Überschneidungen von Depression und Fatigue (S.42)

Nach diesem Modell geht Fatigue in der depressiven Störung auf und ist nicht als ge-sondertes Störungsbild zu betrachten. Die Autoren wenden sich gegen die Tendenz in der Onkologie, Fatigue als eigenständige diagnostische Entität zu betrachten. Sie fürchten, dass diese Betrachtung dazu führt, depressive Störungen zu verkennen.

Feyer et al. (2000) ziehen ein anderes Modell vor, das den physischen Aspekten der

Geringe soziale und psychologische Unterstützung Individuelle Leistungsansprüche

Neben diesen beschreibenden Modellen wird von Glaus (2000) ein Entwicklungsmodell für Fatigue vorgestellt.

Abb. 10: Entwicklungsmodell Fatigue (S. 10)

Stufe Konditionierende Faktoren Nozizeption

Perzeption

Expression

Spezifität (Ursachen, zentral, peripher, allgemein)

Krebsspezifische Einwirkungen auf Organfunktionen (primäre Fatigue) Ausschüttung von Zytokinen, Krebsart- und –stadium-spezifisch (sekundäre Fatigue)

(z.B. Interferone, Interleukine, Tumor-Nekrose-Faktor)

Energietransformationsprozesse (z. B. Muskelabbau, Energieverschleiß, Anorexie, Ernährungsdefizit)

Immunologische Abwehr gegen den Tumor, paraneoplastische Syndrome Metabolische Störungen (z. B. Hyperkalzämie, Hyponatriämie, Hypoglykä-mie)

Endokrine Störungen (z. B. Hypoadrenokortizismus, Hypothyreoidismus) Zirkulatorische Anpassungsinsuffizienz (z. B. eingeschränkter Sauerstoff-transport)

Behandlung (Toxizität, Abbauprodukte, Zelltod, Heilung)

Andere Symptome, Nebenwirkungen (z. B. Nausea, Emesis, Anorexie, Schmerz, Immobilität, Dyspnoe, Anämie)

Krankheitsverarbeitung, Coping-Prozeß (Depression, Angst, Isolation) Wahrnehmung, Regulation der Fatigue-Schwelle

Emotionaler Zustand, psychologische und soziale Unterstützung, Glaube, Persönlichkeit, Biographie, Allgemeinbefinden

Manifestation der Fatigue nach außen

physisch affektiv kognitiv

In diesem Modell werden Auslösefaktoren angenommen, die dann auf der Ebene der Wahrnehmung moduliert werden und sich im Verhalten ausdrücken. Vorteil dieses Mo-dells ist die Ableitung von Interventionen, die auf den unterschiedlichen Ebenen anset-zen können und jeweils unterschiedliche Faktoren ins Blickfeld nehmen.

Während speziell für die Fatigue-Messung entwickelte Fragebögen die unterschiedli-chen Faktoren und einen Allgemeinen Fatiguewert ermitteln wollen, beschränken sich die Fragen in den Instrumenten zur LQ-Erhebung in der Regel auf einen Allgemeinen Fatiguewert, der sich, wie im QLQ-C30, auf die Fragen „Waren Sie müde?“ und

„Mussten Sie ausruhen?“ bezieht. Diese Vereinfachung ist gerechtfertigt, da auch bei den differenzierteren Erfassungsinstrumenten die physische, soziale, kognitive und emotionale Skala ausreichend hoch mit dem allgemeinen Wert korrelieren.

Entscheidend ist, dass unabhängig von den Modellvorstellungen bei der Beurteilung von Fatigue jeweils alle Ebenen (psychisch, physisch, sozial) einbezogen werden. Für die Beeinflussung von Fatigue ist ein multimodaler Therapieansatz notwendig, auch wenn die Gewichte unterschiedlich verteilt sein mögen. Aus dem Modell von Glaus lässt sich ableiten, wie wichtig eine frühzeitige Einflussnahme auf die Faktoren in der akuten Erkrankungsphase ist. Ähnlich wie beim Schmerz können „Spuren“ zurückblei-ben, auch wenn die auslösenden Faktoren nicht mehr vorhanden sind. Effektive Sym-ptombekämpfung wirkt einer späteren Verfestigung von Fatigue entgegen. Prins et al.

(2001) haben eine randomisierte Multicenterstudie über die Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie bei Chronischem Fatigue Syndrom publiziert. Patienten mit somati-schen Erkrankungen waren ausgeschlossen. Im Modell der Autoren spielen Kontroll-überzeugungen und somatische Attributionen eine zentrale Rolle. Kognitive VT war in dieser Studie signifikant wirksamer als „nur“ supportive Therapie. Allerdings war hier

„supportive Therapie“ als Selbsthilfegruppe konzipiert. Für onkologische Patienten lie-gen keine vergleichbaren Programme vor. Interessant wäre die modifizierte Anwen-dung bei onkologischen Patienten. Somatische Attribuierungen sind bei dieser Gruppe durchaus angemessen - deswegen müsste der Schwerpunkt auf Kontrollüberzeugun-gen gelegt werden. Psychotherapeutische Interventionen sind in diesem Bereich bis-lang wenig erforscht.

Die zusätzlich durch die HDC induzierten Belastungen werden im nächsten Abschnitt dargestellt.