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explorative Phase

Im Dokument "Wir schützen unseren Park". (Seite 59-67)

Im Frühjahr 2008 erhielt ich eine Promotionsstelle am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz im Rahmen des Forschungs-Verbundprojekts Biota Westafrika18. In diesem Projekt sollten neben anderen Gebieten die beiden Beniner Nationalparks „Pendjari“ und „W“ aus den Perspektiven unterschiedli-cher wissenschaftliunterschiedli-cher Disziplinen erforscht werden. Ich entschied mich, ab Juni 2008 im Pendjari-Nationalpark zu forschen, weil die Projektkoordination bessere Kontakte zur Parkverwaltung dieses Parks hatte. Eine Kollegin, Bianca Volk, reiste einige Monate später in den Nationalpark „W“, um dort, wie auch ich, ethnologi-sche Daten zu erheben. Daraus ergaben sich viele Vergleichsmöglichkeiten und wir führten viele Diskussionen über unsere Daten19. Weitere Forscher des Projektes aus der Geografie, Biologie, den Wirtschaftswissenschaften und anderen Disziplinen, die von deutschen und westafrikanischen Universitäten stammten, hatten bereits Untersuchungen in den Nationalparks durchgeführt und weitere Studien sollten folgen. Als ich den Pendjari-Nationalpark erreichte, war ich der erste Ethnologe des Projektes, der dort Daten erheben wollte. Im Rahmen dessen erhielt ich Unterstüt-zung durch die Koordinationsstellen des Verbund-Projektes, hatte die Möglichkeit, ein Motorrad sowie einen Geländewagen zu nutzen, und konnte auf bereits beste-hende Kontakte zu einigen wichtigen Akteuren vor Ort zurückgreifen. Insbesonde-re der ParkdiInsbesonde-rektor, der beInsbesonde-reits viele partizipative Reformen in der Parkverwaltung durchgesetzt hatte (siehe Kapitel 3.5), war besonders erfreut „endlich einen Ethno-logen“ (GSP Tiomoko 6. Juli 2008) in seinem Park begrüßen zu können, weil er sich dadurch viele Erkenntnisse über die lokalen Akteure versprach.

Von Juni 2008 bis März 2010 verbrachte ich mit zwei einmonatigen Unterbre-chungen insgesamt 19 Monate in Tanguiéta und anderen Dörfern der Parkperiphe-rie. Nur zwei Nächte verbrachte ich ganz zu Beginn der Forschung in Cotonou, um einige Erledigungen zu organisieren und Kontakt zu den lokalen Forschungs-partnern aufzunehmen. Dann reiste ich über weitestgehend gute Landstraßen in den Nord-Westen des Landes nach Tanguiéta, dem mit rund 15.000 Einwohnern größten Ort der Parkumgebung und Sitz der Parkverwaltung. Tanguietá liegt rund 600 km entfernt von der wirtschaftlichen Hauptstadt Benins, Cotonou, im Nord-Westen des Landes. Insgesamt geht die Parkverwaltung von über 30.000 Personen aus, die in direkter Nachbaraschaft zum Park leben. Dies entspricht einer Bevölke-rungsdichte von 14 Einwohner pro km² (Direction du Parc National de la Pendjari 2009), was deutlich unter dem Landesdurchschnitt von 90 Einwohnern pro km²

18 Das Projekt wurde finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (http://www.

biota-africa.org/).

19 Einige gemeinsame Ergebnisse präsentierten wir auf internen Projekttreffen (Kesseler & Volk 2010a) und der VAD Tagung 2010 (Kesseler & Volk 2010b).

liegt20. Das Biosphärenreservat (siehe Karte 1 und Karte 3) erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 480.000 ha, was 4,3 % der gesamten Landesfläche entspricht21. Aufgrund des großen Forschungsgebietes war der Geländewagen des Projekts für Beobachtungen und mehrtägige Wanderungen im Parkgebiet unerlässlich. In Tan-guiéta fand ich eine günstige Wohnung zur Miete in direkter Nachbarschaft zu zwei Familien. Tanguiéta bot sich als Basislager für meine Forschung an, weil sich dort die Parkverwaltung befand und ich von dort aus gute Verbindungen in praktisch alle Dörfer der Parkperipherie hatte. Von da aus fuhr ich regelmäßig für mehrere Tage oder Wochen in einzelne Dörfer, um dort einen direkten Einblick in den all-täglichen Umgang der Anrainer mit dem Nationalpark zu erhalten.

Zu Beginn der Forschung war mein Thema bewusst sehr offen formuliert als:

Die Nutzung natürlicher Ressourcen im Pendjari-Nationalpark. Dadurch konnte ich bei der Konkretisierung des Themas die realen Gegebenheiten vor Ort berück-sichtigen. Während der ersten, explorativen Phase meiner Feldforschung versuchte ich einen groben Überblick über die bestehenden Institutionen und Akteure des Parks22 zu gewinnen und suchte nach Fällen und Themen, die viele Akteure be-schäftigten. Dazu führte ich Gespräche mit Mitarbeitern der Parkverwaltung, den Förster und éco-gardes bis hin zu den Fahrern, Vertretern der Anrainer-Vereinigung Avigref, Mitarbeitern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, mit Menschen auf der Straße und vor allem vielen Bewohnern der Anrainerdörfer. Meine ersten Forschungstage verbrachte ich vor allem in Tanguiéta und in den Dörfern Batia und Tanuogu (siehe Karte 1, dort „Tanongou“ geschrieben). Von den zehn Dörfern auf der Ostflanke23 waren dies die beiden größten mit 816 Einwohnern und 97 Haus-halten in Batia und 78 HausHaus-halten mit 801 Einwohnern in Tanuogu24. Neben ihrer

20 Die Parkverwaltung beruft sich dabei auf die Ergebnisse einer Zählung des PNUD (Program-me des Nations Unies pour le Développe(Program-ment) aus den Jahren 1997-2000. Das INSEA (Institut National de la Statistique et de l’Analyse Economique) geht allerdings von einem hohen Bevöl-kerungswachstum in der Region aus. 2002 wurden im Departement Atakora, in dem sich der Park befindet, 549.417 Personen gezählt und für 2013 waren es bereits 769.337. Aufgrund dieses Wachstums kann für 2013 von deutlich über 40.000 Anrainern des Parks ausgegangen werden. Auch die Bevölkerungsdichte dürfte, geht man von einem gleichmäßigen Anstieg im Departement aus, entsprechend auf etwa 20 Einwohner pro km² gestiegen sein.

21 Das Biosphärenreservat setzt sich zusammen aus der Kernzone des Nationalparks (275.000 ha) und drei angegliederten Jagdzonen (Kpadonou et al. 2009). 480.000 ha entsprechen rund 10

% der Fläche Niedersachsens.

22 Diese beschreibe ich detailliert im Kapitel 3.

23 Weder Karte 1 noch Karte 3 bilden alle Dörfer ab.

24 Die Daten zu Einwohnern und Haushalten stammen aus einem Zensus, den die CAV (Cellule d´Action Villageoise, eine von der deutschen Entwicklungshilfe etablierte Gruppe zur Förde-rung von lokalen Entwicklungsprojekten) 2000 durchgeführt hat. Die Daten dieses Zensus wurden in praktisch allen öffentlichen Arbeiten verwendet, wie beispielsweise dem Verwal-tungsplan (PAG) der Parkverwaltung (Direction du Parc National de la Pendjari 2009), aber es wurden keine verwertbaren Referenzen angegeben. Außer einer Kopie dieses Zensus, bei der kein Titelblatt vorhanden war, konnte ich keine weiteren Datenquellen zu den

Einwoh-Größe sprach für diese Dörfer auch, dass viele Entwicklungsprojekte dort in den Be-reichen Tourismus, Gemüseanbau, Biobaumwolle und dergleichen zum Teil in Ko-operation mit der Parkverwaltung durchgeführt wurden. Wie alle anderen Dörfer an der Ostflanke des Parks lagen Batia und Tanuogu direkt zwischen dem Parkgebiet und der steil und felsig aufragenden Bergkette des Atakora, wodurch der Raum für landwirtschaftliche Flächen sehr eingeschränkt war. Besonders in Batia aber auch in Tanuogu gab es viele Konflikte zwischen der Parkverwaltung und den Einwohnern,

nerzahlen finden. Auch die Statistische Behörde Benins (INSAE) liefert keine Daten zu diesen Dörfern. Berücksichtigt man das Bevölkerungswachstum in der Region, kann man von rund 1140 Einwohner in Batia und 1120 in Tanuogu für 2013 ausgehen. In den anderen Dörfern lebten zwischen 150 und 600 Einwohnern.

Karte 3: Die Zonierung des Biosphärenreservats Pendjari. Die Kernzone ist dunkelgrün und liegt zentral am Fluss Pendjari. Die Jagdzonen von Porga, Tanuogou und der Mekrou (im Nordosten) sind in hellem Grün gehalten (Direction du Parc Natio-nal de la Pendjari 2007).

weil diese die abgesprochenen Grenzen des Parks nicht respektierten25. Batia war außerdem interessant für mich, weil sich in dem Dorf eines von zwei Haupttoren zum Park und eine Station für die Parkpatrouillen befanden. Dadurch hatten die Einwohner besonders viel Kontakt mit Touristen und Mitarbeitern der Parkver-waltung, insbesondere mit Förstern und éco-gardes auf Patrouille. In Tanuogu hatte einer der drei Jagdpächter, die für die touristische Jagd in den drei Jagdgebieten um den Nationalpark herum verantwortlich sind, sein Safari-Camp errichtet. In diesem bezogen hauptsächlich westliche Jagd-Touristen ihr Lager. Nicht selten kamen sie in Begleitung junger Prostituierter aus Cotonou, ließen sich von ehemaligen Jägern als Fährtenleser in den Park führen und erlegten dort für hohe Prämien Tiere26, die zum Abschuss freigegeben waren. Trotz der Arbeitsplätze und obwohl ein Teil der Gewinne aus der Sportjagd durch die Anrainervereinigung Avigref der Bevölkerung zugutekamen, waren die weißen Jäger und die Pächter im Dorf nicht gut angesehen.

Eine weitere Besonderheit in Tanuogu war das große kollektive Fischen, das die Parkverwaltung im Zuge der partizipativen Öffnung alle drei Jahre im nahegelege-nen Mare27 Bori erlaubte. Beide Dörfer boten also gute Voraussetzungen, um dort interessante (Konflikt-)Fälle zu beobachten.

In den Dörfern um den Nationalpark leben verschiedene ethnische Gruppen.

Die Bialbé und Gulmanceba gehören zu den am stärksten vertretenen Gruppen.

Darüber hinaus leben dort Waama, Fulbe, Dendi, und Natimba sowie Gruppen, die von diesen als „Immigranten“ (französisch „immigrés“) bezeichnet werden, wie die Haussa, Mossi und Yoruba. In den beiden von mir als Hauptbeobachtungs-orte ausgewählten Dörfern lebten vor allem Gulmanceba, deren Sprache ich ge-meinsam mit einem Lehrer seit Beginn meiner Ankunft zu lernen versuchte. Mei-ne Sprachkenntnisse blieben allerdings sehr rudimentär, weil die Tonalsprache des Gulmancema mir große Schwierigkeiten bereitete. Außerdem empfand ich setiens Sprecher anderer Sprachen häufig eine Art Neid, wenn ich mit ihnen nicht in ihrer Muttersprache kommunizieren konnte, weshalb ich Gespräche meist nur noch auf Französisch und bei Bedarf mit Hilfe eines Übersetzers geführt habe. Der Fokus auf die ethnische Gruppe der Gulmanceba ermöglichte mir auch, die Geschichte die-ser Gruppe genauer zu erforschen (siehe Kapitel 3)28. Um weitergehende Analysen durchzuführen, war ein tiefes Verständnis der Akteure, also ihrer Geschichte, ihrer

25 Die Dörfer an der Westflanke des Parks konnten ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen in Richtung Westen weiter ausdehnen, weshalb es dort zu weniger Konflikten dieser Art kam.

26 Jährlich werden meist drei Löwen für die drei Jagdzonen um den Pendjari-Nationalpark zum Abschuss freigegeben. Die Abschussprämie beläuft sich auf 1.500.000 F CFA (rund 2300 €).

27 Das Französische mare wird meist mit Wasserpfütze oder Tümpel übersetzt. Im Pendjari-Nationalpark werden damit größere Wasserstellen bezeichnet, an denen insbesondere in der Trockenzeit viele Tiere anzutreffen sind. Dem eigentlichen Namen, hier Bori, wird meist das mare vorangestellt.

28 Bisher ist nur wenig Literatur über der Gulmanceba veröffentlicht worden. Einige wenige Wer-ke, auf die ich Zugriff hatte, waren: Benoit (1999), Geis-Tronich (1989, 1991), Madiéga (1982);

Swanson (1985); Urvoy de Portzamparc (1936).

Symbole, ihrer Lebensumstände etc. notwendig. Da ich diese intensive Arbeit auf der Mikroebene nur für eine Gruppe bewerkstelligen konnte, habe ich die anderen Anrainer-Gruppen vor allem als Vergleichspunkte herangezogen, mich aber nicht in voller Tiefe mit ihnen beschäftigt. Ich habe mich aber mit allen lokalen Gruppen beschäftigt, weil die von mir beobachteten Fälle praktisch immer über ethnische Grenzen hinweg verliefen. Außerdem besuchte ich auch regelmäßig kleinere Dörfer wie Kolegu und Pessagu sowie einige Dörfer auf der Westseite des Parks wie Dassari und Tantéga.

In die Dörfer fuhr ich zu Beginn stets nur mit dem Motorrad, um nicht als Mit-arbeiter einer finanzkräftigen Nichtregierungsorganisation (NGO) oder der Ent-wicklungszusammenarbeit, die in der Region sehr aktiv waren, wahrgenommen zu werden. Bei Trockenheit hatte ich mit dem Motorrad auf der über 30 km langen Laterit-Piste entlang der Ostflanke des Parks mit Staub und harten Bodenwellen zu kämpfen. Während der Regenzeit29 drohte ich mehrere Male, von der durch hefti-ge Rehefti-genschauer schmierihefti-gen Piste abzukommen. Aber die Dorfbewohner zollten meinen Bemühungen, sie zu erreichen, großen Respekt. Nachdem ich mehrmals den beschwerlichen Weg bis nach Batia (41 km) und nach Tanuogu (30 km) auf mich genommen hatte, um nur einen einzigen Tag zu bleiben, wollte ich mehrere Tage dort verbringen. Sowohl in Batia als auch in Tanuogu fand ich Familien, die bereit waren, mich und einen Assistenten aufzunehmen. Durch die dauerhafte Prä-senz über mehrere Tage lernte ich die Menschen und ihren Alltag deutlich besser kennen. Einige illegale Handlungen wie der Verkauf von Holz oder Wildfleisch oder das Eindringen in den Park zum Fischen konnten so nicht mehr vor mir ver-steckt werden. Da ich diese Dinge aber niemals zur Anzeige brachte und sogar in den meisten Fällen mein (tatsächlich vorhandenes) Verständnis dafür ausdrückte, wuchs das Vertrauen zwischen mir und einigen Dorfbewohnern. Einen großen An-teil daran hatte auch mein Assistent, Übersetzer und Freund Lucien Tentaga, der ebenfalls Gulmanceba war und mit seinem freundlichen Wesen viele Türen öffnete.

Immer wieder konnte ich, als ich später mit dem Geländewagen in die Dörfer fuhr, auch Einwohnern der Dörfer helfen, indem ich Personen mit nach Tanguiéta nahm, Krankentransporte durchführte oder auch ein paar Säcke Lebensmittel oder Kohle transportierte. So wurden wir in vielen Dörfern zu gern gesehenen Gästen.

Lucien Tentaga war ein großer Glücksfall für mich und die Forschungsarbeit. Als mir klar wurde, dass ich immer wieder auf einen Übersetzer zurückgreifen müsste und auch ein ‚kultureller Übersetzer‘ und Kenner der Gesellschaft von großem Nut-zen sein würde, begann ich nach einem Mitarbeiter zu suchen. Ich entschied mich bewusst dafür, niemanden aus der unmittelbaren Forschungsregion einzustellen, weil er oder seine Familie unter Umständen in Konflikte verwickelt sein könnten,

29 Die Regenzeit geht von etwa April / Mai bis Ende September. Seit einigen Jahren sprechen die Bauern von einer Tendenz hin zu zwei Regenzeiten, weil es häufig zu ersten Regengüssen zwi-schen April und Mai kommt, auf die eine erneute Trockenheit folgt. Erst im August beginnt es dann erneut, regelmäßig zu regnen.

die ich beobachten wollte. Da ich meinen Fokus bereits auf die Gulmanceba gelegt hatte, sollte die Person ein Muttersprachler aus den Gulmanceba-Dörfern jenseits der Atakora-Kette sein. Außerdem sollte die Person sehr gut Französisch sprechen können und im Idealfall ein Minimum an linguistischen Kenntnissen mitbringen, damit er mir bei der semantischen Analyse einzelner Begriffe behilflich sein könnte.

Ein Kollege einer Freundin kannte jemanden, auf den meine Anforderungen pas-sen könnten. Durch Verwandte von Freunden dieses Kollegen wurde Lucien Ten-taga schließlich über das Lokalradio nach Tanguiéta gebeten. Seine Familie hörte den Aufruf und ließ ihn sofort von seinem Bruder vom Feld holen und sie fuhren nach Tanguiéta – ohne wirklich zu wissen, was sie erwartete. Das Vorstellungsge-spräch, bei dem Lucien Tentaga sehr stark mit seinem Stottern zu kämpfen hatte, überzeugte mich noch nicht vollständig, obwohl er schon dort bewies, dass er ein feines Verständnis für die Verwendung einzelner Wörter hatte. Nach einer gemein-samen ‚Probewoche‘ in Batia allerdings war klar, dass ich einen sehr sensiblen und reflektierten Mitarbeiter gefunden hatte. Sehr beeindruckend für mich war seine Fähigkeit, meine Fremdperspektive auf seine Gesellschaft zu verstehen und selbst eine gewisse Distanz zu ihr zu wahren. Er war selbst gewissermaßen ein Außenseiter seiner Gesellschaft aufgrund seines Stotterns, seiner Nachdenklichkeit und einiger Jahre im Priesterseminar, das er aber verlassen hatte, weil er den Glaubensvorstellun-gen häufig zu kritisch geGlaubensvorstellun-genüber stand. Trotz dieser Distanz verfügte er über großes Wissen über seine Kultur. Nicht zuletzt half seine freundliche Offenheit, uns leicht in unseren Beobachtungsdörfern zu integrieren.30

Allerdings wurden Lucien Tentaga und ich nicht überall so offen empfangen wie in Batia und Tanuogu. Als wir beispielsweise nach Kolegu kamen, wurden die Kin-der von den Straßen in die Gehöfte gerufen und wir wurden nicht hereingelassen.

Erst nach längerem Suchen ließ uns ein älterer Herr, der sich als chef de village be-zeichnete, in eine Art Vorzimmer seines Gehöfts. Dort bat ich ihn nach der üblichen Begrüßungszeremonie und einem kleinen Gastgeschenk in Form von Cola-Nüssen um ein Gespräch. Seine Frau unterbrach uns immer wieder und forderte laut, dass ihr Mann „diese Weißen“ sofort aus ihrem Gehöft werfe. Bis er dies tat, antwortete er gar nicht oder abweisend auf unsere Fragen, verlangte Geld und weitere Geschen-ke und verwies auf die Zeit der französischen Kolonialherrschaft, in der er und sein Dorf viel gelitten hatten. Er beschuldigte uns, in die Dörfer zu gehen, leere Verspre-chungen zu machen und schließlich nichts für die Region zu hinterlassen. Mit einer derartigen Erfahrung war ich auf meinen beiden vorherigen Feldforschungen in Senegal nie konfrontiert und wusste mir nicht anders zu helfen als zu gehen31. Auch

30 Die Arbeit mit Übersetzern wird in den Publikationen häufig unterschlagen. Da diese aber einen großen Einfluss auf die Interviewsituation haben können, muss es entsprechend thematisiert werden (Schlehe 2008: 131 f.). Dies würde den Rahmen dieser Arbeit allerdings übersteigen. Eine sehr detaillierte Darstellung der Zusammenarbeit mit Lucien Tentaga, seines Einflusses auf die Daten und auch unseres Umgangs mit Konflikten und unserer Freundschaft steht kurz vor der Veröffentlichung (Kesseler voraussichtlich 2015).

31 Ähnliches berichtet Ranger (1999: 62) auch für den Matopos Nationalpark in Simbabwe.

ein zweiter Versuch, Gesprächspartner in Kolegu zu finden, scheiterte und von an-deren Forschern hörte ich ähnliche Berichte. Es war mir aufgrund der Verschlossen-heit auch nicht möglich, herauszufinden, was die Ursache für dieses Verhalten war.

Mit dieser in Kolegu sehr stark ausgeprägten Haltung waren Lucien Tentaga und ich auch in späteren Situationen und in anderen Dörfern bei einzelnen Individuen immer wieder konfrontiert32.

Neben unseren Beobachtungen sammelten wir vor allem Daten durch Inter-views33 und Gespräche34 mit den Dorfbewohnern35. In diesen verwendeten die Befragten immer wieder zentrale Begriffe wie „li fuali“ (Gulmancema für Busch oder wildes Land im Gegensatz zu befriedetem Dorf) oder „fole“ (Gulmancema für Förster und auch Parkwächter, womit die éco-gardes der Parkverwaltung einge-schlossen wurden). Diese analysierte ich gemeinsam mit Lucien Tentaga, denn als Muttersprachler kannte er ihre impliziten Konnotationen. Zusätzlich befragten wir die Sprecher nach ihren eigenen Verständnisweisen (siehe vor allem Kapitel 3). Da-durch konnte ich Eindrücke über die Wahrnehmung des Nationalparks als Raum und zentraler Akteure gewinnen.

Wie bereits angedeutet, kristallisierten sich also bereits bei meinen ersten Ge-sprächen und Beobachtungen einige interessante Themenbereiche heraus: die Erin-nerung der Kolonialzeit und der Parkgründung, die Nutzung von Land des Parks zur Feld- und Viehwirtschaft, die Fischerei in den Wasserstellen, dem Pendjari-Fluss und seinen Zuläufen, das Schlagen von Bäumen im Parkgebiet und ganz besonders die lokale Jagd, die sowohl von Seiten der Parkverwaltung als auch von den Anrai-nern und Jägern selbst meist nur als „Wilderei“ bezeichnet wurde. Die illegale lokale Jagd weckte sofort mein Interesse und war auch bei der Parkverwaltung im Zusam-menhang mit der Organisation der Überwachung das am häufigsten diskutierte Thema. Allerdings war die Thematik alles andere als leicht zu erforschen, weil die Jagd nur im Verborgenen stattfand und die Jäger sich nicht öffentlich zu erkennen gaben. Zwar wurden immer wieder Fälle von „Wilderei“ in der Parkverwaltung re-gistriert, aber ich konnte mit keinem der ‚Wilderer’ offen sprechen.

Weil ich zunächst einige Daten zum grundlegenden Verhältnis der Anrainer zum Gebiet des heutigen Parks sammeln wollte, forschte ich in den ersten Mona-ten vor Ort vor allem zur Siedlungsgeschichte der Region mit besonderem Fokus auf die Gulmanceba. Die Produktion grundlegender Daten über die Geschichte und das Verhältnis der lokalen Akteure zum Raum des Nationalparks sollten es mir

32 Zu den stark negativ aufgeladenen Erinnerungen der Kolonialzeit siehe Kapitel 3.

33 Damit sind Interviews gemeint, in denen ich ein klares Erkenntnisinteresse verfolgte und die einen klaren Anfangs- und Endpunkt hatten. In den Referenzen auf Interviews sind diese mit INT gekennzeichnet.

34 Damit sind ungezwungene und ungeplante Gespräche im Alltag gemeint. In den Referenzen auf Gespräche sind diese mit GSP gekennzeichnet.

35 Allen Gesprächspartnern erklärten wir, wozu die Daten verwendet werden, und erhielten ihr explizites Einverständnis. In einigen Fällen wurden wir bezüglich sensibler Daten um

35 Allen Gesprächspartnern erklärten wir, wozu die Daten verwendet werden, und erhielten ihr explizites Einverständnis. In einigen Fällen wurden wir bezüglich sensibler Daten um

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