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Bei unseren Haussäugetieren werden natürlich vorkommende demyelinisierende Erkrankungen vor allem im Rahmen der demyelinisierenden Form der Staupeenzephalitis des Hundes und der Visna des Schafes beobachtet (ALLDINGER et al., 1993; ALLDINGER et al., 2006; ALLDINGER et al., 1996; BAUMGÄRTNER und ALLDINGER, 2005;

BAUMGÄRTNER et al., 2003; BAUMGÄRTNER et al., 1989; GRÖNE et al., 2000;

GRÖTERS et al., 2005; MARKUS et al., 2002; MIAO et al., 2003; SEEHUSEN et al., 2007;

STOHLMAN und HINTON, 2001). Vor allem auf Grund ihres in der Forschung genutzten Modellcharakters sind zahlreiche experimentell-induzierte demyelinisierende Erkrankungen bei Labornagern beschrieben worden. Diese Modelle können an Hand ihrer definierten Ätiologie in virale, autoimmune, toxische und genetische Demyelinisierungen eingeteilt werden (Tabelle 1-2) (STANGEL und HARTUNG, 2002). Vergleichend kann man feststellen, dass keines der Modelle die komplette Heterogenität von Pathogenese, pathologischen Organveränderungen und klinischem Bild der MS in sich vereinigt.

Letztendlich sollte durch eine genaue Charakterisierung der Modelle geklärt werden, für welche Untergruppe der MS bzw. welche speziellen Aspekte der Pathogenese valide Aussagen getroffen werden können.

Den viralen MS-Modellen der TME, der murinen Hepatitisvirus (MHV)-Infektion und der caninen Staupe ist gemeinsam, dass es durch eine primäre Virusinfektion des ZNS zu einer Autoimmunreaktion gegen Myelinepitope kommt (BAUMGÄRTNER und ALLDINGER,

2005; MATTHEWS et al., 2002; OLESZAK et al., 2004; RODRIGUEZ, 2007). In Abhängigkeit vom verwendeten Virus-Substamm kann jedoch ähnlich wie bei der Semliki Forest-Virus-Infektion ein größerer Teil der Demyelinisierung auch durch eine virusinduzierte Zerstörung von Oligodendrozyten entstehen (FAZAKERLEY et al., 2006;

ZOECKLEIN et al., 2003). Zahlreiche epidemiologische Untersuchungen zur MS deuten auf die besondere Bedeutung von Virusinfektionen hin (CEPOK et al., 2005; HAAHR und HÖLLSBERG, 2001; HAUSER und OKSENBERG, 2006). Mit Hilfe der viralen Modelle wurden mögliche Mechanismen, wie es durch eine primäre Virusinfektion zur Auslösung einer Autoimmunreaktion gegen Myelinepitope kommen kann, charakterisiert.

Bei der Theilervirus-Enzephalomyelitis kommt es nach einer intrazerebralen Infektion von empfänglichen Mäusestämmen wie z.B. SJL/J, FVB/N, DBA/2, CBA, C3H und AKR mit den schwach neurovirulenten TMEV-Stämmen DA, BeAn, To, Yale und WW zu einem biphasischen Krankheitsverlauf mit einer initialen Polioencephalitis und einer chronisch demyelinisierenden Meningoleukomyelitis (BRAHIC et al., 2005; LIPTON, 1975;

MONTEYNE et al., 1997; ZOECKLEIN et al., 2003). Das Virus gelangt vermutlich auf axonalem Weg vom Gehirn ins Rückenmark (TSUNODA et al., 2003; TSUNODA et al., 2007). Es breitet sich von den Axonen in die zytoplasmatischen Kanäle der benachbarten Myelinscheiden aus, und persistiert lebenslänglich in der weißen Substanz des Rückenmarks (ROUSSARIE et al., 2007). Neben Oligodendrozyten gelten insbesondere aus dem Blut eingewanderte Makrophagen als Virusreservoir. Makrophagen unterliegen nach der Infektion mit dem BeAn-Stamm einer über Bax vermittelten Apoptose (SON et al., 2008), welche jedoch vermutlich durch die Wirkung des viralen L*-Proteins verzögert wird (GHADGE et al., 1998; VAN EYLL und MICHIELS, 2000). Auf Grund dieser Ergebnisse vermuten Lipton et al. (2005), dass die bereits zur Apoptose angeregten Makrophagen noch für eine gewisse Zeit die Replikation und Proteinsynthese des TMEV zulassen, den Zusammenbau des Virus aber unterdrücken (LIPTON et al., 2005). Sobald sich eine DTH-Reaktion gegen das Virus entwickelt hat, die nur bei empfänglichen Mäusestämmen nachweisbar ist (CLATCH et al., 1986), werden durch Lymphokine der CD4-positiven Zellen immer neue Makrophagen zum Ort der Infektion gelockt, aktiviert und möglicherweise während der Phagozytose von infektiösen Resten apoptotischer Zellen wiederum selbst infiziert. Dabei beginnt erneut die Virusreplikation, wodurch wiederum ein neuer Stimulus für die Aufrechterhaltung der DTH-Reaktion entsteht. Die DTH-DTH-Reaktion ist für die volle Ausprägung der Demyelinisierung verantwortlich, obwohl es auch in ihrer Abwesenheit zu einer geringen Demyelinisierung

Tabelle 1-2: Experimentelle Modelle der Multiplen Sklerose in Labornagern Gruppe Auslösendes Agenz Quellen

Theilervirus Enzephalomyelitis (GERHAUSER et al., 2007a;

GERHAUSER et al., 2007b; OLESZAK et al., 2004; ULRICH et al., 2006;

ULRICH et al., 2008)

Murines Hepatitisvirus (MATTHEWS et al., 2002; REDWINE und ARMSTRONG, 1998b)

Viral

Semliki Forest-Virus (FAZAKERLEY et al., 2006) Experimentelle autoimmune

Enzephalomyelitis

(DI BELLO et al., 1999; LASSMANN, 2004; REYNOLDS et al., 2002)

Typ IV Autoimmunreaktion durch Injektion von Bacillus Calmette-Guérin (BCG)

(ANTHONY et al., 1998) Autoimmun

Injektion von Anti-Galactocerebrosid-Antikörpern und Komplement

(KEIRSTEAD et al., 1998; WOODRUFF und FRANKLIN, 1999)

Cuprizone (BEDARD et al., 2007; HOFFMANN et

al., 2008; LINDNER et al., 2008;

TREBST et al., 2007)

Ethidiumbromid-Injektion (KOTTER et al., 2006; WOODRUFF und FRANKLIN, 1999)

Lysolecithin-Injektion (WOODRUFF und FRANKLIN, 1999) Toxisch

Lipopolysaccharid-Injektion (FELTS et al., 2005) Myelin basisches Protein

„knock-out“-Mutanten („shiverer mouse“)

(ROUSSARIE et al., 2007) Genetisch

Proteolidid Protein „knock-out”-Mutanten („rumpshaker mouse”,

„jimpy mouse”)

(EDGAR et al., 2004)

kommt, die vermutlich durch eine direkte virusbedingte Zytolyse der Oligodendrozyten entsteht (FIETTE et al., 1996). In der Frühphase der chronischen demyelinisierenden Erkrankung richtet sich die DTH-Reaktion direkt gegen TMEV-Epitope, doch im Verlauf der Erkrankung scheint sich die DTH-Reaktion durch „epitope spreading“ auch gegen autoantigene Epitope z.B. des basischen Myelinproteins und des Proteolipidproteins zu richten (BORROW et al., 1998; KATZ-LEVY et al., 2000; MILLER et al., 2001;

VANDERLUGT et al., 1998). Eine aktuelle Studie zeigt, dass es im Verlauf der TME zu einer starken intrathekalen Antikörperproduktion kommt (PACHNER et al., 2007a).

Bemerkenswerterweise gibt es einen synthetischen, monoklonalen Antikörper (mAb H8) gegen das TMEV, der mit murinem Galaktosylceramid (GalC) kreuzreagiert und myelinotoxisch wirkt (TSUNODA und FUJINAMI, 2005; YAMADA et al., 1990a). Auf Grund des Nachweises von Anti-GalC-Antikörpern bei TMEV-infizierten Mäusen wird vermutet, dass auch der als molekulare Mimikry bezeichnete Mechanismus an der Demyelinisierung beteiligt ist. Im Gegensatz zu Anti-GalC-Antikörpern deuten mehrere Studien darauf hin, das den ebenfalls nachweisbaren Anti-MBP-Antikörpern keine besondere pathogenetische Rolle zukommt (SEIL, 1994; WELSH et al., 1987).

Die chronische demyelinisierende TME entspricht in ihrem klinischen Verlauf der primär progressiven Verlaufsform der MS. Auf Grund der klar nachgewiesenen Rolle einer über MHC-II restringierte, CD4-positive T-Zellen vermittelten DTH-Reaktion (BORROW et al., 1998; CLATCH et al., 1985; KATZ-LEVY et al., 2000; MILLER et al., 2001), sowie des Nachweises einer robusten intrathekalen Antikörperproduktion (PACHNER et al., 2007a;

PACHNER et al., 2007b; YAMADA et al., 1990a), ist im Vergleich zur MS eine Verwandschaft der Pathogenese zu den Untergruppen I oder II nach Lucchinetti et al. (2000) wahrscheinlich (LUCCHINETTI et al., 2000). Auf Grund des je nach Virusstamm unterschiedlich hohen Anteils an direkt Virus-induzierten Oligodendrozytenuntergängen am Gesamtausmaß der Demyelinisierung (ZOECKLEIN et al., 2003) könnten jedoch auch den Gruppen III und IV der MS entsprechende Veränderungen vorliegen. Zukünftige Studien sollten bei der Klärung helfen, welchem Subtyp der MS die TME am ähnlichsten ist.

Ein Nachteil der viralen Modelle ist, dass es auf Grund einer persistierenden Virusinfektion bei immunsuppressiven Versuchsaufbauten zu einer fatalen Reaktivierung des Virus kommen kann (BURT et al., 1999). Diese Eigenschaft sollte jedoch vermehrt als Vorteil für die Sicherheitsabschätzung neuer Arzneimittel ausgenutzt werden, da auch bei MS-Patienten

immer damit gerechnet werden muss, dass persistierende bzw. latente Virusinfektionen vorliegen (YAO et al., 2008).

Die EAE stellt zur Zeit das wohl am häufigsten verwendete autoimmune Modell der MS dar.

So geht auch das zur Zeit allgemein akzeptierte Axiom, dass MS im Kern eine durch T-Zellen vermittelte Autoimmunreaktion gegen Myelinepitope ausgelöste primäre Demyelinisierung darstellt, auf die EAE zurück (PATERSON, 1960; TRAPP und NAVE, 2008).

Die Urform der EAE ist die durch die periphere Injektion von ZNS-Gewebe, Myelin oder aufgereinigten Myelinantigenen in Freund´s kompletten Adjuvans ausgelöste aktive Sensibilisierung (LASSMANN, 2004). In Abhängigkeit vom experimentellen Design können deutlich unterschiedliche Krankheitsbilder mit fehlender bis hochgradiger primärer Demyelinisierung und anfallsartigem oder chronisch progressivem Verlauf ausgelöst werden (LASSMANN, 2004). Potentielle Antigene, welche eine entzündliche, autoimmune T-Zell Antwort hervorrufen können, sind z.B. MBP (BEN-NUN et al., 1981), PLP (VAN DER VEEN et al., 1986), MOG (LININGTON et al., 1993), und S100ß (KOJIMA et al., 1994).

Bemerkenswert ist allerdings, dass MOG das einzige Protein ist, welches bei der Ratte auch eine Demyelinisierung hervorrufen kann (STORCH et al., 1998). Dies wird auf die besondere Bedeutung von Anti-MOG-Antikörpern für die Demyelinisierung bei dieser Spezies zurückgeführt. Im Gegensatz hierzu kann bei Mäusen auch in der Abwesenheit einer funktionellen B-Zell Antwort über TNFα-induzierte Mechanismen eine Demyelinisierung ausgelöst werden (HJELMSTROM et al., 1998).

Die grundlegenden Arbeiten von Paterson (1960) zeigten, dass es sich bei der EAE um eine zellvermittelte und duch Immunzellen passiv übertragbare Erkrankung handelt (PATERSON, 1960). Die gegen Myelinepitope gerichtete Immunantwort entspricht einer MHC-II-restringierten DTH-Reaktion und führt zu Entzündung der weißen Substanz des ZNS (ZAMVIL et al., 1985). Durch den alleinigen passiven Transfer von T-Zellen kann jedoch keine oder nur eine mäßige Demyelinisierung ausgelöst werden. Dass auch humorale Mechanismen eine Rolle in der Pathogenese demyelinisierender Erkrankungen spielen, wurde durch eine Kombination von passivem T-Zell-Transfer und Antikörperinjektionen gezeigt, die bei wiederholtem Transfer zu einer chronischen, progressiven, anfallsartigen Demyelinisierung führen (IGLESIAS et al., 2001; LININGTON et al., 1992).

Verglichen mit MS entsprechen die Läsionen bei der EAE in Abhängigkeit vom experimentellen Design entweder der Gruppe I oder II nach Lucchinetti et al. (2000)

(LUCCHINETTI et al., 2000). Ein großer Nachteil der EAE als Modell der MS besteht darin, dass es auf Grund der a priori bestehenden Autoimmunität gegen definierte Myelinbestandteile keine neuen Erkenntnisse bezüglich der Kernfrage liefern kann, wie es bei der MS zu der Entwicklung der Autoimmunreaktion gegen Myelinepitope kommen kann.

Bei den toxischen Demyelinisierungsmodellen kann man grundsätzlich die per orale Induktion mittels Cuprizone von lokal injizierten Substanzen wie Ethidiumbromid, Lysolecithin und Lipopolysaccharid unterscheiden (FELTS et al., 2005; MATSUSHIMA und MORELL, 2001; WOODRUFF und FRANKLIN, 1999). Die toxischen Modelle sind auf Grund ihrer klar umrissenen, stereotypen Pathogenese besonders dazu geeignet, sekundäre Phänomene wie die mikrogliale Abräumreaktion, Remyelinisierung und sekundäre Axonopathien zu untersuchen (BEDARD et al., 2007; LINDNER et al., 2008). Ihr Nachteil besteht darin, dass sie keine Untersuchungen bezüglich der Pathogenese der primären Demyelinisierung bei MS zulassen. Vom zeitlichen Ablauf her zeigen diese Modelle eine schnell einsetzende Demyelinisierung und in Abhängigkeit davon, ob es nur zu einer selektiven Schädigung der Oligodendrozyten oder auch der oligodendroglialen Vorläuferzellen kommt, eine schnelle bis langsame, meist vollständige Remyelinisierung. Auf Grund der mehr oder weniger selektiven Toxizität für Oligodendrozyten sollten die toxischen Modelle im Vergleich mit MS am ehesten den Gruppen III und IV nach Lucchinetti et al.

(2000) entsprechen (FELTS et al., 2005).

Die genetischen Modelle wie z.B. die „shiverer“ Maus (MBP „knock-out“-Mutante) oder die

„rumpshaker“-Maus (PLP „knock-out“-Mutante) spielen insgesamt nur eine begrenzte Rolle für die MS Forschung (EDGAR et al., 2004; ROUSSARIE et al., 2007). Auf Grund der klar definierten Gendefekte zeigen sie die Bedeutung des jeweiligen defekten Gens bzw. des von diesem kodierten Proteins für die Ausbildung und den Erhalt einer strukturell-normalen und funktionstüchtigen Myelinscheide. Über die jeweils durch den spezifischen Gendefekt implizierte sehr spezifische Fragestellung hinaus erlauben diese Modelle kaum weitere Aussagen bezüglich der Pathogenese der MS.