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Exkurs: Religion und familiärer Zusammenhalt

Im Dokument Religiosität und Bildungserfolg (Seite 55-58)

5. Religiosität und bildungsrelevante Ressourcen und Verhaltensweisen

5.5 Exkurs: Religion und familiärer Zusammenhalt

Im Anschluss an die Untersuchung bildungsrelevanter Ressourcen und Verhaltensweisen soll abschließend kurz die Familienatmosphäre – im Sinne des familiären Zusammenhalts – auf konfessions- und religiositätsspezifische Unterschiede hin untersucht werden. Eine harmonische Atmosphäre in der Familie dürfte sich, etwa über eine hohe Bereitschaft zur wechselseitigen Unterstützung sowie stärkerer emotionaler Bindungen, positiv auf die Prozesse des

Bildungserwerbs der Kinder auswirken. Ebenso ist davon auszugehen, dass ein angespanntes Familienklima für Kinder einen zusätzlichen Stressfaktor darstellt, der sich leistungsmindernd auswirken kann, etwa, wenn schulische Probleme von den Kindern weniger offen angesprochen werden können (Olson 2000). Die Eltern sind in diesem Fall weniger involviert und reagieren unter Umständen nicht oder zu spät auf etwaige Probleme. Die Familienatmosphäre könnte daher

unabhängig von den im Haushalt verfügbaren Ressourcen den Bildungserfolg beeinflussen. Im Folgenden werden zunächst Unterschiede hinsichtlich der Familienatmosphäre zwischen den Konfessionsgruppen und dem Grad der Religiosität betrachtet. In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie sich eine bei Eltern und Kindern unterschiedlich stark ausgeprägte Religiosität auf die Familienatmosphäre auswirkt. Solche intergenerationalen Veränderungen sind zwar

insbesondere bei Muslimen selten (vgl. Tabelle 4.6) könnten aber dann, wenn sie auftreten, zu Spannungen innerhalb der Familie führen und sich entsprechend negativ auf Bildungsprozesse auswirken.

7 Unter Mitarbeit von Theresa James.

Der Familienzusammenhalt lässt sich durch Fragen messen, die auf das Interesse der Familienmitglieder aneinander, auf ihre emotionale Bindung und auf die Bereitschaft zur wechselseitigen Unterstützung abzielen (vgl. Moos et al. 1974 , Olson 2000). Hier wird der familiäre Zusammenhalt mit Hilfe von vier Items gemessen: Die Schülerinnen und Schüler sollten Auskunft darüber geben, ob ihre Familie gerne und viel Zeit miteinander verbringt, ob sich die Familienmitglieder einander nahe fühlen und inwieweit sie die Stimmung in der Familie als ungemütlich empfinden und häufig gestritten wird (vgl. CILS4EU 2016). Gemessen wird also die von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommene emotionale Bindung und familieninterne Unterstützung. Ähnliche Items zur Messung des Familienzusammenhalts werden auch in anderen Studien verwendet (vgl. Portes und Rumbaut 2001). Die Skala, auf der die Gruppenmittelwerte gemessen wurden, reicht von null bis drei. Je höher der Wert, desto positiver der wahrgenommene Zusammenhalt innerhalb der Familie.

Zwischen den verschiedenen Konfessionsgruppen zeigen sich hinsichtlich des Familienzusammenhalts insgesamt nur sehr marginale Unterschiede (vgl. Tabelle A 11 im Tabellenanhang). Die Mittelwerte aller Konfessionen schwanken nur sehr gering um den Wert zwei. Auch beim jeweiligen Gruppenvergleich der Personen mit und ohne Migrationshintergrund zeigen sich kaum Unterschiede. In Abbildung 5.15 sind Unterschiede innerhalb der

Konfessionsgruppen nach Religiosität sichtbar. Der Grad der Religiosität vereint zwei

Dimensionen: Zum einen die individuelle Bedeutung der eigenen Religion, zum anderen deren tatsächliche praktische Ausübung.

Abbildung 5.15: Familiärer Zusammenhalt nach Religiosität und Migrationshintergrund (Mittelwerte)

Anmerkung: Skala reicht von 0 bis 3, wobei ein Wert von 3 einen hohen familiären Zusammenhalt impliziert (ungewichtete Fallzahl N= 4.381).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Es zeigt sich, dass die Stimmung innerhalb der Familien in allen Gruppen tendenziell als friedlich und spannungsfrei wahrgenommen wird. Die Durchschnittswerte weisen eine relativ geringe Streuung auf, alle Werte liegen zwischen 1,8 und 2,3. Auch wenn die Streuung der Mittelwerte immer noch gering ist, sind die Unterschiede nach Religiosität größer als die nach Konfessionszugehörigkeit (vgl. Tabelle A 11 im Tabellenanhang). Dabei nehmen die Religiösen im Vergleich zu den wenig Religiösen unabhängig von ihrer Konfession die Stimmung innerhalb der Familie als harmonischer wahr. Bei den Muslimen ist die innerfamiliäre emotionale Bindung im Vergleich zu den übrigen Gruppen besonders hoch.

Im nächsten Schritt werden nun die Schülerinnen und Schüler, die in Familien leben, in denen Kinder und Eltern ähnlich religiös sind, mit denen verglichen, in denen dies nicht der Fall ist – dabei wird nicht weiter nach Familien differenziert, in denen die Eltern bzw. die Kinder die Religiöseren sind (eine solche Differenzierung wurde testweise durchgeführt, hat aber zu keinen anderen Ergebnissen geführt).Die Theorie segmentierter Assimilation liefert den theoretischen Hintergrund für diese Betrachtung. So argumentieren Portes und Rumbaut (2001), dass eine ähnliche Akkulturation von Kindern und Eltern eine gute Basis für das gemeinsame Lösen von Problemen und eine stabile elterliche Autorität bildet. Übertragen auf die Religiosität innerhalb der Familien kann ein unterschiedliches Ausmaß der Religiosität als „dissonante Akkulturation“

(Portes und Rumbaut 2001) verstanden werden.

Abbildung 5.16: Familiärer Zusammenhalt nach Religiosität der Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu den Eltern, nach Konfession und Migrationshintergrund (Mittelwerte)

Anmerkung: Skala reich von 0 bis 3, wobei 3 einen hohen Zusammenhalt impliziert (ungewichtete Fallzahl 3.738).

Lesebeispiel: Bei konfessionslosen Schülerinnen und Schülern ohne MHG die gleich religiös sind wie ihre Eltern ist der Familienzusammenhalt größer (über 2,0) als in Familien in die Religiosität von Eltern und Kindern unterschiedlich ist (1,9).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Insgesamt zeigt sich, dass die Atmosphäre in den Familien tatsächlich als friedlicher und spannungsfreier wahrgenommen wird, wenn Eltern und Kinder ähnlich religiös sind. Diese Unterschiede sind aber mit Ausnahme einheimischer Protestanten nicht signifikant und insgesamt auch eher marginal. Auch deshalb sollte das gegenläufige Muster bei Schülerinnen und Schülern anderer nicht-christlicher Religionen nicht überinterpretiert werden, zumal es sich hierbei um eine sehr heterogene Gruppe handelt.

Es lässt sich abschließend festhalten, dass die Konfession per se in keinem Zusammenhang mit der Familienatmosphäre steht und es auch kaum Hinweise dafür gibt, dass intergenerationale Unterschiede in der Religiosität zu größeren Spannungen innerhalb der Familie führen. Offen bleibt auf Basis dieser deskriptiven Betrachtung ohnehin die kausale Richtung der (sehr schwachen) Beziehung von Familienzusammenhalt und übereinstimmender Religiosität.

Theoretisch durchaus plausibel wäre schließlich auch, dass Eltern und Kinder gleichermaßen religiös sind, gerade weil der Familienzusammenhalt sehr gut ist.

Im Dokument Religiosität und Bildungserfolg (Seite 55-58)