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Die Religiosität von Schülerinnen und Schülern

Im Dokument Religiosität und Bildungserfolg (Seite 29-35)

4. Die Religiosität junger Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern

4.1 Die Religiosität von Schülerinnen und Schülern

Im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung des Bildungserfolgs steht nicht die Rolle des Migrationshintergrunds, also der individuellen oder über das Elternhaus abgeleiteten

Migrationserfahrung, sondern die Bedeutung von Religion und dabei insbesondere die des Islams.

Wie die Ergebnisse aus Tabelle 4.1 verdeutlichen, sind Migrationshintergrund und

Konfessionszugehörigkeit jedoch miteinander verknüpft und nicht unabhängig voneinander. So verfügen lediglich 14 Prozent der protestantischen und ein Viertel der katholischen Schülerinnen und Schüler über einen Migrationshintergrund, während dies für fast alle muslimischen

Jugendlichen der Fall ist (96 Prozent).

Tabelle 4.1: Konfessionen und Migrationsstatus (in Prozent)

Konfessionslose Protestanten Katholiken Muslime Andere Gesamt Ohne

Migrationshintergrund 81 86 75 4 31 72

Mit Migrationshintergrund 19 14 25 96 69 28

Gesamt 100 100 100 100 100 100

Anmerkung: Gewichtet (ungewichtete Fallzahl N=4.883).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Bei den in Tabelle 4.1 ausgewiesenen wenigen Muslimen ohne Migrationshintergrund handelt es sich im Wesentlichen um Angehörige der dritten Migrantengeneration, die über mindestens ein nach Deutschland immigriertes Großelternteil verfügen, und nicht etwa um zum Islam konvertierte Einheimische oder deren Kinder. Da Unterschiede zwischen Einheimischen und der dritten

Generation häufig kaum mehr festzustellen sind und überdies – aufgrund der mannigfachen Konstellationen bei vier Großelternteilen – die Abgrenzung von Einheimischen immer schwieriger und fragwürdiger wird (vgl. Fick et al. 2014), wird dieser Personenkreis hier zu denjenigen ohne Migrationshintergrund gezählt (für ein ähnliches Vorgehen vgl. die amtliche Statistik, Statistisches Bundesamt 2015, sowie die CILS4EU-Projektgruppe in ihren Publikationen, van Tubergen und Mentjox 2014; Kalter und Kruse 2015). Um Rückschlüsse ziehen zu können, ob etwaige

Unterschiede eher auf die jeweilige Konfession oder den Migrationshintergrund zurückzuführen sind, werden im Folgenden und insbesondere im hier anschließenden Kapitel die Ergebnisse der unterschiedlichen Konfessionsgruppen getrennt nach Migrationshintergrund ausgewiesen. Auf diese Weise kann auch festgestellt werden, ob etwaige Unterschiede nach

Konfessionszugehörigkeit oder Religiosität nur bei den Gläubigen mit Migrationshintergrund festgestellt werden können oder in beiden Gruppen in ähnlicher Weise auftreten. Allerdings beschränkt sich aus Gründen der zu geringen Fallzahl die Darstellung bei den Muslimen ausschließlich auf den Personenkreis mit Migrationshintergrund.

Je nach Konfession unterscheiden sich die Herkunftsländer der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erwartungsgemäß deutlich voneinander (vgl. Tabelle 4.2). So hat ein Großteil der protestantischen Schülerinnen und Schüler Wurzeln in Ländern der ehemaligen Sowjetunion (43 Prozent), während ein Viertel der katholischen Jugendlichen Wurzeln in Polen und weitere 15 Prozent in Italien besitzen. Die überwiegende Mehrheit der muslimischen Jugendlichen weist einen türkischen Migrationshintergrund auf (66 Prozent), weitere 11 Prozent einen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Die konfessionslosen Jugendlichen stammen überwiegend aus nicht weiter differenzierten Staaten, jeder fünfte hat Wurzeln in Ländern der ehemaligen Sowjetunion und weitere 15 Prozent in der Türkei.

Tabelle 4.2: Konfessionen und Herkunftsland der Befragten mit Migrationshintergrund (in Prozent)

Konfessionslose Protestanten Katholiken Muslime Andere Gesamt

Türkei 15 3 4 66 19 25

Ehemalige Sowjetunion 21 43 17 1 26 18

Polen 6 4 26 0 4 9

Ehemaliges Jugoslawien 4 2 5 11 7 6

Italien 3 2 15 0 1 5

Andere 52 46 32 22 44 35

Gesamt 100 100 100 100 100 100

Anmerkung: Gewichtet (ungewichtete Fallzahl N=2.269).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Zwischen den Schülerinnen und Schülern der unterschiedlichen Konfessionen gibt es ausgeprägte Unterschiede hinsichtlich der individuellen Religiosität (vgl. Abbildung 4.1). Nur fünf Prozent der einheimischen Katholiken und acht Prozent der einheimischen Protestanten ist ihre Religion „sehr wichtig“ (mit Migrationshintergrund: 2 bzw. 14 Prozent). „Überhaupt nicht wichtig“ ist Religion für 16 (mit Migrationshintergrund: 16 Prozent) bzw. 20 Prozent (mit Migrationshintergrund: 17 Prozent) von ihnen. Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich für Muslime und in ähnlicher Weise für Jugendliche anderer nicht-christlicher Konfessionen: 62 Prozent der muslimischen Schülerinnen und Schüler ist ihr Glauben „sehr wichtig“. Insbesondere bei den Muslimen fällt auf, dass die Antwortmöglichkeit Religion sei „überhaupt nicht wichtig“, so gut wie nie ausgewählt wurde.

In Übereinstimmung mit entsprechenden Forschungsbefunden zeigt sich für alle

differenzierten Konfessionen, dass Personen mit Migrationshintergrund tendenziell religiöser sind (vgl. Diehl und Koenig 2009). Zu beachten ist allerdings, dass zwar ein Teil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund durchaus religiöser ist als die gleichaltrigen Gläubigen der jeweiligen Konfession. Allerdings gibt es bei denjenigen mit und ohne Migrationshintergrund bei allen Konfessionen außer den Muslimen ähnlich hohe Anteile von Jugendlichen, für die Religion keinerlei Bedeutung hat.

Abbildung 4.1: Bedeutung von Religion nach Konfession und Migrationshintergrund (in Prozent)

Anmerkung: Frage: „Wie wichtig ist Religion für dich?“, gewichtet (ungewichtete Fallzahl N=4.865).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Praktische Religionsausübung

Die Frage, ob der Glaube in Form des Gebets praktiziert wird, stellt eine alternative Möglichkeit dar, den Grad der individuellen Religiosität zu erfassen. Bei der Häufigkeit des Betens treten zu erwartende Unterschiede insbesondere zwischen den Jugendlichen christlicher Konfessionen, für die keine Vorschriften über die Häufigkeit des Betens existieren, und den islamischen Schülerinnen und Schülern auf (vgl. Abbildung 4.2). Auch im Islam sind freie Bittgebete oder Anrufungen zwar üblich, als Gebet (dem „Salāt“, einer der fünf Säulen des Islams) werden in der Hauptsache allerdings die fünfmal täglich und zu bestimmten Zeiten vorgeschriebenen rituellen Gebete verstanden (vgl. Ruthven 1997). Der hohe Anteil von 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens, die angeben täglich oder häufiger zu beten, ist also auch vor diesem Hintergrund religionsspezifisch unterschiedlicher religiöser Vorschriften zu betrachten.

Abbildung 4.2: Häufigkeit Beten nach Konfession und Migrationshintergrund

Anmerkung: Frage: „Wie oft betest Du?“, gewichtet (ungewichtete Fallzahl N=4.844).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Bei den Protestanten geben immerhin neun bzw. 15 Prozent, bei den Katholiken sieben bzw. acht Prozent und den übrigen Konfessionen sogar 24 bzw. 22 Prozent der Jugendlichen an, täglich oder häufiger zu beten. Gemessen an der Häufigkeit des Betens sind auch hier bei den Christen die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund etwas religiöser als die entsprechenden einheimischen Gläubigen. Bei den Gläubigen, die ihre Religion nie auf diese Weise praktizieren, lassen sich deutlich geringere konfessionelle Unterschiede erkennen. So betet ein Viertel der muslimischen Schülerinnen und Schüler nie, bei den Katholiken mit Migrationshintergrund sind dies 29 Prozent, bei den einheimischen Protestanten sogar 38 Prozent. Über alle Konfessionen hinweg übt also ein Viertel bis gut ein Drittel der Gläubigen ihre Religion nicht regelmäßig in Form des Gebets aus.

Der Besuch religiöser Begegnungsstätten, wie beispielsweise einer Kirche, Moschee, Synagoge oder eines Tempels stellt eine weitere Form der Religionsausübung dar. Im Unterschied zum Gebet wird durch diese Form der Religionspraxis ein gewisses Bekenntnis zur Religion öffentlich gemacht. Darüber hinaus besteht die Gelegenheit, mit anderen Gläubigen außerhalb der Familie in Kontakt zu treten und sich auf diese Weise gesellschaftlich zu integrieren.

Während bei der Ausübung des Gebets tendenziell eine stärkere Religiosität der

Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erkennen ist, sind solche Unterschiede beim Besuch religiöser Begegnungsstätten nicht zu beobachten (vgl. Abbildung 4.3). Moderater als die

Disparitäten bezüglich des Betens fallen darüber hinaus die interkonfessionellen Unterschiede beim

etwa die Hälfte der muslimischen Schülerinnen und Schüler mindestens einmal im Monat eine Moschee aufsuchen, während dies auf nur 20 Prozent der christlichen Jugendlichen zutrifft. Anders ausgedrückt gehen fast 80 Prozent nie oder allenfalls gelegentlich in die Kirche. Die häufigeren Besuche religiöser Begegnungsstätten der muslimischen Jugendlichen deuten darauf hin, dass Moscheegemeinden nicht selten eine Funktion im Alltag muslimischer Familien einnehmen, die über die Teilnahme an religiösen Zeremonien hinausgeht, hier sind etwa Hausaufgaben- und Kinderbetreuungsangebote oder Begegnungsmöglichkeiten zu nennen (vgl. Schröter 2016, S.

39ff.).4

Ähnlich wie in Bezug auf das Beten findet man auch bei dieser Form der Religionsausübung bei allen Konfessionen einen relativ großen Anteil von 22 bis 33 Prozent der Gläubigen, die ihre Religion in dieser Form überhaupt nicht praktizieren, also nie eine religiöse Begegnungsstätte aufsuchen.

Abbildung 4.3: Häufigkeit Besuch religiöser Begegnungsstätten nach Konfession und Migrationshintergrund

Anmerkung: Frage: „Wie oft besuchst du eine religiöse Begegnungsstätte (zum Beispiel eine Kirche, eine Moschee, eine Synagoge oder einen Tempel)?“, gewichtet (ungewichtete Fallzahl N=4.857).

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Insgesamt ergibt sich somit für die Religiosität von Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse folgendes Bild: Betrachtet man Religiosität in Form der individuellen Bedeutung der eigenen Religion und ihrer praktischen Ausübung in Form des Gebets, zeigen sich zunächst

migrationsspezifische Unterschiede. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt etwas religiöser als einheimische Gläubige gleicher Konfessionszugehörigkeit. Muslime heben sich in allen drei der hier betrachteten Indikatoren durch eine stärkere Religiostät von den christlichen und anderen Konfessionen ab. Nicht zu übersehen ist, dass Muslime im Durchschnitt ihrer Religion eine größere Bedeutung beimessen als dies Angehörige anderer Konfessionen tun. Dies gilt

offensichtlich auch für den nicht unerheblichen Teil der Muslime (immerhin ein knappes Viertel der Befragten), die ihre Religion nicht aktiv praktizieren. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass Muslime ihre Konfessionszugehörigkeit auch als symbolische Zugehörigkeit zu einer Gruppe

4 Im Rahmen von CILS4EU wurde nach der Besuchshäufigkeit von Kirche, Moschee usw. gefragt, nicht nach der Häufigkeit des Besuchs einer (oder der eigenen) Kirche zur Teilnahme an einer Messe oder Gottesdienst (vgl. Anmerkung zu Abbildung 4.3).

verstehen, die kulturelle Gemeinsamkeiten teilt und sie von den Einheimischen oder den

Angehörigen anderer Religionsgruppen unterscheidet. Bemerkenswert ist schließlich, dass etwa die Hälfte der muslimischen Schülerinnen und Schüler recht regelmäßig eine religiöse

Begegnungsstätte aufsucht und auf diese Weise die Gelegenheit hat, mit anderen Gläubigen in Kontakt zu kommen. Da insbesondere bei den Muslimen nahezu alle Gläubigen einen

Migrationshintergrund besitzen und die Moscheevereine häufig von einer Herkunftsgruppe, zumeist Türkischstämmigen, dominiert sind (Halm und Sauer, S. 84), bedeutet dies, dass sich für diese Gruppe über die religiöse Partizipation vor allem Kontaktmöglichkeiten zu Gläubigen ähnlicher Herkunft ergeben, anders als beispielsweise für polnische Katholiken.

Wenig religiöse und religiöse Schülerinnen und Schüler

Die eingangs diskutierten Mechanismen zum Zusammenhang von Religion und Bildungserfolg legen es nahe, nicht nur interkonfessionelle Unterschiede zu berücksichtigen, sondern auch die Angehörigen der jeweiligen Konfessionen miteinander nach der Stärke ihres Glaubens zu

vergleichen. Über den tatsächlichen Wirkmechanismus lassen sich durch einen solchen Vergleich zwar keine Schlussfolgerungen treffen, es lässt sich jedoch abschätzen, wie bedeutsam der Faktor Religion ist: Sollte der Bildungserfolg einer Konfession auf ihre besonders bildungsaffinen Werthaltungen zurückzuführen sein, so ist zu erwarten, dass insbesondere die stark Religiösen bildungserfolgreich sind. Mit anderen Worten: der Zusammenhang zwischen Religion und Bildungserfolg sollte sich auf der Individualebene zeigen.

Um dies zu untersuchen, wird zunächst eine Variable zur Differenzierung von wenig religiösen und religiösen Individuen generiert (vgl. Tabelle 4.3). Diese zielt weniger darauf ab, hochreligiöse mit den übrigen Angehörigen einer Konfession vergleichen zu können, sondern eher

„konventionelle“ und „nominelle“ (Voas 2008) Mitglieder einzelner Glaubensgemeinschaften voneinander zu differenzieren. Es geht also um eine Unterscheidung von Individuen, die ihre Religion tatsächlich regelmäßig praktizieren bzw. stärker gläubig sind und denjenigen, die eher

„passive Mitglieder“ sind. Bei der folgenden Zuordnung zu wenig religiösen und religiösen Individuen spielen auch pragmatische Gesichtspunkte eine Rolle. So hätte eine noch strengere Definition religiöser Schülerinnen und Schülern bei den beiden christlichen Konfessionen zu sehr kleinen Zellenbesetzungen und damit zu Problemen bei den weiteren Analysen geführt.

Zur Bildung der Religiositäts-Variablen wird neben der Information über die Konfession die Angabe über die Bedeutung von Religion (vgl. Abbildung 4.1) und die Häufigkeit des Betens herangezogen (vgl. Abbildung 4.2). Zunächst werden Schülerinnen und Schüler, die angeben keiner Religion anzugehören, als konfessionslos codiert. In weiteren Schritten werden die Jugendlichen, für die Religion „sehr wichtig“ oder „ziemlich wichtig“ ist, und die ihre Religion mindestens einmal in der Woche entweder in Form des Gebets oder des Besuchs religiöser Begegnungsstätten ausüben, als „religiös“ zusammengefasst. Die übrigen Angehörigen der

Tabelle 4.3: Generierte Variable persönliche Religiosität

Religiosität N In Prozent In Prozent der

jeweiligen

Anmerkung: Religiös=Religion „sehr wichtig“ oder „ziemlich wichtig“ und Ausübung der Religion mindestens einmal pro Woche durch Gebet oder Besuch religiöser Begegnungsstätten, Wenig Religiös=Alle übrigen Angehörigen der jeweiligen Konfession. Gewichtet, ungewichtete Fallzahl.

Quelle: CILS4EU (eigene Darstellung und Berechnung).

Im Dokument Religiosität und Bildungserfolg (Seite 29-35)