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Die Evidenz des Sichtbaren

Im Dokument Das Bild als Zeuge (Seite 196-199)

134 6 von tatorten unD DeteKtiven

6.4 Detektivgeschichten .1 Sophie Calles ‚The Shadow‘

6.5.5 Die Evidenz des Sichtbaren

Wie ich an den drei exemplarisch vorgestellten Arbeiten gezeigt habe, liegt De-mands künstlerischer Fokus auf den verwischten medialen Spuren, die die Medienbilder hinterlassen, und damit auf den Funktionsweisen des Fotografischen, weniger auf den Ereignissen, auf die die Bilder verweisen.

„Nicht die Ereignisse selbst sind mein Sujet, sondern das diffus-schattenhafte Dasein, das sie in dem schattenhaft-diffusen Reich unseres kollektiven Gedächtnisses führen, sprich: die immer schon ver-wischten medialen Spuren, die die Ereignisse hinterlassen.“ 605

Insofern geht es beim Lesen der Bilder nicht darum,

„die Bilder zu dechiffrieren und ihnen ihr Geheimnis zu entreißen. Viel entscheidender ist es, diese an-dere Form von Erinnerung zu praktizieren, die sich aus dem Zusammentreffen der Bilder mit unserer Neugier ergibt. Eine Erinnerung, die Geschichten nicht rekonstruiert, sondern erst produziert [...].“ 606 Thomas Demand intendiert keine Konstruktion von Erinnerungsbildern, die, ähn-lich wie beispielsweise Joel Sternfelds Tatortserie,607 bedeutende Ereignisse memorieren, sondern er führt die Produktions- und Konstruktionsprozesse vor, nach denen solches Erinnern funktionieren kann.

„Man könnte also darüber nachdenken, ob das so benannte Diffuse im Verhältnis zu den in meiner Arbeit aufgegriffenen Ereignissen nicht gleichsam die eigentliche Daseinsweise dessen ist, was wir in Wort und Bild als Nachricht aufnehmen und das sich mitunter und aus den unterschiedlichsten Gründen im kollektiven Gedächtnis einer bestimmten Gruppe von Menschen festsetzt (und aus dem ich meine Sujets vorwiegend rekrutiere). Schließlich liegen Sachverhalte nicht einfach fix und fertig in der Landschaft herum.“ 608

602 Vgl. Obrist, 2007, S. 44.

603 Fokus meiner Arbeit ist vor allem die Tatortthematik, insofern erscheint mir der Bezug auf Beckmanns Zyklus vorrangig in seiner Erweiterung der über die Arbeit eröffneten Bedeutungskontexte interessant.

604 Demand, in: Obrist, 2007, S. 42.

605 Demand, in: Stange, 2007, ohne Seitenangabe.

606 Ruby, 2001, S. 121 f.

607 Vgl. auch Kapitel 6.3.

608 Stange, 2007, ohne Seitenangabe.

197 Demand nutzt hier den Begriff des Diffusen, um das Differenzverhältnis von Nachricht und Ereignis zu beschreiben. In seiner künstlerischen Arbeit wird auf dieses Verhältnis nicht allein über die Unschärferelation zwischen seiner Fotografie und den Pressefotogra-fien angespielt, sondern vor allem über die Differenz der verschiedenen Darstellungssys-teme. Sowohl der plastische als auch der fotografische Darstellungsmodus konstruieren eine Differenz zum fotografischen ‚Vorbild‘ und zum eigentlichen Ereignis allemal. Der aufwendige Konstruktionsprozess ,Fotografie – Modell – Fotografie‘ erweist sich als es-senziell, denn

„[w]ir wissen, dass die Gegenstandswelt der Motive Demands nur die virtuelle Realität einer abwe-senden Wirklichkeit darstellt, aber wir sehen sie als Materialität, die vor der Kamera gestanden hat“. 609 Auf der Ebene der Sichtbarkeit wird, das erschließt sich im Prozess der intensive-ren Bildbetrachtung, nur ein Papiermodell zu sehen gegeben. Aber über die Medialität des Fotografischen konstituieren Demands Fotografien einen Wirklichkeitseffekt, der den Orten und Gegenständen eine Wirklichkeitsnähe verleiht, die sie als Papierskulpturen al-lein nie hätten. Das Wirklichkeitsversprechen, mit dem das fotografische Medium per se affiziert ist, bedingt, dass das einer Pressefotografie nachempfundene Papiermodell in einer zweiten Medialisierung durch das fotografische Bild authentifiziert wird. Denn es ist die spezifische Medialität der Fotografie, die uns glauben macht, das Bild einer vorge-ordneten Realität zu sehen. Insofern liefern Demands Bilder einen Beleg für die Wirkungs-macht der Fotografie, die er jedoch gleichzeitig künstlerisch wieder unterminiert, indem sich die fotografierten Objekte und Orte als Papiermodelle zu erkennen geben.

„Indem also diese fotografischen Bilder Modelle der Wirklichkeit zeigen, und nicht etwa die Wirklich-keit selbst, irritieren sie die Annahme einer vordergründigen Evidenz des Sichtbaren, während der [...] ‚Zweifel‘ einen Prozeß in Gang setzt, der die im fotografischen Bild wirksam werdenden Reprä-sentationen und mithin jene Bedingungen hinterfragt, unter denen das fotografische Bild überhaupt repräsentiert.“ 610

Demand greift auf Bilder der Massenmedien zurück, die unter dem fortwäh-renden Diktat der Authentizität und Glaubwürdigkeit der journalistischen Berichterstat-tung zu belegen haben, dass diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. Doch die scheinbare Authentizität der Pressebilder, ihr Anspruch, ein Abbild der Wirklichkeit zu liefern und diese zu bezeugen, ist immer Resultat einer Zuschreibungspraxis. Demand selbst würde hier vermutlich von ‚Virtualisierungen‘611 sprechen. Künstlerisch greift er auf das scheinbar authentische Medienbild zurück, indem er es über den Modellbau einer offenkundigen Fiktionalisierung unterwirft. Im Prozess der erneuten fotografischen Be-zugnahme, durch das Fotografieren der Modellwelten, spielt Demand auf den Authen-tifizierungseffekt und den Zeugnischarakter des Fotografischen an und unterminiert ihn gleichzeitig.

Im Sinne des barthesschen ‚So ist es gewesen‘ zeigen seine Fotografien tatsäch-lich etwas, das sich vor der Kamera befunden hat, nur erweisen sich die Gegenstände als Fiktionen dessen, was sie vermeintlich bedeuten.612 Nach Roland Barthes ist der fotogra-fische Referent „nicht von der gleichen Art [...] wie der der anderen Darstellungssysteme“, weil er sich auf die „notwendig reale Sache, die vor dem Objektiv plaziert war und ohne die es keine Photographie gäbe“,613 bezieht. Dabei liegt die besondere Qualität fotografi-scher Zeichen nicht primär in ihrer Ähnlichkeit zum Referenten, sondern in der physischen

609 Wetzel, 1999, S. 6.

610 Christofori, 2005, S. 29.

611 Vgl. Fußnote 598.

612 Vgl. hierzu auch Wetzel, 1999, S. 5.

613 Roland Barthes: Die helle Kammer, Frankfurt a. M. 1989, S. 90 f.

198 Verbindung zwischen dem Zeichen und seinem Referenten.614 Auf der Folie einer solchen indexikalischen Lesart verweisen Demands Fotografien auf die Papiermodelle, die sich tatsächlich vor der Kamera befunden haben. Doch mit der Verbindung von Modellbau und Fotografie koppelt Demand zwei Zeichensysteme und fügt dem indexikalischen der Fotografie das ikonische der Modellbauten hinzu. Über das Prinzip der Ähnlichkeit, das ikonische Zeichen charakterisiert, beziehen sich die Modelle auf Referenten, die die me-dialen ‚Vorbilder‘ assoziieren und über diese wiederum die tatsächlichen Ereignisse. Mit der Koppelung eines ikonischen und eines indexikalischen Zeichensystems erweitert De-mand die Relation zwischen einem Zeichen und seinem Referenten und zwischen einem Signifikanten und seinem Signifikat um ein komplexeres Bezugs- und Bedeutungssystem.

Somit irritiert er jeden Versuch, seine Fotografien als Spuren, als Emanation des „vergan-genen Wirklichen“615 zu lesen, auf die sich Vorstellungen von einer Zeugenschaft der Foto-grafie gründen. Der Konstruktionsprozess ,Foto – Modell – Foto‘ macht letztlich sichtbar, dass auch die Fotografie immer nur auf andere Bilder verweist.

Indem Demand über einen plastischen und fotografischen Konstruktionsprozess den Topos der Tatortfotografie, bezogen auf ihre pressefotografischen Verwendungskon-texte hin, aufgreift, rekurriert er zum einen auf ein Begehren nach dem Realen, aber stellt zum anderen die Wirkungsmacht der Fotografie als Beweismittel infrage und kehrt die visuelle Rhetorik des Zeugnisablegens letztlich ins Gegenteil. Er greift den dokumenta-rischen Impetus seiner ‚Vorbilder‘, die als Tatortbilder mit dem Ziel gemacht wurden, ein Ereignis visuell zu dokumentieren, vordergründig auf, um Dokumentation und Simulation ununterscheidbar werden zu lassen. Statt die ‚fluktuierende Kette der Signifikate‘ zu fixie-ren, suchen die Bilder keine Sachverhalte zu dokumentiefixie-ren, sondern eröffnen vielschich-tige Assoziations- und Interpretationsräume.

Dokumente sind ‚gefundene‘ Objekte, materielle Spuren, die wahrgenommen werden und daraufhin als Beweisstücke, als Fakten konstituiert werden.616 Im ersten Schritt seines künstlerischen Verfahrens greift Demand seine gefundenen ‚Vorbilder‘ wie solche Dokumente auf, aber nicht, um sie als Beweisstücke einzusetzen. Demand nutzt vielmehr die dokumentarische Form als Ausgangsmaterial, um sie in Folge als Ergebnis eines Konstruktionsprozesses sichtbar werden zu lassen. In ihrer Verkettung von immer wieder neuen Bildern legen seine Arbeiten die Durchdringung „dokumentarischer Bild-regimes“617 mit Verfahren der Wahrheitsproduktion offen. Insofern greifen Thomas De-mands Tatortbilder eine Form des Dokumentarismus auf, der das, was Hito Steyerl mit ihrem Begriff der Dokumentalität beschreibt, bewusst reflektiert, indem er die diskursiven Konstruktionsbedingungen des Dokumentarischen betont.

614 Vgl. Kapitel 3.3.

615 Barthes, 1989, S. 99.

616 Vgl. Kapitel 2.4.

617 Hito Steyerl: Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismus und Dokumentalität, in: Karin Gludovatz (Hg.): Auf den Spuren des Realen. Kunst und Dokumentarismus, MUMOK, Wien 2003, S. 91–107, hier S. 96, und vgl. Kapitel 2.4 dieser Arbeit.

Im Dokument Das Bild als Zeuge (Seite 196-199)