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Digitalisierung – das Ende der indexikalischen referenz?

Im Dokument Das Bild als Zeuge (Seite 41-44)

Wenn das Verhältnis der Fotografie zur Wirklichkeit, wie ich gezeigt habe, so fra-gil ist, dass dem Wirklichkeitsversprechen der Bilder in jedem Fall zu misstrauen ist, stellt sich die Frage, welchen Einfluss die digitale Medientechnik auf dieses Versprechen nimmt.

Hat die Digitalisierung der Fotografie zur Folge, dass die Bilder an keiner Realität mehr gemessen werden können? Sind Sein und digitaler Schein tatsächlich so untrennbar mit-einander verwoben, dass das dokumentarische Bild die Beweiskraft, die ihm bisher zu-gesprochen wurde, verliert? Die Argumentation der Theorien, die mit der Digitalisierung einen Paradigmenwechsel einläuten, scheint auf den ersten Blick einleuchtend.184 Vor al-lem die frühe Theoretisierung der Digitalisierung des fotografischen Produktionsprozes-ses betont das damit einhergehende endgültige Ende der indexikalischen Referenz. Zu

183 Ebd., S. 37.

184 Vgl. neben vielen anderen Ausst.-Kat.: Fotografie nach der Fotografie, hg. von Hubertus von Amelunxen, Stefan Iglhaut, Florian Rötzer, München 1996; Wolfgang Hagen: Es gibt kein digitales Bild. Eine medienepistemologische Anmerkung, in:

Lorenz Engell, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hg.): Archiv für Mediengeschichte – Licht und Leitung, Weimar 2002, S. 103–

110.; Kay Hoffmann: Das dokumentarische Bild im Zeitalter der digitalen Manipulierbarkeit, in: ders. (Hg.): Trau-Schau-Wem. Digitalisierung und dokumentarische Form, Close up. Schriften aus dem Haus des Dokumentarfilms, Bd. 9, Konstanz 1997, S. 13–28; Klaus Kreimeir: Authentizität und Fiktion. Strategien des Dokumentarischen in den technischen Bildern, in:

Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 27 (1997), Heft 106, S. 94–107; William J. Mitchell: The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era, Cambridge, London 1992; Claudia Gabriele Philipp: Der Körper der Photo-graphie, in: Ausst.-Kat.: Reality-Check, 2. triennale der photographie hamburg, hg. von triennale der photographie hamburg gmbh, Hamburg 2002, S. 32–41.

42 bedenken ist jedoch, dass mit dem Konstatieren des digitalen Endes des fotografischen Wirklichkeitsversprechens genau die Theorien wieder aufleben, die das Verhältnis von Fo-tografie und Wirklichkeit medienontologisch begründen. Eine ontologische Disposition fotografischer Technik zu den Topoi des Dokumentarischen und Authentischen entlarvt sich jedoch, wie ich weiter oben bereits gezeigt habe, schon für die analoge Technik als Mythos. Zweifelsohne löst sich mit der Einführung digitaler Medientechnik die indexika-lisch zu nennende Verfasstheit der Fotografie als Spur des Lichts auf, indexikaindexika-lische Erklä-rungsmodelle des Wirklichkeitsversprechens scheinen somit erst einmal gegenstandslos.185 Doch auch die indexikalische Referentialität analoger Fotografien erweist sich ja als Teil eines komplexen kulturellen Zuschreibungsprozesses, der mit den technischen Neuerun-gen digitaler Bilder nicht zur Ruhe zu kommen scheint.

Dementsprechend hat sich mittlerweile die frühe Aufregung über die Digitali-sierung offenkundig gelegt. Mittlerweile finden sich nur noch wenige aktuelle theoreti-sche Ansätze, nach denen die digitale Fotografie das Authentitheoreti-sche und Dokumentaritheoreti-sche des Mediums ablöst. Offenbar lässt sich das fotografische Wirklichkeitsversprechen aller technischen Neuerungen zum Trotz nicht aufheben. Dies belegen vor allem die sozialen Gebrauchsweisen des Mediums, allen voran der Bildjournalismus, die nahezu unbeein-flusst von der neuen Technik weiterfunktionieren – abgesehen von der erheblichen Ar-beitserleichterung, die die digitale Technik ohne Zweifel bietet. Das fotografische Wirk-lichkeitsversprechen, der für die Fotografie charakteristische Zeugnischarakter und ihre besondere Beweisfunktion scheinen ungebrochen.

„Der besondere Realitätsnexus der Fotografie ist offenkundig untilgbar, weil er unserem Realitäts-begehren, unserem Verfügungswunsch so perfekt entspricht. Auch die digitalisierte Fotografie ist eine deutliche Spur, ein klar lesbarer Abdruck, der an kausale Denkfiguren und Denkprozesse ge-bunden ist. Auch sie verweist auf einen konkreten Vorgang, auf eine Realität im Raum und in der Zeit, auch die digitalisierten Fotografien lassen auf etwas schließen, sie zeigen und sie offenbaren.

So bleibt ganz ohne Frage auch im neuen Zeitalter der beschleunigten Abbildung und der rasanten Verwandlung das unangetastet, was Roland Barthes das ,Noema‘ der Fotografie genannt hat: ,Es ist so gewesen.‘“ 186

Insofern lässt sich festhalten, dass keine Differenz digitaler Fotografie zum Inde-xikalischen im Sinne eines Paradigmenwechsels auszumachen ist. Bei Volker Wortmann mündet die Verneinung eines solchen Wechsels in folgende Frage:

„Zwar hat die indexikalische Referenzialität analoger Photographie als Legende ihre Plausibilität im Kontext digitaler Bildmedien verloren, aber kann sie nicht durch eine andere ersetzt werden?“ 187 Meiner Ansicht nach gründen sich die nicht zu tilgende Macht und Suggestions-kraft des fotografischen Wirklichkeitsversprechens auf dem fortwährenden Begehren des Bildbetrachters und dem strukturellen Verhältnis von dokumentarischem Verlangen und

185 Auf den Gegensatz analoger und digitaler Fotografie, speziell der technischen Veränderung geht Wolfgang Hagen ein, der in der digitalen Fotografie das Noema des barthesschen ‚Es ist so gewesen‘ zugunsten einer Selbstreferentialität digitaler Bilder aufgehoben sieht. Vgl. Wolfgang Hagen: Die Entropie der Fotografie. Skizzen zu einer Genealogie der digital-elektronischen Bildaufzeichnung, in: Herta Wolf (Hg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografi-schen Zeitalters, Frankfurt a. M. 2002, S. 195–235. Nach Hagen ist die digitale Fotografie im Gegensatz zur analogen voll ständig reversibel, während die „[a]naloge Fotografie [...] die unwiderrufliche Einschreibung einer Entropie am Material [war/ist; K. F.], erzeugt durch Belichtung“. Ebd., S. 234. „Digitale Fotografie ist Messung des Lichts, auf Quantenraumgröße verdichtet, deren Meßwerte sich zu einem Puzzle namens Bild fügen lassen oder zu etwas anderem. Eine Messung ergibt niemals das Zeichen des Dings, sondern nur sein Maß, einen Signalwert, eine Zahl. Deswegen kann digitale Fotografie auch keinen Zeichenprozeß [...] generieren.“ Ebd. (Hervorhebung im Original).

186 Karl Prümm: Die untilgbare Spur. Vom diskreten Funktionswandel aktueller Wirklichkeitsbilder, in: Ausst.-Kat.: Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien, hg. von Sigrid Schneider und Stefanie Grebe, Ruhrlandmuseum Essen, Essen 2004, S. 31–36, hier S. 32.

187 Wortmann, 2003, S. 222.

43 dokumentarischem Versprechen, das durch alle technischen Innovationen hindurch wirk-sam ist. In der digitalen Fotografie findet sich Indexikalität – anders als in der analogen Fotografie – im Sinne einer Indexikalität als Simulakrum wieder.

Sahen sich das Dokumentarische und Authentizität schon lange vor der Digita-lisierung mit ihrer Infragestellung konfrontiert, so führt die DigitaDigita-lisierung nur zu einer weiteren – wenn auch besonders wirkungsmächtigen – Form des Misstrauens gegenüber dem fotografischen Wirklichkeitsversprechen. Die mit ihr verknüpften abbildtheoreti-schen Einwände provozieren jedoch entsprechende apologetische Strategien, die erneut das fotografische Wirklichkeitsversprechen auf dokumentarische und authentische Bild-formen übertragen.

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4 Die traDition Der DoKumentarfotografie: von

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