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Der Bruch mit der Tradition: der Traum von der Mimesis endet

Im Dokument Das Bild als Zeuge (Seite 130-134)

5.2 Künstlerische aneignungen von Pressefotografie

5.4.3 Der Bruch mit der Tradition: der Traum von der Mimesis endet

Ähnlich wie in Jeff Walls stärker dokumentarisch ausgerichteten Arbeiten, bei-spielsweise dem weiter oben besprochenen ‚Man with a Rifle‘, wird auch in ‚Dead Tro-ops Talk‘ spätestens auf den zweiten Blick das Moment der Inszenierung sichtbar, das die Fotografie letztlich die Vorstellung vom Wirklichkeitsimitat irritieren lässt und damit einen Bruch zur Bildtradition des ‚tableau‘ darstellt. Die Unstimmigkeiten und Inkongru-enzen der Bilderzählung, die die toten Soldaten zu seltsam amüsierten Untoten auferste-hen lässt, konstituieren das Groteske der Kriegsszenerie, die als ein besonderes Merkmal der Groteske413 die Einheit und Form der Darstellung divergieren lässt. In ihrer grotesken

410 Reduziert man die in Jeff Walls Fotografien formulierte Bildkritik auf das Prinzip der Fragmentierung, wie sie die Fotomon- tage im Kontext der künstlerischen Avantgarden leistet, so müsste man Walls Arbeiten sicherlich als antimodern begrei- fen. Dazu sagt Wall selbst im Gespräch mit Frank Wagner: „Ich betrachte meine Bilder auf eine gewisse Weise als die Umkehrung des herkömmlichen modernen oder avantgardistischen Begriffs der Photomontage. [...] Vor zwanzig Jahren habe ich mich sehr intensiv mit Heartfield beschäftigt, aber später hatte ich das Gefühl, dass diese Probleme vermittels einer konsistenten piktorialen Vorgehensweise interessanter angegangen würden, wie sie mir dem Wesen der Photogra- phie mehr zu entsprechen scheinen, das für mich in der räumlichen Illusion begründet ist, die von einer Linse geschaffen wird. Wenn Du sagst, dass sich der Modernismus eigentlich durch die Fragmentierung definiert – die Fragmentierung des Piktorialen –, dann könnte man sagen, dass ich dem Modernismus widerspreche. Aber ich glaube nicht, dass die Fragmen- tierung ein absolut bestimmender Aspekt war. Sie war dadurch entscheidend, dass sie innere, implizite Elemente früherer Kunstwerke sichtbar machte und indem sie eigenständige alternative Formen schuf. Aber bislang ist der piktoriale Aspekt der Kunst – das, was wir die abendländische Bildtradition nennen – noch nicht durch die experimentellen Werke avant- gardistischer Kunst ersetzt worden.“ Wagner, 1997, S. 336 f.

411 Pelenc, 1996/2002, S. 11.

412 Falkenhausen, 1999.

413 Zur Begriffsbildung des Grotesken und zum Grotesken in Walls Fotografie vgl. Abend, 2005, S. 135 ff. Sandra Abend legt in ihrer Untersuchung dar, dass zahlreiche Arbeiten Walls über das Moment der Irritation und die vorgefundenen Unstimmigkeiten in den Fotografien, die in ihrer Funktion anders erscheinen, als sie sind, auf das Groteske verweisen.

131 Überzeichnung gibt sich die Szene als inszenierte und gerade nicht als fotojournalistisch erstellte Fotografie zu erkennen.414 Auch der Kontext der Historienmalerei erscheint vor diesem Hintergrund nur als eine Bedeutungskonnotation, die zwar über Aspekte wie das Format, die Lebensgröße und den Bezug auf eine historische Begebenheit angedeutet, aber nicht ohne Ambivalenzen vermittelt wird. So widerspricht vor allem das Groteske der Szene sowohl der idealisierten Wahrnehmung der Historienmalerei gemäß der französi-schen Akademiedoktrin als auch den späteren Vorstellungen von einer Historienmalerei im Sinne einer modernen Geschichtsschreibung, die auf eine realitätsnahe Darstellung rekurriert, um als Zeugnis von Geschichte zu fungieren.

Letztlich entlarven sich die Vorstellungen vom Bild als Wirklichkeitsimitat, als Zeugnis von Geschichte, die in der Fotografie ‚Dead Troops Talk‘ sowohl die Verweise auf die Historienmalerei als auch auf den Fotojournalismus konnotieren, als rhetorisch, da die Fotografie über jedes evozierte Wirklichkeitsversprechen hinaus immer Ansatzpunkte vermittelt, die konzipierte Täuschung zu entschlüsseln.

Die Aufdeckung der Täuschung wird bildstrategisch vor allem über groteske Bild- elemente erreicht, die die Künstlichkeit der Darstellung hervorheben und einen Bruch in der Homogenität und Kausalität der Bilderzählung erzeugen. Im Gegensatz zu den stärker dokumentarisch ausgerichteten Fotografien Walls, die ihre Inszeniertheit weniger über die Bildmotive vermitteln und erst auf den zweiten Blick – häufig erst durch das Wis-sen um ihren Herstellungsprozess – ihre ambivalente Position zwischen Dokumentation und Inszenierung erkennen lassen, legt in ‚Dead Troops Talk‘ bereits die groteske Ebene der Bilderzählung das Inszenierte offen.

Erinnert man sich noch einmal an die Aspekte, die Christine Walter als konstitutiv für die ‚inszenierte Fotografie‘ herausgearbeitet hat, so lässt sich ‚Dead Troops Talk‘ auf-grund der szenischen Ausstattung des Bildes mit Darstellern, Kostümen, Make-up, Licht und Requisiten, der dem Werk zugrunde liegenden Idee, die schrittweise über eine kom-plexe Realisierungsphase umgesetzt wird, der narrativen Darstellung des Bildsujets sowie der Verweise auf das Filmgenre in den Kontext der ‚inszenierten Fotografie‘ integrieren.

Aber wie andere Fotografien Jeff Walls auch situiert sich ‚Dead Troops Talk‘ an der Grenze zwischen Inszenierung und Dokumentation. So nimmt Wall, obwohl er mit der grotesk anmutenden Szene die Künstlichkeit der Darstellung betont, dennoch Bezug auf das Dokumentarische. Wall selbst betont die Ambivalenz seiner Fotografie als „pseudo-episch“, wenn er im Interview mit Frank Wagner auf dessen Frage, was sein besonderes Interesse bei ‚Dead Troops Talk‘ gewesen sei, antwortet:

„Ich wollte ein pseudo-episches Bild machen, oder vielleicht die Imitation eines epischen Kriegsbildes – aus einer distanzierten Position heraus entstanden.“ 415

Indem seine Fotografie, die mit dem Sujet des sowjetisch-afghanischen Kriegs eine historische Faktizität thematisiert, auf den ersten Blick der realitätsnahen Darstellung eines blutigen Kriegsgeschehens zu ähneln scheint, rekurriert Wall auf die Motivik der journalistischen Kriegsfotografie. Die hypergenaue, realitätsnahe Wiedergabe der Kriegs-szenerie suggeriert ebenso wie der detaillierte Titel eine Tatsächlichkeit des Geschehens.

Damit bezieht sich die Fotografie auf einen Aspekt des Dokumentarischen, dessen Wirk-lichkeitsreferenz durch den Eindruck eines scheinbaren Vor-Ort-Gewesenseins, eines Mittendrin im Kriegsgeschehen, erzeugt wird. Mit dem Rekurs auf die Kriegsfotografie als eine Form der Pressefotografie ruft Wall Bildtypologien und Bildschemata auf, die sich durch ihre stete Wiederholung in den Bildmedien als Teil eines kulturellen Wissens

414 Festzuhalten bleibt, dass Wall das Groteske nicht nur über die Motivebene in das Bild integriert, sondern auch über den Anachronismus eines am Ende des 20. Jahrhunderts wiederauferstandenen Historienbildes. Vgl. hierzu auch Falkenhausen, 1999.

415 Wagner, 1997, S. 329 ff.

132 etabliert haben und die mit Kriterien wie ‚die Fotografie als Zeuge‘, ‚das Augenzeugen-prinzip als Argument der Wirklichkeitstreue‘, ‚Unmittelbarkeit‘ und ‚Authentizität‘ ver-bunden werden. Wall zitiert damit eine soziale Gebrauchsweise der Fotografie, die die Beweisfunktion des Mediums und seine Funktion als scheinbar dokumentarisches Auf-zeichnungsmedium betont.

Über die Brutalität der Wunden, die die Opfer des Kriegsgeschehens in Walls Fo-tografie zeigen, verweist ‚Dead Troops Talk‘ im Besonderen auf das mit Emotionen af-fizierte Bild des Humanen, das gegenwärtig viele Presseaufnahmen charakterisiert, die bewusst auf Schockeffekte setzen, um in der medialen Bilderflut die Aufmerksamkeit zu binden. In seiner Überzeichnung und Übertreibung, die bei der Darstellung der Ver-letzungen der Soldaten letztlich eher an Horrorfilme als an Pressefotografien erinnert, wandelt Jeff Wall jedoch die Kriegsfotografie zur Groteske und bricht somit den ‚Stil des Humanen‘, der zwar ebenfalls auf Schockeffekte setzt, aber mit dem Zeigen menschlicher Gefühle wie Trauer, Freude und Schmerz eine Realitätsnähe zu erzeugen sucht. Insofern durchbricht Jeff Wall mit ‚Dead Troops Talk‘ die Kriterien der Pressefotografie durch einen Bezug auf das Imaginäre und Visionäre, auf das auch das angebliche Gespräch der Toten/

Untoten anspielt, da das Sujet des Sprechens ein Medium repräsentiert, das sich gerade nicht über das optische Medium der Fotografie vermitteln lässt und damit über deren Grenzen hinausweist. Wall lässt das Bild so über das visuell Erfahrbare hinausweisen. Er selbst verknüpft ‚Dead Troops Talk‘ mit dem Bereich des Imaginären.

„The last group of pictures is based on fantasy and imagination. I have thought of my work as a kind of painting of modern life, using Baudelaire’s term, but I do think modern life includes nightmare, the imaginary, that which is not, and so pictures like Dead Troops Talk (1992) are in my view still consistent with that notion.“ 416

Mit dem Bezug auf das Imaginäre wird die eindeutige Decodier- und Lesbarkeit des Bildes unterlaufen und entgegen der Zielsetzung von Pressefotografien, die vor allem auf Lesbarkeit und Informationsvermittlung setzen, dessen Polysemie betont.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Wall mit ‚Dead Troops Talk‘ Bildty-pologien und -schemata der Pressefotografie aufgreift, diese scheinbar kopiert und dann verfehlt, um letztlich eine Differenz zwischen journalistisch-dokumentarischer und künst-lerischer Bildfindung zu eröffnen.

Indem Wall die fotografische Ebene der Wirklichkeitsvergewisserung durch die Integration grotesker und auf das Imaginäre verweisender Bildelemente und die im Bild angelegte Möglichkeit, die Inszenierung aufzudecken, aufbricht, fungiert ‚Dead Troops Talk‘ als ein Bild über Bilder, das sich der sogenannten medialen Bilderflut der Pressebilder entzieht. Inwiefern es Wall gelingt, sich kritisch mit dem journalistischen Bildgebrauch im Sinne einer Bildkritik auseinanderzusetzen, bleibt jedoch ambivalent. Wall unterläuft zwar die Vorstellungen vom Medium der Fotografie als Wirklichkeitsvergewisserung, aber gerade durch das Zitieren von Horrorfilmszenarien adaptiert sein Foto-Großformat die Suggestionskraft der filmischen Illusionsmaschinerie.

Kehren wir noch einmal zu Derridas Ereignisbegriff zurück. Nach Derrida verwei-gert sich letztlich jedes Ereignis dem Verstehen und offenbart als begriffslos und verlet-zend eine Nähe zum Trauma. Das Bild fungiert als ein Ort, an dem dieses begriffslose, ver-letzende Ereignis sichtbar zu werden scheint. Jedoch ist gerade für Pressefotografien eine Ambivalenz zwischen Entdecken und Verdecken charakteristisch, die einen Riss zwischen dem Bild und dem Unsichtbaren konstituiert, weil Pressefotografien das, was sie sichtbar machen, gleichzeitig löschen.

416 Wall/Peto, 1996/97, S. 24.

133 Inwiefern macht Wall nun, wie dies häufig die Bildkritik künstlerischer Umsetzungen von Pressefotografien anstrebt, diesen Riss zwischen dem Bild und dem Unsichtbaren zum Thema? Eine Besonderheit markiert Walls Bild in seinem Bezug auf das Trauma, da sein Bild nur scheinbar auf ein tatsächliches Ereignis zurückgeht und damit im Sinne meiner Übertragung der Begriffe Eva Hohenbergers auf die Fotografie keinen direkten Bezug zur nichtfotografischen Realität herzustellen scheint. Als inszenierte Fotografie stellt ‚Dead Troops Talk‘ das Ereignis nämlich erst her. Da sich Walls Bild als inszeniert zu erkennen gibt, führt es letztlich den Prozess des Entdeckens des Ereignisses ad absurdum. Denn das Ereignis, über das Walls Fotografie spricht, ist vor allem das Ereignis der Inszenierung bzw.

Herstellung des Bildes. Doch ‚Dead Troops Talk‘ zitiert in seiner Inszenierung die Codes der Repräsentationsästhetik von Kriegsfotografien und rekurriert insofern über diesen Umweg als erkennbare Repräsentation auf ein kriegerisches Ereignis, das er über seinen Prozess der Bildkonstruktion gleichzeitg der Nichtdarstellbarkeit entzieht. Auch wenn Walls Fotografie ihren Bildstatus betont und damit den Riss zwischen dem Unsichtbaren und dem Bild thematisiert, wird das Trauma, das Wall über seinen motivischen Bezug auf Kriegsfotografien evoziert, weniger offenbar als durch die Art, in der seine Nichtdarstell-barkeit, seine eigentliche Abwesenheit bezeichnet wird, im Bild bewältigt. ‚Dead Troops Talk‘ verdeckt als ein Gewaltszenario genau den Schrecken, den es zugleich sichtbar zu machen vorgibt, indem es in seiner Anlehnung an filmische Inszenierungsmuster den Bild- illusionismus aufrechterhält und so den Schrecken letztendlich bannt.

Im Dokument Das Bild als Zeuge (Seite 130-134)