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4 Empirischer Teil

4.2 Methodologische Überlegungen

4.2.3 Ethnographischer Ansatz

Betrachten wir diese Zielsetzungen in Bezug auf die Rolle von Kindern bei einer (möglichst) partizipativen Forschung, entdecken wir Analogien im Bereich der Fachdebatten zur qualitativen Sozialforschung. Dort sollen die Befragten als Forschungssubjekte und Forschungspartner*innen wahrgenommen werden, sodass es notwendig ist, auf Reaktionen, Einwände oder Probleme in der Interaktion im Feld einzugehen und das Forschungsvorhaben gegebenenfalls anzupassen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist letzteres in höherem Maße zu berücksichtigen.

Innerhalb der Debatten zur qualitativen Sozialforschung nimmt die ‚Rahmung‘ von Forschung durch einen ethnographischen Ansatz einen besonderen Stellenwert ein und es finden sich deutliche Rückbezüge zu partizipativen Zielsetzungen. Zentral für ethnographische Untersuchungen ist die „Beobachtung im Rahmen einer ausgedehnten Teilnahme am Geschehen. Interviews und Dokumentenanalysen werden in diesen Ansatz partizipatorischer Forschungsdesigns integriert, wo immer sie zusätzliche Erkenntnisse versprechen“ (Flick 2009, S. 298).

Die Ethnographie bietet Forschenden also einen methodischen Rahmen, der im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand eine Offenheit beinhaltet und in der Verwendung der „Methoden“ (ebd., S. 299) eine Flexibilität zulässt, um „das Fremde“

(Rosenthal 2008, S. 103) in der Selbstverständlichkeit des Alltagslebens entdecken zu können. Die Ethnographie ist demnach keine Methode. Sie ist vielmehr als „ein integrierter Forschungsansatz“ bzw. als eine methodische Rahmung zu verstehen, mit deren Hilfe „Beobachtungen mit Interviews, technischen Mitschnitten und Dokumenten aller Art kombiniert“ werden können (Breidenstein et al. 2013, S. 33). Damit werden alle Datentypen relevant, die für die Forschungsarbeit als gewinnbringend erachtet werden (vgl. ebd.). Ethnographie ist aus Sicht von Girtler (2001) ein Abenteuer. Dem ist zuzustimmen, da das Einlassen auf die Bedingungen des Feldes die Sicherheit mit sich bringt, dass nichts sicher sein wird und die Geschehnisse immer eine gewisse Unbestimmtheit beinhalteten. Ethnograph*innen können nie genau wissen, was sie im Kontakt mit den Akteur im Feld erwartet (vgl. ebd.).

In der Ethnographie nimmt das Schreiben eine besondere Stellung ein, die schreibende Beobachtung bietet eine „sprachliche Erschließung von Phänomenen“

(ebd.), die noch nicht in sprachlicher Form vorhanden sind. Sie werden erst durch die

schriftliche Beschreibung „zur Sprache“ gebracht (ebd.). Die Verschriftlichung der Ethnograf*in ermöglicht es zunächst, die vielschichtige soziale Welt in eine zweidimensionale Form (in Schrift und Sprache) zu übersetzten. Ein großer Teil von sozialer Wirklichkeit ergibt sich aber auch unterhalb der Schwelle der Sprache: „Viele soziale Phänomene sind nicht nur unaussprechlich, sondern stimmlos, sprachlos und stumm. Das heißt aber, sie müssen erst sozialwissenschaftlich zur Sprache gebracht werden“ (ebd.).

Die Beobachtungen im Feld werden meist in Form eines Forschungstagebuchs festgehalten. Wie Feldforscher*innen mit ihrer Fremdheit im Feld umgehen, lässt sich auch am Umgang mit ihrem Forschungstagebuch ablesen (vgl. Girtler 2001). In diesen Beschreibungen und Protokollen finden sich auch Reflexionen zum Grad und der Form der ‚Einsozialisation‘ im Feld. Mit anderen Worten: Der Umgang mit solchen Textsorten kann nicht allein technisch beschrieben werden, sondern ist auch etwas persönliches, das der Untersuchung und Reflexion bedarf.

Bei der Entscheidung für ein qualitatives Verfahren ist, für die Auswahl der Einzelmethoden der Datenerhebung nach Helfferich, die Gegenstandsangemessenheit ein bedeutendes Prinzip (vgl. Helfferich 2011, S. 26 ff.).

Dazu müssen Forschungsinteresse, Forschungsfragen und Forschungsgegenstand geklärt sein. Der Forschungsgegenstand wird anhand von ethnographischen Verfahren und dichter Beschreibungen über Handlungskontexte, soziale Praxen67 und Handlungsformen der Kinder und Jugendlichen in der Selbstorganisation, untersucht.

67 Nach Strauss (1993) ist sein vorgeschlagenes Modell der „sozialen Welten“ einschließlich der damit einhergehenden handlungstheoretischen Implikationen orientiert zu berücksichtigen: Soziale Welten müssen nicht an nationalstaatliche Kontexte angebunden sein, sondern können diese übergreifen. Sie werden durch Akteure, die in Bezug auf Themen und Werte, welche an eine jeweilige soziale Welt gekoppelt sind agieren, repräsentiert. Es handelt sich dabei um „Gruppen, die gemeinsame Bedeutungen, Aktivitäten und Ressourcen zur Verwirklichung ihrer Ziele teilen und eine gemeinsame Ideologie darauf entwickeln, wie sie diese realisieren“ (Strauss 1993, S. 212). Bei dem von Strauss (1993) begründeten Modell der

„sozialen Welten“ handelt es sich jedoch um ein vergleichsweise allgemeineres Konzept, das den Einbezug mehrerer und einander ergänzender Perspektiven zulässt. Dieser geht grundsätzlich davon aus, dass soziale Strukturen durch Interaktionen geschaffen und aufrechterhalten werden. Im Mittelpunkt einer „sozialweltlichen“ Analyse sozialer Phänomene stehen Aushandlungen als (prozesshafte) Wechselwirkungen und Repräsentationen.

Aushandlungsprozesse vollziehen sich, so Strauss, in „sozialen Arenen“ und finden nicht nur innerhalb sozialer Welten, sondern auch zwischen ihnen statt

Nach einem explorativen Vorgehen bot sich für meine Studie daher ein ethnographischer Zugang im Sinne einer „dichten Beschreibung“ (Geertz 2003, S. 30;

Geertz 1987, S.25) des Phänomens an.68 Im Rahmen meiner Arbeit wurde von der von Geertz formulierten Kernfrage „What the hell is going on?“ (dt. sinngemäß: „Was geht da vor sich?“) in Bezug zu Doing Participation nachgegangen.

In methodischer Hinsicht erfolgte eine Kombination von teilnehmender Beobachtung in Verbindung mit „ethnographischen“ Gesprächen als den klassischen „Methoden der Feldforschung“ (Girtler 2001, S. 147f.) und eine Analyse von Artefakten sozialen Handelns, in Form von medialen Eigenproduktionen der Selbstorganisation (kurze Filme), die im Vergleich zu kommunikativ generierten Daten in geringerem Maße reaktiv erscheinen, da sie unabhängig vom Zugriff Forschender im Feld als „natürliche Daten“ existieren (ebd.). Dazu zählen zum einen die informellen Gespräche und zum anderen die Interviews.

Informelle Gespräche sind eingebettet in das Alltagsgeschehen und finden häufig während der teilnehmenden Beobachtung im Feld statt. Davon noch einmal abgrenzbar sind die Interviews, die sich dadurch auszeichnen, dass der Gesprächskontext stärker vorstrukturiert und gerahmt ist. Der Datenkorpus besteht also aus einer Kombination verschiedener Daten, die im Endeffekt nicht auf eine

„Integration der Datentypen“ (Helfferich 2011, S. 35) abzielt, sondern so organisiert wird, „dass sie sich wechselseitig kommentieren und ergänzen können“ (ebd.).

68An dieser Stelle werden Parallelen zum von Hitzler/Niederbacher (2010) vorgeschlagenen Szenekonzept deutlich, die von „thematisch fokussierten Netzwerken“ sprechen (Hitzler/Niederbacher 2010 S. 16f.). Menschen repräsentieren durch ihr Handeln diejenigen sozialen Welten, in die sie eingebettet sind und sie agieren vor dem Hintergrund der jeweils damit verbundenen Themen und Werte. Dieser Argumentation folgend repräsentieren Akteur*innen- wie hier die Protestbewegungen von kolumbianischen Kindern und Jugendlichen. Die Untersuchung der damit verbundenen kulturellen Praxen ermöglicht die Diskussion von Prozessen transnationaler Vernetzung von Akteur*innen, die sich innerhalb der Szene verorten und am damit verbundenen sozialen Geschehen beteiligt sind. Diese theoretische Rahmung zieht methodologische und damit einhergehend methodische Implikationen nach sich. Wie stellen sich Selbstorganisationen dar, was in meiner Forschung analysiert wird.

Forschende begeben sich in das Untersuchungsfeld hinein und generieren Datenmaterial in direktem Kontakt mit den involvierten Subjekten. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, einen geeigneten Zugang zum Feld herzustellen und Kontakte ständig im Zuge zunehmender „theoretischer Sensibilität“

(Glaser/Strauss 1998, S. 54) zu hinterfragen. Durch den oben erwähnten Einbezug nichtreaktiver Daten sowie durch diskursive Validierung bspw. im Rahmen von Kolloquien wurde versucht, Verzerrungspotentiale hinsichtlich subjektiver Interpretationen zu minimieren und zu reflektieren. Lässt man sich auf die Bedingungen des Feldes ein, bedeutet dies für die Forscher*innen sowohl sozial als auch emotional in etwas involviert zu sein (vgl. Rosenthal 2008, S. 102).