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2 Theoretische Verortungen

2.2 Die Subjekttheorie nach Holzkamp und Leiprecht

Die Subjekttheorie nach Holzkamp und Leiprecht ermöglicht einen mehrdimensionalen Blick auf das Spannungsfeld von Subjekt und Struktur, sowohl auf der strukturellen Ebene als auch auf der Ebene der symbolischen Repräsentationen und sozialen Praktiken, wobei ihr jeweiliges ‚Zusammenwirken‘ mit subjektiven Deutungen und begründeten Handlungen im Mittelpunkt steht (vgl. Leiprecht 2001).

2.2.1 Bedeutung des Handlungsspielraums nach Holzkamp für meine Forschung

Die Ebenen Struktur, Diskurs/Repräsentation und Praktiken/Handlungen, die Holzkamp in seinem Modell zu Bedingungen/Bedeutungen/Begründung vorstellt, können in meiner eigenen Forschungsarbeit zu Kindheit und Jugend im Kontext von Partizipation als zu berücksichtigende und zu analysierende Teilaspekte verstanden werden (konkretisiert etwa als institutionelle Settings, politische Orientierungen, Kindheitsbilder, Handlungsweisen, etc.). Dabei hat die subjekttheoretische Perspektive den Zweck, eine Rekonstruktion zu leisten von subjektiven Sinnwelten und Handlungen unter Berücksichtigung von gesellschaftlichen Strukturen, sozialen Verhältnissen und der jeweiligen Situation, in der das Subjekt seinen subjektiv-gesellschaftlichen Möglichkeitsraum im Sinne von (gelingender) Partizipation erweitert (vgl. Holzkamp 1983, S. 550 ff.). Fragen nach subjektiven Möglichkeitsräumen richten sich auf neue ‚Spielräume‘/‚Handlungsräume‘ und können Aufschluss darüber geben, ob und wie sich am Beispiel von Subjekten in einer Selbstorganisation die jeweiligen Handlungsoptionen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen darstellen.

Hierbei kommen sowohl Ermöglichungen als auch Behinderungen und Einschränkungen durch die jeweils vorhandenen sozialen, politischen und historischen Anforderungen und Rahmenbedingungen in den Blick, als auch der jeweilige ‚Stand‘

der Selbstorganisation, die zum einen subjektive Partizipation ermöglichen, sie zum anderen aber auch einschränken kann.

Holzkamp unterscheidet in seiner Grundlagentheorie die situative Ebene und die personale Ebene. Die situative bezogene Ebene ist auf die aktuelle Situation von

Einschränkungen und Möglichkeiten des Subjekts und dessen Herausforderungen be-zogen, die personale Ebene auf den biografischen Werdegang und den damit verbundenen Erfahrungen, Bewältigungsmuster, Wissensressourcen, Erwartungen etc. (vgl. Holzkamp 1983, S. 369). Des Weiteren sind in dieser biographischen Perspektive von Bedeutung:

„Erfahrungen mit und die Verarbeitungsformen von Fremd- und Selbstbestimmung (…), also frühere Realisierungen und Nicht-Realisierungen von Handlungsmöglichkeiten, die eine Einschränkung oder eine Erweiterung des eigenen Möglichkeitsraums zur Folge hatten“ (Leiprecht 2005, S. 53).

2.2.2 Bedeutung des Handlungsspielraums nach Leiprecht für meine Forschung

In meiner Forschungsarbeit schaue ich anhand dieser Forschungsperspektive auf die vorhandenen Strukturen und nehme die empirischen Daten der Subjekte und deren subjektiven Möglichkeitsräume so umfassend wie möglich in den Blick. Dabei ist der konkrete vorliegende Handlungsspielraum durch das Subjekt individuell gestaltbar, jedoch ist er von gesellschaftlichen Bedeutungs- und Bedingungszusammenhängen strukturiert, gerahmt und durchzogen (vgl. Leiprecht 2001, S. 17). Leiprecht weist darauf hin:

„Aus den über die subjektiven Möglichkeitsräume zu spezifizierenden gesellschaftlichen Bedingungen und Bedeutungen ergeben sich für die individuellen Subjekte also weder automatisch bestimmte Denk- und Handlungsweisen noch sind diese als völlig beliebig zu charakterisieren, sondern die Einzelnen verhalten sich zu den darin liegenden Möglichkeiten und Behinderungen“ (Leiprecht 2005, S. 54).

Unter einer solchen Perspektive richtet sich die Analyse nicht nur auf die Rekon-struktion der Handlungsweisen, sondern ermöglicht es in der Forschung, nach dem potentiellen Möglichkeitsraum der Subjekte zu fragen und dabei auch Schwierigkeiten der rekonstruierten Handlungsweisen herauszuarbeiten. Die Forschungssituation kann bereits so gestaltet werden, dass sie für die Forschungssubjekte (Kinder und Jugendlichen) eine Reflexion ihrer Orientierungen und Handlungsprämissen bietet.

Darüber hinaus fragt sie nach einer Ermöglichung der Entwicklung alternativer

Perspektiven, aber auch nach entsprechenden Einschränkungen und Ausgrenzungen dar. Gleichzeitig richtet sich die Forschungsperspektive auf Potentiale der sozialen Veränderung im Beteiligungsprozess sowohl im Hinblick auf die Gestaltung des jeweiligen Möglichkeitsraums als auch in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht. Aus einer kindgerechten Perspektive betrachtet, stellt sich dabei die Frage, wie es jeweils zu einer Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen kommen kann.

Leiprecht beschreibt beispielsweise das bürgerliche Subjekt als ideologische Konstruktion. Er zeigt auf, dass gesellschaftliche Verhältnisse den Möglichkeitsraum rahmen und auch einschränken können. Dabei führen z.B. Strukturen oder Institutionen zu „bestimmten sozialen Positionierungen und Möglichkeitsräumen“

(Leiprecht 2013, S. 186 ff.).

Leiprecht spricht in diesem Zusammenhang von Subjektformierung statt von Subjektivierung. Er möchte zwar weiterhin von einem prozessbezogenen Begriff ausgehen, entdeckt aber im Begriff Subjektivierung das Problem, das hierdurch ein

„Nicht-Subjekt“ vorgestellt werden kann. Dieses kann für das jeweilige Subjekt Exklusion, Unterdrückung und Nicht-Anerkennung nach sich ziehen. Mit dem Begriff der Subjektformierung erkennt Leiprecht die Möglichkeit, den komplexen Prozess das Doing-Subjekt (Eigenbegriff), also den machtvollen Prozess, Subjekte in eine bestimmte Form zu bringen, zu analysieren. Gerade bei Kindern wird das Subjekt-Sein immer wieder in Frage gestellt.

Leiprecht beschreibt dabei für das Subjekt verschiedene Dimensionen. Zunächst macht er deutlich, dass es sich bei dem Subjekt-Begriff um einen Begriff für individuelle Menschen-Subjekte handeln muss. Kollektive Subjekte oder ‚Super-Subjekte‘ schätzt er als problematisch ein, da mit solchen Vorstellungen so getan wird, als ob es sich bei Kollektiven oder ‚Groß-Gruppen‘ (die Amerikaner, die Männer, der Verein xy, die Partei xy etc.) um einheitliche Größen handelt, die ‚nach innen‘ nicht durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteur*innen gebildet werden (vgl. Leiprecht 1990, S. 33 ff.).

Für die individuellen Menschen-Subjekte wiederum weist er auf widersprüchliche Konstellationen hin, denen zufolge das Subjekt gleichzeitig außengeleitet und eigensinnig, fremdbestimmt und selbstbestimmt, unterworfen und widerständig, bestimmt und bestimmend oder unterdrückt und unterdrückend sein kann (vgl.

Leiprecht 2013, S. 186 ff.). In seiner Betrachtung zum Möglichkeitsraum (nach Holz-kamp) zeigt er zudem, dass als Phänomene zum Beispiel zwar eher um ‚materielle‘

Leiber oder eher um ‚diskursive‘ Körper gehen kann, dennoch aber insgesamt soziale Konstruktionen innerhalb von Wissensordnungen von großer Bedeutung sind. Zudem macht er darauf aufmerksam, dass Subjekte interpretierend ‚ihre‘ Welt wahrnehmen und deuten und sich zu den jeweiligen Verhältnissen und Diskursen, aber auch eigenen psychischen Mustern potenziell reflexiv verhalten können.

Neben einer kritischen Perspektive auf die empirischen Phänomene (Strukturen, Repräsentationen und subjektives Handeln) und die damit verbundenen Differenzierungs-, Ein- und Ausgrenzungsprozesse bedarf es auch der kritischen Perspektive und der Rekonstruktion der in der Forschung jeweils verwendeten Kategorien. Subjektorientierung bedeutet somit in der Forschung, die Rekonstruktion subjektiver Sinnwelten zu verstehen, die vorhandenen Strukturen zu deuten und im jeweiligen Kontext die konkrete Situation durch eine theoriebezogene Analyse zu interpretieren.

Ein Fokus liegt dabei in meiner Forschungsarbeit auf den Strategien des Subjekts innerhalb der strukturellen Bedingungen von Selbstorganisation (siehe Kap. 3) und wie sie ihre Handlungsmöglichkeiten umsetzen (vgl. Holzkamp 1983, S. 550 ff.) und erweitern, und somit auch neue Möglichkeitsräume schaffen.

Diese kann – so meine Hoffnung – neue und unerwartete Erkenntnisse zu subjektiven Handlungspraktiken von Subjekten und den jeweiligen Anforderungen und Zu-mutungen, aber auch Ermöglichungen im Kontext von strukturellen Rahmenbedingungen. Dabei dient der Ansatz des subjektiven Möglichkeitsraumes dazu, die Kategorie Agency in meiner Forschungsarbeit zu konkretisieren und dabei die methodologischen und komplexen Denkmodelle hinsichtlich des empirischen Datenmaterials in eine komplexe theoriebezogene Kontextualisierung einzuordnen.

Die Subjektorientierung mitsamt der Perspektive von Subjektformierung nach Leiprecht versucht, die gesellschaftlichen Bedingungen in dem Forschungskontext der Wahrnehmung bewusst zu machen, die Alltagsrealität bzw. Alltagspartizipation von Kindern und Jugendlichen und ihre subjektiven Empfindungen und Bewertungen zur Sprache zu bringen und zu verstärken.