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5. Qualitative Forschung

5.3. Auswertung der Interviews

5.3.1. Ethnic communities in Kärnten

Menschen die ihre Heimat verlassen und in ein fremdes Land ziehen, lassen sich möglichst da nieder, wo auch Menschen aus ihrem Herkunftsland leben.

Sie folgen dem früheren Nachbarn, dem Bruder usw. So entstehen überall auf der Welt ethnic communities, Gemeinschaften derer, die aus demselben Herkunftsland stammen. Die Mehrheitsgesellschaft betrachtet solche Gruppenbildungen als Zeichen mangelnder Integrationsbereitschaft. Je größer diese ethnic communities werden, desto mehr baut man eigene Religionsgemeinschaften, Kulturvereine usw. auf. Ethnic communities sind eine wichtige Verbindung zur Aufnahmegesellschaft und eine Auffangstation für die Neuzuwanderer. Denn hier finden sie Antworten auf ihre Fragen, es ist ein Ort des Erfahrungsaustauschs (vgl. Beck-Gernsheim, 2004, S. 96-97).

Die Migrationsforscherin Annette Treibel schreibt:

„Die Neuankömmlinge, die sich alles in allem mehr für das Überleben als für Anpassungstheorien interessierten, konnten so dem >Horror der Entwurzelung< entgehen.“ (Beck-Gernsheim, 2004, S. 97).

Ethnic communities haben selbst für die zweite und dritte Generation noch eine große Bedeutung. Besonders wenn ihr Platz in der Gesellschaft noch immer unsicher ist und ihre Erinnerung an ihre Herkunftsgesellschaft allmählich verblasst.

94 Die Mehrheitsgesellschaft spricht genau von diesem Zwischenbereich, wenn sie von der Heimatlosigkeit und Entwurzelung der zweiten Generation spricht. Die zweite oder dritte Generation findet in der ethnic community Heranwachsende, ähnlichen Alters und ähnlicher Herkunft und es ist nicht verwunderlich das sie hier oft ihre Freundschaften finden (vgl. Beck-Gernsheim, S. 2004, S. 97).

Anatoli Rakhkochkine schreibt in einer Studie über Kinder von Aussiedlern:

„ (…) Sie haben einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund und ähnliche Lebensläufe. Für viele stellt dieser Zusammenschluß eine Art Ersatz für ihre ehemalige Heimat dar … In der neuen Welt brauchen die Kinder Ansprechpartner, mit denen sie Informationen und Erfahrungen austauschen können, die ihre Probleme verstehen. An die Lehrer und Sozialarbeiter können, sie sich häufig nicht wenden, weil diese ihre Lage nicht kennen und auch ihre Sprache nicht beherrschen. Da bieten sich die >Leidensgefährten< an.“ (Beck-Gernsheim, 2004, S. 98).

Auch meine Eltern haben damals mit anderen „Gastarbeitern“ in einem Haus zusammengelebt, wobei sich im Laufe der Zeit ein familiärer Zusammenhalt ergeben hat der noch bis heute anhält. Deswegen kennen ich und meine Freunde uns schon seit unserer frühesten Kindheit. Uns verbindet eine lebenslange Freundschaft und dennoch haben wir uns alle verschieden entwickelt. Wenige studierten/studieren, zwei besuchten eine mittlere Schule, manche machten eine Lehre oder haben sie abgebrochen, andere machten keinen Abschluss und sind arbeitslos und einer landete sogar im Gefängnis.

Wir sind alle zusammen aufgewachsen, hatten gleiche Chancen im Leben, aber trotzdem ist unser Leben anders verlaufen. Deswegen steckt meiner Meinung nach viel mehr dahinter, wie Erziehung, Charakter eines Menschen usw., als eine gute Integration, wie immer behauptet wird, um die Schul- und Ausbildungssituation der Migranten zu verbessern. Denn jeder von ihnen ist sehr gut integriert, spricht perfekt Deutsch usw. und dennoch sind manche auf die schiefe Bahn geraten.

95 Die Menschen aus Ex-Jugoslawien die nach Villach gekommen sind kannten sich, vor allem bevor der Bürgerkrieg in Bosnien und Herzegowina ausgebrochen ist, alle untereinander. Auch heute, obwohl es erheblich mehr Migranten/Innen aus Ex-Jugoslawien gibt als damals, kennt sich der Großteil der Migranten/Innen immer noch, man weiß woher die anderen kommen (Bosnien, Serbien, Kroatien) oft auch die Stadt dazu, kennt deren Kinder usw.

In Kärnten leben viele Migranten/Innen aus der Türkei, dennoch gab es türkische Diskos oder Cafés, soviel ich weiß, nie. Weil Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien in Kärnten die größte ethnic community aufgebaut haben schreibe ich über sie. Zu dieser Gruppe zählen hauptsächlich Bosnier, Serben, Kroaten, Mazedonier und Albaner die in Kärnten leben. Der Großteil von ihnen gehört einer der drei Religionsgemeinschaften an: bosniakische Muslime, serbisch-orthodoxe Christen und kroatische römisch-katholische Christen. Alle Migranten haben in Kärnten ihre eigene Glaubensgemeinschaft und es finden auch regelmäßig religiöse und kulturelle Treffen statt. Zu den religiösen und kulturellen Treffen gehe ich persönlich nie, doch das letzte, welches in Villach am 08.07.2011 im Volkshaus Pogöriach stattgefunden hat, habe ich mir für meine Arbeit angeschaut. Es war ein bosnisches Treffen welches von Vater und Sohn, die nebenberuflich als Musiker arbeiten, veranstaltet wurde. Da dieses Treffen sehr kurzfristig auf die Beine gestellt worden ist, sind nicht gerade viel Menschen gekommen. Es wurden ein paar Tage vorher Plakate in der muslimischen Glaubensgemeinschaft in Villach ausgehängt. Beginn war um 19:00 Uhr, Eintritt wurde keiner verlangt, jedoch konnte man freiwillig etwas spenden.

Es gab Live-Musik mit vier Musikern und einem Sänger. Der Sänger sang Lieder die übersetzt: „mein Haus in weiter Ferne, einmal im Jahr komme ich dich besuchen“ lauten. Was natürlich für viele wie die Faust aufs Auge passt.

Da es ein bosnisches Treffen war und Plakate in der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgehängt waren, war ich davon überzeugt, dass eher Menschen kommen würden die religiös ausgerichtet sind. Es kamen aber hauptsächlich junge Menschen und es gab lediglich eine ältere Frau mit einem Kopftuch. Obwohl es ein bosnisches Treffen war wurde das Kreuz an der Wand hängen gelassen, d.h. die Menschen akzeptieren und respektieren es.

96 Mich hat es sehr gefreut, dass auch zwei Österreicherinnen, ein Albaner, ein Kroate und zwei Serben gekommen sind. Eine Österreicherin hat mit einem Bosnier zusammen ein Lied gesungen, da sie bei Popstars mitmachen, war dies eine Art Training vor einem Publikum für die beiden. Sie erzählte mir, dass alle ihre Freunde Migranten sind und sie überhaupt kein Problem mit „Ausländern“

hat. Sie war mit ihren Freunden in Bosnien und würde jederzeit wieder mitfahren.

Nur ihre Mutter machte sich während ihres Urlaubes in Bosnien unbegründet Sorgen und hatte Angst. Die andere Österreicherin fühlte sich sichtlich unwohl und konnte es kaum erwarten die Veranstaltung wieder zu verlassen. Sie hatte bisher mit Migranten/Innen keinen großen Kontakt. Es gab keinen Alkohol, da im Islam Alkoholkonsum verboten ist. Dies führt bei solchen Veranstaltungen dann oft dazu, dass viele Alkohol in ihrem Auto lagern und dann „heimlich“ auf den Parkplätzen trinken. Denn die Mehrheit, jung und alt, trinkt Alkohol. Das nächste Treffen findet im Oktober statt, aber mit Alkohol haben die Veranstalter gesagt.

Nun möchte ich kurz über das Nachtleben in Villach berichten.

Villach ist für die jungen Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien vom ausgehen her der Haupttreffpunkt in Kärnten. Aus Klagenfurt, Spittal und sogar von Wolfsberg kommen Migranten nach Villach um hier auszugehen und um Migranten aus ihren Herkunftsländern oder den Herkunftsländern ihrer Eltern zu treffen. Manche Migranten die in Italien oder Slowenien leben kann man hier auch antreffen.

Vom heutigen Standpunkt aus gesehen gibt es in Villach mittlerweile mehr Diskos für diese Migranten Gruppe als für „Einheimische“ Österreicher.

Allein in Villach gibt es drei Diskos und fünf Cafés die relativ gut besucht sind.

Zwei Cafés werden hauptsächlich von älteren männlichen Migranten besucht.

Viele „Einheimische Österreicher“ halten von diesen Diskos und Cafés Abstand, da sie keinen Stress haben wollen, höre ich vor allem von den Männern immer wieder. Sie sind der Meinung, dass es sofort Stress geben würde, da die Ausländer so sind, sie machen immer Stress. In den Diskos wird Musik aus den Heimatländern gespielt und es finden auch oft Konzerte die von Stars aus dem Balkan abgehalten werden. Es ist ein Stück Heimat, welches man aber jedes Wochenende besuchen kann.

97 Aufgrund des Krieges in Bosnien, besteht noch immer bei vielen jungen Migranten/Innen eine Abneigung gegenüber anderen Nationen und Religionen.

Für die Mehrheitsgesellschaft sind es Migranten aus „Yugo“, sie selbst teilen sich aber wieder in weitere Gruppen ein. Dies kann man vor allem in der Disko beobachten. Hier die Bosnier, dort die Kroaten und drüben die Serben. Wenn Albaner, Mazedonier, Sinti oder Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Türken in der Disko vertreten sind, bilden diese auch eine eigene Gruppe. Dann heißt es von der Mehrheitsgesellschaft (alle Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien), hast „die Türken“, „die Albaner“ usw. gesehen. Hier klassifizieren und differenzieren die einen Migranten die anderen Migranten. Wenn man jemanden kennenlernt ist die erste Frage: Woher kommst du? Es wird grob gesagt von vornherein abgecheckt zu welcher Gruppe man gehört. Ich antworte manchmal aus Österreich, obwohl ich weiß, dass von vornherein das Herkunftsland meiner Eltern gemeint ist, die Antwort darauf, nein ich meine woher du richtig kommst. Ich kann also nicht aus Österreich kommen weil ich bosnisch sprechen kann. Die Frage woher man kommt, verfolgt einen Migranten aus der zweiten/dritten Generation mittlerweile aus beiden Seiten der Gesellschaft. Beim kennenlernen mit einem „Einheimischen Österreicher“, kommt sofort nachdem ich meinen Namen gesagt habe die Frage: Und woher kommst du?

Wenn ich in Bosnien bin dann brauche ich gar nichts zu sagen, sie sehen sofort dass ich im Ausland lebe, wahrscheinlich an der Kleidung oder an dem Verhalten, schätze ich. In Bosnien heißt es dann: Ihr Österreicher! Finde ich irgendwie witzig, für Migranten in Österreich bin ich „Bosnierin“, für Österreicher

„Ausländerin“, in Bosnien „Österreicherin“.

Was man auch sehr deutlich beobachten kann, ist die Wahl der Partner bei der zweiten/dritten Generation. Hier spielt bei vielen vor allem die Religion und das Herkunftsland ihres zukünftigen Partners eine sehr wichtige Rolle. Die Religion ist wegen des Krieges in vielen Familien noch immer ein sehr heißes Thema.

Denn vielen Eltern ist es wichtig, dass ihr Kind eine(n) Partner/in findet der/die dieselbe Religion ausübt. Orthodox mit orthodox, katholisch mit katholisch und muslimisch mit muslimisch, daran halten viele fest.

98 Hier machen vor allem die Eltern durch ihr engstirniges Denken große Fehler.

Vor allem ist es absurd zu glauben, dass ein Kind, welches in Österreich mit so vielen Nationen aufwächst, einen Partner wählt der dieselben Wurzeln und vor allem dieselbe Religion hat. Viele, vor allem Frauen, lehnen es sowieso schon von vornherein ab z.B.: mit einem „Österreicher“ eine Beziehung einzugehen. Von vielen wird behauptet, dass die Österreicher eine andere Mentalität haben und deswegen eine Beziehung nicht funktionieren würde. Natürlich trifft dies nicht bei jedem Migranten zu, aber die Mehrheit von ihnen wählt, obwohl sie vollkommen in Österreich integriert sind, dennoch eine(n) Partner/in aus dem Herkunftsland woher die eigenen Eltern stammen. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis kenne ich nur zwei Frauen die einen „Einheimischen Österreicher“ geheiratet haben. Beide kamen als Flüchtlinge nach Österreich und sind der Meinung, dass man mit einem Österreicher eine viel bessere Beziehung haben kann. Interessant ist die Partnerwahl bei mir und meinen Freundinnen, alle in Kärnten geboren und aufgewachsen, trotzdem stammen unsere Partner aus den Herkunftsländern unserer Eltern. Obwohl unsere Eltern demgegenüber sehr offen sind und überhaupt nichts dagegen hätten wenn wir eine Beziehung mit einem Österreicher eingehen würden.

Auffallend ist auch, dass viele die in Kärnten, in der zweiten/dritten Generation leben nur in den Diskos, in welchen Musik aus ihrem Herkunftsland gespielt wird, fortgehen und es von vornherein ablehnen eine „Einheimische“ Disko zu besuchen. Sie fühlen sich unter ihren Landsleuten einfach wohler, hören Musik aus ihren Herkunftsländern und unterhalten sich in ihrer Muttersprache. Dies ist anscheinend für viele wichtig, denn man hört oft wenn man z.B.: einen Vorschlag macht in eine „Einheimische“ Disko zu gehen, nein was soll ich denn da, da sind alles Österreicher und ich will unsere Musik hören.

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