• Keine Ergebnisse gefunden

Essen und Text .1 Essen in der Literatur

Doris Wagner

2 Präsentation einiger Untersuchungsfragen zur Kulinaristik

2.2 Essen und Text .1 Essen in der Literatur

In Texten aller Gattungen spielt Essen eine Rolle und wird häufig in die Hand-lung integriert. Ein bekanntes literarisches Beispiel, das dem Essen eine ausführ-liche Behandlung zukommen lässt, ist das Gedicht Schlaraffenland (entstanden 1530, ursprünglich Schlauraffenland) des Nürnberger Schusters Hans Sachs (1494–1576). Die ersten Verse werden hier zitiert:

Eine Gegend heißt Schlaraffenland, den faulen Leuten wohlbekannt; die liegt drei Meilen hinter Weihnachten. Ein Mensch, der dahinein will trachten, muß sich des großen Dings vermessen und durch einen Berg von Hirsebrei essen; der ist wohl dreier Meilen dick;

alsdann ist er im Augenblick im selbigen Schlaraffenland. Da hat er Speis und Trank zur Hand; da sind die Häuser gedeckt mit Fladen, mit Lebkuchen Tür und Fensterladen. Um jedes Haus geht rings ein Zaun, geflochten aus Bratwürsten braun; vom besten Weine sind die Bronnen, kommen einem selbst ins Maul geronnen. An den Tannen hängen süße Krapfen wie hierzulande die Tannenzapfen; auf Weidenbäumen Semmeln stehn, unten Bäche von Milch hergehn; in diese fallen sie hinab, daß jedermann zu essen hab.10

Bei der Bearbeitung dieses Untersuchungsfelds können die Situation und das Umfeld, in dem Speisen vorkommen, den Fokus bilden: Werden die Speisen benannt? Wenn ja, um welche Speisen handelt es sich, und in welchem Umfeld werden sie eingenommen? Auch kann nach Funktionsunterschieden des Essens

9 Eine ausführliche Erklärung zu den drei Namensvarianten sowie zur Herstellung und Verbreitung des Gebäcks gibt z. B. Mundt (2009, S. 1–3).

10 Modernisierte Fassung; zitiert nach http://gutenberg.spiegel.de [01.07.2017].

in verschiedenen Werken gefragt werden sowie nach der Art der Speisen in ver-schiedenen Gesellschaftsschichten und Epochen. Dabei ist es auch wichtig, die Versprachlichung der Handlungen im Umfeld des Essens zu untersuchen; dies gilt ggf. auch für die Dialoge. Welcher Stilebene gehört die Versprachlichung an?

Spiegelt die Stilebene das soziale Umfeld der Personen?

2.2.2 Präsentation von Essen in der Werbung

Ein Großteil der Werbung in den Medien bezieht sich auf Lebensmittel oder fertig zubereitete Speisen, häufig eingebettet in Gebrauchssituationen oder prä-sentiert in einem idealen Umfeld, das die Speisen und Getränke gut zur Geltung bringt. Dies ist häufig der Fall bei Kochzutaten, die während des Kochens von der Person, die das Essen zubereitet, ins Bild gerückt werden. Die restlichen Familienmitglieder, in der Regel gut gekleidet und sichtbar gut gelaunt, sitzen währenddessen in einer aufgeräumten, hellen Küche und warten auf das Essen.

Es wäre zu untersuchen, auf welche Weise Lebensmittel visuell und sprachlich präsentiert werden. Werden dabei Unterschiede sichtbar, zum Beispiel zwischen der Präsentation von preiswerten oder teuren, edlen Produkten? Wann wird Humor eingesetzt? Gibt es bestimmte Marker, die einen kontrolliert biologi-schen Anbau der Lebensmittel bzw. eine kontrolliert biologische Aufzucht der Tiere suggerieren? Denkbar wäre auch zu untersuchen, ob es Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellung von ‚Landeskulturen‘ gibt, wenn ein und dasselbe Produkt beworben wird. Wenn ja: Worauf sind sie zurückzuführen?

Hier ermöglicht die Multimodalität von Werbung es, ggf. kulturübergreifende und möglicherweise kulturspezifische oder als kulturspezifisch dargestellte Phänomene zu betrachten.

2.2.3 Essen in Lehrwerken des Deutschen als Fremdsprache

In den Deutsch- als- Fremdsprache- Lehrwerken bemühen sich die Autoren, neben der Vermittlung von Wortschatz und Grammatik vor allem auch die Kultur der deutschsprachigen Länder (D- A-CH- L) zu vermitteln, darunter auch die Esskul-tur. Hier wäre interessant zu sehen, in welchem Rahmen Speisen und Lebensmittel vorgestellt werden: Handelt es sich um Auflistungen oder werden die Speisen in bestimmte Situationen (Restaurantbesuch, Frühstück usw.) integriert vorgestellt?

Handelt es sich um ‚typische‘ Speisen der deutschsprachigen Länder? Inwieweit werden Schulessen und Fast- Food berücksichtigt? Sind die vorgestellten Situatio-nen dem Alter der LerSituatio-nenden angemessen? Außerdem wäre es interessant, ggf.

vorhandene Unterschiede zwischen einzelnen Lehrwerken bzw. deren Reihen zu untersuchen, um etwaige Schwerpunkte zu ermitteln.

2.2.4 Dialektale und nationale Speisekarten

Im deutschen Kultur- und Sprachraum gibt es je nach Reichweite u. a. der 2. Laut-verschiebung, der Handelsbeziehungen, religiösen Zugehörigkeit, geographischen Lage und anderen Kriterien unterschiedliche Dialekte. So vielfältig wie die Dia-lekte sind, ist auch die regionale und lokale Esskultur. Nationalspeisen, wie sie für viele Länder selbstverständlich sind (wie in Finnland etwa Mämmi,11 eine Nach-speise, die zu Ostern gegessen wird), gibt es im deutschen Kulturraum nicht, auch wenn aus der Auslandsperspektive häufig z. B. Bratwurst, Eisbein oder Sauerkraut als ‚typisch deutsches‘ Essen wahrgenommen wird. Im deutschen Kulturraum dominieren regionale und lokale Speisen, auf die zumindest ein Teil der Zu-gehörigen einzelner Regionen sehr stolz ist.12 Dieser Stolz findet seinen Ausdruck auch auf Speisekarten, die im entsprechenden Dialekt gehalten sind. Zu fragen wäre, welche Dialekte benutzt werden und auf welche Weise die Verständlichkeit gewährleistet wird. Wird die Nennung von Speisen im Dialekt auf der Speisekarte mit einer hochdeutschen Erklärung versehen? Oder wird ein so genannter ge-mäßigter Dialekt benutzt, für den sich eine hochdeutsche Übertragung erübrigt?

Welche Funktion hat der Dialekt auf den Speisekarten? Gibt es dominierende Dialekte? Wenn ja, welche – und was sind die Gründe dafür?

2.2.5 Fremdeinflüsse auf Speisekarten

In vielen deutschen Restaurants werden Gerichte angeboten, bei denen die verwen-deten Zutaten genannt werden, aus denen sie sich zusammensetzen. Immer häufiger handelt es sich dabei um Lebensmittel aus anderen Kulturen. Auf der Speisekarte des Bistros Brotzeit13 fand sich bei Abruf des Links am 19. Mai 2017 zum Beispiel unter den Salaten eine Kreation mit „Proschutto [sic!] Crudo und Mozarella“.14 Bei solchen Mischungen nicht- nativer und einheimischer Bezeichnungen stellt sich die Frage nach der Benennung dieser Lebensmittel: Bekommen sie eine deutsche Bezeichnung oder bleibt der Begriff der Originalsprache erhalten? Wird er gram-matisch und phonetisch angepasst? Sind es nur einzelne Lebensmittel, die aus einer

11 Mämmi besteht in der Hauptsache aus Roggenmehl und wird mit Zucker oder Sahne gegessen.

12 Vgl. etwa die Speisekarte des Restaurants Die Saarlänner im Rebenhof (St. Ingbert), dessen Speisekarte vollständig im saarländischen Dialekt verfasst ist; siehe http://

saarlaenner–igb.de/speisekarte [01.07.2017].

13 Vgl. www.gaeubodenbaecker.de; Link in dieser Form nicht mehr aktuell; s. o.

14 Mittlerweile wurde die Speisekarte geändert und auch die Wortform „Proschutto“

korrekt als „Prosciutto“ angegeben.

anderen Kultur stammen und auch so heißen oder werden ganze Gerichte mit frem-den Bezeichnungen versehen? Wenn sie erklärt werfrem-den, auf welche Weise geschieht dies? Warum übernehmen Restaurants fremde Bezeichnungen? Was sagt dies über das Restaurant, seinen Besitzer oder die Gäste aus? Gibt es bestimmte Länder oder Sprachen, aus denen besonders viele Speisen und Bezeichnungen übernommen werden? Wäre eine Übersetzung möglich und wenn ja, warum wird sie häufig nicht verwendet? Wie hat sich die Restaurantlandschaft samt den angebotenen Gerichten über die Jahrzehnte verändert? Gibt es bestimmte Tendenzen?