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Doris Wagner

2 Präsentation einiger Untersuchungsfragen zur Kulinaristik

2.1 Essen und Sprache

2.1.1 Neue Speisen und ihre Bezeichnungen

Wenn in eine – auch über Sprache definierte – ‚Kultur‘ bisher unbekannte neue Obst- und Gemüsearten oder Nüsse und Samen importiert werden, müssen sie auch benannt werden. Nach welchen Kriterien geschieht dies? Sind es äußerliche Kriterien, z. B. die Form (Plattpfirsich) oder Farbe (rote vs. schwarze Johannesbeere)? Dient das Herkunftsland als Namensspender (Apfelsine – ‚Apfel aus China‘), der Geschmack (Sauerkirsche vs. Süßkirsche) oder das Umfeld, in dem sie wachsen (Walderdbeere vs. Gartenerdbeere)? Welche anderen Möglichkeiten zur Benennung werden noch genutzt? Häufig passiert es, dass bei der Einführung einer neuen Obst- oder Ge-müsesorte anfangs mehrere Bezeichnungen nebeneinander existieren, von denen sich letztendlich im offiziellen Sprachgebrauch nur eine oder zwei durchsetzen. Bei diesem Untersuchungsbereich bietet sich eine breite Untersuchungspalette an, um den Prozess der Benennung und Etablierung von Bezeichnungen herauszufinden.

Die einfachste Methode wäre, die Internet- Werbungen deutscher Läden über einen

längeren Zeitraum zu vergleichen um herauszufinden, welche Bezeichnungen an-fangs parallel existiert haben und welche sich letztendlich durchsetzen.

2.1.2 Das Essen im Phraseologismus

Im Deutschen ‚geht es‘ häufig ‚um die Wurst‘, das heißt ‚eine wichtige Ent-scheidung steht an; es geht ums Ganze; es wird ernst‘.3 Ausgehend von diesem Zitat lassen sich u. a. folgende Fragen formulieren: Welche Speisen werden in der

‚deutschen Kultur‘ in Phraseologismen thematisiert und wie häufig?4 Welche sind negativ, positiv oder neutral konnotiert? Was sagen diese Phraseologismen über die ‚Landeskultur‘ aus? Wann sind sie überhaupt entstanden? Sicher gibt es auch Phraseologismen, die besonders frequent sind, während andere nur marginal oder nur regional bekannt sind. Hier stellt sich auch die Frage, ob es Phraseologismen im Deutschen gibt, die in anderen Kulturen im parallelen Wortlaut und der glei-chen Bedeutung existieren oder in ähnlicher Form. Wenn ein Mensch oder eine Sache ‚nicht konsequent, uneindeutig […] oder nur eine halbe Sache ist‘, ist er bzw. sie im Deutschen ‚weder Fisch noch Fleisch‘,5 im Finnischen dagegen ‚weder Fisch noch Vogel‘.6 Worauf die Unterschiede im Wortschatz zurückzuführen sind und ob diese Phraseologismen in beiden Kulturen völlig gleichbedeutend sind, bleibt herauszufinden, zum Beispiel durch Wörterbuchvergleiche.

2.1.3 Übersetzung von kulturgebundenen Bezeichnungen

Eine Untersuchung kulturgebundener Speise- Bezeichnungen und ihrer Über-setzungen bietet sich an, um herauszufinden, warum die Entscheidung einmal

3 Vgl. die entsprechenden Einträge unter https://www.redensarten-index.de/suche.php [01.07.2017].

4 Zur Untersuchung von Häufigkeiten im Sprachsystem wird mit Korpora gearbeitet, um relevante und zuverlässige Ergebnisse zu bekommen. Hier bieten sich z. B. die Korpora an, die beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim erstellt und ständig aktualisiert werden. Für Untersuchungen sind diese Korpora elektronisch frei zugänglich unter:

http://www1.ids–mannheim.de/kl.html.

5 Vgl. etwa bei Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput XVII, wo es heißt: „Von jenem Kamaschenrittertum, / Das ekelhaft ein Gemisch ist, / Von goti-schem Wahn und modernem Lug, / Das weder Fleisch noch Fisch ist.“ (Heine 1991, S. 133). Heine dreht den Phraseologismus um, nennt das Fleisch zuerst und dann den Fisch. Die Semantik bleibt davon unberührt.

6 Vgl. die entsprechenden Einträge unter https://www.redensarten-index.de/suche.php [01.07.2017]. „En tiedä, onko hän kala vai lintu“ (‚Ich weiß nicht, ist er Fisch oder Vogel‘); www.suomisanakirja.fi [01.07.2017].

zugunsten des ‚fremden‘ Begriffs und einmal zugunsten der Zielsprache fällt.

Auch die Qualität der Übersetzungen könnte bewertet werden. Folgendes Beispiel verdeutlicht die Problematik: Der deutsche Discounter Lidl ist in vielen anderen Ländern zu finden, u. a. in Finnland. Für den finnischen Markt wird von Lidl jede Woche ein Anzeigenblatt mit Sonderangeboten herausgegeben, wobei es sich zum Teil um deutsche Produkte handelt, deren Bezeichnungen größtenteils ins Finnische übersetzt werden. Im Anzeigenblatt Oktoberfest vom 22.09.2015 wurden Produkte inseriert, die gewöhnlich in Deutschland zum Oktoberfest gegessen werden, u. a. Leberkäse. Dabei handelt es sich um eine in einer läng-lichen Form gebackene Fleischmasse, die heutzutage nur selten Leber, aber nie Käse enthält.7 Der Begriff Leberkäse wurde im Anzeigenblatt mit maksamakkara (‚Leberwurst‘) übersetzt – eine misslungene Übersetzung, zumal in Finnland wie auch in Deutschland mit Leberwurst eine in einer Pelle enthaltende Wurst-masse assoziiert wird. Statt Leberkäse zu übersetzen, wäre eine Umschreibung des Produktes wesentlich deutlicher gewesen. Der Begriff „Oktoberfest“, mit dem das Anzeigenblatt betitelt war, wurde hingegen nicht übersetzt. Es stellt sich die Frage, warum der eine Begriff unübersetzt bleibt und der andere irreführend übersetzt wird.8

2.1.4 Speisebegriffe mit Bezug zur deutschen Geschichte

In Deutschland gehört ein süßes Gebäck mit dem Namen Amerikaner zum Stan-dardprogramm vieler Bäcker (Mundt 2009, S. 3). Es besteht aus einem hellen Eierteig, der je zur Hälfte mit dunkler Schokolade und weißem Zuckerguss überzogen wird. Einer von mehreren unterschiedlichen Geschichten zufolge haben die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Gebäck als Black and White Cookie aus ihrem Heimatland mitgebracht; in Deutschland wurde kurzer-hand die Bezeichnung „Amerikaner“ dafür gefunden. Einer anderen Erklärung zufolge wurde das Gebäck ursprünglich mit Hirschhornsalz gebacken, einem Gemisch aus Ammoniumhydrogencarbonat, Ammoniumcarbonat und

Am-7 Leberkäse: „landschaftlich, (besonders) süddeutsch Art Hackbraten aus sehr fein ge-wiegtem Kalbsfleisch oder Schweinefleisch, Speck und Gewürzen“; www.dwds.de/wb/

Leberkäse [01.07.2017]. Im Duden. Deutsches Universalwörterbuch hingegen heißt es:

„Gericht aus fein gehacktem Fleisch [u. gehackter Leber] mit Gewürzen, Speck, Eiern, das gebacken u. in Scheiben geschnitten [u. kurz gebraten] serviert wird“ (Duden-redaktion (Hrsg.) 2011, S. 1102).

8 Im Lidl– Anzeigenblatt Alpenfest vom 07.04.2016 wird das gleiche Produkt nur noch als Vuokamakkara ‚Formwurst‘ mit dem Zusatz „perinteinen eteläsaksalainen herkku“

(‚traditionelle süddeutsche Spezialität‘) beworben.

moniumcarbamat, weshalb man das Gebäck zunächst Ammoniakaner nannte, später dann Amerikaner.9 Die Herkunft des Namens sowie das erste Auftauchen des Gebäcks sind bis heute nicht belegt, warten also noch auf Aufklärung. Sicher ist nur, dass das Gebäck in ein militärgeschichtliches Umfeld gehört, ebenso wie das Gebäck Granatsplitter, das aus einem runden Mürbeteigfuß besteht, auf den eine Mischung von Kuchenresten, vermischt mit Butter, Schokolade und anderen Zutaten gespritzt und mit Schokoladenkuvertüre überzogen wird.

Mehrmals wurde versucht, das Gebäck aufgrund seines militärischen Namens umzubenennen, was aber nicht gelang. Die genaue Geschichte ist, wie beim Amerikaner auch, nicht geklärt. Auch das Kommissbrot gehört in dieses Un-tersuchungsgebiet. Zu fragen wäre bei allen Speisen, die mit der deutschen Militärgeschichte zusammenhängen, nach der Herkunft und den Motiven der Benennung.

2.2 Essen und Text