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Erneute Probleme am Arbeitsmarkt 1939

Im Dokument VORARLBERGER BOMBENGESCHÄFTE (Seite 51-58)

vor dem IIAnschluß 11

5. Der Arbeitsmarkt in der NS-Zeit

5.2. Erneute Probleme am Arbeitsmarkt 1939

Nach einer anfänglichen Entlastung des Vorarlberger Arbeits-marktes, gab es bald erneut Probleme. Hauptursache hierfür war die Dominanz der Textilindustrie des Landes. Dieses Strukturpro-blem hatte schon in den Jahrzehnten zuvor immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Da nun die reichsdeutsche Industrie schon größtenteils auf die Bedürfnisse des Krieges ausgerichtet war} mußten für die nicht kriegswichtige Textilindustrie Probleme entstehen. Zudem wurden durch die-außenpolitische Isolation Deutschlands wichtige Rohstoffe, etwa Baumwolle, knapp.

In einem Bericht der Wehrwirtschaftskommission wird genauer auf die Verhältnisse in Vorarlberg nach Kriegsbeginn eingegan-gen:

"In der Textilindustrie Vorarlbergs, die vom Beschäftigungsrück-gang am stärksten getroffen ist und in der vor Kriegsbe-ginn 13.000 Arbeiter beschäftigt waren, befinden sich noch rund 2.000 in Vollarbeit, rund 10.000 stehen gegenwärtig in Kurzarbeit (im Durchschnitt 30 Stunden in der Woche) und rund 1.500 mußten entlassen werden. Mit weiteren Entlassungen ist zu rechnen:'2

Neben der Salzburger Rüstungsinspektion XVIII befaßte sich die Innsbrucker Wehrwirtschaftsstelle in einem Bericht vom 30. Okto-ber 1939 mit der lage am VorarlOkto-berger Arbeitsmarkt:

"Helle Arbeitsräume - frohe Gesichter", so betitelten die NS-Propagan-disten dieses Bild aus der Wollgarnspinnerei Schoeller in Bregenz. Die Entlassungen ein Jahr später, 1939, dürften die Gesichter wieder recht rasch verdüstert haben.

"In Vorarlberg sind z. Zt. 10.129 Kurzarbeiter zu verzeichnen, die zwischen 28 bis 35 Wochenstunden arbeiten. 95 % hiervon ent-fallen auf die Textilindustrie .... Entlassen wurden bisher ca.

1.500 männliche Textilarbeiter. die durchwegs bei den III-Kraft-werken wieder eingesetzt wurden."3

So gab die Wollgarnspinnerei Schoeller in Bregenz dem dorti-gen Arbeitsamt im Herbst 1939 bekannt. sie leide unter der stokenden Belieferung mit Rohstoffen und müsse - falls sich die Versorgung nicht verbessere - etwa 500 "Gefolgschaftsmit-glieder" entlassen:'

In Vorarlberg gab es eineinhalb Jahre nach dem "Anschluß"

wieder Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Besonders im Herbst 1939 wurde die Lage ernst. Einem Vertreter der Wehrwirtschaftsinspek-tion XVIII wurde am 5. September 1939 bei einem Besuch des Arbeitsamtes Bregenz mitgeteilt.

"daß in Vorarlberg eine starke Zunahme der Arbeitslosigkeit zu beobachten ist. infolge des Rückganges des Exportgeschäftes durch die derzeitigen Verhältnisse. Bes(onders) bei der Sticke-reiindustrie wirkt sich dies fühlbar aus, indem ca. 1.000 Leute, zum größten Teil Heimarbeiter, entlassen werden mußten."5 In der Tat wurde die Exportabhängigkeit der Textilindustrie - aber auch anderer Branchen - mit Kriegsbeginn eine wesentliche Ursache für die neuen Probleme. So mußte der Vertreter der Wehrwirtschaftsstelle Innsbruck am 9. September 1939 bei einem Besuch in der Firma Johann Wolft. Formstecherei. in Hard zur Kenntnis nehmen, daß die Firma, die bisher praktisch ausschließ-lich für den Export nach England gearbeitet hatte, ihre 70 Be-schäftigten binnen einer Woche entlassen müsse, wenn sie nicht umgehend mit Wehrmachtsaufträgen bedacht werde.6

Zehn der 70 Beschäftigten wurden daraufhin einberufen, zehn weitere waren noch in der Firma mit der Abwicklung von letzten Auslandsaufträgen betraut. die restlichen 50 wurden beurlaubt und vom Arbeitsamt Bregenz an andere Firmen verpflichtet. So mußten 16 als Hilfsarbeiter beim Straßenbau tätig werden, 20 fan-den in der Vorarlberger Kammgarnspinnrei in Hard Beschäfti-gung, die restlichen wurden in der Landwirtschaft oder beim Fernsprechamt eingesetzt. Einige standen schließlich auch in Be-reitschaft für eine geplante Fertigung von Vorlegeklötzen bzw.

die Verarbeitung von Geschossen.7

Die Firma Johann Schwärzler in Hard hatte zwar

Wehrmachts-aufträge zur Fertigung von Feldwagen erhalten und weitere Auf-träge ebenfalls für Vorlegeklötze und die Fertigung von Geschos-sen in Aussicht von der "Gefolgschaft" waren aber schon acht zur Wehrmacht einberufen worden und weitere 30 im Straßen-bau beschäftigt. Nur zwölf der ehemals 60 Beschäftigten, so be-richtete die Wehrwirtschaftsstelle in Innsbruck. seien für die künfti-ge Produktion "sicherzustellen".8

In den beiden angeführten Beispielen ließen sich die Schwie-rigkeiten der Betriebe durch Wehrmachtsaufträge wenigstens mildern. Der bei vielen anderen Betrieben in der Bauwirtschaft und in der Landwirtschaft noch vorhandene Arbeitskräftebedarf ließ vorerst die Probleme am Arbeitsmarkt nicht allzu groß wer-den. Die Rüstungsinspektion des für das Land zuständigen Wehr-kreises XVIII meldete am 8. November 1939:

"Der Beschäftigungsrückgang in der Textil- und Lederindustrie

"Eine Burg der Gemeinschaft" nannte die Kennelbacher Textilfirma Schindler ihr im Mai 1939 eröffnetes "Kameradschaftshaus" - das erste im ganzen Gau Tirol-Vorarlberg. Im Herbst desselben Jahres wur-den 170 Arbeitskräfte aus der "Burg" - so nannte man auch das Fabriks-gebäude - entlassen.

sowie bei einzelnen Betrieben der eisenverarbeitenden und Metall-Industrie hat zu Arbeiterentlassungen geführt. Die Ar-beitsämter waren in der lage, die frei gewordenen Arbeits-kräfte sofort wieder anderweitig unterzubringen:'9

"Anderweitig" bedeutete in vielen Fällen die zwangsweise Dienst-verpflichtung an einen Arbeitsplatz in Norddeutschland oder an eine Baustelle in der Silvretta.1O Die Unruhen wegen dieser Dienst-verpflichtungen waren in Vorarlberg von den Behörden nur schwer in den Griff zu bekommen, teilweise gab es offenen Widerstand.11

Alle Arbeiter konnten nicht vermittelt werden. So hatte allein die Firma F. M. Hämmerle in Dornbirn mit Kriegsbeginn etwa 400 Arbeitskräften gekündigt, die Firma Franz M. Rhomberg etwa 200, 100 davon im Werk Rankweil, die Kammgarnspinnerei Schoeller in Bregenz hatte 150 Arbeiter und Arbeiterinnen "freigesetzt" und weitere Entlassungen angekündigt, bei den Textilwerken Schind-ler & Co. standen weitere 170 Entlassungen unmittelbar bevor.

In kaum einem Betrieb wurde zu diesem Zeitpunkt voll gear-beitet. In vielen war Kurzarbeit die einzige Möglichkeit, Entlassun-gen größeren Ausmaßes vorläufig zu verhindern. So war im Spät-herbst 1939 die Firma Franz M. Rhomberg in der Spinnerei nur noch zu 75 Prozent ausgelastet, die Weberei arbeitete nur noch mit 50 Prozent der vollen Kapazität. In der Firma Carl Ganahl

& Co. wurde durchschnittlich noch 30 Stunden pro Woche gear-beitet, in den Textilwerken Schindler & Co. 36 Stunden - 30 Stun-den waren bereits vorgesehen -, bei Wilhelm Bengers Söhne 35 Stunden, die Hälfte davon für Wehrmachtsaufträge, bei Herrbur-ger und Rhomberg 30. Stunden. Die Kammgarnspinnerei Schoel-ler beschäftigte ihre Arbeiter durchschnittlich noch 28 Stunden in der Woche, und auch in den anderen Vorarlberger Textilbetrie-ben sah die lage nicht viel besser aus.12

Effektiv arbeitslos waren Anfang November 1939 in Vorarlberg allein 665 oder knapp sieben Prozent der Textilarbeiter/innen, weitere Entlassungen - so meldete die Wehrwirtschaftsstelle Inns-bruck am 4. November 1939 - seien spätestens für den Dezem-ber desselben Jahres zu erwarten:

"Da in der Bauwirtschaft weiterhin Bedarf an Arbeitskräften vorhanden ist, können eventuell noch in nächster Zeit zur Entlas-sung kommende Männer untergebracht werden. Die Vermitt-lung weiblicher freier Arbeitskräfte ist schwieriger."13

Zur selben Zeit kam es unter der Arbeiterschaft des landes ver-stärkt zu Unmutsbekundungen, die von den Behörden sorgfältig beobachtet wurden. Der Gendarmerieposten Bregenz berichte-te beispielsweise am 11. Oktober 1939 der Kreisleitung in Bregenz:

"Die durch die gegenwärtigen Verhältnisse notwendig gewor-dene Entlassung von vielen Arbeitern und Arbeiterinnen. aus manchen Textilbetrieben und die Einführung von Kurzarbeit hatte für die betroffenen Volksgenossen meistens auch eine ziemliche Verringerung des Einkommens zur Folge. Diese Tat-sachen werden in der Arbeiterschaft vielfach besprochen und tragen meistens nicht zur Besserung der Stimmung bei:'14 Nicht nur die Textilarbeiter waren von Entlassungen und Kurzar-beit betroffen und somit unzufrieden. Auch bei anderen Betrie-ben rumorte es in der "Gefolgschaft". So meldete der Direktor der Bregenzer Firma Electricus-Volta an die Wehrwirtschaftsstelle Innsbruck Anfang November 1939, in seinem Betrieb sei der

"Arbeitsfrieden ... durch den Mangel an Kriegsautträgen gefährdet". Der Direktor hatte vorher mit allen Mitteln versucht, Entlassungen trotz fehlender Aufträge zu vermeiden, da er mit Kriegsaufträgen rechnete. Mit Kriegsbeginn hatten Reichsbahn und Reichspost massiv versucht, leute aus dieser Firma anzuwer-ben, zum Teil war ihnen sogar eine Anstellung im Beamtenver-hältnis in Aussicht gestellt worden. Nachdem sie aber aufgrund der Versprechungen des Direktors größtenteils in der Firma ge-blieben und jetzt von Kurzarbeit und Entlassung bedroht waren, war die "Stimmung in seinem Betrieb" - wie der Bericht ver-merkt - "erheblich beeinträchtigt".15

Die Umstellung vieler Firmen auf Munitions- und Waffenferti-gung sowie Dienstverpflichtungen entspannten zu Beginn des Jahres 1940 die lage am Arbeitsmarkt wieder etwas. Durch Ein-berufungen wurden zudem für viele Frauen Arbeitsplätze frei.

Trotz der Probleme am Arbeitsmarkt wurde 1939 die Basis für eine weitere Ansiedlung größtenteils unqualifizierter Arbeitskräfte im land geschaffen: durch den Bau von Südtiroler-Siedlungen.

Vorarlberg war ja -ursprünglich in einem geringen Ausmaß für die Ansiedlung der Optanten vorgesehen gewesen. lediglich auf Grund der leistungsfähigkeit der verantwortlichen Siedlungsge-sellschaft - der VOGEWOSI - kam es dann zu einem weit stärke-ren Zuzug von Südtirolern als zuerst geplant.

Die Textilindustrie war an diesen Arbeitskräften langfristig

in-teressiert und am Bau der Siedlungen beteiligt: Die VOGEWOSI war eine Gründung des landes Vorarlberg und - wie das Vor-arlberger Tagblatt im März 1939 berichtete - "einer Anzahl größe-rer bodenständiger Industrieunternehmungen". Ziel des Unterneh-mens war die "großzügige Schaffung von Arbeiter-Wohnstätten im lande Vorarlberg".16 Von den 265.000,- Reichsmark Stammka-pital der Gesellschaft waren RM 105.300,- im Besitz der 15 größ-ten Vorarlberger Textilunternehmen, die restlichen RM 150.000,- im Besitz des landes.17

Nach den ursprünglichen Plänen sollte es in allen Vorarlberger Gemeinden zusammen nur insgesamt 300 Wohnungen für Südti-roler geben. Gebaut wurden dann aber etwa 2.300, und diese wurden genau dort errichtet wo es die größten Textilbetriebe gab: 960 in Bregenz und 596 in Dornbirn, die restlichen in ande-ren Gemeinden mit dominieande-render Textilindustrie wie Feldkirch, Hard, Hohenems oder Götzis. Auch in lustenau entstand eine Siedlung mit 101 Wohnungen. Sie erwies sich aber als Fehlpla-nung, weil die in der Gemeinde vorherrschende Stickerei-Indu-strie damals keinen Bedarf an Hilfsarbeitern hatte. In diese Sied-lung zogen daher vornehmlich andere Personen ein: So wurden in ganz lustenau 1946 insgesamt nur 39 Südtiroler gezählt. In Bre-genz (mit Kennelbach und lochau) und Dornbirn - den mit Ab-stand größten Gemeinden Vorarlbergs - gab es mit 2.790 oder 10.1 Prozent und 2.011 oder genau 10 Prozent der Wohnbevölkerung absolut und prozentuell die meisten Südtiroler.18

Auch ein Blick auf das Qualifikationsniveau der nach Vorarl-berg eingewanderten Südtiroler beweist daß die Ansiedlung sich am Arbeitskräftebedarf vor allem der Textilwirtschaft orientierte.

Zieht man von den nach 1945 eingebürgerten Optanten die Hausfrauen und Rentner ab, so waren 82,9 Prozent aller erfaßten Personen Arbeiter, nur 9,5 Prozent waren selbständige Bauern, Gewerbetreibende, Kaufleute, Geistliche, höhere und mittlere An-gestellte. Der Rest figuriert in der Statistik unter "Andere". Peter Meusburger beschreibt diese Optanten folgendermaßen:

"Die Südtiroler Umsiedler. die nach Vorarlberg gekommen sind, waren arme Taglöhner und besitzlose landwirtschaftliche Hilfsarbeiter aus dem Vinschgau und aus dem Pustertal. Diese Bevölkerungsschichten erhofften sich durch die Abwanderung nach Vorarlberg einen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg.

Bauern, Handels- und Gewerbetreibende sowie Hausbesitzer

im allgemeinen waren unter den Abwanderern der ersten zwei Jahre nur sehr selten anzutreffen:'19

Selbständige Bauern, Handwerker oder Kaufleute waren in Vor-arlberg nicht vonnöten. Die Textilindustrie brauchte nur niedrig qualifizierte Arbeitskräfte - und die kamen im Zuge der Option massenhaft ins Land. Die VOGEWOSI - hinter der ja die großen Textilfirmen standen - verrichtete ihre außergewöhnliche Bautä-tigkeit also durchaus im langfristigen Interesse der Großunterneh-men.

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