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Die Ausgangslage

Im Dokument VORARLBERGER BOMBENGESCHÄFTE (Seite 24-28)

4.1. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik bis zum Mörz 1938

Die österreichische Wirtschaftspolitik zu Beginn und Mitte der dreißiger Jahre hatte eindeutige Prioritäten. Dieter Stiefel hat sie jüngst folgendermaßen beschrieben:

"Das vorrangige Ziel dieser Wirtschaftspolitik war nicht der Wiederaufschwung nach der Weltwirtschaftskrise, sondern die Stabilisierung des politischen Status quo angesichts der Bedro-hung durch politisch dynamische Kräfte von rechts und links:'1 Mit dieser Wirtschaftspolitik unzufrieden waren viele Vertreter der Industrie, die schon zu Beginn der dreißiger Jahre mehrheitlich den Anschluß an den großen und dynamischeren deutschen Wirtschaftsraum suchten. Nur ganz wenige Industriezweige wa-ren beispielsweise gegen den "Zollunionsplan" im Jahre 1931.2

Die These von der Durchdringung der österreichischen Indu-strie durch das deutsche Finanzkapital, die in den siebziger Jah-ren vorgeherrscht haP ist zwar inzwischen überzeugend wider-legt worden.4 Die großdeutsche Einstellung eines großen Teiles der österreichischen Industriellen hingegen ist unbestritten. Das gilt auch für Vorarlberg.

Das Land war und ist ein Zentrum der österreichischen Textilin-dustrie. Diese wurde österreichweit zu Beginn der dreißiger Jahre voll von der Weltwirtschaftskrise erfaßt. Nicht so in Vorarlberg:

Hier gelang es den großen Unternehmern, durch Rationalisie-rungsmaßnahmen die Produktivität ihrer Betriebe drastisch zu er-höhen. Während es beispielsweise zu Beginn der zwanziger Jah-re im Land erst 3.516 Webstühle gab, waJah-ren es 1929 schon 4.532 und 1936 trotz der Krise in der Textilindustrie bereits 5.515 oder um 64 Prozent mehr als 1922. Besonders die Großfirmen des Landes verzeichneten damals eine starke Kapazitätsausweitung - auf Kosten der innerösterreichischen Konkurrenz.

Speziell die größte Firma des Landes, F. M. Hämmerle, expan-dierte in dieser Zeit und erwarb in Meersburg am deutschen Bodenseeufer sogar eine Weberei. Gleichzeitig wurden in Dornbirn Weber entlassen.5 Aber auch die Firmen Getzner,

Mut-ter &. Cie., die Textilwerke Schindler, Carl Ganahl &. Co., Ing.

R. Kastner, Franz M. Rhomberg und die Hohenemser Weberei und Druckerei hatten nach der Weltwirtschattskrisegrößere Kapazitä-ten zur Verfügung als 1929 oder gar 1922. Bei den Spinnereien des Landes zeichnete sich eine ähnliche Entwicklung ab:

"Dabei fällt auf, daß diese Zunahme gerade im Krisen-jahr 1931 stattfand, zu einer Zeit, als sich die Zahl der Spindeln österreichweit stark verringerte. Der Anteil Vorarlbergs an der österreichischen Baumwollgarnproduktion stieg daher von durchschnittlich 20 % in den Jahren 1921 bis 1927 auf 27,9 % 1934 . ... Da die Zahl der Spindeln sich von 1932 bis 1936 nicht mehr erhöhte, die Garnerzeugung in den Vorarlberger Baumwoll-spinnereien jedoch von 5.311 Tonnen 1930 um 94 Prozent auf 10.302 Tonnen 1936 stieg, muß angenommen werden, daß die Vorarlberger Textilindustrie in der Krise große Modernisie-rungs- und Rationalisierungsinvestitionen tätigte - es war die Zeit der beginnenden Automatisierung."6

Zur selben Zeit gab es im Land bis dahin unbekannt hohe Arbeitslosenziffern und Kurzarbeit - speziell in der Textilindustrie, wo nach einer Schätzung etwa ein Drittel aller Arbeitskrätte be-troffen war. Die Volkszählung von 1934 - der Höhepunkt der Kri-se war bereits überschritten - ergab, daß es in dieKri-sem Bereich im Land insgesamt 1.024 in Stellung befindliche Angestellte und 7.695 in Stellung befindliche Arbeiter gab, 48 Angestellte und 1.220 Arbeiter waren offiziell als arbeitslos ausgewiesen. Diesen müssen die statistisch nicht ausgewiesenen Kurzarbeiter und Aus-gesteuerten hinzugerechnet werden.

Insgesamt gab es in Vorarlberg im März 1934 genau 8.275 in Stellung befindliche Angestellte und 24.427 Arbeiter. 668 Ange-stellte und 8.125 Arbeiter waren offiziell als arbeitslos ausgewie-sen?

In dieser Situation nahm der politische Druck der größtenteils nationalsozialistisch eingestellten Vorarlberger Textilunternehmer auf die austrofaschistischen Machthaber und auf die Arbeiter-schaft der Betriebe enorm zu. Mißliebige Arbeiter - auch Ange-hörige der Heimwehren und der Vaterländischen Front - wurden entlassen, arbeitslose Nationalsozialisten eingestellt.8

Die Behörden taten nur wenig, um der Arbeitslosigkeit im Land entgegenzuarbeiten. Vereinzelte Wasserbauprojekte, wie Entwäs-serungsgräben und Bachregulierungen, ein Projekt des

"Freiwilli-gen Arbeitsdienstes'''} zur Wildbachverbauung oder ein Straßen-bauprojekt im Arlberg- und Tannberggebiet kurbelten die dar-niederliegende Bauwirtschaft nicht oder nur ungenügend an. Zu Großprojekten etwa im Bereich der Elektrizitätswirtschaft konnten sich die Machthaber nicht entschließen.lO

Auch gesamtösterreichisch konnten die von 1933 bis 1935 groß angekündigten "Arbeitsbeschaffungsprogramme" die wahre lage am Arbeitsmarkt nur propagandistisch etwas verdecken.

Ab 1936 hingegen fiel auch das weg: Die Regierung bekannte sich offen zur Einstellung "aller öffentlichen Investitionen". um den Schilling "hart" zu belassen und das Budget ausgeglichen zu ge-stalten.ll

Sogar das bürgerliche Österreichische Institut für Konjunkturfor-schung stellte 1933 fest daß die Produktion rascher gestiegen war.

als die Arbeitslosenzahlen abnahmen. weil die Mehrproduktion zum Teil sogar durch eine Verlängerung der Arbeitszeit erzielt wurde. Insgesamt kann daher wohl Werner Dreier zugestimmt werden. der in bezug auf die vor 1938 beziehungsweise 1934 be-triebene Wirtschaftspolitik zu folgenden Schlüssen kommt:

"Die in Bund und land regierenden Christlichsozialen begriffen nicht daß der Krise entgegengesteuert werden mußte. Sie ta-ten nicht nur nichts zur Schaffung von Nachfrage. sondern kürzten die Gehälter im öffentlichen Dienst sowie die diversen Unterstützungszahlungen und dünnten damit die Kaufkraft noch mehr aus. Sie gingen auch auf sozialdemokratische Vor-schläge zur Arbeitszeitverkürzung nicht ein, sondern ließen so-gar Überstunden ZU."12

Daß sich ~ach der Ausschaltung der Sozialdemokratie im Febru-ar 1934 an dieser Politik kaum etwas änderte, braucht wohl nicht eigens betont zu werden.

Siegfried Mattl beschreibt die auf die Wirtschaft abzielenden Maßnahmen der damaligen Regierung als "Politik der Passivität"

und ortet unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Kurs bei verschiedenen Interessengruppen. Während die Banken und die. Bürokratie das Dogma der Währungsstabilität und des aus-geglichener; Budgets hochhielten, war die Industrie verständli-cherweise gegenteiliger Ansicht und hätte eine durch öffentliche Aufträge herbeigeführte "Staatskonjunktur" wie im nationalsozia-listischen Deutschland begrüßt.13

In Vorarlberg schlossen alle landeshaushalte ab 1925 bis in die

Die Ankurbelung der Wirtschaft durch staatliche Aufträge wurde in den dreißiger Jahren verabsäumt. Die Errichtung des Vermunt-Speichers (oben) war eines der letzten großen Bauvorhaben vor dem Beginn der NS-Zeit. Unten die Flexenstraße in den dreißiger Jahren. Sie wurde wie viele andere Straßen im Land in der NS-Zeit ausgebaut.

Zeit des Austrofaschismus mit Überschüssen ab. Zu Interventionen gegen die Arbeitslosigkeit kam es aber dennoch praktisch über-haupt nicht.14

In keiner Weise vermochten es die Machthaber vor 1938 auch in sozialpolitischer Hinsicht, die "Utopie eines Ständestaates" gegen die Erfordernisse und die Realität des Kapitalismus durchzusetzen:

"Der soziale Anspruch des Austrofaschismus war also sowohl durch die sozialpolitische Gesetzgebung als auch durch die so-zialpolitische Praxis der Unternehmer konterkariert worden."15

4.2. Wirtschaftliche und politische Strategien der

großen Textilunternehmen des Landes

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