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Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur

Im Dokument VORARLBERGER BOMBENGESCHÄFTE (Seite 68-77)

vor dem IIAnschluß 11

5. Der Arbeitsmarkt in der NS-Zeit

5.4. Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur

Führte die siebenjährige nationalsozialistische Herrschaft in Vor-arlberg zu einer Veränderung der Sozialstruktur? Wurde das Land wirtschaftlich und technisch "moderner"? Was bedeutet in die-sem Zusammenhang "Modernität"? Wie entwickelten sich die Beschäftigtenzahlen?

Im folgenden sollen anhand einiger Indikatoren Antworten auf diese Fragen versucht werden. Unter "Modernisierung" wird

dabei eine Entwicklung verstanden, die den höchsten technologi-schen und wirtschaftlichen Standard anstrebt. Ralf Dahrendorf hat bereits in den sechziger Jahren für die nationalsozialistische Herrschaft den Begriff der "gewaltsamen Modernisierung" ge-prägt. Angesichts der Probleme der Gegenwart wird man unter

"modern" natürlich anderes zu verstehen haben als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.l

Schauen wir uns zunächst die Entwicklung der Beschäftigten-zahlen an. Sie stiegen unmittelbar nach der nationalsozialisti-schen Machtübernahme gewaltig an. Es gelang in Vorarlberg während der NS-Zeit auch, durch den Zuzug von über 10.000 Süd-tirolern und den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern den kriegsbedingten Arbeitskräfteverlust infolge der wohl mehr als 30.000 Einberufungen zur Wehrmacht zumin-dest teilweise wettzumachen. Das belegt ein Blick in die Statistik?

Stichtag 31.3.1938 31.12.1940 31.3.1945 Angestellte männlich 2.850 3.011 2.662

weiblich 1.262 2.253 3.667

gesamt 4.112 5.264 6.329

Arbeiter männlich 11.004 15.804 14.881 weiblich 9.692 12.778 16.256 gesamt 20.696 28.582 31.137

Insgesamt 24.808 33.846 37.466

Fremdarbeiter männlich 5.160

weiblich 2.571

gesamt 7.731

Der· besseren Vergleichbarkeit wegen, sind in den obigen Zah-len nur die Beschäftigten in Industrie und Gewerbe berücksich-tigt, da Vergleichszahlen für die land- und Forstwirtschaft und die Beamten nicht eruierbar waren. Die angeführten Zahlen machen deutlich, wie· massiv die nationalsozialistische Herr-schaft den Arbeitsmarkt beeinflußte. Im Dezember 1940 gab es in Vorarlberg bereits um 36,4 Prozent mehr in Stellung befindliche Personen als im März 1938. Wegen des massiven Frauen- und Fremdarbeitereinsatzes konnte die Beschäftigtenzahl bis 1945

sogar noch gesteigert werden: Ende März 1945 gab es genau 51,0 Prozent mehr Beschäftigte als sieben Jahre zuvor.

Schauen wir uns die Zahlen im Detail an. Die NS-Z~rachte

vom März 1938 bis zum März 1945 einen bemerkenswerten An-stieg der Frauenbeschäftigung um 81,9 Prozent mit und 58,2 Pro-zent ohne Einbeziehung der Fremdarbeiterinnen. Angesichts der Erfordernisse der Kriegswirtschaft überrascht dies nicht.

In der NS-Zeit ging aber nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Veränderung der Frauenbeschäftigung vor sich. Während in diesen sieben Jahren die Zahl der männlichen Angestellten kriegsbedingt von 2.850 auf 2.662 oder um 6,6 Pro-zent sank, gab es bei den weiblichen Angestellten einen Anstieg von 1.262 auf 3.667 oder um 190,6 Prozent. Viele Frauen nützten also die beruflichen Chancen, um zumindest in mittlere betriebli-che Funktionen aufzusteigen.

Diese Entwicklung wurde nach Kriegsende jäh gestoppt, war aber vorerst nicht mehr ganz rückgängig zu machen. Ende Sep-tember 1945 gab es mit 2.551 weiblichen Angestellten immerhin noch um 102,1 Prozent mehr als im März 1938. Die Zahl der männ-lichen Angestellten war im selben Zeitraum um 7,2 Prozent auf 2.644 gefallen. Somit gab es im September 1945 immerhin nur geringfügig weniger weibliche als männliche Angestellte. Bis 1949 erhöhte sich dann die Zahl der Angestellten enorm auf 17.309, profitiert haben davon hauptsächlich die Männer:3

1938 stärker gestiegen als jene der Männer. Ihr Anteil an der Gesamt-zahl lag 1938 bei 30,7 Prozent, 1949 bei 31,3 Prozent. Damit war eine Veränderung wieder rückgängig gemacht worden, die sich in der NS-Zeit kriegsbedingt ergeben hatte. Damals allerdings gegen den vor 1938 ausgesprochenen Willen der Machthaber.

Adolf Hitler hatte zur Rolle der Frau im September 1934 erklärt:

,iWenn man sagt, die Welt des Mannes ist der Staat. die Welt des Mannes ist sein Ringen, die Einsatzbereitschaft tür die

Ge-meinschaft, so könnte man vielleicht sagen, daß die Welt der Frau eine kleinere sei. Denn ihre Welt ist ihr Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus ....

Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes, in sein Hauptgebiet eindringt, sondern wir emp-finden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschie-den bleiben."4

Den Nationalsozialisten war es dann vorbehalten, diese angeb-lich geschiedenen Welten im Krieg zusammenzuführen: Frauen stiegen beruflich verstärkt in mittlere Funktionen auf. Nach 1945 wurde diese Entwicklung wieder weitgehend rückgängig ge-macht - zumindest relativ gesehen.

Auch gesamtösterreichisch ist eine ähnliche Entwicklung fest-stellbar wie in Vorarlberg, allerdings bei weitem nicht im sei ben Ausmaß. Das gilt sowohl für die Zunahme des Anteils der Ange-stellten an der Gesamtbeschäftigtenzahl als auch für die

Zunah-Typisches Bild eines Büros in einem Dornbirner Unternehmen während des Krieges: Frauen nehmen die Arbeitsplätze von Männern ein. Das Foto wurde einem "Iieben Arbeitskameraden" samt 100 Zigaretten zur Erinnerung gesandt.

me der Frauenerwerbsarbeit. Vor 1938 war die Frauenerwerbs-arbeit jahrelang zurückgegangen.5 Die zunehmende Beschäfti-gung von Frauen in Erwerbsberufen war von den Nationalsoziali-sten ursprünglich nicht beabsichtig, im Zuge der Kriegswirtschaft aber notwendig. Von den Frauen wurde dies vielfach als Auf-stieg erlebt und dürfte somit herrschaftsstabilisierend gewirkt haben.

Die Beschäftigtenstruktur

Schauen wir uns den Wandel der Beschäftigtenstruktur in der NS-Zeit an. Die folgende Statistik stellt zwei Erhebungen aus den Jah-ren 1938 und 1948 gegenüber, die nur zum Teil vergleichbar sind.

Jene Angaben, die in der einen oder anderen Statistik nicht auf-scheinen, wurden dabei unter dem Begriff "Sonstige" zusammen-gezählt. Die wichtige Gruppe der in der landwirtschaft Tätigen

u'nd die Beamten wurden weggelassen, da diese zwar 1948, nicht

aber 1938 erfaßt wurde.6 Der Vorteil des Vergleichszeitrau-mes 1938 bis 1948 statt von 1938 bis 1945 liegt vor allem in der Tat-sache begründet, daß die Situation im Jahre 1945 wegen rü-stungswirtschattlich bedingter Disproportionalitäten in der Pro-duktion untypisch war. Der hohe Anteil an Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen würde das Bild zusätzlich verzerren. Bis 1948 -so darf angenommen werden - dürfte sich die Beschäftigten-struktur normalisiert haben.

Die nachfolgende Statistik zeigt eindrucksvoll, wie stark sich die Beschäftigungsstruktur des landes geändert hat. War 1938 noch fast jeder zweite unselbständig Erwerbstätige in der Textilbran-che tätig, so war es zehn Jahre später nicht einmal mehr jeder vierte. An Bedeutung gewonnen haben hauptsächlich die Eisen-und Metall- sowie die Bekleidungsindustrie. Gesamtösterrei-chisch war die Entwicklung ähnlich, wobei sie in den westlichen Bundesländern wesentlich rascher und intensiver verlief als in den östlichen und südlichen.7

Gesamtzahl der Beschäftigten in Vorarlberg nach Branchen (ohne Landwirtschaft und pragmatisierte Beamte)

31.3.1938 31.3.1948

Elektrizität. Gas, Wasser 476 1,9% 1.147 2,4%

Stein und Ton 231 0,9% 740 1,6%

Baugewerbe 2.278 9,2% 5.237 11,1%

Eisen und Metall 852 3,4% 3.867 8,2%

Holzindustrie 624 2,5% 2.543 5,4%

Lederindustrie 21 0,1% 243 0,5%

Textilindustrie 10.615 42,8% 10.504 22,2%

Bekleidungsindustrie 615 2,5% 3.044 6,4%

Papierindustrie 158 0,6% 360 0,8%

Graphische Industrie 218 0,9% 579 1,2%

Chemische Industrie 157 0,6% 468 1,0%

Nahrungs- und Genußmittel 2.547 10,3% 1.947 4,1%

Handel 1.539 6,2% 3.270 6,9%

Verkehr 52 0,2% 2.738 5,8%

Banken 283 1,1% 478 1,0%

Öffentlicher Dienst 1.237 5,0% 2.376 5,0%

Haushaltung 1.845 7,5% 2.872 6,1%

Sonstige 1.060 4,3% 4.858 10,3%

Gesamt 24.808 47.271

In den Bereichen Land- und Forstwirtschaft können wir die Zah-len von 1948 zwar nicht mit solchen aus dem Jahr 1938, dafür aber aus dem Jahre 1939 vergleichen. Im ersten Jahr der natio-nalsozialistischen Herrschaft aber - das muß betont werden - ha-ben bereits wesentliche Entwicklungen stattgefunden, sodaß diese Zahlen nur bedingt mit den obigen verglichen werden kön-nen.

Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschafts Mai 1939 März 1948

2.771 3.895

In der Land- und Forstwirtschaft nahm die Beschäftigtenzahl von März 1939 bis Mai 1948 um 40,6 Prozent zu. Diese Zunahme liegt deutlich unter der Gesamtzunahme um 90,5 Prozent an unselb-ständig Beschäftigten in Vorarlberg von 1938 bis 1948.

Ziehen wir auch Bilanz über jene gewaltige Völkerwanderung, von der Vorarlberg während des Zweiten Weltkrieges betroffen war. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte das Land noch einen

ge-waltigen Aderlaß hinnehmen müssen: Die Bevölkerung war von 150.205 im Jahre 1913 um 11,3 Prozent auf 133.212 im Jahre 1920 ge-sunken.9 Der Zweite Weltkrieg brachte eine gegenläufige Ent-wicklung.

Das war zum Teil auf bevölkerungspolitische Maßnahmen durch die NS-Machthaber zurückzuführen: Kindergeld, Ehesfandsdarle-hen, die Einrichtung von Kindergärten usw. erleichterten den Enf-schluß, Kinder zu bekommen. Wie erfolgreich diese Politik war, zeigt die folgende Tabelle:lO

Lebendgeborene

Jahr Vorarlberg Index Österreich Index

1937 2.655 100 86.351 100

1938 2.714 102 93.812 109

1939 3.654 138 137.835 160 1940 3.737 141 145.926 169 1941 3.636 137 135.398 157 1942 3.302 124 116.172 135 1943 3.440 130 122.443 142 1944 3.625 137 126.938 147

1945 2.478 93 101.369 117

Zum Zeitpunkt der Volkszählung am 17. Mai 1939 hatte Vor-arlberg 156.091 Einwohner, unmittelbar nach dem Ende der NS-Herrschaft sechs Jahre später sollen es etwa 240.000 gewesen sein, und am 10. August 1945 wurden bei einer Bevölkerungszäh-lung 200.847 oder um 28,7 Prozent mehr Einwohner als 1939 aus-gewiesen.ll

Wie war es zu diesem enormen Bevölkerungsanstieg gekom-men? Während des Krieges zogen bis Ende 1943 10.681 Südtiroler ins Land, von denen 1945 noch knapp 9.000 hier waren. Etliche Südtiroler Wehrmachtsangehörige kamen nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in den folgenden Monaten und Jahren nach Vorarlberg und nicht nach Südtirol. 1.014 Südtiroler kehrten offiziell als "Reoptanten" zurück, ähnlich viele dürften ille-gal zurückgekehrt oder in ein anderes Bundesland abgewan-dert sein. 1950/51 lebten 8.297 Südfiroler in Vorarlberg.12

Im August 1945 waren es noch 12.053 Österreicher, die es aus anderen Bundesländern nach Vorarlberg verschlagen hatte:

Bombenflüchtlinge, durch die Frontnähe gefährdete Personen, entlassene Kriegsgefangene, Arbeiter hierher verlagerter

Rü-stungsbetriebe usw. Von den damals immerhin 17.007 Reichsdeut-schen waren 13.057 aus ähnlichen Gründen wie die Österreicher seit dem 31. März 1938 ins land gekommen. Neben den Reichs-deutschen gab es offiziell 10.444 sonstige Ausländer im land.

9.125 von ihnen waren aus Kriegsgründen (Fremdarbeiter. Kriegs-gefangene usw.) nach Vorarlberg gekommen.13

Über 43.000 Südtiroler. während des Krieges nach Vorarlberg gekommene Österreicher. Reichsdeutsche und sonstige Auslän-der machten im Sommer 1945 zusammen einen Bevölkerungs-anteil von etwa 22 Prozent aus. Der Bevölkerungszuwachs Vorarlbergs von 1939 bis 1945 betrug etwa 45.000. Zieht man die zugewanderten 43.000 Personen ab. bleiben noch etwa 2.000 Personen "natürlichen" Bevölkerungszuwachses. Dieser dürfte in der NS-Zeit in Wirklichkeit noch höher gewesen sein:14

Bevölkerungsbewegung während der NS-Zeit

Jahr lebendgeborene Sterbefälle Geburtenüberschuß ohne Gefallene

1937 2.655 1.758 897

1938 2.714 1.937 777

1939 3.654 2;049 1.605

1940 3.737 1.923 1.814

1941 3.636 2.010 1.626

1942 3.302 1.862 1.440

1 943 3.440 1 .966 1 .474

1944 3.625 2.04115 1.584

1945 2.478 2.041 437

Geburtenüberschuß von 1938 bis 1945: 10.757

Der Bevölkerungszuwachs ohne Zuwanderung von etwa 2.000 er-gibt sich durch die Tatsache. daß man vom Geburtenüberschuß von 10.757 Personen die 7.739 Gefallenen der deutschen Wehr-macht.16 die in der obigen Statistik unter "Todesfälle" nicht auf-scheinen. abziehen muß. Der Rest von etwa 1.000 Personen dürfte auf statistische Ungenauigkeiten zurückzuführen sein. da die Angaben im Detail sehr häufig wenn auch meist geringfügig -differieren.17

Viele der oben angeführten 43.000 Menschen. die es während des Krieges nach Vorarlberg verschlagen hatte und die im August 1945 immer noch im land weilten. kehrten in den folgen-den Monaten und Jahren in ihre Heimat zurück. die meisten aber

Unter dem Motto "Schutz der Volkskraft" stand dieses Bild aus dem Werkskindergarten der Wollgarnspinnerei Schoeller: "Deutsche Arbeits-kinder" wurden im Betrieb versorgt, während die Mutter im Arbeitsein-satz war. Dadurch konnten die hohen GeblJrtenziffern gehalten werden.

dürften hiergeblieben sein. Im Dezember 1945 wurden in Vor-arlberg offiziell nur noch 186.386 Personen registriert - also um knapp 14.000 weniger als im August. Damit waren die meisten Rückkehrwilligen daheim. Bis in die fünfziger Jahre hinein zogen dann zwar immer noch Menschen aus dieser Personengruppe weg, der Rückstrom wurde aber durch heimkehrende Kriegsge-fangene und zuziehende Vertriebene mehr als wettgemacht. Iml Oktober 1948 hatte Vorarlberg schon wieder 191.743 Einwohner.18

Der gewaltige Bevölkerungszuwachs in Vorarlberg war einer-seits auf den Geburtenüberschuß zurückzuführen, anderereiner-seits auf enorme Wanderungsgewinne. Dieser Zuwachs korrespon-diert mit einer ähnlichen Entwicklung in Salzburg, Ober-österreich und Tirol.19

6. Die Entwicklung der wichtigsten

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