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2.3 Erkrankungen des Harnapparates beim Kaninchen

2.3.4 Erkrankungen der Harnblase

Erkrankungen im Bereich der Harnblase treten beim Kaninchen ebenfalls regelmäßig auf (Reese und Hein 2009b; Varga 2013). Analog zu den in der Kleintiermedizin bei Katzen verwendeten Syndromen FUS und FLUTD können auch beim Kaninchen einige Erkrankungen in einem Komplex zusammengefasst werden (Varga 2013).

Das von der Autorin geprägte „fat lazy pet rabbit syndrome“ (s. Abschnitt 2.3.1) beinhaltet die Symptome Inkontinenz und Harnblasengrieß sowie den Befund Harnblasenstein (Varga 2013). Zystitiden kommen beim Kaninchen meist infolge einer mechanischen Irritation der Harnblasenwand durch Harnblasengrieß vor (Nastarowitz-Bien 2008; Reese und Hein 2009b), können in seltenen Fällen aber auch infektiös bedingt sein (Möller 1984). Tumore der Harnblase beim Kaninchen sind selten (Garibaldi et al 1987; Manning et al 1994). Symptome einer Zystitis sind Hämaturie, Dysurie, Strangurie, Polyurie und Polydipsie, auffälliges Anheben des Beckens beim Urinabsatz sowie unspezifische Symptome wie verminderte Futteraufnahme, Gewichtsverlust und Lethargie (Quesenberry 2004; Hoefer 2006;

Varga 2013).

2.3.4.1 Infektiöse Zystitis

Primär infektiös-bedingte Zystitiden sind in der Literatur kaum beschrieben.

Sekundäre bakterielle Infektionen können bei allen Erkrankungen vorkommen, die zu einem eingeschränkten Urinabsatz führen (Varga 2013). Ein Fallbericht beschreibt eine Infektion mit Enterococcus spp. als Begleitsymptom einer Inguinalhernie mit vorgefallener Harnblase (Grunkemeyer et al 2010). Das Tier in diesem Bericht wurde mit Lethargie, Anorexie, übelriechendem rotgefärbten Urin, Diarrhoe und subkutaner

inguinaler Umfangsvermehrung vorgestellt. Eine Diarrhoe selbst wird ebenfalls als Ausgangspunkt für sekundäre aufsteigende bakterielle Zystitiden angegeben (Ewringmann 2004). Ein Harnverhalten, also der verminderte Urinabsatz, kann auch andere Gründe haben (Varga 2013). Sowohl körperliche Einschränkungen wie Schmerzen beim Urinabsatz durch Wirbelsäulenerkrankungen oder Arthrosen im Gliedmaßenbereich als auch fehlender Platz und geringe soziale Interaktion lassen die Tiere das Urinieren möglichst lange hinauszögern (Varga 2013). Durch die Frequenzminderung sedimentiert der Urin, der flüssige Überstand wird ausgeschieden und das Sediment am Boden der Harnblase kumuliert, verfestigt sich.

Auch Bakterien verbleiben in der Harnblase und können sich vermehren (Varga 2013).

Aufsteigende Infektionen der Harnblase bei Inkontinenz sind möglich und kommen vor allem bei traumatischen Verletzungen der Wirbelsäule oder als neurologische Störung im Rahmen der Enzephalitozoonose vor (Quesenberry 2004). Auf die Folgen einer Inkontinenz und deren Zusammenhang mit weiteren Symptomen und Krankheitsbildern wird Kapitel 2.3.4.3 Symptomkomplex Inkontinenz intensiver eingegangen.

2.3.4.2 Mechanische Zystitis

Durch chronische Reizung der Harnblasenwand und Schleimhautläsionen führen Konkremente und Harnblasengrieß zu mechanischen Entzündungen der Harnblase (Reese und Hein 2009b). Sekundäre bakterielle Infektionen aufgrund des tröpfelnden Urinabsatzes und der Urinretention sind auch hier möglich (Quesenberry 2004;

Varga 2013). In schweren Fällen kann sich eine eitrige nekrotisierende Zystitis entwickeln, welche sich zu einer Peritonitis ausweiten könnte (Reese und Hein 2009b).

2.3.4.2.1 Auslöser Urolithiasis

Eine Zystolithiasis ist eine der Hauptursachen für mechanisch-bedingte Zystitiden beim Kaninchen (Reese und Hein 2009b). Harnblasensteine können solitär oder multipel auftreten und auch in jeder beliebigen Kombination mit Urolithiasis anderer

Lokalisationen (Quesenberry 2004; Hoefer 2006). Beim Kaninchen bestehen auch die Steine in der Harnblase aus Kalziumverbindungen, wobei Kalziumkarbonat, Kalziumoxalat und Kalziumphosphat vorherrschen (Itatani et al 1979; Rappold 2001;

Hoefer 2006). Der hohe Gehalt an Kalzium im Urin selbst, verursacht durch den besonderen Kalziumstoffwechsel des Kaninchens (s. 2.2.3), wird heute nicht mehr als alleinige Ursache der Steinbildung angesehen (Clauss et al 2012; Harcourt-Brown 2013; Varga 2013). Die neuere Literatur geht von einer multifaktoriellen Genese aus, in der die Ernährung zwar eine Rolle spielt, aber nur ein Teilbaustein ist. Bewegungsmangel, geringe Flüssigkeitsaufnahme, seltener Urinabsatz und damit verbundene Sedimentation, zugrundeliegende Entzündungen und andere Kristallisationskerne wie Glucosaminoglykane könnten eine Rolle spielen (Quesenberry 2004; Clauss et al 2012; Harcourt-Brown 2013; Varga 2013).

Die Therapie der Wahl bei einer Zystolithiasis ist eine Zystotomie mit anschließender Entfernung der Harnblasensteine (Quesenberry 2004; Hoefer 2006; Varga 2013).

Das Vorhandensein weiterer Urolithen an anderen Lokalisationen sollte ebenso präoperativ abgeklärt werden wie die Nierenfunktion (Hoefer 2006; Varga 2013).

Intraoperativ sollte unterstützend Flüssigkeit intravenös zugeführt werden, weiterhin sollte der Patient analgetisch und antimikrobiell wirksame Medikamente erhalten und bei Bedarf zwangsernährt werden (Quesenberry 2004; Hoefer 2006; Varga 2013).

Eine postoperative röntgenologische Kontrolle dient der Überprüfung des OP-Erfolges (Quesenberry 2004). Im der Operation nachfolgenden Besitzergespräch sollte eine kalziumreduzierte Fütterung angeraten werden, insbesondere die Supplementierung von Mineralstoffen ist zu beenden (Quesenberry 2004; Clauss et al 2012), die Tiere sollten nur bedarfsgerecht mit Kalzium versorgt werden (Kamphues 1991).

2.3.4.2.2 Auslöser Harnblasengrieß

In der Literatur findet man mehrere synonym verwendete Begriffe: Harnblasengrieß ist der im deutschen Sprachraum am häufigsten verwendete Begriff und wird manchmal als Harngrieß abgekürzt. In der englischsprachigen Literatur findet man die Begriffe Hyperkalziurie, „sludge“ und auch MUC (micro urinary calculi). Allen

gemeinsam ist, dass ein von dem Kalziumgehalt des Futters abhängiger Anteil an kalziumreichem Sediment in der Harnblase beim Kaninchen als physiologisch angesehen wird (Flatt und Carpenter 1971; Josef Kamphues 1991; Redrobe 2002;

Quesenberry 2004; Jenkins 2008, 2010; Clauss et al 2012; Varga 2013).

Jenkins (2008, 2010) definiert die von ihm postulierten MUC als kleine Mikrokonkremente, die mehr sind als nur die physiologisch in der Harnblase von Kaninchen vorkommenden Kalziumkristalle. Die physiologische Kalziurie führt seiner Ansicht nach nicht zur Präzipitation von Kalziumkonkrementen, zur Konkrementbildung ist ein Kristallisationskern notwendig, welcher als Ausgangspunkt dient und durch Entzündungszellen oder ähnliches gebildet wird.

Eine Urinretention wird ebenfalls als Ursache in der Entstehung von Harnblasengrieß diskutiert (Varga 2013). Durch einen niedrig frequenten Urinabsatz kommt es zu langen Intervallen, in denen der Urin in der Harnblase sedimentieren kann (Varga 2013). Inaktivität, Schmerzen, unzureichende Flüssigkeitsaufnahme und kalziumreiche Fütterung sind einige der Faktoren, die bei der Entstehung dieses Sediments beteiligt sind (Quesenberry 2004; Clauss et al 2012; Varga 2013).

Während beim Urinieren nun der flüssige Überstand ausgeschieden wird, verbleibt das schwere, teils klumpige Sediment in der Harnblase und dickt weiter ein (Varga 2013). Entleert man die Harnblase eines betroffenen Kaninchens manuell, so kommt eine zähe, pastös-klumpige Masse zum Vorschein (Quesenberry 2004; Varga 2013).

Der Therapieansatz setzt auf Verdünnung des Urins durch Infusionen und eine manuelle Entleerung der Harnblase, welche „hängend“ ausgeführt werden sollte, um das vorhandene Sediment zunächst mit Hilfe der Schwerkraft in den Harnblasenhals sinken zu lassen und schließlich durch sanfte Kompression zu entfernen (Quesenberry 2004; Varga 2013). Weiterhin sollte, wie auch bei der Urolithiasis, das Fütterungsregime überprüft und gegebenenfalls umgestellt werden. Ebenso sind die prädisponierenden Faktoren zu optimieren, also Gewichtsreduktion, Bewegungsförderung und Schmerztherapie (Quesenberry 2004; Varga 2013).

2.3.4.3 Symptomkomplex Inkontinenz

Eine Inkontinenz führt zu unkontrolliertem Urinabsatz, meist in Form von Harntröpfeln. Es gibt mehrere mögliche Ursachen, wie zum Beispiel neurologische Ausfallserscheinungen im Zusammenhang mit Veränderungen der Wirbelsäule oder die Enzephalitozoonose (Quesenberry 2004; Varga 2013). In solchen Fällen haben die Tiere die Kontrolle über die Harnblase verloren, der Urin läuft aus, wodurch es zu einer dauerhaften Feuchtigkeit und Entzündung der Perinealregion kommt (Varga 2013). Tiere, die eine Polyurie / Polydipsie zeigen oder aus Mobilitätsgründen nicht in der Lage sind, die zum Urinieren angemessene Körperhaltung einzunehmen, sitzen häufig in feuchter Einstreu, was ebenfalls zu einer Durchnässung und Reizung der Perinealregion bis hinunter zu den Hinterläufen führt (Varga 2013).

Bei einer persistierenden oder auch intermittierenden Obstruktion der Harnblase durch MUC bzw. Harnblasengrieß kann es durch die Überdehnung zu einer Schädigung der glatten Muskulatur kommen (Jenkins 2010). Bei lang anhaltender Obstruktion kommt es zu irreversiblen muskulären Schäden (Nigro et al 1999; Guven et al 2007; Yang et al 2008). Steine im Harnblasenhals oder der Urethra können ebenfalls zu intermittierenden Obstruktionen führen und so das klinische Bild einer Inkontinenz widerspiegeln (Quesenberry 2004; Varga 2013).

Eine durch Urin ausgelöste Dermatitis kann ebenso dadurch entstehen, dass anatomische Veränderungen, beispielsweise durch Bissverletzungen, Infektionen oder Adipositas, die Richtung des Urinstrahls verändern (Varga 2013). Eine Infektion mit Treponema paraluiscuniculi (Kaninchensyphilis) betrifft in erster Linie die Genitalien der erkrankten Tiere, welche durch die lokale Entzündung anschwellen und unter Umständen vernarben (DiGiacomo et al 1984, 1985; Quesenberry 2004;

Varga 2013). Von solchen anatomischen Veränderungen betroffene Kaninchen nässen sich selbst ein (Varga 2013).

Die Therapie besteht in der Durchbrechung des Circulus vitiosus aus Schmerzen durch die Hautentzündung, schmerzhaftem Urinabsatz, Inkontinenz, Urinbrand, sekundärer bakterieller Entzündung der perinealen Haut und damit verbundene Schmerzen (Varga 2013). Therapeutisch sollte natürlich die Grunderkrankung behandelt werden, aber auch der Behandlung der erkrankten Haut kommt eine hohe

Bedeutung zu (Varga 2013). Die betroffenen Hautareale sind großzügig frei zu scheren, um die Haut auch lokal behandeln zu können, weiterhin ist das Tier trocken und sauber unterzubringen sowie mit Analgetika und Antibiotika zu versorgen (Varga 2013).

Liegt die Grundursache der Inkontinenz in anatomischen Veränderungen der Genitalien oder Fettschürzen, so ist eine chirurgische Korrektur zu erwägen (Varga 2013). Auch im Falle einer Urolithiasis ist eine chirurgische Intervention Therapie der Wahl (Quesenberry 2004; Hoefer 2006; Varga 2013). Bei auslösender Hyperkalziurie sollte eine forcierte Diurese in Kombination mit manueller Entleerung der Harnblase im Vordergrund stehen, natürlich ist auch hier das Fütterungsregime zu erfragen und entsprechend der Empfehlungen der neueren Literatur bezüglich der ausschließlich bedarfsdeckenden Kalziumfütterung zu optimieren (Kamphues 1991; Quesenberry 2004; Jenkins 2010; Clauss et al 2012; Varga 2013).