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Erfahrungen der Insolvenz- und Finanzpraktiker

Im Dokument Insolvenzsteuerrecht Jan Roth (Seite 43-85)

Jede einseitige Betrachtung der insolvenzsteuerrechtlichen Materie ver-bietet sich. Man stößt bei der Befassung mit der Materie ständig an Punk-te, an denen der insolvenzrechtlich vorgeprägte Jurist anders entscheiden möchte als der steuerrechtlich vorgeprägte. Ein funktionierendes, in sich schlüssiges Insolvenzsteuerrecht entsteht in diesem Spannungsfeld nur, wenn man sämtliche Facetten in den Blick nimmt – verfahrensrechtliche wie auch materiellrechtliche – und die Einzelfragen im Zusammenhang jeweils folgerichtig entscheidet. Beide Gebiete dürfen dabei nicht in ih-rem Kern, in ihren jeweiligen Grundstrukturen zerstört werden, nur um die jeweils andere Materie zur Geltung zu bringen.

Genau hier liegt das praktische Problem. Wenige Praktiker fühlen sich so-wohl im Steuerrecht als auch im Insolvenzrecht gleichermaßen heimisch.

Finanzrichter bewegen sich ständig in schwierigsten steuerrechtlichen Fragestellungen und bewältigen eine Sintflut aus Gesetzen, anderen Nor-men, Rechtsprechung und terra incognita. Die insolvenzrechtliche Kom-ponente in einer steuerrechtlichen Fragestellung kommt nur in einem kleinen Teil des finanzgerichtlichen Rechtsprechungsgeschehens vor.

Eine systematische Durchdringung des Insolvenzrechts und eine Inkorpo-ration der insolvenzrechtlichen Maximen, insbesondere der nicht ge-schriebenen, ist bei peripherer Befassung mit der Materie kaum möglich.

Es erfordert ein engagiertes und grundlegendes Studium des Insolvenz-rechts, um nicht Fernwirkungen der Entscheidung einer zu entscheiden-den Fragestellung zu übersehen. Der Insolvenzpraktiker ist gut beraten, in finanzgerichtlichen Auseinandersetzungen ein wenig „auszuholen“

und insolvenzrechtliche Grundlagen, Hintergründe und Auswirkungen konkreter Streitfragen im finanzgerichtlichen Verfahren zu erhellen. Er-freulicher Weise zeigen viele Entscheidungen der vergangenen Monate, dass die Bereitschaft vieler Finanzgerichte und insbesondere des Bundes-finanzhofes stark ausgeprägt ist, sich des Insolvenzrechts anzunehmen.

Reflektierte und gut durchdachte Entscheidungen sind die erfreuliche Fol-ge.

Ebenfalls vor großen Herausforderungen insolvenzrechtlicher Natur ste-hen vieleSteuerberater. Die Beratung von Mandanten in der Krise ist ein heikles Pflaster, nicht nur, weil der Steuerberater Gefahr läuft, dass die Zahlung seines Honorars von einem späteren Insolvenzverwalter ange-fochten wird und der Steuerberater somit für Gottes Lohn gearbeitet hat, sondern weil ein Steuerberater schnell in die persönliche Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung geraten kann. Dieses Risikos schei-nen sich bislang nur wenige Steuerberater bewusst zu sein, und Insol-venzverwalter erkennen dieses Terrain zunehmend. Ein interessantes Ge-schäftsfeld erschließen sich hingegen manche Steuerberater zunehmend:

Die Steuerberatung für Insolvenzverwalter. Viele Insolvenzverwalter be-auftragen die schuldnerische Finanz- und Lohnbuchhaltung für den

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venzschuldner an externe Steuerberater. Derzeit sind aber Steuerberater rar, die die insolvenzrechtlichen Grundsätze und insolvenzsteuerrecht-liche Einzelfragen sicher beherrschen.

Umgekehrt sollte sichere Kenntnis der steuerrechtlichen Materie zum Repertoire jedes Insolvenzverwalters gehören. Viel Masse ist zu generie-ren, viel Masse ist zu verliegenerie-ren, wenn sich der Insolvenzverwalter im Steuerrecht zu wenig auskennt. Freilich lassen sich Steuerangelegenhei-ten an externe Steuerberater beauftragen, aber eine routinemäßige Beauf-tragung externer Steuerberater ist bei manchen Insolvenzgerichten nicht gerne gesehen. Die Beauftragung eines externen Steuerberaters sollte da-her nur dann erfolgen, wenn es im konkreten Verfahren einen besonderen Anlass dafür gibt. Und um diesen Anlass zu erkennen, muss der Insol-venzverwalter – oder zumindest sein internes Verwaltungsteam – über die nötige steuerrechtliche Sachkunde verfügen. Sicher ist: Die eingehende Befassung mit dem Steuerrecht lohnt sich für jeden Insolvenzverwalter.

Schließlich kommt auch der Insolvenzrichter nicht selten mit steuer-rechtlichen Problemen in Berührung. Schon bei der Insolvenzantragstel-lung durch ein Finanzamt als Gläubiger des Antragsgegners können sich schwer zu beantwortende Fragen ergeben. Ist die Forderung des Antrag-stellers hinreichend glaubhaft gemacht, wenn gegen den entsprechenden Bescheid Einspruch eingelegt wurde? Was, wenn die Vollziehung aus-gesetzt ist? Hat der Insolvenzrichter in Bezug auf Bestand und Fälligkeit der dem Antrag zu Grunde liegenden Forderung eine eigene Prüfungskom-petenz oder gar eine eigene materielle Prüfungspflicht? Mitunter wird der Insolvenzrichter in mächtigen Schriftverkehr eingebunden, insbesondere wenn es um Schätzungen seitens der Finanzverwaltung geht. Soll der In-solvenzrichter dann die Zulässigkeit der Schätzung oder gar die Schät-zungsgrundlagen prüfen müssen? Unklar ist auch, ob und in wie weit der Insolvenzrichter sich mit einem vom Insolvenzschuldner behaupteten Er-stattungsanspruch gegen die Finanzverwaltung auseinandersetzen muss, wenn von diesem die Überschuldung abhängt. Für die Frage der Verfah-renskostendeckung kann es darauf ankommen, ob und ggf. welche Teile der Umsatzsteuer aus der Vergütung für den (vorläufigen) Insolvenzver-walter an die Insolvenzmasse zurückerstattet werden. Die Prüfung der Vorsteuerabzugsberechtigung kann aber durchaus nicht trivial sein. Und last but not least kommt auch noch einstweiliger Rechtsschutz des An-tragsgegners gegen den Insolvenzeröffnungsantrag vor den Finanzgerich-ten in Betracht, und es stellt sich die Frage, wie sich ein solcher Antrag zum laufenden Insolvenzantragsverfahren vor dem Insolvenzgericht ver-hält. Soll der Insolvenzrichter mit seiner Eröffnungsentscheidung bis zu einer Entscheidung des Finanzgerichts zuwarten müssen, um nicht des-sen Entscheidung ins Leere gehen zu lasdes-sen?

Die täglichen praktischen Fragestellungen im Bereich des Insolvenzsteu-errechts sind oft nicht ohne Weiteres einem kurzweiligen Studium des Standes der Rechtsentwicklung zugänglich. Finanzgerichtliche Entschei-1.10

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dungen hierzu sind zwar reichhaltig vorhanden, zuweilen aber zu knapp begründet, nicht veröffentlicht oder widersprechen sich sogar diametral – was wiederum mit fehlender Zugänglichkeit mancher vorangegangener Entscheidungen zu tun hat. Entscheidungen des Bundesfinanzhofes im Kontext des Insolvenzsteuerrechts sind zwar – insbesondere in jüngerer Zeit – zumeist ausführlich und erfreulich gewinnbringend begründet, aber leider doch nur punktuell vorhanden und geben deswegen kein lü-ckenloses Gesamtbild von der Materie ab. Außerdem widersprechen sich manche Entscheidungen insbesondere bestimmter Senate in wichtigen Punkten derart, dass sie für den nicht ständig im Insolvenzsteuerrecht tä-tigen Praktiker ohne Sekundärliteratur von trügerischem Wert sind. In der Literatur sieht es nur bedingt besser aus. Die insolvenzrechtlichen Kommentare begnügen sich zum großen Teil mit einer Darstellung der insolvenz-, handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten des Insolvenzverwalters. Fragen des materiellen Steuerrechts im Insol-venzverfahren und teilweise sogar steuerverfahrensrechtliche Fragestel-lungen behandeln sie nicht oder nur viel zu knapp. Die wenigen vorhan-denen Praxishandbücher zum Insolvenzsteuerrecht sind teilweise zum Ei-nen ebenfalls nicht ausführlich genug, um unterschiedliche Facetten und Fallgestaltungen darzustellen, was die Gefahr einer in der Sache verfehl-ten undifferenzierverfehl-ten Übertragung von Ausführungen des Autors auf an-dere Sachverhalte birgt, zum Anan-deren kommen sie der extrem schnell fortschreitenden Rechtsentwicklung in der Materie kaum nach. Dies lässt vermuten, dass es eine große Zahl an Zeitschriftenaufsätzen zur Thema-tik gibt. Das ist aber nicht der Fall. Fachaufsätze zu den Brennpunktthe-men sind zwar veröffentlicht, aber weit verstreut, teilweise längst veraltet und nicht durch aktuellere Beiträge ergänzt und schließlich auch wie-derum schwer zu finden. Daher bietet wohl das umfangreiche Praxishand-buch die beste Möglichkeit, schnell zu einer gerade interessierenden Fra-gestellung vorzudringen und den – zumindest im Zeitpunkt der Druck-legung – aktuellen Rechtsentwicklungsstand zu studieren.

Kapitel 2 Insolvenzrecht

A. Einführung

Das Insolvenzrecht hat sich in den vergangenen 10 Jahren rasant fortent-wickelt. Das bis zum 31.12.1998 geltende Konkursrecht hatte zu keiner Zeit eine derart überragende praktische Relevanz wie das seitdem gel-tende Insolvenzrecht. Das hängt sicher damit zusammen, dass durch zahlreiche Neuerungen, die die Insolvenzordnung mit sich gebracht hat, heute einewesentlich höhere Eröffnungsquoteverwirklicht werden kann als in Zeiten der Konkursordnung. Dadurch hat das wirtschaftliche Inte-resse der Gläubiger an einer Teilnahme am Insolvenzverfahren ihrer Schuldner zugenommen. Außerdem sind die mit dem Insolvenzverfahren in Zusammenhang stehenden rechtlichen Fragestellungen immer stärker in die juristische Fachdiskussion gerückt. Sie greifen heute in fast alle Rechtsbereiche über – nicht zuletzt auch in das Steuerrecht. Kenner und Praktiker anderer Rechtsmaterien sind zunehmend gefordert, sich auch mit insolvenzrechtlichen Grundsätzen und Implikationen auseinander zu setzen. Soweit sie für die Befassung mit steuerrechtlichen Problemen maßgeblich sind, werden die insolvenzrechtlichen Grundlagen nachfol-gend überblickartig dargestellt.

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Literatur

Gehrlein, Aktuelle Rechtsprechung des BGH zur Unternehmensinsolvenz: Eröff-nungsverfahren und Verfügungsbeschränkungen, NZI 2009, 457; Meyer, Zurück-weisung der Kündigung von Arbeitsverträgen im Eröffnungsverfahren, DZWIR 2004, 58;Pape, Änderungen im Eröffnungsverfahren durch das Gesetz zur Verein-fachung des Insolvenzverfahrens, NZI 2007, 425; Reinhart, Die Bedeutung der EuInsVO im Insolvenzeröffnungsverfahren – Besonderheiten paralleler Eröffnungs-verfahren, NZI 2009, 201;Smid, Gegen den Strom – Eröffnet das deutsche Insol-venzgericht durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein Hauptin-solvenzverfahren?, NZI 2009, 150;Undritz, Betriebsfortführung im Eröffnungsver-fahren – Die Quadratur des Kreises?, NZI 2007, 65;Wiester, Zur Insolvenzfestigkeit von Zahlungszusagen im Eröffnungsverfahren, NZI 2003, 632; Zipperer, Treue-pflichten im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2010, 281.

I. Struktur des Eröffnungsverfahrens und Verfahrensgrundsätze Jedes Insolvenzverfahren setzt zwingend einen schriftlichen Antragdes Schuldners oder eines Gläubigers voraus, vgl. § 13 InsO (sog. Antragsprin-zip). Dass das Insolvenzverfahren nur auf Antrag eröffnet wird, ist Aus-fluss der das Eröffnungsverfahren beherrschenden Dispositionsmaxime, die den Gegensatz zum vor allem aus der Strafverfolgung und Teilen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit bekannten Offizialprinzip bildet.1 Neben dem Antragserfordernis kommt der Grundsatz der Parteiherrschaft ins-besondere darin zum Ausdruck, dass der Antragsteller seinen Antrag bis zur gerichtlichen Entscheidung jederzeit zurücknehmen und so die Ein-stellung des Eröffnungsverfahrens erwirken kann. Als Prozesshandlung ist der Eröffnungsantrag bedingungs- und befristungsfeindlich.2

Mit Zugang des Antrags bei Gericht beginnt das Insolvenzantragsverfah-ren (sog. „EröffnungsverfahInsolvenzantragsverfah-ren“), dessen Ziel die Feststellung der formel-len und materielformel-len Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzver-fahrens sowie die Sicherung des schuldnerischen Vermögens ist.3 Bevor das Insolvenzgericht in die Prüfung der materiellen Eröffnungsvorausset-zungen einsteigen kann, muss es zunächst in einem ersten Verfahrens-abschnitt die Zulässigkeit des Insolvenzantrages einschließlich seiner ei-genen örtlichen Zuständigkeit (§ 3 InsO) feststellen. Da die Prüfung der Zulässigkeit von Eigenanträgen des Schuldners in der Regel keine Pro-bleme bereitet, weil das Gesetz diesbezüglich keine besonderen Anforde-rungen stellt, spielt das „Zulassungsverfahren“ in diesem Bereich keine 1 Grundlegend zur DispositionsmaximeStürner, FS Baur, 647 (650ff.).;Schmahlin MünchKomm/InsO, § 13 Rz. 5; Mönning in Nerlich/Römermann, § 13 InsO Rz. 5.

2 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 79;Schmahlin MünchKomm/InsO,

§ 13 Rz. 77;Mönningin Nerlich/Römermann, § 13 InsO Rz. 14.

3 Schmahlin MünchKomm/InsO, § 13 Rz. 1;Roth, Interessenwiderstreit im In-solvenzeröffnungsverfahren, S. 38.

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Rolle. Umso wichtiger ist es jedoch bei Fremdanträgen, die gem. § 14 InsO wesentlich höheren Anforderungen genügen müssen. Danach müs-sen Gläubiger insbesondere ihre Forderung und das Vorliegen eines Insol-venzgrundes glaubhaft machen. In diesem Stadium des Eröffnungsverfah-rens gilt folglich der Beibringungsgrundsatz. Die nicht notwendig förmli-che Zulassung des Antrages bildet in diesen Fällen die Voraussetzung für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. die Anordnung anderer Sicherungsmaßnahmen gem. §§ 21ff. InsO, das Entstehen von Anhörungs- (§ 14 Abs. 2 InsO) und Auskunftspflichten (§ 20 Abs. 1 InsO) und auch für die bei Eigenanträgen logischerweise nicht erforderliche Zu-stellung des Antrages an den Schuldner.1

Ist der Antrag zulässig, beginnt das eigentliche Eröffnungsverfahren. In diesem Stadium prüft das Gericht, ob nach Maßgabe der §§ 16ff. InsO In-solvenzgründegegeben sind und ggf. eine die Kosten des Insolvenzverfah-rens (§ 54 InsO) deckendeInsolvenzmasse vorhanden ist. Parallel ist zu klären, ob bis zur Sachentscheidung über den Insolvenzantrag eine nach-teilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners droht und daher ein Bedürfnis für die Anordnung massesichernder Maßnahmen i.S.d.

§§ 21ff. InsO besteht.

Das Eröffnungsverfahren endet gem. §§ 26, 27 InsO mit derEntscheidung des Insolvenzgerichtsüber die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ab die-sem Zeitpunkt ist das Verfahren der Disposition des Antragstellers entzo-gen, eine Beendigung durch Rücknahme des Antrages also nicht mehr möglich.

II. Gläubigerantragsverfahren

1. Zweck des Gläubigerantragsverfahrens

Das Antragsrecht der Gläubiger (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO) trägt dem Inte-resse des Rechtsverkehrs Rechnung, in einem geordneten Verfahren best-mögliche, gleichmäßige Befriedigung zu erhalten, sobald das Vermögen des Schuldners nicht mehr ausreicht, um sämtliche Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen. Würde man Gläubiger in dieser Situation weiter-hin ausschließlich auf die Einzelzwangsvollstreckung verweisen, drohte aufgrund des in diesem Bereich geltenden Prioritätsprinzips ein „Wind-hundrennen“ um die letzten verbliebenen Vermögenswerte. Die Folge wäre neben oft zufälligen2Ergebnissen, dass betrieblich-organisatorische Sachgesamtheiten vorschnell zerschlagen und auseinandergerissen wür-den, obwohl diese in einem geordneten Verfahren unter Umständen deut-1 Vgl.Schmahlin MünchKomm/InsO, § 14 Rz. 98f.

2 Schließlich müssen sich Gläubiger ihre Forderung in der Zwangsvollstreckung in der Regel zunächst in einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren, auf dessen Dauer sie wenig Einfluss nehmen können, titulieren lassen. Darüber hinaus kommen nicht beeinflussbare Verzögerungen bei der Bearbeitung ihres Vollstre-ckungsauftrags durch das Vollstreckungsorgan in Betracht.

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lich besser „en bloc“ verwertet werden oder gar zu einer erfolgreichen Sa-nierung des Unternehmens beitragen könnten.

2. Voraussetzungen

Der Insolvenzantrag eines Gläubigers setzt gem. § 14 InsO zunächst vo-raus, dass dieser einrechtliches Interessean der Eröffnung des Insolvenz-verfahrens geltend machen kann. Daran fehlt es, wenn einfachere Rechts-schutzmöglichkeiten existieren oder wenn mit dem Eröffnungsantrag in-solvenzfremde Zwecke verfolgt werden.1 Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn der Antrag einzig zu dem Zweck gestellt wird, Zahlungsdruck auf den Schuldner auszuüben. Unschädlich hingegen ist, dass dem Gläu-biger nur eine verhältnismäßig geringe Forderung zusteht.2 Auch ist er nicht verpflichtet, zunächst die Einzelzwangsvollstreckung zu betreiben.3 Darüber hinaus muss der Gläubiger gem. § 14 InsO seineForderungund den Eröffnungsgrund darlegen und glaubhaft machen (§ 4 InsO i.V.m.

§ 294 ZPO). Ein Vollstreckungstitel ist hierfür ebenso wenig erforderlich wie eine Bescheinigung über einen fruchtlosen Pfändungsversuch.4Kann der Gläubiger dem Insolvenzgericht gleichwohl beides vorlegen, erleich-tert und beschleunigt dies das Procedere erfahrungsgemäß jedoch erheb-lich. Ohne Titel und Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollzie-hers entsteht vor der förmlichen Zulassung des Antrages durch das Ge-richt nicht selten eine dem Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses angenäherte, quasi-streitige Auseinandersetzung über das Bestehen von Forderung und ggf. auch Insolvenzgrund, wohingegen bei Vorlage von Ti-tel und Fruchtlosigkeitsbescheinigung regelmäßig umgehend ein Sachver-ständiger oder vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt und mit der amtswegigen Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen begonnen wird.

3. Risiken der Antragstellung

Die Insolvenzantragstellung birgt für einen Gläubiger gewisse, allerdings überschaubare Risiken. Zum einen kann den Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen (§ 4 InsO i.V.m. § 91 ZPO) dieKostentragungslastin Bezug auf die Gerichtskosten und die Auslagen des Gerichts (zu denen auch die Vergütung eines gem. § 5 InsO hinzugezogenen Sachverständigen gehört) treffen, wenn der Antrag unzulässig oder unbegründet ist. Unzulässig sind insbesondere Druckanträge, mit denen Gläubiger in Wahrheit nicht 1 Schmahlin MünchKomm/InsO, § 13 Rz. 27;Mönningin Nerlich/Römermann,

§ 14 InsO Rz. 10; ausführlich: Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröff-nungsverfahren, S. 50ff.;Bußhardtin Braun, § 14 InsO Rz. 8.

2 BGH v. 20.3.1986 – III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188 (1188);Schmahlin Münch-Komm/InsO, § 13 Rz. 90.

3 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, NZA- RR 2005, 91 (92);Uhlenbruckin Gottwald, Insolvenzrechts- Handbuch, § 4 Rz. 7.

4 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 80; ausführlich zu dieser Thematik:

Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 47.

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die Eröffnung des Insolvenzverfahrens intendieren, sondern nur Druck auf den Schuldner ausüben, damit er die dem Antrag zugrunde liegende Forderung begleicht.1Wird die Forderung des Antragstellers auf einen sol-chen Druckantrag hin (teilweise) befriedigt und nimmt der Gläubiger sei-nen Antrag daraufhin zurück, riskiert er, dass er die erhaltene Zahlung später im Wege der insolvenzrechtlichen Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) an den Insolvenzverwalter herausgeben muss, wenn das Verfahren zu ei-nem späteren Zeitpunkt auf einen anderen Insolvenzantrag hin doch er-öffnet wird.

Bei leichtfertiger Insolvenzantragstellung in Fällen, in denen der Antrags-gegner in Wahrheit weder zahlungsunfähig noch überschuldet ist, droht Gläubigern eineweitergehende Schadensersatzhaftung. Nach Ansicht des BGH verletzt ein fahrlässig gestellter, unbegründeter Eröffnungsantrag zwar nicht das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, so dass eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB in aller Regel ausscheidet.2In Betracht kommen ggf. aber Schadensersatzansprüche ge-gen den Antragsteller gem. § 824 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB sowie gegebenenfalls § 826 BGB.3

4. Antragsrücknahme und Erledigungserklärung

Der Gläubiger kann seinen Antrag bis zur Eröffnung des Insolvenzverfah-rens oder der rechtskräftigen Abweisung jederzeit zurücknehmen, § 13 Abs. 2 InsO. Allerdings ist mit der Rücknahme des Antrags nach ganz überwiegender Auffassung wegen der in § 4 InsO enthaltenen Verweisung auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung die Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO verbunden, so dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.4

Anstelle der Antragsrücknahme kommt eineErledigungserklärungin Be-tracht. Obwohl diese Möglichkeit in der Insolvenzordnung nicht aus-drücklich vorgesehen ist, ist die Erledigungserklärung im Insolvenzeröff-nungsverfahren weitestgehend anerkannt.5Der Antrag erledigt sich in der Praxis häufig dadurch, dass der antragstellende Gläubiger befriedigt wird, 1 Schmahlin MünchKomm/InsO § 14 Rz. 53.

2 BGH v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 (21f.); v. 15.2.1990 – III ZR 293/88, NJW 1990, 2675 (2675); Smid, Praxishandbuch Insolvenzrecht, § 3 Rz. 39.

3 Schmahlin MünchKomm/InsO, § 14 Rz. 141ff.; Smid, Praxishandbuch Insol-venzrecht, § 3 Rz. 39.

4 Schmahl in MünchKomm/InsO, § 13 Rz. 130; Schmerbach in Frankfurter-Komm/InsO, § 13 Rz. 19;Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungs-verfahren, S. 168.

5 OLG Celle v. 2.11.2000 – 2 W 110/00 – NZI 2001, 150 (150); LG Bonn v. 8.1.2001 – 2 T 58/00, NZI 2001, 488 (488); OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, NZI 2001, 318 (319);Uhlenbruck, KTS 1986, 541 (545);Mönningin Nerlich/Römermann,

§ 13 InsO Rz. 111;a.A. AG Kleve v. 25.2.2000 – 34 IN 93/99, DZWIR 2000, 215 (215).

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so dass sein Antrag unzulässig wird. Die Erledigungserklärung führt an-ders als die Rücknahme des Insolvenzantrages in aller Regel zur Kosten-tragungspflicht auf Seiten des Schuldners. Nach h.M. ergibt sich die Kos-tenfolge aus § 91a ZPO.1 Dem Schuldner sind die Kosten aufzuerlegen, wenn die Erledigungserklärung eines Gläubigers erfolgt, nachdem er hin-sichtlich seiner dem Antrag zugrunde liegenden Forderung befriedigt wur-de, sofern der Antrag zunächst zulässig und voraussichtlich auch begrün-det war. Die Erledigung des Antrages hat das Insolvenzgericht durch Be-schluss festzustellen; etwaige Sicherungsanordnungen sind aufzuheben.

Vor der Aufhebung von Sicherungsanordnungen hat das Insolvenzgericht einem vorläufigen Insolvenzverwalter allerdings gem. § 25 Abs. 2 InsO Gelegenheit zu geben, die Kosten des Verfahrens und die von ihm begrün-deten Verbindlichkeiten zu befriedigen. § 25 Abs. 2 InsO gilt nicht nur für den vorläufigen starken Insolvenzverwalter, sondern für den vorläu-figen schwachen Insolvenzverwalter entsprechend.2

! Hinweis: Erledigung des Insolvenzantrages tritt allerdings nicht ein, wenn über das Vermögen des Schuldners Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Ziff. 1, 2 InsO (vorläufige Insolvenzverwaltung) ange-ordnet worden waren und der Schuldner aus diesem Vermögen der Verfügungsbeschränkung zuwider an den Gläubiger gezahlt hat. In ei-nem solchen Fall ist nämlich keine Erfüllung der Forderung des Gläu-bigers eingetreten.3Ist dem Insolvenzgericht bei seiner Entscheidung bekannt, dass der Schuldner der Verfügungsbeschränkung zuwider an den Gläubiger gezahlt hat, ist eine Erledigungserklärung des Gläubi-gers in der Regel als Rücknahme des Insolvenzantrages auszulegen mit der Folge, dass dem Gläubiger die Kosten aufzuerlegen sind.

III. Eigenantragsverfahren

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 InsO ist auchder Schuldnerberechtigt, Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu stel-1 Schmerbach in FrankfurterKomm/InsO, § 13 Rz. 100ff.; Schmahl in Münch-Komm/InsO, § 13 Rz. 135ff.; wie beiJan Roth, Interessenwiderstreit im Insol-venzeröffnungsverfahren, S. 175ff., ausführlich dargelegt, ist das Eröffnungsver-fahren aus verfassungsrechtlichen Gründen als VerEröffnungsver-fahren der freiwilligen Ge-richtsbarkeit zu verstehen. Dann ergibt sich die Kostenfolge aus § 81 Abs. 1 FamFG (§ 13a FGG a.F.). Der Unterschied einer Anwendung von § 91a ZPO und

§ 81 FamFG zeigt sich vor allem darin, dass nach § 91a ZPO nur der bisherige

§ 81 FamFG zeigt sich vor allem darin, dass nach § 91a ZPO nur der bisherige

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