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Entwicklung der grammatischen Kategorien im Schreibprozess

1. EINLEITUNG

5.3.4 Entwicklung der grammatischen Kategorien im Schreibprozess

Die Kategorien der Grammatik, die einem literalisierten Schreiber als natürlich und in der ge-sprochenen Sprache verankert erscheinen, sind dies keineswegs. Sie wurden im Prozess des Schreibens entwickelt, als das phonematische Prinzip seine Funktion verlor und Schreibwei-sen anhand anderer SchreibweiSchreibwei-sen – die als Muster dienen und ihre Eigenschaften exemplifi-zieren – entwickelt wurden. Dieser Prozess fand historisch in drei Entwicklungsschritten auf dem Weg vom Alphabet zur entwickelten Alphabetschrift statt.

Erstens wurde durch die Einführung der Kursivschrift in der handschriftlichen Verwendung die Nichtverbindung zum Zeichen. Im Gegensatz zur Verwendung der scriptio continuo wurde durch diese Nichtverbindung das Wort als sichtbare Kategorie sowohl Schreiber als auch Le-ser buchstäblich vor Augen gestellt. Die in der gesprochenen Sprache nicht wahrnehmbare Differenzierung von Worten – da die Pausen der gesprochenen Sprache nicht mit Wortgren-zen zusammenfallen – wird somit erst in der geschriebenen Variante ausgeprägt. Diese Sicht-barmachung der Wortgrenze dient zunächst als Mittel zur besseren (Vor-)Lesbarkeit, entwi-ckelt sich dann jedoch zu einer grammatischen Kategorie: das ‚Wort’ entsteht. Durch die Einführung der Kursivschrift wird das morphematische Prinzip der Alphabetschrift ausgeprägt.

Dadurch wurde die Getrennt- und Zusammenschreibung – eine grundlegende Kategorie der Orthographie – vorbereitet. Die Worttrennung wird durch die Druckversion geschriebener Sprache noch einmal verstärkt. Die einem literalisierten Leser und Schreiber als natürliche Eigenschaft von Sprache erscheinende Worttrennung – das Wort erscheint ihm als die sprachliche Einheit schlechthin – ist wesentlich eine schriftliche Konvention, die ihrerseits die Voraussetzung dafür ist, eine lexikalische Grammatikalisierung von Sprache vorzunehmen. In der gesprochenen Sprache kommen Worte als separierte Einheiten nicht vor. Sie erscheinen immer im Zusammenhang von Aussagen. Die Idee, Worte als Einzelelemente zu betrachten und sie einer grammatischen Beschreibung zu unterziehen, wird allererst durch die Spationie-rung im geschriebenen Umgang mit Sprache ermöglicht.

Zweitens wurde in der Praxis der Kursivschrift die Groß- und Kleinschreibung vorbereitet. In der Handschrift wird der zu beschriftende Raum, der in der scriptio continuo nur die Mittelzone bearbeitet, erweitert. Diese Zone wurde in der Kursivvariante durch Über- und Unterzonen vergrößert und die bis dahin unmarkierte Normalform der Buchstaben als Majuskel definiert (vgl. Földes-Papp 1966:183ff). Die so entstandene Differenzierung von Majuskel und Minuskel kulminiert in eine geregelte Groß- und Kleinschreibung, die als orthographisches Register zur Getrenntschreibung hinzutritt. Das neue orthographische Register wurde dazu verwendet, den Wörtern in bestimmten syntaktischen Positionen unterschiedliche Werte zuzuordnen. Hier-durch wurden Homonymien und Polysemien vermeidbar und auf ein Minimum reduzierbar.

Durch die Unterscheidung von Minuskel und Majuskel wurde die Differenzierung von ‚Sub-stantiv’, ‚Verb’, ‚adverbiale Bestimmung’ etc., vorbereitet.

Parallel zu dieser Entwicklung bildete sich bereits in der Antike die Interpunktion mit Punkt und Kolon heraus. So wie durch die Spationierung in der geschriebenen Verwendung von Sprache die Kategorie ‚Wort’ formal gekennzeichnet wurde, so kennzeichnen die Interpunk-tionszeichen syntaktische Kategorien, aus denen geschriebene Texte gebildet werden (vgl.

Stetter 1999:65). Durch die Interpunktion wird sichtbar und verständlich gemacht, was als

‚Satz’ zu verstehen ist. Durch die orthographische Bearbeitung von Schriftprodukten wird der

Weg bereitet für ein grammatisches Verständnis von Sprache, das spätestens seit der Eta-blierung des Satzbegriffes eingesetzt hat.

Durch diese drei Entwicklungen – hervorgerufen durch die Einführung der Kursivschrift in der handschriftlichen Schriftproduktion und zweitens durch die Einführung der Interpunktion zur besseren (Vor-)Lesbarkeit von Texten – entwickeln sich in der Schriftverwendung die ortho-graphischen Register der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Klein- und Großschrei-bung und die geregelte Interpunktion. Hierdurch wurden die grammatischen Kategorien ‚Wort’

und ‚Satz’ etabliert.

Durch die Erfindung der Druckerpresse wird ein weiterer wichtiger Schritt der Systematisie-rung der geschriebenen Formen von Sprache eingeleitet. Das Drucken von Büchern in großer Auflage und weitreichender Verbreitung normiert in vergleichsweise kurzer Zeit die standort- wie schreiber- und adressatenabhängigen Kodierungssysteme, die sich in der Manuskriptkul-tur herausgebildet hatten.

Die Erfindung des Druckverfahrens führte zu einer kulturgeschichtlich einmaligen Verände-rung des Verständnisses von Schriftformen. Wurde Schreiben in der Manuskriptkultur noch als Kunst interpretiert, die nur von einigen wenigen ausgeübt werden konnte, entsteht nun ein Verständnis von Schreiben, das dieses als Technik interpretiert. Die Digitalisierung der Spra-che wurde durch den Druck als Verfahren, mit dem aus den Elementen des Setzkastens Be-deutungen generiert werden, etabliert. Die bahnbrechende Entdeckung Gutenbergs bestand nicht in der Entwicklung einer Maschine, sondern lag in der Einsicht, dass Schriftzeichen in der Alphabetschrift wie Typen behandelt werden können (vgl. McLuhan 1962). Für die Ver-wendung von Typen entwickelt Gutenberg fest vorgeschriebene Regeln der Produktion von Texten. Hier wird nun Schreiben nicht mehr als Kunst angesehen, sondern als ein techni-sches Verfahren interpretiert. Schreiben wird als ein Verfahren in einem diskret formatierten Raum verstanden. Für jede zu inskribierende Position hält dieses Verfahren eine Regel bereit, welches Zeichen aus einem gegebenen Inventar zu wählen ist. Schreiben wird als Kalkül kon-zipiert (vgl. Stetter 1999:67).

Vor dem Hintergrund dieser technischen Herangehensweise an den Prozess des Schreibens wird auch das handschriftliche Schreiben zur Technik, die vorgeschriebenen Regeln folgt. Das Alphabet wird als Setzkasten definiert, aus dem der Schreiber sich die entsprechende ‚Type’

heraussucht. Worte, die regelmäßig verwendet werden müssen, werden im Druckverfahren zu Wörtern, da sie als Type bereits vorgefertigt im Setzkasten liegen.

„Somit legt das Drucken viel mehr noch als das Schreiben den Eindruck nahe, Wörter seien Dinge.“ (Ong 1987:119)

Noch eine weitere Konsequenz der Entwicklung des Druckverfahrens ist hier wesentlich. Für die einheitliche Darstellung geschriebener Sprache in Büchern wird eine allgemein gültige

Norm entwickelt, die in Büchern kodifiziert ist: die Orthographie. Das Schreiben von Büchern orientiert sich mithin an geschriebenen Büchern – und nicht an der gesprochenen Sprache.