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Elemente der Handlungsbereitschaft: Begriffsklärungen

Stufe III: Handlungskompetenz als eigeninitiatives vorgreifendes Gestalten der Lebens- und Arbeitsbedingungen

Kernelement 7: Proaktive Funktion

4 Entwicklung eines Modells zur Beschreibung der notwendigen Handlungskompetenzen im

4.4 Aspekt der Handlungsbereitschaft

4.4.2 Elemente der Handlungsbereitschaft: Begriffsklärungen

Im Folgenden werden die Elemente begrifflich gefasst, die aus der Exploration in das Modell der Handlungsbereitschaft integriert werden.

Werte

KLUCKHOHN (1951, zitiert nach Schwarte, 2001, S. 12) definiert Werthaltungen als „eine explizite oder implizite, für ein Individuum oder eine Gruppe charakteristische Konzeption des Wünschenswerten, welche die Auswahl unter verfügbaren Hand-lungsarten, -mitteln und -zielen beeinflusst“ und geht hier bereits von einer aktionalen Wirkung abstrakter Werte aus.

Abb. 4.9 veranschaulicht den Weg der Konkretisie-rung von Werten in einen Verhaltensakt nach MÜL-LER-FOHRBRODT (1999).

In nachstehender Definition von MÜLLER-FOHR-BRODT (1999) wird zusätzlich zum handlungsleiten-den Aspekt die Verknüpfung zu Emotionen und Ko-gnitionen verdeutlicht. Nach MÜLLER-FOHRBRODT (1999, S. 66) sind „Werte [...] überindividuelle, leiten-de Prinzipien, auf sehr hohem Abstraktionsniveau

oder Allgemeinheitsgrad formuliert, mit Verpflichtungscharakter für das Urteilen, Ent-scheiden und Handeln versehen; sie sind durch emotionale und kognitive Aspekte bestimmt.“

Unter der „überindividuellen Leitung“ wird dabei verstanden, dass die Begründung für einen Wert außerhalb persönlicher Bedürfnisse oder Interessen liegen muss. So si-chert er beispielsweise das Überleben der Menschheit oder gewährleistet Wohlstand für die Allgemeinheit. Das hohe Abstraktionsniveau verbürgt, dass Werte für unter-schiedlichste Lebenssituationen gelten und auch zukünftige Fragestellungen auffan-gen können (so z. B. Wertediskussion in der Gentechnikdebatte). Zur Umsetzung der allgemein formulierten Werte auf konkrete Situationen in bestimmte Verhaltensnor-men ist eine Interpretationsleistung notwendig, die bei mehreren Diskussionsteil-nehmern zu widersprüchlichen Ergebnissen führen kann. Akzeptierte Werte erzeu-gen einen moralischen Druck, sich an diesen zu orientieren und sie im Denken und Handeln zu realisieren und besitzen damit einen Verpflichtungscharakter für das Ur-teilen, Entscheiden und Handeln. Verletzt man die selbst gesetzte Verpflichtung, in dem man gegen die Werte handelt, stellen sich Schuld- oder Schamgefühle ein. Em-pörung ist beispielsweise die Folge, wenn anerkannte Werte von anderen übertreten werden (vgl. MONTADA, 1989; MONTADA, 1993; KALS, 1996). Das Pendant zu diesem emotionalen Aspekt der Werte ist der kognitive Aspekt, die argumentativ be-gründete Legitimation der Werte. Beide Aspekte sind wichtig, damit der Verpflich-tungscharakter des Wertes wirkt: Die rationale Begründung ohne emotionale

Ver-Abb. 4.9

Schematische Darstellung zur Konkretisierung von Werten (nach MÜLLER-FOHRBRODT, 1999, S. 69)

Wertwort/Wertbezeichnung

Wertbegriff/Wertdefinition

Einstellungen

Normen/Verhaltensschemata

Konkreter Verhaltensakt

bundenheit bzw. die emotionale Verbundenheit ohne rationale Begründung allein reicht nicht aus.

In jedem sozialen System existieren mehrere Werte und werden mehrere Werte ak-zeptiert. Es herrscht auch intraindividuell immer ein Wertepluralismus, Werte konkur-rieren miteinander oder stehen im Konflikt zueinander. Es ist vom Individuum immer wieder neu zu entscheiden, welcher Wert in welcher Situation handlungsbestimmend wird (vgl. HERMANS, 2002).

Normative Einstellung

Normative Einstellungen sind auf Menschen, Objekte und Situationen konkretisierte Werte (vgl. MÜLLER-FOHRBRODT, 1999). Sie sind im Verlaufe der Sozialisation erworbene und relativ stabile Eigenschaften einer Person und haben eine hand-lungssteuernde Wirkung. Einstellungen können verändert werden. Oft ist dies die Voraussetzung dafür, dass sich Verhalten ändert.

Kontrollüberzeugung

Kontrollüberzeugungen liegen Aspekte über die Verursachung und Kontrollierbarkeit eines Ereignisses zugrunde. Für das Modell der Handlungsbereitschaft wird konkret auf die eigene Kompetenz zur Durchführbarkeit von Handlungen und die Effektivität des Handelns Bezug genommen.

Die Kontrollüberzeugung beinhaltet in dem Modell der Handlungsbereitschaft dem-nach sowohl die eigene Handlungskompetenzerwartung als auch die Ergebniser-wartung im Sinne der gewünschten Intention und fasst damit – vergleichbar wie das Modell der ökologischen Verantwortung – zwei wichtige Elemente zusammen, die in den vorher beschriebenen Theorien separat aufgeführt wurden.

Eine hohe Kontrollüberzeugung, also eine hohe Überzeugung davon, dass man eine bestimmte Handlung ausführen kann und diese Handlung die gewünschten Konse-quenzen nach sich zieht, hat eine handlungssteuernde Wirkung.

Verantwortungsübernahme

Die Verantwortungsübernahme ist bestimmt durch einen normativen Bezug. Es ist ein mit Moral und Werten verbundenes Konstrukt. Das Individuum übernimmt zu ver-schiedenen Anlässen Verantwortung (Wahrnehmung einer Situation, Lesen von In-formationen etc.). Mit der Übernahme von Verantwortung trifft man eine eigene Ent-scheidung zu handeln, diese EntEnt-scheidung und die Konsequenzen daraus selbst zu verantworten und zu rechtfertigen. Dies kann mit oder ohne bewusste Auseinander-setzung mit dem Anlass erfolgen. Im Modell der Handlungsbereitschaft ist das Vor-liegen von Verantwortungsübernahme ein Zeichen für das Bestehen bestimmter Werte. Als emotionale Indikatoren für das Vorliegen von Verantwortung sind Schuld-gefühle, Empörung, Stolz und Ärger empirisch belegt (vgl. KALS, BECKER, RIEDER, 1999; MONTADA, 2001).

Emotionen

SCHERER (1990) beschreibt Emotionen als Syndrom mit fünf Subsystemen, die im-mer beteiligt sind:

l Subjektive Erlebnisqualität Eine Emotion wird gefühlt.

l Kognitionen

Je nach Forschungsrichtung werden Kognitionen als Ursache für die Entstehung von Emotionen gesehen (postkognitive Emotionstheorien) oder als Folge von Emotionen (präkognitive Emotionstheorien).

l Emotionsausdruck

Emotionen werden nonverbal als Teil der sozialen Kommunikation mitgeteilt in Gestik und Mimik und signalisieren dem Gegenüber Handlungsabsichten.

l Biophysiologische Komponente

Emotionen liegen physiologische Veränderungen im Körper zugrunde, z. B. rot werden bei Scham durch verstärkte Durchblutung, Schweißbildung und Aktivie-rung von „Stresshormonen“ bei Angst, AktivieAktivie-rung von „Glückshormonen“ bei Freude.

l Motivation

Emotionen ziehen bestimmte Handlungsdispositionen nach sich, z. B. Fluchtre-aktionen bei Angst.

Für das Modell der Handlungsbereitschaft sind die Subsysteme der Kognitionen und der Handlungsdisposition relevant. Im Zusammenhang mit Kognitionen wird das postkognitive Emotionsmodell vertreten. Nach EPSTEIN (1984) sind Emotionen der

„Königsweg zu vorbewussten Kognitionen“. Besteht Klarheit über vorbewusste Ko-gnitionen, ist eine Steuerung der Emotionen und in einem weiteren Schritt der zu-künftigen Handlungen möglich (vgl. MONTADA, 1989; MONTADA, 1993). Damit spielen

Emotionen eine wichtige Rolle bei der Änderung von Handlungsbereitschaften. Am Aufbau von Handlungsbereitschaft für bestimmte Sachverhalte sind ebenfalls Emo-tionen beteiligt: Emotional positiv besetzte Erfahrung mit einem Sachverhalt lassen diesen zu einem wertbesetzten und damit wertbezogenen Gegenstand werden (vgl.

KALS, BECKER, RIEDER,1999).

Soziales Umfeld

Das soziale Umfeld lebt eine bestimmte Wertekultur vor und liefert Begründungen für einzelne Werte. Das soziale Umfeld prägt die Wertekultur der einzelnen Mitglieder über das Vorleben hinaus durch Reaktionen auf wertbezogene Handlungen: Es ver-stärkt durch positive Reaktionen wie Lob und Anerkennung bzw. schwächt oder löscht durch negative Reaktionen wie Tadel, Ächtung, Bestrafung ein gezeigtes Ver-halten beim Individuum (vgl. klassische Lerntheorien). Auf individueller Seite werden durch die Rückmeldung des sozialen Umfeldes Emotionen ausgelöst, die künftige Handlungen steuern:

l Verstärkung des Handelns durch Lob, Bestätigung, Anerkennung

Auslösen positiver Emotion beim handelnden Subjekt wie Freude, Stolz, Er-leichterung etc.

l Reduzierung bzw. Löschen des Handelns durch Tadel, Nichtbeachtung, Miss-achtung, Ächtung

Auslösen negativer Emotion beim handelnden Subjekt wie Ärger, Scham, Trauer etc.

Das soziale Umfeld lässt sich nach BRONFENBRENNER (1979) in vier Systeme aufteilen:

l Mikrosystem mit direkten, interpersonellen Beziehungen und den eigenen Rollen (z. B. Familie, Freundeskreis)

l Makrosystem als Bezeichnung für das unmittelbare soziale Umfeld (z. B. Schule, Betriebe, Vereine)

l Mesosystem als Umfeld im größeren kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen (z. B. Staaten, Religionsgemeinschaften)

l Exosystem als Austauschplattform der genannten Systeme miteinander

Jedes System kann eine eigene Wertekultur besitzen, mit dem das Individuum konfrontiert wird (z. B. kann ein Betrieb andere Werte als ein gemeinnütziger Verein verfolgen) und für das sich das Individuum dafür oder dagegen entschei-den kann.