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Einsichtsfähigkeit ais Ausübungsvoraussetzung

Im Dokument Zeuge im Ziviiprozeß (Seite 77-81)

§ 6 Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Zivüprozeß durch einen Minderjährigen

A. Einsichtsfähigkeit ais Ausübungsvoraussetzung

Voraussetzung für die selbständige Entscheidung, als Zeuge aussagen zu wollen oder von einem Weigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen, ist nach allgemeiner Überzeugung und der überwiegend strafgerichtlichen Rechtsprechung des BM/^ayge/ic/if.y/iq/y, d a ß der Minderjährige die E i n -sichtsfähigkeit in den Zweck des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungs-rechts besitzt. Eine früher vertretene Ansicht, wonach es auf die Einsichts-fähigkeit nicht ankomme, weil umgekehrt auch die Zeugenpflicht ohne diese Voraussetzung besteht', ist heute unabhängig von der Prozeßart nach der dargestellten Rechtsprechung nicht mehr vertretbar.

Die herrschende Ansicht führt dazu, daß die Eltern im Fall gegebener Einsichtsfähigkeit von der Mitwirkung ausgeschlossen sind. Sie können also weder die Aussage verhindern oder erzwingen noch sind sie selbst über das Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Das wirft die Frage auf, ob nicht umgekehrt das elterliche Sorgerecht gem. §§ 1626 ff B G B zu einer Beteili-gung der gesetzlichen Vertreter zwingt^.

Der Konflikt zwischen der elterlichen Sorge und dem Selbstbestim-mungsrecht des Kindes hat in der Literatur und der Rechtsprechung breiten Raum eingenommen^; im vorliegenden Zusammenhang sollen lediglich die Grundpositionen kurz dargelegt werden.

Ausgangspunkt m u ß das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen sein, dem als eigenständige Rechtspersönlichkeit ein entsprechendes

allge-' E . Sc/vnM&, JR 1959, 369, 370.

^Ähnlich BayOßLG NJW 1967, 206, 208 = FamRZ 1966, 644, 646; OrAwiAy, S. 73 ff.

^Gem/M/Ofr, FamHienrecht, § 49 VI; Moniz, S. 57 ff jeweits m.w.N.

meines Persönlichkeitsrecht mit Grundrechtsrang zukommt^. Dieses Per-sönlichkeitsrecht, abgeleitet aus A r t . 2 I G G ^ , umfaßt auch das Zeugnisver-weigerungsrecht als subjektives Recht des Betroffenen^. Das ßMn^eJW/yaj-jMngygencnf und Teile der Literatur nehmen an, daß dem Selbstbestim-mungsrecht des Kindes in der Person der Eltern ein Gegenrecht aus A r t . 6 I G G , nämlich das Recht der elterlichen Sorge und Erziehung er-wächst^ und daher eine Abwägung kollidierender Grundrechte unter Be-rücksichtigung des jeweiligen Schutzzweckes zu erfolgen hat^. Dagegen steht die Auffassung CerHMM&efy, das Persönlichkeitsrecht des Kindes enthalte die elterliche Gewalt, da diese die Entfaltung der Persönlichkeit in Lebenspha-sen sichere, die selbstverantwortliche Entscheidungen noch nicht zulasLebenspha-send Einer Entscheidung bedarf die Streitfrage hier nicht, denn die praktische Bedeutung der Auseinandersetzung ist gering. Maßgeblich ist die Überein-stimmung der verschiedenen Ansichten, wonach die SelbstbeÜberein-stimmung des Minderjährigen durch das Sorgerecht der Eltern nur eingeschränkt ist, so-lange und soweit dies nach dem Entwicklungsstand und zur Förderung des Wohls des Kindes geboten ist. Erlaubt der Entwicklungsstand des Minder-jährigen eigenverantwortliche Entscheidungen, ist er dazu somit grundsätz-lich berechtigt*". Sobald die Verstandesreife vorliegt, ein eigenes Recht zu verstehen und verantwortlich auszuüben, tritt daher, zumindest in personen-sorgerechtlichen Fragen**, die Entscheidungskompetenz der gesetzlichen Vertreter zurück*^

"ß<Mc4 FamRZ 1959,160 u. 203; RrMgcr, FamRZ 1956, 329, 333. Zur Fähigkeit Minderjäh-riger, Träger von Grundrechten zu sein und zur Grundrechtsmündigkeit ais Ausübungsbe-schränkung No/vw, NJW 1986, 3107, 3108 ff.

SGerrt/Hv&y, FamRZ 1962, 89, 91 ff.

6(3Z,G SfMMgan, FamRZ 1965, 515; Er/nan-Mc/MM;, § 1626 Rn 21.

T3azu BMyfG D A V 1989,149 ff.

SßK?r7G, FamRZ 1986, 871, 874 = NJW 1986, 3129, 3130; MonK, JA 1981,186 f.

^Gem/u^er, FamRZ 1962, 89, 92 f. Ebenso aus neuerer Zeit O L G Aar/iTM/K?, NJW 1989, 2398 f.

*°Dies ergibt sich schon aus § 1626 II B G B , wonach die Eitern die wachsende Fähigkeit und das verantwortungsbewußte Handein des Kindes berücksichten und fördern soiien; es handeit sich eine immanente, nicht dem Verhäitnismäßigkeitsgrundsatz unterüegende Einschränkung des eiteriichen Sorgerechts.

**BGNZ 29, 33, 36 f; ähniich ß P ^ G E 72,155,170 ff; MünchKomm-/Rnz, § 1629 Rn la.

*^Im Ergebnis ähniich entscheidet die h.M. im Strafrecht zur Frage, ob und unter weichen Voraussetzungen ein Jugendiicher wirksam auf ein strafrechtiich geschütztes Rechtsgut ver-zichten kann. Ein Verzicht kann seibständig geäußert werden, wenn der Betroffene die

ausBezogen auf das Zeugnisverweigerungsrecht soll die erforderliche E i n -sichtsfähigkeit vorliegen, wenn der Minderjährige aufgrund seiner geistigen und intellektuellen Fähigkeiten und Entwicklung zu erkennen in der Lage ist, d a ß der angeklagte Angehörige etwas Unrechtes getan hat, d a ß ihm da-für Strafe droht und daß die eigene Aussage möglicherweise zu der Bestra-fung beitragen kann^. Für den Bereich des Zivilprozesses dürfte die so ver-standene, an strafprozessualen Erfordernissen orientierte Definition der Einsichtsfähigkeit jedoch nicht genügen, da die potentiellen Konfliktslagen, derentwegen die Z P O ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt, nicht nur in den auch gefühlsmäßig zu erfassenden Kategorien von Recht und Unrecht zu erfassen sind. Dies beruht zum einen an der praktisch unbegrenzten Zahl der denkbaren Interessenskonflikte, die im Einzelfall hinter einem Rechts-streit stehen mögen, zum anderen an den der StPO unbekannten Zeugnis-verweigerungsrechten wie z.B. dem des § 384 Ziff. 1 Z P O , der den Zeugen vor der Gefahr vermögensrechtlicher Schäden durch die Erfüllung der Aus-sagepflicht bewahren will*". Nachdem das Postulat hinreichender Einsichts-fähigkeit für die selbständige Ausübung des Weigerungsrechts als Sicherung einer verantwortungsbewußten Entscheidung gedacht ist^, sollte es für den Zivilprozeß genügen, d a ß der Minderjährige im Einzelfall versteht, d a ß seine Aussage ihm selbst oder einem Angehörigen zum Nachteil geraten kann und die Prozeßordnung ihn daher von seiner Zeugenpflicht freistellt, sofern er dies zur Vermeidung eines Gewissenskonfliktes wünscht^. D i e Konsequenz dieser Ansicht ist allerdings, daß die Frage der Einsichtsfähig-keit nicht abstrakt, sondern im Einzelfall und gerade im Hinblick auf den geltend gemachten Grund der Weigerung zu überprüfen ist, da es ohne weiteres denkbar ist, d a ß der Minderjährige zwar die Konfliktsituation durch Belastung eines engsten Familienangehörigen durch seine Aussage versteht, nicht aber die drohende Gefahr eines unmittelbaren Vermögens-schadens zu begreifen vermag. Kann die Verstandesreife nicht soweit fest-gestellt werden, daß sie zur Überzeugung des Gerichts vorliegt, ist im

Zwei-reichende Verstandesreife besitzt, die Foigen zu übersehen. Zur Begründung wird auf das Setbstbestimmungsrecht des Kindes verwiesen; dazu Le^c%, NJW 1989, 2309, 2310 ff m.w.N.

^ ß G 7 / A 12, 235, 239 f; 14,159,161 f.

*"Zu § 384 Ziff. 1 Z P O .Rf;n-7onaj-.S'c/Mm:a/M, § 384 Rn 3 f.

^Or/o^Ay, S. 53 (zur StPO).

*6(9LG .RMMgarr, FamRZ 1965, 515,517.

fei von der Unreife des Zeugen auszugehen^. Die Beteiligung der Eltern kann dann zwar im Einzelfall einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes darstellen, doch ist dies gerade im Interesse des Minderjährigen eher hinzunehmen, als der unwirksame Verzicht auf das Zeugnisverweige-rungsrecht mit seinen unabsehbaren Folgen im umgekehrten Fall.

D i e Feststellung der geistigen Reife ist Aufgabe des erkennenden Ge-richts, das die Beweisaufnahme und damit auch die Zeugenvernehmung durchführt^. Dabei m u ß die Verstandesreife positiv festgestellt werden^, weil sich das Gericht selbst von den das Verfahren und dessen Zulässigkeit betreffenden Voraussetzungen überzeugen m u ß ^ . Eine Übertragung der Entscheidung dieser Teilfrage auf das Vormundschaftsgericht kommt daher nicht in Betracht^*.

Feste Altersgrenzen, an Hand derer eine bestimmte Verständnisreife zumindest zu vermuten wäre und die den Vorteil zusätzlicher Rechtssicher-heit für alle Beteiligten hätte, werden somit de lege lata weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur^ anerkannt; die Anforderungen werden von der Rechtsprechung nicht allzu hoch angesetzt^, auch wenn vielfach im Schriftum der Hinweis zu finden ist, die Altersgrenze von 14 Jah-ren sei als Indiz für ausreichende Reife brauchbar^, ohne allerdings nach dem geltend gemachten Weigerungsgrund zu differenzieren.

^ O L G SfHMgarr, ebenda (Fn 16); ScMma/MAy, FS f. Pfeiffer, S. 297, 305.

*SßayOM,G, NJW 1967, 206, 209 = FamRZ 1966, 644, 647; Sc/Me^er, JurBüro 1970,1021 f.

Zum Strafverfahren RCS; 33, 393, 394; BG//.R 14, 159, 160. Im Strafprozeß kann die Prüfung auch während der Vernehmung durch die Staatsanwattschaft oder der Poiizei erfoigen, O L G RaMgarf, O L G Z 1985, 385, 386 = FamRZ 1985,1154,1155.

*^So RGSf 47, 297 zur Eidespfiicht nach § 60 Ziff. 1 StPO. Auch im Ziviiprozeß ist eine exakte Beurteiiung notwendig, weii durch die Nicht-Hinzuziehung der gesetziichen Vertreter eine Gefährdung des Zeugen nicht ausgeschiossen werden kann. Umgekehrt kann bei irrtüm-iicher Verneinung der Verstandesreife durch die Zustimmungsverweigerung der Eitern das Recht der Parteien auf Beweis verietzt werden; dazu auch unten § 9 C III.

^BayO^LG NJW 1967, 206, 209 = FamRZ 1966, 644, 647.

^ßay(%LG, ebenda (Fn 20). Zum vormundschaftsgerichtiichen Verfahren unten § 11.

^Mit Ausnahme von BcwA, S. 47 (14 Jahre) und 5;aM<&nger-Do/!aM, § 1626 Rn 75 (16 Jahre);

dazu oben § 5 B II 1.

^Das iäßt sich aiierdings nur aus der Zuiassung auch sehr junger Zeugen schiießen;

beispieihaft ß G G A 59,131, das auch bei Zeuginnen im Aiter von 3 1/2 und 4 1/2 Jahren erst wac/: der Vernehmung prüfen wiii, ob ausreichende Verständisfähigkeit voriiegt. Ähniich auch ßoycA, S. 47 Fn 140.

Im Dokument Zeuge im Ziviiprozeß (Seite 77-81)