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In einer Umwelt, in der Wissen komplexer und auf immer vielfältigere Weise verfüg-bar wird, sind Menschen mit einer Fülle von Informationen konfrontiert, deren Qualität stark variiert. Das Vermögen, Informationen kritisch zu reflektieren, sie mit vorhandenen Kennt-nissen abzugleichen und einen eigenen Standpunkt zu beziehen, gewinnt einen immer höhe-ren Stellenwert. Sowohl bei der Bewertung von Fakten (siehe dazu auch Bögeholz & Bark-mann, 2005), öffentlichen Meinungen und Ansichten als auch beim Generieren neuer, weiter-führender Fragen kommt der Fähigkeit zur Regulation der Informationsaufnahme eine große Bedeutung zu. Im Zuge der raschen gesellschaftlichen und technologischen Fortentwicklung stehen Menschen darüber hinaus vor immer neuen Aufgaben und wissenschaftlichen Heraus-forderungen, für deren Bewältigung der Erwerb entsprechender Fähigkeiten verlangt wird.

Interdisziplinarität gewinnt an Bedeutung, Professionen differenzieren sich aus und verknüp-fen sich, und den sogenannten „key competencies“ (Schlüsselkompetenzen) wird große Rele-vanz beigemessen. Die Bereitschaft, Verantwortung für den eigenen – lebenslangen – Lern-prozess zu übernehmen, ist neben sozialen Aspekten eine entscheidende Bedingung für er-folgreiche persönliche und berufliche Entwicklung.

Die Vermittlung individueller Voraussetzungen für lebenslanges Lernen sollte daher einen zentralen Bestandteil von Bildung und Erziehung darstellen (Zimmerman, 2002). Sie beginnt optimaler Weise bereits im frühen Kindesalter im Elternhaus und setzt sich mit dem Schuleintritt fort. Der Schule kommt dabei eine besonders wichtige Funktion zu: Sie stellt einen Ort dar, an dem alle Kinder die Möglichkeit erhalten sollten Fähigkeiten zu erwerben, die ihnen eine Entwicklung hin zu eigenständigen und selbstverantwortlichen Individuen er-lauben, die sich den Ansprüchen einer sich im ständigen Wandel befindlichen Gesellschaft gewachsen sehen. Ein zentraler Aspekt von Schulbildung sollte daher sein, jungen Menschen zu vermitteln, wie sie Verantwortung für die eigene (Schul-) Leistungsentwicklung und die Aneignung neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten übernehmen können und sie darin zu unter-stützen, dieses Wissen im Schulkontext und darüber hinaus anzuwenden (Zimmerman, 2006).

Die Entwicklung der Situation vieler Schulen in der Bundesrepublik – steigende Schülerzah-len pro Klasse und häufig zu wenig und in der Folge überlastetes Lehrpersonal – hebt die Notwendigkeit selbstständig und selbstverantwortlich Lernende zu fördern hervor. Wird in verschiedenen Kontexten gern von einer „multikulturellen Gesellschaft“ gesprochen, muss konsequenterweise auch der Heterogenität von Lerngruppen Rechnung getragen werden:

Sol-len Kinder mit ganz unterschiedlichen soziaSol-len und kulturelSol-len Hintergründen erfolgreich gemeinsam lernen, so benötigen sie Lehrkräfte, die nicht nur für die individuellen Stärken und Schwächen der Lernenden sensibel, sondern gleichzeitig in der Lage sind, ein Bewusstsein für solche Fähigkeiten und Grenzen auch bei den Schüler(inne)n selbst aufzubauen. Die aktive Mitgestaltung des eigenen Lernprozesses macht Schüler(innen) unabhängiger von äußeren Bedingungen wie z.B. der Größe der Lerngruppe und der Kapazität von Lehrkräften, stets adäquat auf die individuellen Bedürfnisse aller Lernenden einzugehen.

Aus einer sozial-kognitiven Perspektive, die in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich eingenommen wird, hängt jene Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme seitens der Schü-ler(innen) von der Anwendung zentraler Selbstregulationsprozesse sowie ihrer Überzeugung hinsichtlich des Nutzens dieser Prozesse ab (Zimmerman, 2006). Zimmerman (2000, S. 14) definiert selbstreguliertes Lernen als „…self-generated thoughts, feelings, and actions that are planned and cyclically adapted to the attainment of personal goals“. Selbstregulation ist damit ein fortlaufender Prozess, in dessen Rahmen Gedanken, Gefühlen und Handlungen auf individuelle Ziele abgestimmt werden (vgl. auch Hasselhorn & Labuhn, 2008). Selbstreguliert Lernende werden als Personen beschrieben, die sich bewusst darüber sind, ob und in welchem Maße sie eine bestimmte Fähigkeit oder Wissen auf einem bestimmten Bereich besitzen oder nicht (Zimmerman, 1990). Im Gegensatz zu passiv Lernenden suchen selbstreguliert Lernen-de aktiv nach Informationen, wenn sie feststellen, dass sie diese benötigen um Aufgaben zu bewältigen oder Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erwerben. Stoßen sie auf Schwierigkeiten, zum Beispiel in Form von ungünstigen Lernbedingungen, überforderten Lehrkräften oder schwer verständlichen Schulbüchern, suchen sie eigenständig nach Möglichkeiten, ihre Lern-ziele trotzdem zu erreichen. Selbstreguliert Lernende betrachten die Aneignung von Fähigkei-ten und FertigkeiFähigkei-ten als einen systematischen und kontrollierbaren Prozess und übernehmen als eine Konsequenz dieser Sichtweise größere Verantwortung für schulische Leistungen (Borkowski, Carr, Rellinger & Pressley, 1990; Zimmerman & Martinez-Pons, 1986, 1990).

Dieses sozial-kognitive Verständnis von Lernen und schulischer Leistung hat weit rei-chende Implikationen für die Interaktion von Lehrkräften und Lernenden sowie für die Ges-taltung von Unterricht. Individuen wird das Vermögen zugeschrieben, aktiv auf metakogniti-ver, motivationaler und behavioraler Ebene den eigenen Lernprozess zu gestalten (z.B. Zim-merman, 2000, 2002). Wie Zimmerman (1990, S. 4) treffend formuliert: „This perspective shifts the focus of educational analyses from students’ learning ability and environments as

‚fixed’ entities to their personally initiated processes and responses designed to improve their ability and their environments for learning“. Das Initiieren und die unterstützende Begleitung

solcher individuellen Prozesse werden aus dieser Sicht zu zentralen Aufgaben von Erziehung und Unterricht. Das bedeutet auch, Schüler(inne)n nicht nur zu vermitteln, dass sie Verant-wortung für das eigene Lernen übernehmen sollen, sondern in erster Linie, wie sie die nötige Kontrolle erlangen und für sich nutzbar machen können.

Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, verschiedene Ansätze der Förderung selbst-regulierten Lernens im Schulkontext und insbesondere im regulären Unterricht aufzuzeigen und ihre spezifischen Herausforderungen und Chancen zu diskutieren. Dabei kommt der Ver-knüpfung von fachbezogenem Lernen und der Vermittlung von Selbstregulationsfähigkeiten eine besondere Bedeutung zu. Die Überprüfung der Wirksamkeit verschiedener Ansätze der Förderung erfolgt in der vorliegenden Arbeit am Beispiel von mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. In Studie 1 werden Komponenten der Selbstregula-tionsförderung in eine Biologie-Unterrichtseinheit1 zum Thema Ernährung integriert. Die fa-cettenreichen Inhalte dieses Faches und der starke, originäre Bezug des Ernährungsthemas zur Lebenswelt der Schüler(innen) eignen sich besonders gut für die direkte Verknüpfung mit verschiedenen Selbstregulationselementen und deren Umsetzung im regulären Unterricht. In Studie 2 geht es dagegen um die fokussierte Betrachtung einzelner Subprozesse der Selbstre-gulation. Für deren genaue Untersuchung bieten sich stark strukturierte, strategiebezogene Aufgaben an. Den fachlichen Schwerpunkt dieser zweiten Studie bildet daher die Mathema-tik. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die Einordnung der beiden genannten Studien in die vorliegende Arbeit und stellt die Inhalte der einzelnen Kapitel kurz vor.

In Kapitel 2 wird mit der Betrachtung selbstregulierten Lernens aus sozial-kognitiver Perspektive der theoretische Rahmen der Arbeit dargestellt. Daran anknüpfend werden in Ka-pitel 3 die sich aus dem theoretischen Hintergrund ergebenden Implikationen für die Förde-rung selbstregulierten Lernens abgeleitet. Dieses Kapitel schließt mit der FormulieFörde-rung der Forschungsfragen für den empirischen Teil der Arbeit. Kapitel 4 beinhaltet mit Studie 1 den ersten Teil der Empirie zur Beantwortung der Forschungsfragen bezüglich der Integration der Selbstregulationsförderung in den naturwissenschaftlichen Fachunterricht. Im Mittelpunkt stehen eine Interventionsstudie sowie die Überprüfung der Wirksamkeit des Ansatzes, des möglichen Transfers von erworbenen Fertigkeiten und der langfristigen Wirkung auf Selbst-regulation und Leistungsentwicklung. Ein wichtiges Ziel des Ansatzes stellt dabei die Beach-tung der Chancengleichheit dar: Die Förderung erfolgreichen Lernverhaltens im Schulkontext sollte gewährleisten, dass Schüler(innen) mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen

1Die Unterrichtseinheit fand im Rahmen des Faches Naturwissenschaften statt, welches die Fächer Biologie,

oder sozialen Hintergründen gleichermaßen angesprochen werden und dass nicht das Leis-tungsgefälle entgegen der Intention der Maßnahme vergrößert wird. In Kapitel 5 wird eine Weiterentwicklung des Fokus der Selbstregulationsforschung beschrieben: Ausgehend von der quasi-experimentellen Ausrichtung in Studie 1, die innerhalb des regulären Unterrichts im Klassenverband durchgeführt wurde, erfolgt in Studie 2 eine Hinwendung zur Untersuchung selbstregulierten Lernens auf Prozessebene, realisiert als experimentelle Laboruntersuchung.

Ziel ist es, spezifische Mechanismen der Wirksamkeit instruktionalen Handelns aufzuzeigen, die die Selbstregulationsfähigkeit der Schüler(innen) beeinflussen. Die mikroanalytische He-rangehensweise ist vergleichbar mit der Betrachtung des Lernprozesses durch ein Mikroskop:

Mit der Untersuchung der Wirkung von Feedback und Bewertungsstandards werden zwei Ansatzpunkte exemplarisch herausgegriffen, die im Hinblick auf die Lern- und Selbstregula-tionsförderung optimiert werden können. Damit wird ein fokussierter Bereich von Prozessen untersucht, die aus theoretischer Sicht auch in Studie 1 wirksam sind, dort aber nicht erfasst werden. Kapitel 6 stellt die Ergebnisse der Untersuchung zum Einfluss von Feedback und Bewertungsstandards auf die Selbstregulation und den Erwerb einer neuen mathematischen Fähigkeit vor und liefert damit den zweiten Teil der Empirie zu den Forschungsfragen der Arbeit. Den beiden konzeptionell unterschiedlichen Studien liegen als verbindende Elemente zum einen die Frage nach Möglichkeiten der gleichzeitigen Förderung fachbezogener sowie selbstregulativer Fähigkeiten und zum anderen die grundlegende Annahme des zyklischen Prozesses der Selbstregulation (vgl. Kapitel 2) zugrunde. Die in der vorliegenden Arbeit ge-fundenen Antworten auf die Forschungsfragen (vgl. Kapitel 3), daraus abzuleitende prakti-sche Implikationen sowie ein Ausblick für zukünftige Selbstregulationsforschung sind Be-standteile des siebten Kapitels. Es schließt mit Perspektiven für zukünftige Selbstregulations-forschung an der Schnittstelle zwischen Pädagogischer Psychologie, Entwicklungspsycholo-gie und den Fachdidaktiken.