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Die Bedeutung der sozial-kognitiven Grundannahmen für das Verständnis von

2 Selbstreguliertes Lernen aus sozial-kognitiver Perspektive

2.1 Die Bedeutung der sozial-kognitiven Grundannahmen für das Verständnis von

Ansätze zur Erklärung interindividueller Unterschiede in der Lern- und Leistungsfä-higkeit und das daraus abgeleitete Menschenbild unterlagen in den vergangenen zwei Jahr-hunderten einem starken Wandel. Im 19. Jahrhundert etwa galt Lernen als eine formale Dis-ziplin, und Lernschwierigkeiten oder -versagen wurden in der Regel auf individuelle intellek-tuelle Defizite oder mangelnden Fleiß zurückgeführt. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erhielt die Psychologie den Stellenwert einer eigenständigen Wissenschaft und der Betrachtung inter-individueller Unterschiede in leistungsbezogenen Personenmerkmalen wurde große Bedeu-tung beigemessen. Ausgehend von diesem Wandel vertraten Reformtheoretiker wie z.B. John Dewey (1916), Edward Lee Thorndike (1932) und Maria Montessori (Lillard, 1972; Montes-sori, 1964) schließlich eine neue Sicht von Erziehung im Allgemeinen und Unterricht im Spe-ziellen. Sie forderten Modifikationen des Curriculums um den individuellen Bedürfnissen von Lernenden gerecht zu werden (Zimmerman, 2002). Die zugrunde liegende Idee, Unterrichts-inhalte zur Verbesserung des Lernerfolgs an die jeweiligen Voraussetzungen Lernender anzu-passen, fand ausgehend von der sich in den sechziger und siebziger Jahren herausbildenden Instruktionspsychologie viel Beachtung. Cronbach (1957) prägte für diesen Forschungsbe-reich den Begriff der „Aptitude-Treatment-Interaction“. Dessen Forschungsgegenstand ist die Wechselwirkung (interaction) von individuellen Lernervoraussetzungen, also Merkmalen der lernenden Person (aptitudes), und der eingesetzten Lehrmethode (treatment) (vgl. Staemmler, 2006).

Trotz solcher wissenschaftlichen Bestrebungen, interindividuellen Unterschieden in Bedürfnissen und Möglichkeiten Rechnung zu tragen, fanden diese nur bedingt über Lehrplä-ne und Unterrichtsgestaltung Eingang in die Schulpraxis. Etwa in den frühen achtziger Jahren entwickelte sich durch das Zusammenlaufen von Forschungssträngen zur sozialen Lerntheorie (z.B. Rotter, 1954) und zur Metakognition eine neue Sichtweise auf Unterschiede im Lern- und Leistungsvermögen junger Menschen. Der Mitbegründer und zentrale Vertreter der Theo-rie, Albert Bandura, erweiterte die ursprünglich als „soziale Lerntheorie“ bekannt gewordene Forschungsrichtung und änderte die Benennung in „sozial kognitive“ Theorie, um hervorzu-heben, dass Kognitionen eine zentrale Rolle für die menschliche Fähigkeit spielen, Umwelt-ereignisse zu interpretieren, Verhalten strategisch zu planen und bewusst auszuführen und

rie ist das Konzept des reziproken Determinismus, der auf der Annahme beruht, dass a) per-sönliche Faktoren in Form kognitiver, emotionaler und physiologischer Aspekte, b) Verhalten und c) Umwelteinflüsse wie etwa das soziale Umfeld miteinander interagieren und reziprok Einfluss aufeinander ausüben. Die Kernaussage dieses Konzeptes formuliert Bandura (1986, S. 454) wie folgt: „Behavior is, therefore, a product of both self-generated and external sour-ces of influence“. Vertreter(innen) der sozial-kognitiven Perspektive betrachten den Men-schen als proaktiv und reflektierend anstatt als reaktives Wesen, das primär von äußeren Ein-flüssen gesteuert oder von inneren Impulsen getrieben wird. Individuen sind demnach sowohl aktiv Gestaltende als auch Produkte ihrer Umwelt und des sozialen Systems, in dem sie leben (Pajares, 2008).

Aus sozial-kognitiver Perspektive haben Menschen die Voraussetzungen, proaktiv Einfluss auf ihre eigene Entwicklung und auf Lernprozesse zu nehmen, diese also selbst zu regulieren. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei der Selbstwirksamkeitserwartung zu, d.h. der Erwartung einer Person bezüglich ihrer Fähigkeit, in einer bestimmten Situation ein bestimm-tes Verhalten auszuführen. Mit Banduras (1997, S. 37) Worten: „Perceived self-efficacy is concerned not with the number of skills you have, but with what you believe you can do with what you have under a variety of circumstances.“ Selbstwirksamkeitserwartungen sind damit kontextspezifische Überzeugungen und bilden eine zentrale Grundvoraussetzung der Motiva-tion, der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft von Personen.

Die Grundannahmen der sozial-kognitiven Theorie spiegeln sich auch in der Auffas-sung von Selbstregulation, einem Teilbereich der sozial-kognitiven Theorie, wider. Dem Konzept liegt das Prinzip des reziproken Determinismus zugrunde (vgl. Abb. 2.1): Selbstre-gulation stellt eine Interaktion aus personen- und verhaltensbezogenen sowie umweltbeding-ten Prozessen dar, die sich wechselseitig beeinflussen (Zimmerman, 2000). Eine solche Be-trachtungsweise, die eine Einwirkung des handelnden Individuums auf seine Umwelt und die Rückkopplung dieser Effekte mit einbezieht, unterscheidet sich von metakognitiven Ansätzen insofern, als dass in diesen häufig in erster Linie Wissen und das Verständnis bestimmter Sachverhalte sowie die Reflexion darüber hervorgehoben werden (eine Ausnahme macht m.

E. die Darstellung der Subkategorien der Metakognition von Hasselhorn, 1992, die auch be-wusste kognitive Empfindungen und affektive Zustände mit einbezieht). Obwohl Metakogni-tionen eine zentrale Rolle spielen, hängt Selbstregulation darüber hinaus von Überzeugungen (z.B. Selbstwirksamkeitserwartungen) und affektiven Reaktionen wie Zweifel und Ängsten bezüglich bestimmter Aufgaben oder Kontexte ab (Zimmerman, 1995b).

Abbildung 2.1. Wechselseitiger Einfluss der Teilbereiche der Selbstregulation nach Zimmerman (1989a)

Die Selbstregulation wird als ein zyklischer Prozess beschrieben (Zimmerman, 2000;

vgl. auch Kapitel 2.1.1.), was auf die Grundannahme zurückgeht, dass Feedback, bzw. eine Rückkoppelung, ausgehend von vorherigem Verhalten, genutzt wird um Modifikationen des aktuellen und zukünftigen Verhaltens vorzunehmen. Solche Anpassungen werden nötig, da die relevanten personen- und verhaltensbezogenen sowie umweltbedingten Faktoren während der Ausführung von Aufgaben einer ständigen Veränderung und wechselseitiger Beeinflus-sung unterliegen. Die Beobachtung des Prozesses („monitoring“) erfolgt in der Modellvorstel-lung durch drei RückkoppeModellvorstel-lungsschleifen, die jeweils „Ist-Soll“-Abgleiche beinhalten: Ver-haltensbezogene Selbstregulation bezieht sich auf die Selbstbeobachtung und die Auswahl und Anwendung adäquater Strategien (z.B. Lernstrategien oder -methoden). Umweltbezogene Selbstregulation umfasst das Registrieren und Anpassen von Kontextfaktoren oder -einflüssen (z.B. Regulieren des Lärmpegels am Arbeitsplatz). Verdeckte Selbstregulation („covert self-regulation“, Zimmerman, 2000) bezieht sich auf die Beobachtung und die Modifikation kog-nitiver und affektiver Zustände (z.B. das Wahrnehmen von Stress und die Suche nach Ent-spannung als Reaktion darauf). Diese drei Rückkoppelungsschleifen werden als offene Feed-back-Systeme betrachtet. Im Gegensatz zu Ansätzen, die von geschlossenen Rückkoppe-lungssystemen ausgehen, in denen Selbstregulation darauf beschränkt ist, dass reaktiv Dis-krepanzen zwischen einem Ist-Zustand und einem unveränderlichen Standard (Soll-Zustand) reduziert werden, bezieht der sozial-kognitive Ansatz mit der Annahme offener Rückkoppe-lungsschleifen darüber hinaus mit ein, dass Diskrepanzen auch temporär proaktiv vergrößert

werden können. Dies ist etwa durch eine Erhöhung der persönlichen Zielvorstellungen oder die Wahl stärker herausfordernder Aufgaben möglich (Zimmerman, 2000). Solche selbster-zeugten Diskrepanzen dienen Personen als Quelle von Motivation ihre Fähigkeiten zu erwei-tern und sich persönlich zu entwickeln. Grundsätzlich hängt die Art und Weise, wie Lernende mit negativen Diskrepanzen (der Bewertungsstandard übersteigt die tatsächliche Leistung) umgehen, entsprechend der Grundgedanken der Theorie von kontext- und personenspezifi-schen Faktoren ab: Manche Personen entwickeln als Reaktion bessere Strategien und intensi-vieren ihre Anstrengung um internen Standards zu entsprechen, andere reduzieren die Höhe dieser Standards und wieder andere halten an eigenen hohen Ansprüchen fest, verlieren aber ihre Motivation angesichts steigender Mutlosigkeit bei Misserfolg. Ausschlaggebend für die Art und Richtung der Reaktion ist die kontextspezifische Selbstwirksamkeitserwartung einer Person, d.h. ihre Überzeugung bezüglich ihrer Fähigkeit eine bestimmte Aufgabe letztendlich erfolgreich zu bewältigen.

Zusammenfassend lässt sich für die Bedeutung der sozial-kognitiven Theorie für das Verständnis von Selbstregulation festhalten, dass grundsätzlich von wechselseitig interagie-renden Faktoren (Person, Verhalten und Umwelt) ausgegangen wird, auf welche das Indivi-duum sowohl proaktiv als auch reaktiv im Hinblick auf das Erreichen persönlicher Ziele bzw.

angestrebter Zustände Einfluss nimmt. Für die Betrachtung der Selbstregulation in Bezug auf den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten, also des selbstregulierten Lernens, bedeutet die hier skizzierte Perspektive, dass es sich dabei nicht um eine statische mentale Fähigkeit oder akademische Leistungskomponente im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft (trait), sondern um einen kontextspezifischen, selbstgesteuerten Prozess handelt, in dessen Verlauf Lernende ihre mentalen Fähigkeiten in (schul-)leistungsbezogene Fertigkeiten transferieren. Dieser Pro-zess beinhaltet metakognitive, kognitive, motivationale und verhaltensbezogene Komponen-ten. Lernen wird gemäß dieser Auffassung als eine Aktivität betrachtet, die in erster Linie proaktiv von Lernenden ausgeht, anstatt als ein Ereignis, das als Reaktion auf Unterricht in Schüler(inne)n verursacht wird (Zimmerman, 2002).

2.2 Die Theorie selbstregulierten Lernens nach Zimmerman