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Einfluss von Enrichmentprogrammen auf die

5 Angaben zur rattengerechten Haltung und ihre Bewertung

5.3 Haltungsstrukturen

5.3.1 Käfiganreicherungen (Environmental Enrichment)

5.3.1.4 Einfluss von Enrichmentprogrammen auf die

Um die Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit von Tierversuchen innerhalb wie auch zwischen verschiedenen Laboratorien zu erhöhen, wurden in den letzten Jahrzehnten intensive Bemühungen zur Standardisierung der Versuchsmethoden, des genetischen Hintergrundes der Tiere und der Haltungsbedingungen unter-nommen (GÄRTNER 1990; BEYNEN et al. 1993).

Dabei wurden beispielsweise zur Standardisierung der Methoden für häufig durch-geführte und etablierte Experimente genaue Spezifikationen der Versuchsanordnung erstellt (BEYNEN et al. 1993).

Bei der genetischen Standardisierung wurde versucht, eine höhere Uniformität der Tiere über gezielte Inzucht, bzw. streng geregelte Auszucht zu erzielen (FESTING 1976; van ZUTPHEN et al. 1993), um bessere Tiermodelle zu erhalten. Um den Einfluss weiterer Störfaktoren zu minimieren, wurden schließlich internationale Standards für Haltung, Fütterung und Management von Labortieren festgelegt (z.B.

Empfehlungen der GV-SOLAS 1988).

Trotz aller Versuche, die Labortiere, bzw. deren Reaktionen in Versuchen zu verein-heitlichen, besteht immer noch ein relativ hohes Maß an interindividueller Variabilität (GÄRTNER 1990; BEYNEN et al. 1993). Einerseits werden die Ursachen dafür unkontrollierten Veränderungen im Haltungsumfeld wie beispielsweise Veränder-ungen des (micro-) biologischen Umfeldes (Infektionsdruck, Zyklusstadium, etc.), der physikalischen (Licht, Temperatur, etc.) und chemischen Faktoren (Nahrung, Ein-streu, etc.) sowie der sozialen Haltungsumgebung (Anzahl der Tiere pro Käfigein-heit, Betreuungsintensität, etc.) zugeschrieben (BEYNEN et al. 1993). Andererseits werden aber auch haltungsunabhängige pränatale Einflussfaktoren wie beispiels-weise ooplastische Differenzen diskutiert (GÄRTNER 1990).

Sei zirka zehn Jahren wird zunehmend der Einsatz von strukturierten Haltungs-bedingungen gefordert, um eine tiergerechte Haltungsumgebung zu schaffen. Erst seit kurzem wird die Frage untersucht, inwieweit eine solche Abweichung vom bisherigen Haltungsstandard zu einer größeren Varianz von Messwerten führt.

GÄRTNER (1998) reanalysierte die Daten aus drei Originalpublikationen (VOSS 1994; BERGMANN et al. 1995; van der WEERD 1996), die sich jeweils mit den Auswirkungen strukturierter Haltungssysteme auf verschiedene Messparameter bei männlichen Mäusen beschäftigten. Der Autor verglich die Variationsbreiten dieser Messwerte zwischen den jeweiligen Enrichment- und Standardhaltungen und zeigte, dass die Variationskoeffizienten unter angereicherten Haltungsbedingungen bei 33%

der Messwerte erhöht waren. Eine Vervielfachung der Varianz fand GÄRTNER (1998) unter Enrichmentbedingungen bei bestimmten Messparametern, nämlich dem Körpergewicht und den stressphysiologisch relevanten Parametern der adreno-cortikalen Achse.

Auch TSAI (1999) untersuchte die Variabilität einer Vielzahl organometrischer, bio-chemischer und ethologischer Messparameter an weiblichen Mäusen zweier Inzuchtlinien, die entweder unter Enrichment- oder Standardbedingungen gehalten wurden. Bei der Mehrzahl der organometrischen und biochemischen Parameter stellte die Autorin leicht erhöhte Variationskoeffizienten bei Tieren aus Enrichment-bedingungen fest. Für die Verhaltensparameter traf dies nicht zu.

ESKOLA et al. (1999b) hielten Laborratten unter zwei verschiedenartig strukturierten Haltungsbedingungen (Espenholzblöcke und -röhren) und verglichen die Streubreite verschiedener organometrischer und biochemischer Messwerte zwischen diesen angereicherten Haltungsbedingungen und der Standardhaltung.

Basierend auf der Streubreite der Messwerte kalkulierten die Autoren die Anzahl an Ratten, die jeweils notwendig sind um einen 20%-igen Mittelwertsunterschied auf dem 5%-Niveau signifikant abzusichern. ESKOLA et al. (1999b) schlussfolgern, dass unter Enrichmentbedingungen eine erhöhte Anzahl von Versuchstieren notwendig ist. Im Extremfall wurden bis zu 15 mal mehr Tiere benötigt.

Im Gegensatz dazu fand ZIMMERMANN (1999) keinen Einfluss der Haltungsbedin-gungen auf die interindividuelle Variabilität von physiologischen und ethologischen Messparametern bei männlichen Ratten des Auszuchtstammes Zur:SIV. Sie hielt ihre Versuchstiere vom Beginn der 4. Lebenswoche bis in die 10. Lebenswoche jeweils in Vierergruppen in einem naturnahen Gehege, einem angereicherten Stan-dardkäfig, einem unstrukturierten Standardkäfig sowie jeweils zwei Ratten einzeln in unstrukturierten Standardkäfigen. Zur Analyse der interindividuellen Variabilität zog die Autorin die Datensätze des “Open-field-“ und “Novel-Objekt-Tests“ (am 64., bzw.

65. Lebenstag), eine Reihe physiologischer Parameter (am 66./67. Lebenstag) so-wie die Körpergewichte (am 21./22. und 64./65. Lebenstag) heran. Aufgrund ihrer Versuchsergebnisse schlussfolgert ZIMMERMANN (1999), dass eine Anreicherung der Haltungsumgebung bei Ratten weder im Verhalten in Bewältigungssituationen noch in physiologischen Parametern zu einer Erhöhung der interindividuellen Variabilität führt. Allerdings weist die Autorin darauf hin, dass die interindividuelle Variabilität des Verhaltens in beiden Verhaltenstests - im Vergleich zu den physiologischen Parametern - auffällig hoch war.

Auch VETULANI et al. (1987) berichten von hoher Variabilität im Lokomotions-verhalten von Ratten im “Open-field“ und sehen dies als natürliches Merkmal dieser Spezies an.

Abschließende Bemerkungen zum Problem erhöhter interindividueller Variabilitäten

Eine geringe interindividuelle Variabilität ist nicht nur aus dem Gedanken der Ver-suchsverbesserung heraus wünschenswert, sondern beinhaltet auch tierschutzrele-vante Konsequenzen. Mit einer geringen interindividuellen Variabilität der Reaktivität kann nämlich die Anzahl benötigter Versuchstiere im Sinne der 3R von RUSSEL und BURCH (1959) reduziert werden (POOLE 1997; SMAJE et al. 1998). Eine große Variabilität dagegen bedeutet eine auf hohem Niveau liegende Tierzahl, die benötigt wird, um die Streuung um den Mittelwert auszugleichen (POOLE 1997).

Außerdem besteht aus dem Blickwinkel des Tierschutzes bei hoher interindividueller Variabilität die Gefahr, dass in Studien, die eine Belastung für die Tiere beurteilen sollen, einzelne stark belastete Tiere nicht berücksichtigt werden.

Um die Varianzeffekte einer strukturierten Haltung zu beurteilen erscheint es sinn-voll, zwischen den deutlichen Effekten, d.h. den Effekten, die in einer Vervielfachung der für eine gegebene Untersuchung notwendigen Tierzahl resultieren, und den geringen, im Prozentbereich liegenden Varianzerhöhungen, zu unterscheiden.

Die deutlichen Effekte der zitierten Arbeiten können bei ESKOLA et al. (1999b) als Auswert- und bei GÄRTNER (1998) als Haltungsarteffakte angesehen werden.

Bei den Extremwerten von ESKOLA et al. (1999b) scheint eine kritische Betrachtung der Darstellungsmethoden angebracht. Die Autoren kalkulieren einen Quotienten aus der unter Enrichmentbedingungen (n/enrich) und Standardbedingungen (n/control) notwendigen Anzahl an Tieren, indem sie n/enrich durch n/control dividieren. Ein solcher Quotient kann unter der Bedingung n/enrich > n/control belie-big hoch werden, während er unter der Bedingung n/control > n/enrich nur Werte zwischen < 1 und > 0 annehmen kann.

Eine logarrhytmische Darstellung wäre hier korrekt. Eine solche Darstellung zeigt, dass es bei einer etwa gleich großen Anzahl von Messparametern zu erheblichen (mehr als dreifachen) höheren Tierzahlen sowohl bei den strukturiert als auch bei den standardisiert gehaltenen Tieren kommt (persönliche Mitteilung von Herrn Dr. A.

Haemisch, 7. Juni 2001).

Wenn auch die extremen Abweichungen damit als Auswertarteffakt nicht in eine ein-deutige Richtung zeigen, so bleibt doch zu erkennen, dass bei der Mehrzahl der Messparameter die erhöhte Variabilität unter Enrichmentbedingungen zu einer Erhöhung der für Versuche notwendigen Tierzahl führt.

Etwas anders verhält es sich mit den deutlichen Effekten bei Mäuseböcken, wie von GÄRTNER (1998) beschrieben. Eine nähere Betrachtung der hier zugrundeliegen-den Originalarbeiten zeigt, dass hier jeweils Enrichmentmodelle verwendet wurzugrundeliegen-den, die zu einer Intensivierung der Aggressivität zwischen den jeweils in Gruppen gehal-tenen Mäuseböcken führte (HAEMISCH u. GÄRTNER 1994; HAEMISCH et al. 1994;

BERGMANN et al. 1995).

Adulte Mäuseböcke sind im Freiland territorial und im Käfig weitgehend unver-träglich untereinander. Insbesondere intuitiv geleitete Enrichmentmodelle können diese Unverträglichkeiten so weit intensivieren, dass es zu aggressivem Verhalten mit Verletzungsfolge zwischen den Böcken kommt. Bleibt diese soziale Haltungs-situation bestehen, so verteilt sich der soziale Stress in der Gruppe nicht gleich-mäßig auf die Gruppenmitglieder, sondern betrifft die unterlegenen Tiere stärker oder zumindest in anderer Weise als die dominanten Tiere.

Diese asymmetrische Belastungssituation kann die größere Variabilität von stress-physiologisch relevanten Messparametern und des Körpergewichtes in Enrichment-gruppen gut erklären. Für die Haltungspraxis muss dies heißen, dass solche Haltungsformen bei männlichen Mäusen nicht verwendet werden.

Zusammengefasst kann die Anreicherung der Haltungsumgebung bei Labortieren durchaus zu einer erhöhten interindividuellen Variabilität organometrischer und bio-chemischer Messwerte führen (GÄRTNER 1998; NEVALAINEN et al. 1998;

ESKOLA et al. 1999b; TSAI 1999; MERING et al. 2001). Extremwerte sollten allerdings kritisch hinterfragt werden, da sie eventuell auf Auswert- oder Haltungsarteffakte zurückgeführt werden können.

Fragwürdig hingegen erscheint der Einfluss der Haltungsbedingungen auf die Er-höhung der interindividuellen Variabilität von ethologischen Messparametern, da sich Ratten in Verhaltenstests bereits durch eine hohe interindividuelle Varianz aus-zeichnen (VATULANI et al. 1987; ZIMMERMANN 1999).

Insgesamt ist eine weitere Festigung der Datenbasis wünschenswert, bevor über zugrundeliegende Mechanismen und Konsequenzen diskutiert werden kann.