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5 Angaben zur rattengerechten Haltung und ihre Bewertung

5.3 Haltungsstrukturen

5.3.7 Deckung, Ruheplätze, Nestmaterial

Deckung ist notwendig zur Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses der Ratte. In ihrem natürlichen Habitat leben Ratten vorzugsweise in Erdbauen, welche STEINIGER (1950a) nach der Art der Benutzung in Wohnbaue, Vorratsbaue und Deckungslöcher einteilt. Die als "Deckungslöcher" bezeichneten Baue sind kurze, schräg in den Boden geführte Blindgänge, vor allem in der Nähe des Fressplatzes und an anderen Stellen im Revier, die als erster Unterschlupf bei kurzer, leichter Bedrohung dienen.

Insbesondere BOICE (1977) sowie FLANELLY und LORE (1977a) untersuchten das Grabeverhalten und die Konstruktion von Erdbauen bei Wild- und Laborratten sowohl in Außengehegen als auch in der Laborsituation und zeigten, dass die errichteten Baue in Bezug auf ihre Größe, Ausdehnung und Anordnung nicht voneinander zu unterscheiden waren. Das Grabeverhalten war den Autoren zufolge sowohl bei den wilden Ratten als auch bei den domestizierten Artgenossen unabhängig davon, ob sie im Labor oder in Außengehegen aufgewachsen waren (siehe dazu auch Abschnitt 3.4.7). Baue gleicher Art werden nach SCHMIDT (1985) auch bei domestizierten, in großen Terrarien gehaltenen Ratten gefunden.

Bei Gefahr zeigen Ratten entweder "Erstarrungsverhalten" oder sie flüchten in die Wohnbaue, Deckungslöcher bzw. andere geeignete Unterschlupfmöglichkeiten. Das Erstarrungsverhalten oder die Schreckstarre scheint eine angeborene spezies-spezifische Reaktion zu sein, denn bereits Rattensäuglinge zeigen dieses Verhalten als Antwort auf die Anwesenheit fremder Rattenböcke (TAKAHASHI 1992b), welche für Ratten in diesem Alter eine potenzielle Gefahr darstellen (TAKAHASHI u. LORE 1982). Ältere Ratten zeigen diese Reaktion bei Anwesenheit von Fressfeinden wie beispielsweise Katzen oder Hunden (BLANCHARD u. BLANCHARD 1972;

BRONSTEIN u. HIRSCH 1976) nur dann, wenn keine sichere Rückzugsmöglichkeit besteht (TAKAHASHI et al. 1980).

Obwohl Prädatoren in der Rattenhaltung nicht vorkommen, hat die Ratte dieses Verhaltensmuster im Rahmen der Domestikation nicht abgelegt. Sie sucht, sofern vorhanden, regelmäßig Deckung auf. Dies gilt nicht nur für den spontanen Rückzug bei Störungen. Auch das Ruhe- und Aufzuchtverhalten findet ganz überwiegend in der Deckung statt (siehe Abschnitt 3.4.5.2 und Abschnitt 3.4.9.3).

Bietet eine Haltung hingegen keine Unterschlupfmöglichkeiten, so suchen sich die Tiere Substitute wie Wasserflaschen, Futterraufen oder zumindest Käfigecken und Käfigwände, wo sie sich meist eng aneinander drängen.

Insbesondere DÖRING (1997) untersuchte die Käfigraumausnutzung von Ratten in verschieden großen Testkäfigen während der Dunkelphase bei schwacher Rotlicht-beleuchtung und zeigte, dass sich die Tiere in allen untersuchten Testkäfigen haupt-sächlich unter der Futterraufe und im hinteren, der Raufe gegenüberliegenden, Käfigbereich aufhielten. Der Autorin zufolge hielten sich die "Jungtiere" (9. bis 11.

Lebenswoche) während der Versuchsphase zu 56 bis 75% und die "Adulten" (17. bis 19. Lebenswoche) zu 49 bis 60% unter der Raufe auf.

Diese Ergebnisse implizieren, dass Ratten in laborüblichen Standardkäfigen auch während der Dunkelphase Deckungselemente wie Futterraufen als Rückzugs-möglichkeit zum Ruhen aufsuchen.

Beobachtet man Laborratten während der Lichtphase in ihren Käfigen, so wird der Einfluss der Lichtintensität auf das Ruhe- und Schlafverhalten besonders deutlich:

Während sich die Tiere in den oberen Käfigetagen oft zusammengekauert unter der Futterraufe an der Käfigfront aufhalten, ruhen die Tiere der unteren Käfigetagen meist weiter hinten im Käfig, in den Bereichen, welche durch darüberliegende Käfige vor direkter Bestrahlung geschützt sind.

5.3.7.1 Nestboxen

Wanderratten bevorzugen zum Schlafen oder Ruhen dunkle, enge und geschützte Stellen, meistens den Wohnbau (STEINIGER 1950a). Nach WOODHOUSE und GREENFELD (1985) zeigen Laborratten eine generelle Präferenz für Beleuchtungs-stärken von unter 11 lx. NICOLAIDIS et al. (1979) untersuchten das Schlaf- und Fressverhalten von Ratten, die in einem mit einer dunklen "Nische" als Rückzugs-möglichkeit angereicherten Käfig gehalten wurden. Sie fanden einen Anstieg der Schlafenszeiten besonders in der Dunkelphase ohne deutliche Präferenzen zwischen Tag und Nacht. Auch DENNY (1975) weist darauf hin, dass Ratten speziell während der Hellphase eine deutliche Präferenz für komplex angereicherte Käfige zeigen. Er interpretiert dieses Verhalten dahingehend, dass die Tiere einen geeig-neten Unterschlupf zum Ruhen suchen.

Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten in der Labortierhaltung

Insbesondere die Arbeiten von MANSER et al. (1998a, b) belegen, dass Ratten relativ enge Nestboxen annehmen und eine deutliche Präferenz für undurchsichtige oder halbdurchsichtige Modelle zeigen.

MANSER et al. (1998a) boten Rattenböcken im Wahlversuch vier verschiedene kommerziell erhältliche "Schlafhäuschen" an und zeigten in ihren Vorversuchen, dass die Ratten eine ausgesprochene Vorliebe für einen durch ein Schlupfloch modifizierten, schwarzen DIN A 5 Karteikasten als Nestbox zeigten, in dessen Innen-raum eine Lichtintensität von 6 lx herrschte. Da sich dieser handelsübliche Kartei-kasten mit den Außenmaßen 20,5 x 12,5 x 17 cm für drei ausgewachsene Ratten-böcke als zu klein erwies und außerdem aufgrund seiner Konstruktion keine visuelle Kontrolle des Innenraumes ermöglichte, konstruierten die Autoren Prototypen aus halb- bzw. undurchsichtigem Plexiglas mit den Außenmaßen 25 x 17 x 12 cm, die einen offenen Boden sowie eine offene Frontseite hatten.

In einem sich anschließenden, erneuten Wahlversuch tendierten die Ratten dazu, das Modell aus undurchsichtigem Material zu bevorzugen, das aufgrund der offenen Frontseite ausreichend Möglichkeiten zur visuellen Inspektion seitens des Betreuungspersonals bot, wobei die Lichtintensität im Inneren dieses Prototyps nicht mehr als 8 lx betrug.

Darüber hinaus zeigte die Autorengruppe MANSER et al. (1998b), dass die Versuchstiere mehr Arbeit verrichteten, um in einen Käfig mit Nistbox zu gelangen, als sie es für einen leeren Käfig taten.

Auch SCHARMANN (1998) berichtet von der Strukturierung des Käfigs durch einen an zwei Seiten offenen Einsatz aus Plastik mit den Maßen 19 x 14 x 7 cm, welcher für den Beobachter leicht einsehbar ist. Dem Autor zufolge ist dieser Käfigeinsatz tagsüber bevorzugter Unterschlupf und Schlafplatz, wird aber auch nachts gern zum Ruhen aufgesucht. Darüber hinaus dient die Nestbox ferner als Podest zur besseren Erkundung der Außenwelt und als Absprungbrett zum Klettern am Käfigdeckel.

Nach TOWNSEND (1997) eignen sich auch ausgediente, umgedrehte und mit einem Schlupfloch modifizierte Makrolon Typ-II-Käfigwannen als Schlafhäuschen für Labor-ratten.

Eine Anreicherung der laborüblichen Standardkäfige durch Nestboxen oder andere Rückzugsmöglichkeiten wird mittlerweile von vielen Autoren und Organisationen für die kommerzielle Rattenhaltung empfohlen (DENNY 1975; NICOLAIDIS et al. 1979;

HART 1994; O'DONOGHUE 1993; SCHARMANN 1994, 1995, 1997, 1998; GV-SOLAS 1996; NOWAK 1995; BAUMANS u. van der WEERD 1996; PFEUFFER 1996; TOWNSEND 1997; MANSER et al. 1998a; SHARP et al. 1998; DICKSON u.

WRIGHTSON 1999; ESKOLA et al. 1999a; ZIMMERMANN 1999).

Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten in der Heimtierhaltung

Für die Heimtierhaltung weist insbesondere HOLLMANN (1997a) darauf hin, dass Ratten als Bewohner unterirdisch angelegter Bauten, Schlupf- und Versteck-möglichkeiten für die Ruhephasen während des Tages und als Fluchtort bzw.

Schutzraum gegen Kälte, Zugluft oder grelles Licht benötigen.

Neben kleinen Schachteln, Papp- oder Keramikröhrchen mit einem Durchmesser von ca. 6 cm und Holzkistchen werden als Rückzugs- und Versteckmöglichkeit auch umgedrehte Tonblumentöpfe mit einem Schlupfloch am Rand empfohlen (HOLLMANN 1997a; LANGOS 1997; GASSNER 1998; INGENDAHL 1999).

Als Nestboxen eignen sich Schlafhäuschen in Kastenform aus unbehandeltem Holz bzw. Ton mit den Abmessungen 20 x 15 x 15 cm sowie einem Schlupfloch von 6 cm Durchmesser oder aber die im Zoofachhandel angebotenen Meerschweinchen-häuschen aus Hartplastik (HOLLMANN 1997a; LANGOS 1997; GASSNER 1998;

INGENDAHL 1999; METTLER 1999).

5.3.7.2 Nestbaumaterial

Nestbauverhalten wird ab dem 20. Lebenstag (HAGEMANN u. SCHMIDT 1960;

SCHMIDT 1985) von Ratten beiderlei Geschlechts (BARNETT 1975; HAGEMANN u.

SCHMIDT 1960; DENNENBERG et al. 1969) gezeigt, wobei die Tiere nach EIBL-EIBESFELDT (1955) einen festen Nistplatz haben müssen, der durch vorherige Selbstdressur oder durch die räumlichen Gegebenheiten festgelegt wird.

Die Größe und Ausstattung der Nester ist dabei temperaturabhängig, d.h. je nie-driger die Temperatur, desto mehr Material wird verwandt und desto sorgfältiger werden die Nester errichtet (BARNETT 1975; BARNETT u. HOCKING 1981;

DENNENBERG et al. 1969; SCHMIDT 1985; SCHULTZ et al. 1999).

Bei Weibchen ist das Nestbauverhalten in der späten Phase der Gravidität, zum Zeitpunkt der Geburt und in der Frühlaktation generell erhöht (BARNETT 1975;

SCHMIDT 1985; DENNENBERG et al. 1969; WEISS et al. 1996).

DENNENBERG et al. (1969) untersuchten die Aufzuchtrate von Rattensäuglingen, welche auf Drahtboden mit und ohne Nestmaterial geboren wurden. Während ohne Nestmaterial kein Säugling überlebte, betrug der Anteil der überlebenden Ratten in der Gruppe mit Nestmaterial 67%. NORRIS und ADAMS (1976) beschäftigten sich mit der Aufzuchtrate von Rattensäuglingen, welche in Plastikkäfigen gehalten wurden, die mit Sägespänen eingestreut waren. Ohne zusätzliche Anreicherung mit Nestbaumaterial betrug die Absetzrate nur 28%, wohingegen sie durch Papiertücher (KLEENEX) auf 41% gesteigert werden konnte. Als den Tieren zusätzlich zur Einstreu Holzwolle als Nestbaumaterial angeboten wurde, betrugen die Aufzucht-verluste nur 6%.

NOLEN und ALEXANDER (1966) zeigten schließlich, dass geschreddertes Papier als Nestbaumaterial im Vergleich zu Weichholzspänen einen positiven Einfluss auf die Milchleistung sowie die Absetzrate hat.

SCHARMANN (1991) beobachtete, dass Laborratten ihnen auf dem Käfigdeckel angebotenes Stroh sowie Papierstreifen in den Käfig hineinziehen und zum Nestbau verwenden.

MANSER et al. (1998a) boten Rattenböcken im Wahlversuch sechs verschiedene kommerziell erhältliche Nestbaumaterialien an. Den Autoren zufolge nutzten die Versuchstiere die ihnen angebotenen Materialien spezifisch, wobei sie eine ausge-sprochene Präferenz für solche Nestbaumaterialien zeigten, welche hauptsächlich aus langen Papierstreifen (ca. 400 x 10 mm) bestanden. Kleinere Papierschnitzel, Stoff- oder Holzmaterialien wurden hingegen lediglich manipuliert, im Käfig verstreut und nicht zum Nestbau verwendet.

Auch andere Studien über das Wahlverhalten bezüglich verschiedener Einstreu- und Nestbaumaterialien haben gezeigt, dass Ratten eine ausgesprochene Vorliebe für lange, faserig strukturierte Materialien haben (BLOM 1993; BLOM et al. 1993, 1996;

van der WEERD et al. 1996).

In einem Anschlussversuch wurde das Wahlverhalten von MANSER et al. (1998b) näher untersucht. Der Autorengruppe zufolge zeigten die Ratten im Vergleich mit Standardkäfigen eine deutliche Präferenz für solche Käfige, die mit einer Nestbox und/oder Nestmaterial angereichert waren. Außerdem verrichteten sie mehr Arbeit, um in einen dieser angereicherten Käfige zu gelangen, als sie es bei einem leeren Vergleichskäfig taten.

Für die Heimtierhaltung werden neben unparfümiertem Küchen- oder Toiletten-papier, Papiertaschentüchern sowie Packpapierschnitzeln allgemein Heu und Stroh als Nestmaterial empfohlen.

Abzulehnen sind dagegen Altpapier und bedrucktes Zeitungspapier, da die Druckerschwärze toxische Bestandteile enthält (HOLLMANN 1997a), sowie die in vielen Zoofachgeschäften erhältliche Nestwatte ("Hamsterwatte"), da sich die langen Fasern dieser Watte um die Beine wickeln und dabei die Blutzirkulation behindern können (GASSNER 1998).