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Einfluss von Stress und Arbeitsplatzmerkmalen auf die geistige Leistungsfä- Leistungsfä-higkeit: kurze Literatur-Übersicht und Analyse im Projekt PFIFF

Das Projekt PFIFF – Von der Wissenschaft zum praxisorientierten Nutzen

1. Einfluss von Stress und Arbeitsplatzmerkmalen auf die geistige Leistungsfä- Leistungsfä-higkeit: kurze Literatur-Übersicht und Analyse im Projekt PFIFF

Durch Wettbewerbsdruck, Internationalisierung und Einbindung neuer Tech-nologien haben psychische Belastungen am Arbeitsplatz zugenommen (Flake 2001; Lenhardt 2005). Die durch psychische Belastungen direkt und indirekt entstehenden Kosten werden mittlerweile ähnlich hoch wie jene für physische Arbeitsbelastungen geschätzt (Kuhn 2002). Dabei ist Stress eine wesentliche Einflussgröße auf die geistige Leistungsfähigkeit. Sowohl chronischer (Caswell et al. 2003; Öhman et al. 2007) als auch akuter Stress (Fuchs und Flügge 2001;

Jelicic et al. 2004) wirken ungünstig auf die geistige Leistung.

Durch chronischen Stress kann das sog. „Burnout-Syndrom“ entstehen. Men-schen, die unter diesem Syndrom leiden, haben oft Gedächtnis- und Aufmerk-samkeitsschwierigkeiten (Sandström et al. 2005). Gianaros et al. (2007) fanden Beziehungen zwischen chronischem Stress und einer Abnahme der sog. „grauen Substanz“ im rechten Teil des Hippocampus, einer Hirnregion, die das Lernen und das Gedächtnis unterstützt.

Eine Studie aus dem Jahr 2007 (Öhman et al.) über den Zusammenhang zwi-schen chronischem Stress und Kognition zeigte, dass bei ambulant behandelten

Patienten, die unter chronischem Stress litten, Defizite bzw. Unterschiede in verschiedenen Gedächtnisformen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe auftra-ten. Die Patientengruppe berichtete ebenfalls über mehr subjektive Beschwerden hinsichtlich der eigenen Gedächtnisleistung.

Bei Stress schüttet unser Gehirn Hormone aus: Noradrenalin und Cortisol spielen in diesem Prozess eine besondere Rolle. Das Gehirn gibt aber nicht nur Hormone bei Stressreaktionen ab, sondern empfängt sie auch gleichzeitig, wenn wir einer unkontrollierbaren Belastung gegenüberstehen. Hüther (1997) nennt dieses Phänomen „Zentrales Adaptationssyndrom“. Noradrenalin und Cortisol haben großen Einfluss auf die Funktion des Gehirns, besonders im Hinblick auf die neuronalen Verschaltungen: Bei kurzfristigen und kontrollierbaren Belas-tungen führt das Ausschütten von Noradrenalin zur Stabilisierung bestehender Schaltkreise, was bedeutet, dass alle Verschaltungen im Gehirn, die zur Bewälti-gung genutzt werden, besser ausgebaut und effektiver gemacht werden.

Wenn eine Stressreaktion länger anhält, dann wird hingegen vermehrt Cortisol produziert, was dazu führt, dass die neuronalen Strukturen nicht mehr so stabil sind. Außerdem wird bei chronischem Stress die Kommunikation zwischen den Nervenzellen eingeschränkt.

Chronischer Stress wirkt sich also nachteilig auf das Gehirn aus und kann uns somit letztendlich in der Erfüllung von geistigen Anforderungen einschränken (McEwen 1998).

Studien (Alderson & Novack 2002; Alexander et al. 2007; Kirschbaum et al.

1996; Lee et al. 2007; Lupien & Lepage 2001; Lupien et al. 2005; Oei et al. 2006;

Wolf et al. 2001), die den Effekt von Stresshormonen auf die Kognition unter-sucht haben, konnten die Beeinträchtigung von Gedächtnisleistungen nachwei-sen. Das Erfahren von Stress kann die Leistung im episodischen Gedächtnis (Jelicic et al. 2004; Vondras et al. 2005) und im Arbeitsgedächtnis (Klein & Boals 2001a, 2001b) sowohl bei jungen als auch alten Personen (Caswell et al. 2003;

Lee et al. 2004; Lupien et al. 1997; Wolf et al. 1998) beeinträchtigen.

Die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit (Warr 1994). Einbußen machen sich bemerkbar, wenn

geistige Funktionen durch die Tätigkeit in einem bestimmten Arbeitsfeld –

nicht beansprucht und gefördert werden (Estryn-Behar et al. 2005), monotone Tätigkeiten (Rowe & Kahn 1998) und Aufgaben mit stärkeren –

manuellen und geringeren intellektuellen Anforderungen (Jorm et al.

1998; Schmand et al. 1997) im Berufsleben dominieren sowie

Nacht- und Schichtarbeit (Folkard 1996; Folkard & Akerstedt 2004; Fol-–

kard & Tucker 2003; Rouch et al. 2005) den Arbeitsablauf bestimmen.

Demgegenüber stehen Befunde zum positiven Einfluss bestimmter Tätigkeits-merkmale: Es wurde gezeigt, dass sich geistige Aktivität positiv auf die fluide In-telligenz und Gedächtnisleistungen auswirkt (z. B. Hultsch et al. 1999; Schooler

& Mulatu 2001; Singh-Manoux et al. 2003; Wilson et al. 1999) und anspruchs-volle und komplexe Arbeit eine wichtige geistige Stimulierung zur Verringerung des Altersabbaus darstellt (Bosma et al. 2003). Der positive Einfluss anspruchs-voller Tätigkeit auf die geistige Leistungsfähigkeit nimmt mit steigendem Alter sogar zu (Schooler et al. 1999; Warr 1995). Eine ausführlichere Betrachtung von Arbeitsplatzfaktoren auf die geistige Leistungsfähigkeit findet sich im Beitrag von Wild-Wall und Falkenstein.

In einem weiteren Arbeitspaket wurde der Einfluss von bestimmten Arbeits-platzmerkmalen (Zeitdruck, selbst- oder fremdbestimmte Arbeit) sowie stressbe-zogenen Faktoren auf die im Rahmen der neurophysiologischen Untersuchung erhobenen kognitiven Funktionen untersucht. Diese Ergebnisse wurden eben-falls auf signifikante Gruppenunterschiede hinsichtlich Faktoren wie

Lebensstil (z. B. Ernährung, Rauchen), –

Arbeitsplatzmerkmale (Zeitdruck, selbst- oder fremdbestimmte Arbeit, –

Umfeld) und Coping geprüft.

Dazu wurden u. a. folgende Fragebögen eingesetzt:

1. Fragebogen zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen (Effort-reward im-balance at work questionnaire; ERI). Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen ist ein Modell zur Messung von psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz.

Es wird davon ausgegangen, dass das Erleben dauerhafter psychosozialer Beanspruchung am Arbeitsplatz aus der mangelnden Balance zwischen hoher beruflicher Verausgabung (effort) und niedrigen Belohnungschancen (reward) resultiert. Eine berufliche Gratifikationskrise entsteht somit, wenn sich Men-schen immer wieder stark verausgaben, ohne eine angemessene Belohnung zu erhalten. Der Fragebogen besteht aus drei Subskalen:

„Verausgabung“ (Anforderungen der Arbeitsumwelt; je höher der Ge-–

samtwert ausfällt, desto mehr Anstrengung wird erlebt).

„Belohnung“ (finanzielle und statusbezogene Aspekte, Anerkennung, –

Arbeitsplatzsicherheit; ein niedriger Wert spiegelt eine geringe Erwartung des Probanden hinsichtlich Belohnungen wider).

„berufliche Verausgabungsbereitschaft“ (overcommitment). Hohes –

Overcommitment bedeutet, dass man sich bei der Arbeit extrem veraus-gabt und nicht in der Lage ist, eine distanziertere Haltung gegenüber Arbeitsbelangen einzunehmen.

2. Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ). Beim COPSOQ-Frage-bogen handelt es sich um ein Instrument zur Erfassung psychischer Belastun-gen (19 Skalen) und BeanspruchunBelastun-gen bei der Arbeit (6 Skalen) mit insgesamt 87 Items (verkürzte Version), wobei ein hoher Wert einer hohen Ausprägung auf dieser Skala entspricht.

3. Work Ability Index (WAI). Beim Work Ability Index (auch Arbeitsfähigkeits-index oder ArbeitsbewältigungsArbeitsfähigkeits-index) handelt es sich um einen Fragebogen zur Erfassung der subjektiven Arbeitsfähigkeit von Erwerbstätigen mit insgesamt 7 Dimensionen. Die Werte des WAI können als frühe Indikatoren für vorzeitigen Erwerbsausstieg sowie Mortalität verwendet werden. Die Gesamtwerte für die

„Arbeitsfähigkeit“ werden in vier Gruppen eingeteilt (von „sehr niedrig“ bis

„sehr gut“).

Gruppenunterschiede

Die aufgeführten Ergebnisse zeigen die berechneten Mittelwerte der Gruppen.

Signifikante Gruppenunterschiede fanden sich z. B. beim Work Ability Index. Den höchsten WAI-Wert wies die Gruppe „flexible Tätigkeit/junge Probanden“ auf (42,52: „gute Arbeitsfähigkeit“), den niedrigsten Wert hatte die Gruppe „Linientä-tigkeit/alte Probanden“ (35,22: „niedrige Arbeitsfähigkeit“).

Eine Beispielfrage aus der Skala lautet: „Waren Sie in letzter Zeit aktiv und rege?“

Hinsichtlich der Subskala „Soziale Beziehung und Führung“ des Copenhagen Psychosocial Questionnaire zeigten sich ebenfalls signifikante

Gruppenunter-schiede. Den höchsten Mittelwert hatte die Gruppe „flexible Tätigkeit/junge Probanden“ (66,43), den niedrigsten Wert die Gruppe „Linientätigkeit/alte Pro-banden“ (49,57).

Eine Beispielfrage aus der Skala lautet: „Wie oft erhalten Sie Hilfe und Unter-stützung von Ihrem unmittelbaren Vorgesetzten?“

Bei der Subskala „Verausgabung“ des Fragebogens zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen (ERI) hatte die Gruppe „Linientätigkeit/alte Probanden“ den

Abb. 7: Mittelwertsvergleiche bei der Skala „Soziale Be-ziehung und Führung“ des COPSOQ und beim Work Ability Index

höchsten (2,8), die Gruppe „flexible Tätigkeit/junge Probanden“ den niedrigsten Mittelwert (1,68). Eine Beispielfrage aus der Skala lautet: „Im Laufe der letzten Jahre ist meine Arbeit immer mehr geworden.“ Die Fragebogendaten wurden nicht nur auf signifikante Gruppenunterschiede, sondern auch auf mögliche Be-ziehungen zu den gemessenen geistigen Funktionen untersucht. Dabei weisen die berechneten Korrelationen auf mögliche Zusammenhänge zwischen den erhobenen personenbezogenen und sozialen Faktoren, wie z. B. die erfahrene soziale Unterstützung, die Arbeitsfähigkeit, die sozialen Beziehungen, Arbeits-platzunsicherheit, die berufliche Verausgabungsbereitschaft, Führungsqualität oder Burnout-Symptome und geistigen Funktionen wie Hemmungsprozesse, Daueraufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis sowie die Reaktionsschnelligkeit bei abweichenden, seltenen Reizen hin.