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Einführung der Herz-Lungen-Maschine in Göttingen

Im Dokument Josef Koncz (1916 - 1988) (Seite 53-66)

3. Sein Werk

3.1. Der Aufbau des Herzzentrums in Göttingen

3.1.1. Einführung der Herz-Lungen-Maschine in Göttingen

Frühzeitig hatte Josef Koncz erkannt, dass die Entwicklung einer Thorax- und Herz-Gefäßchirurgie nur im Rahmen eines eigenen Fachgebietes die Förderung erfahren konnte, die sie benötigte, um den Aufgaben zur Versorgung des speziellen Krankengutes gerecht zu werden. Darum galt es zur Erweiterung der operativen Möglichkeiten, die Herz-Lungen-Maschine in Göttingen zu etablieren.124 Professor Bücherl125, ein enger Mitarbeiter von Koncz, hatte unterdessen seit 1952, angeregt durch Herz- und Kreislaufuntersuchungen im Physiologischen Institut126 von 1948 – 1951127, in Göttingen an der Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine gearbeitet. Nach Abschluss der tierexperimentellen Untersuchungen wagte er am 10. Oktober 1957 den ersten, allerdings erfolglosen klinischen Einsatz seiner Herz-Lungen-Maschine in Kombination mit Hypothermie.128

Abb. 41 Herz-Lungen-Maschine nach Bücherl129

124 Göttinger Tageblatt: Vorbestellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

125 vgl. Fußnote 37 Kapitel 2.4., S 29

126 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

127 Junghanns, H.: Chirurgenverzeichnis, 1980, S. 73

128 Lauterbach, G.: Handbuch der Kardiotechnik, 2002, S. 12 - 18

129 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

In Philadelphia hingegen hatte der Amerikaner John Gibbon130 eine Herz-Lungen-Maschine konstruiert, die er nach einigen Fehlschlägen bereits am 06. Mai 1953 mit Erfolg einsetzen konnte. Diese Operation war weltweit die erste, bei der ein totaler kardiopulmonaler Bypass erfolgreich angewandt wurde.132 Der Münchener Herzchirurg Rudolf Zenker133 führte am 18.

Februar 1958 als erster in Deutschland in Marburg an der Lahn eine derartige Operation erfolgreich durch.135 An der Freien Universität in Berlin kam die Herz-Lungen-Maschine erstmals im Oktober zum klinischen Einsatz und im Februar 1959 begann man auch in Düsseldorf parallel zur Oberflächenhypothermie mit Hilfe der extrakorporalen Zirkulation zu operieren.136 Zu dieser Zeit knüpfte Dr. Koncz an seine ersten Kontakte im Hammersmith-Hospital in London an und brachte die von Melrose konzipierte Herz-Lungen-Maschine 1959 nach Göttingen.137 Melrose hatte sich 1949 bei einem Besuch in Schweden, die von Crafoord und Björk entwickelte Maschine vorführen lassen138 und konstruierte darauf hin ein Gerät,

130 Der amerikanische Chirurg John Heyshem Gibbon (1903 – 1973) hatte bereits Ende der dreißiger Jahre erste Versuche an Katzen unternommen, wobei ihm 1937 tatsächlich der kurzfristige Ersatz von Herz- und Lungenfunktion gelang. Durch den Krieg bedingt wurden die Forschungsarbeiten zwangsläufig unterbrochen, so dass sie erst in den fünfziger Jahren wieder aufgenommen werden konnten. Am 06. Mai 1953 konnte dann erstmals eine verbesserte Herz-Lungen-Maschine bei einer Operation des menschlichen Herzens eingesetzt werden. Die von Gibbon konstruierte Maschine übernahm für 26 Minuten die Herz- und Lungenfunktion eines 18-jährigen Mädchens, in dessen Herz der Chirurg einen Vorhofseptumdefekt erfolgreich verschloss.131

131 Eckart, W. U.: Geschichte der Medizin, 4. Auflage, 2000, S. 378 / 379

132 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

133 Rudolf Zenker (24.02.1903 – 18.01.1984) hatte bereits 1955, nachdem er die Nachteile der Herzoperationen in Hypothermie erkannt hatte, mit der von Gibbon konstruierten Herz-Lungen-Maschine experimentiert. Noch bevor er 1958 dem Ruf zum Direktor der Universitätsklinik in München folgte, operierte er am 18.02.1958 in Marburg / Lahn als erster in Deutschland erfolgreich eine Patientin mit Vorhofseptumdefekt, wobei für 22 Minuten die Herz- und Lungenfunktion von der Herz-Lungen-Maschine übernommen wurde.134

134 Ackerknecht, E. H.: Geschichte der Medizin, 7. Auflage, 1992, S. 178 und Lauterbach, G.:

Handbuch der Kardiotechnik, 4. Auflage, 2002, S. 12 - 18

135 Ackerknecht, E. H.: Geschichte der Medizin, 1992, S. 178

136 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

137 Göttinger Tageblatt: Vorbestellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

138 Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung des kardiopulmonalen Bypasses von der Idee bis zur klinischen Anwendung in: Kardiotechnik, 2003, Internet

dessen Filmoxygenator auf dem von Crafoord139 und Björk eingeführten Prinzip der rotierenden Scheiben basierte, welche er in ihrer Form veränderte.141 Die Sauerstoffkammer bestand aus einem schräg liegenden, rotierenden Stahlzylinder in dem 100 Scheiben parallel zueinander angeordnet waren. Über ein zentrales Loch der Scheiben verliefen längs der Achse des Oxygenators die zu- und abführenden Leitungen. Das Blut sammelte sich entsprechend der Schwerkraft am Boden des Zylinders, wo es durch die rotierenden Scheiben hochgerissen und zu einem Blutfilm ausgestrichen wurde. Das Blut kam auf diese Weise während einer halben Scheibendrehung mit dem Sauerstoff in Kontakt.142

Denis Graham Melrose meldete bereits 1952 seine Herz-Lungen-Maschine in Großbritannien und in den USA zum Patent an, lange Zeit bevor er sie am 9. Dezember 1953 erstmals erfolgreich klinisch eingesetzt hatte.143

Abb. 42 Das Oxygenationssystem von Graham Melrose in der Patentschrift144

Er hatte also auf der Grundlage des Scheibenoxygenators von Crafoord und Björk eine Herz-Lungen-Maschine von übersichtlicher Bauart mit zuverlässiger Leistungsfähigkeit entwickelt, die sich in der klinischen Herzchirurgie gut bewährt hatte. Das Gerät war 1,10 Meter lang, 0,60 Meter tief und ebenso hoch. Der große Vorteil dieser Maschine lag in der

139 Clarence Crafoord führte zusammen mit seinem Kollegen Ake Senning am 16. Juli 1954 in Schweden weltweit die zweite erfolgreiche Herzoperation in Verbindung mit kardiopulmonalem Bypass durch.140

140 Lauterbach, G.: Handbuch der Kardiotechnik, 4. Auflage, 2002, S. 12 - 18

141 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

142 Koncz, J.: Herz, Perikard und große thorakale Gefäße in: Hellner–Nissen–Vossschulte Lehrbuch der Chirurgie, 1970, S. 442 - 444

143 Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung des kardio-pulmonalen Bypasses von der Idee bis zur klinischen Anwendung in: Kardiotechnik, 2003, Internet

144 ebenda

Sterilisierbarkeit des Oxygenators im Autoklaven, wodurch eine absolute Keimfreiheit gewährleistet war.145

Den extrakorporalen Bluttransport übernahmen dabei modifizierte DeBakey146 -Rollerpumpen148, deren einfacher technischer Aufbau und problemlose klinische Anwendung von Vorteil waren.

Abb. 43 Patentschrift der bekanntesten Modifikation durch Michael E. DeBakey (1935)149

145 Koncz, J.: Herz, Perikard und große thorakale Gefäße in: Hellner–Nissen–Vossschulte Lehrbuch der Chirurgie, 1970, S. 442 - 444 und Göttinger Tageblatt: Vorbestellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

146 Michael E. DeBakey modifizierte 1934 die Doppelrollerpumpe dahingehend, dass durch geeignete, in Halterungen fixierte Ansatzstücke eine bis dato problematische Weiterbewegung des Pumpen-schlauches innerhalb der Pumpe verhindert wurde.147

147 Lauterbach, G.: Handbuch der Kardiotechnik, 4. Auflage, 2002, S. 12 - 18

148 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

149 Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung der Blutpumpen in:

Kardiotechnik, 2003, Internet

In einem halbkreisförmigen Gehäuse befand sich ein, von einem Elektromotor angetriebener, Pumparm, an dessen Enden jeweils eine Rolle angebracht war. Der in das Gehäuse eingelegte elastische Pumpenschlauch wurde durch die endständigen rotierenden Rollen alternierend komprimiert und bei Entfaltung wieder mit Blut gefüllt. Die Blutweiterleitung im Schlauch-system basierte hierbei auf dem Prinzip der peristaltischen tangentialen Verdrängung in Abhängigkeit des Schlauchdurchmessers und der Umdrehungszahl der Rollen.150 Auf diese Weise war es möglich die Blutströmungsrichtung ohne Zwischenschaltung von Ventilen konstant zu halten.151 Das von der Maschine bewältigte Pumpenminutenvolumen betrug 0,5 - 2 l/min.152

Abb. 44 Das Bild zeigt die erste, 1960 in der Göttinger Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie eingeführte, Herz-Lungen-Maschine. Es handelte sich hierbei um eine NEP-Maschine mit Melrose-Oxygenator.153

150 Lauterbach, G.: Handbuch der Kardiotechnik, 2002, Kapitel 4.1., S. 181 - 184

151 Koncz, J.: Herz, Perikard und große thorakale Gefäße in: Hellner–Nissen–Vossschulte Lehrbuch der Chirurgie, 1970, S. 442 - 444

152 Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung des kardio-pulmonalen Bypasses von der Idee bis zur klinischen Anwendung in: Kardiotechnik, 2003, Internet

153 Die Abbildungen 44, 46 und 48 in Kapitel 3.1.1. stammen aus dem privaten Fotoalbum von Josef Koncz.

Mit dem ersten erfolgreichen Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zur Korrektur eines Ventrikelseptumdefekts am 9. März 1960 durch Professor Koncz und sein kleines Team, von damals fünf Ärzten und einem Kardiotechniker, war nun auch in Göttingen die experimentelle Phase der extrakorporalen Zirkulation beendet.154

Die Aufgabe der Herz-Lungen-Maschine bestand darin, das Herz und die Lunge vorrübergehend aus dem Blutkreislauf auszuschalten und deren Funktion zu übernehmen.155

Abb. 45 Schematische Darstellung der extrakorporalen Zirkulation156

154 Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung des kardio-pulmonalen Bypasses von der Idee bis zur klinischen Anwendung in: Kardiotechnik, 2003, Internet

155 Göttinger Tageblatt: Vorbestellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

156 Henne-Bruns, D., Düring, M., Kremer, B.: Duale Reihe, Chirurgie 2001, S. 949

Über zwei venöse Schläuche, angeschlossen an der oberen und unteren Hohlvene, wurde das Blut aus dem Körperkreislauf des Patienten in den Oxygenator der Maschine geleitet. Der Oxygenator übernahm den Gasaustausch der Lunge, wobei dem Blut Sauerstoff bei gleichzeitiger CO2-Abgabe zugeführt wurde. Entsprechend ihrer Funktionsweise unterscheidet man verschiedene Typen von Oxygenatoren. Anfänglich kamen vor allem die Mitte der 50er Jahre entwickelten Filmoxygenatoren zum Einsatz. Deren Gasaustausch erfolgte, wie zuvor beschrieben durch direkten Blut-Gas-Kontakt über filmähnlich ausgezogene Blutschichten mittels rotierender Scheiben. Aufgrund der Traumatisierung der Blutkörperchen sind diese Oxygenatoren heute nicht mehr gebräuchlich. Mit Einführung der Koronarchirurgie Anfang der 70er Jahre setzten sich die Blasenoxygenatoren im Klinikalltag durch. Die Arterialisierung des Blutes erfolgte bei diesen Geräten mittels Dispersion kleinster Sauerstoffbläschen ebenfalls durch direkten Blut-Gas-Kontakt. Problematisch hierbei war die Gefahr von Mikroembolien bedingt durch die erhebliche Schaumbildung im Oxygenator.

Daher entwickelte man die seit 1969 im Handel erhältlichen Membranoxygenatoren, die heutzutage routinemäßig zum Einsatz kommen. Bei diesen erfolgte der Gasaustausch ähnlich der Lunge über eine semipermeable Membran, so dass Patientenblut und Sauerstoff nicht in direkten Kontakt miteinander kamen. Die Bluttemperatur im extrakorporalen Kreislaufsystem regelte ein Wärmetauscher. Das ist ein Zweikammersystem, das nach heutigem Stand der Technik bereits im Membranoxygenator integriert ist. Dabei wird die eine Kammer mit Patientenblut durchspült und die andere mit entsprechend temperiertem Wasser, wobei der Wärmeaustausch über die Oberfläche der aneinander angrenzenden Kammern erfolgt. Das auf diese Weise oxygenierte Blut wurde mittels einer Pumpe, die die Pumpfunktion des Herzens ersetzte, durch einen arteriellen Schlauch über die Aorta in den Körper des Patienten zurückgeleitet. Aufgrund der damals noch fehlenden technischen Möglichkeiten einer Blutmikrofiltration, setzte man arterielle Luftblasenfallen zur Vermeidung von Luftembolien ein. Diese waren im Verhältnis zu den heutigen Mikrofiltern, deren Porenweite 20 – 40 µm beträgt, mit 100 – 300 µm relativ großporig.157

So wurden mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine Eingriffe am eröffneten, stillgelegten Herzen unter Sicht möglich ohne die Blutzirkulation im Körperkreislauf zu unterbrechen.158 Die durchschnittliche Operation dauerte in der Regel 30 bis 40 Minuten. In äußerst schwierigen Fällen konnte die Maschine die Herzfunktion bis zu maximal vier Stunden übernehmen. Die

157 vgl. Lauterbach, G.: Handbuch der Kardiotechnik, 4. Auflage Jena 2002, Kapitel 4.2., S. 185 - 200 und Henne-Bruns, D., Düring, M., Kremer, B.: Duale Reihe, Chirurgie 2001, S. 947 - 950

158 Henne-Bruns, D., Düring, M., Kremer, B.: Duale Reihe, Chirurgie 2001, S. 947 - 950

Sachkosten einer solchen Operation beliefen sich damals auf etwa 2250 DM und wurden von der Krankenkasse komplett übernommen. Die Anschaffungskosten für eine Herz-Lungen-Maschine lag damals bei etwa 40.000 DM.159

Von 1960 bis 1963 wurden mit Hilfe der Melrose Herz-Lungen-Maschine in Göttingen etwa 250 Patienten operiert. Die Altersverteilung der Patienten lag zwischen 6 Monaten und 49 Jahren. Wobei der Hauptanteil von 185 Patienten zwischen 2 und 13 Jahren alt waren. In diesen 3 Jahren wurden, bis auf 6 Patienten mit erworbenen Herzfehlern, ausschließlich Patienten mit angeborenen Herzfehlern operiert.160

Nur drei Jahre nach der Einführung der ersten Herz-Lungen-Maschine in Göttingen wurde 1963 bereits eine weitere Maschine eingesetzt. Dennoch mussten rund 500 Patienten durchschnittlich drei Jahre auf eine Operation warten. Etwa zweidrittel hiervon waren Kinder mit angeborenen oder erworbenen Herzfehlern.161 Diese zweite Maschine war eine Honeywell-Maschine. Dabei handelte es sich um eine Konsole mit zwei Doppelrollerpumpen und einem Kay-Cross-Oxygenator. Frederick S. Cross hatte 1956 gemeinsam mit Earle B.

Kay in Cleveland einen Scheibenoxygenator entwickelt, der in den späten 50er Jahren als Kay-Cross-Apparat in mehreren Modifikationen weltweite Verbreitung fand. Dieser bestand, ähnlich dem bereits 1948 von Crafoord und Björk vorgestellten Oxygenator, aus vielen vertikalen Scheiben an einer horizontalen Achse, die in einer Sauerstoffatmosphäre rotierten.162

159 Göttinger Tageblatt: Vorbestellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

160 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

161 Frankfurter Allgemeine Zeitung: 1000 Operationen mit Herz-Lungen-Maschine, 01.03.1967

162 vgl. Böttcher, W.; Merkle, F.; Weitkemper, H.-H.: Historische Entwicklung des kardio-pulmonalen Bypasses von der Idee bis zur klinischen Anwendung in: Kardiotechnik, 2003, Internet und Bock, H.:

45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

Abb. 46 Die Honeywell-Maschine mit Kay-Cross-Disc-Oxygenator wurde 1963 als zweite Herz-Lungen-Maschine in Göttingen eingesetzt.

Wollte man das Problem der Blutbeschaffung bei steigenden Patientenzahlen angehen, musste eine Alternative zum herkömmlichen System gefunden werden.So kam im Oktober

1963 in der Göttinger Klinik der erste Plastik-Dispersionsoxygenator nach Cooley zum Einsatz.163

Abb. 47 zeigt einen Travenol-Bubbleoxygenator164

Doch das geringere Füllvolumen der "Plastikoxygenatoren" alleine führte nicht zu der sich anbahnenden Verbreitung des Bubbleoxygenators. Mit dem Oxygenator einher ging die Anwendung der Methode der Hämodilutionsperfusion165. Beide Perfusionsmethoden führten letztlich weltweit zum rasanten Anstieg der kardiochirurgischen Eingriffe. Wurden in Göttingen im Jahre 1963 bei 123 Patienten Herzoperationen mit dem Scheibenoxygenator durchgeführt, stieg bereits mit der Einführung des Bubbleoxygenators 1964 die Patientenzahl um 42 % auf 175 Patienten. Zur Verfügung standen von der Firma Travenol je ein Oxygenatortyp für Säuglinge, Kinder oder Erwachsene und von der Firma Polystan zwei Größen mit einem Füllvolumen zwischen 800 – 1500 ml. Bei der Umstellung vom Scheiben- zum Bubbleoxygenator ergaben sich perfusionstechnisch keine größeren Probleme. Um den Travenol-Bubbleoxygenator in den bestehenden Maschinenaufbau zu integrieren, wurde von der Klinikwerkstatt eine Rahmenvorrichtung zum Aufhängen des Oxygenators gebaut.167

163 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

164 ebenda

165 Unter Hämodilution versteht man eine Verdünnung aller im Blutplasma vorhandenen zellulären und gelösten Bestandteile durch Blutentzug und gleichzeitigem isovolämischen Blutersatz durch Plasmaersatzstoffe.166

166 Pschyrembel, W.: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 1990, S. 637

167 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

Im August 1964 wurde in der Göttinger Universitätsklinik die 500. Operation mit der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt. In der Regel erfolgten damals pro Woche etwa vier bis fünf Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, doch die Operationstermine waren bereits bis Mitte 1966 vergeben. Die erstaunlich hohe Anzahl an Voranmeldungen, allein 1964 waren es über 1200, resultierte daraus, dass die Göttinger Klinik damals als einzige in ganz Niedersachsen über eine Herz-Lungen-Maschine verfügte. Hinzu kamen noch Patienten aus Hessen, denn auch die Universitätsklinik in Frankfurt besaß noch kein derartiges Gerät. In lediglich ein paar weiteren Städten der Bundesrepublik (Berlin, Heidelberg, München, Düsseldorf und Hamburg) wurde diese Maschine damals noch erfolgreich eingesetzt.168

Abb. 48 Ab 1964 wurde in Göttingen eine Kombination aus Melrose- und Kay-Cross-Disc-Oxygenator eingesetzt.

„Die tausendste Operation mit einer Herz-Lungen-Maschine führte vor kurzem der Leiter der Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik in

168Göttinger Tageblatt: Vorstellungstermin: Mitte 1966, 15./16.08.1964

Göttingen, Professor Josef Koncz, aus.“, so schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 01. März 1967.169

Mit den gewonnenen Erfahrungen und der Verfeinerung der Perfusionstechniken sowie der Umstellung von Scheiben- auf Bubbleoxygenatoren überholten sich die alten Maschinen-typen. Mit der Sarns Herz-Lungen-Maschine wurde 1967 die erste in Modulbauweise konzipierte Maschine in Betrieb genommen. Die Pumpenköpfe und Getriebe aus den alten Maschinen wurden ausgeschlachtet und damit ein neues Maschinenmodul hergestellt 170

Abb. 49 zeigt eine modifizierte Herz-Lungen-Maschine in Modulbauweise.171

Die 70er Jahre waren geprägt von der Verbesserung der Perfusionsüberwachung, Einführung der Myokardprotektion durch kardioplegische Lösungen172 und der Membranoxygenation.

169 Frankfurter Allgemeine Zeitung: 1000 Operationen mit Herz-Lungen-Maschine, 01.03.1967

170 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

171 ebenda

172 Professor Hans-Jürgen Bretschneider (gestorben 09.12.1993), ein enger Mitarbeiter von Koncz, publizierte erstmals 1964 in Göttingen eine kardioplegische Lösung mit deren Hilfe ein reversibler Herzstillstand künstlich indiziert werden konnte. Dabei handelte es sich um eine Ca-freie und Na-arme, procainhaltige Lösung mit deren Hilfe die Toleranzzeit des Herzmuskels gegenüber einer Unterbrechung der Blut- und Sauerstoffzufuhr deutlich verlängert werden konnte. Darüber hinaus erreichte man eine absolute Unerregbarkeit des Herzens und eine ungewöhnliche Erschlaffung des Myokards. Mit Hilfe der Myokardprotektion wurde die Mortalität, die Komplikationsrate und die Verweildauer der Patienten auf der Intensivstation nach einer Operation verringert und dementsprechend die Lebenserwartung erhöht.173

173 vgl. Bretschneider, H. J.: Gehört die Zukunft den technischen Herz-Ersatzsystemen oder der rekonstruktiven Herzchirurgie? in: Herzchirurgie 1982, Hrsg. de Vivie, E. R., Hellberg, K.,

So wurde die fortlaufende Messung der Blutgase von 1972 an routinemäßig durchgeführt und ab 1973 die im Physiologischen Institut in Göttingen von Bretschneider experimentell weiter verbesserte kardioplegische Lösung verwendet. Die perfusionstechnischen Entwicklungen und Methoden waren bis 1985 weitgehend abgeschlossen, so dass in den 90er Jahren der Schwerpunkt vor allem auf der Entwicklung computergestützter Datenerfassung lag.174

Im Jahr 2003 war es genau 50 Jahre her seit John Gibbon in den USA die Herz-Lungen-Maschine zum ersten mal erfolgreich eingesetzt hatte. Die Abbildung 40 zeigt die derzeit in Göttingen verwendete Maschine. Dabei handelt es sich um eine Polystan Herz-Lungen-Maschine, bestehend aus einer fahrbaren Konsole Typ Nr. 572010 mit vier Perfusionspumpen vom Typ Polystan Verticlude. Das Monitor-Rahmengestell mit den Anzeigemodulen und den Bedienungsfeldern, auf denen die Überwachungsparameter abzulesen sind, befindet sich auf der linken Seite. Im Gegensatz zu früher benutzt man heute nur noch Einmaloxygenatoren, wobei bei einer Operation durchaus auch 3 - 4 Oxygenatoren parallel eingesetzt werden.175

Abb. 50 zeigt die zur Zeit (Oktober 2003) in Göttingen eingesetzte Herz-Lungen-Maschine.176

Ruschewski, W., 1982, S. 33 - 43 und Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in:

Kardiotechnik, 2003, Internet

174 Bock, H.: 45 Jahre erlebte extrakorporale Zirkulation in: Kardiotechnik, 2003, Internet

175 handschriftliche Angaben von Dr. med. Tom Stojanovic, Assistenzarzt in der Abteilung der Herz- Thoraxchirurgie des Göttinger Klinikums

176 Das Foto wurde im Oktober 2003 von Dr. Stojanovic im Operationssaal des Göttinger Klinikums aufgenommen.

Im Dokument Josef Koncz (1916 - 1988) (Seite 53-66)