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3 Geistige Eigentumsrechte als wirtschaftspolitisches Instrument zur Förderung der Wissensproduktion

3.1 Eine kurze Geschichte geistiger Eigentumsrechte

Exklusive wirtschaftliche Rechte wurden schon immer von Fürsten und Königen verliehen, um Untertanen zu belohnen. Ein Patentsystem im heutigen Sinne entstand jedoch erst im 15.

Jahrhundert in Venedig. Seit dem Jahr 1474 verliehen die dortigen Herrscher Monopolprivi-legien für eine Dauer von zehn Jahren an Erfinder neuartiger Maschinen.94 Bis ins 19. Jahr-hundert breiteten sich Patente und Urheberrecht in ganz Europa und in den USA aus.95 Im gesamten Zeitraum waren geistige Eigentumsrechte gesellschaftlich und politisch umkämpft.

Es ist somit ein relativ junges Phänomen, dass geistige Eigentumsrechte – zumindest in den Industrieländern – breite Unterstützung finden.

Patente in Europa und den USA96

Das Wirtschaftsleben des Mittelalters beruhte auf der Einordnung der einzelnen Gewerbetrei-benden in die starre Ordnung der Zünfte und Gilden. Die Konkurrenz war begrenzt, und viele Details der Gewerbe waren reguliert, so dass Erfindergeist und Innovationen nicht belohnt wurden. Diese statische Wirtschaftsordnung geriet im Spätmittelalter durch den aufkommen-den Individualismus, die merkantilistischen Ziele einiger Regenten und bahnbrechende Erfin-dungen unter Druck. Regenten gingen verstärkt dazu über, Gewerbe- und Erfinderprivilegien zu vergeben, um die starre Zunftordnung aufzubrechen und individuelle Leistungen zu beloh-nen. Allerdings wurden die Monopolprivilegien diskretionär verliehen und dienten auch spezifischen Zielen der jeweiligen Regenten. Das konnten ökonomische (Förderung von Innovationen und Technologietransfer) oder politische Ziele sein (Belohnung, Sicherung von Einfluss, Erzielung von Renten für die Herrscherfamilie).

Die Willkür bei der Patentvergabe führte besonders in England zu Protesten. Häufig wurden keine Erfindungen, sondern der Handel mit altbekannten, lebensnotwendigen Gütern wie Salz oder Öl mit Monopolprivilegien versehen. Der politische Druck wurde in Großbritannien so groß, dass dort im Jahr 1624 das Patent als spezielles Monopolprivileg anerkannt wurde

94 Zwischen 1475 und 1550 sollen knapp 100 solcher Privilegien verliehen worden sein. Vgl. Penrose (1951), S. 2.

95 Auf die Geschichte der anderen Schutzinstrumente wird hier aus Platzgründen nicht eingegangen.

96 Vgl. für diesen und den folgenden Teil Penrose (1951), Kap. I. und Hubmann/Götting/Forkel (1998), Kap. 1.

(Statute of Monopolies, Section 6). In dieser so genannten „Magna Charta der Rechte von Erfindern“ wird erstmals in einem allgemeinen Gesetz eines modernen Staates festgelegt, dass nur der erste Erfinder eines neuen Produkts ein Monopolpatent erhalten kann. Das Gesetz basiert auf der Idee der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die nur im allgemeinen Interesse durch Monopole begrenzt werden darf. Das Monopolstatut bildet noch heute die Basis des britischen Patentrechts und blieb über 150 Jahre das einzige Gesetz dieser Art, bevor Frank-reich 1791 nachzog. Allerdings standen hier im Zuge der französischen Revolution stärker die Gedanken liberaler Philosophen über ein „natürliches Recht am geistigen Eigentum“ Pate (s.u.). Andere europäische Länder folgten bald bei der Ausarbeitung von Patentrechtsyste-men: Österreich 1810, Russland 1812, Preußen 1815, Belgien und die Niederlande 1817, Spanien 1820, Bayern 1825, Württemberg 1836, Sachsen 1843. “The ancient privilege system had given way to a system based on statutory law.“97

In den Vereinigten Staaten ermächtigt die Verfassung (Art. I, Sek. 8 (8)) den Kongress, „to promote the progress of science and useful arts by securing for limited times to authors and inventors the exclusive rights to their respective writings and discoveries.“ Das erste nationale Patentgesetz wurde 1790 verabschiedet und begründete eines der erfolgreichsten Patentsys-teme der Welt – zumindest gemessen an der Anzahl der erteilten Patente.98 Das amerikanische Patentsystem betont die Rechte der Erfinder und erteilt Patente relativ freigiebig, um damit Innovationen und die gesellschaftliche Wohlfahrt zu fördern.

Das kontinentaleuropäische und das angloamerikanische Urheberrecht

Sowohl in England als auch in Frankreich entstand das Urheberrecht im 16. Jahrhundert parallel zu den Patenten als Monopolprivileg. Von ihm sollten die Druckergilden profitieren, und den Monarchen sollte es Zensur und Überwachung ermöglichen.99 Seit der französischen Revolution werden in der kontinentaleuropäischen Tradition die „Urheberrechte als ein dem Autor natürlich zufallendes Recht und als gerechte Belohnung für seine Arbeit und Kreativität erachtet“.100 Das Urheberrecht soll primär die „moralischen Rechte der Autoren“ schützen und daneben die Rechte der Verleger an einer kommerziellen Verwertung der kreativen Wer-ke durchsetzen. Das französische Urheberrecht hat das internationale Urheberrecht später maßgeblich beeinflusst.

Demgegenüber bewahrt das angloamerikanische Copyright seine Tradition als Kopierrecht der Verlage. Dadurch sind die Rechte, die den Autoren zustehen, begrenzter als in Europa.

Autoren verlieren gemäß der first-sales doctrine alle Rechte, nachdem sie das Werk verkauft haben (beispielsweise an einen Verlag). Im kontinentaleuropäischen Urheberrecht bleibt stets

97 Penrose (1951), S. 12.

98 Seit 1790 wurden über 6 Millionen Patente erteilt. Vgl. Khan (2002), S. 20.

99 Vgl. Khan (2002), S. 33.

100 Grassmuck (2002), S. 58.

ein unzertrennliches Band zwischen Urheber und Werk bestehen, das ihn beispielsweise gegen eine Entstellung seines Werkes schützt.

Beide Rechtstraditionen bemühen sich um eine Balance zwischen den Interessen der Rechte-inhaber und denen der Öffentlichkeit an einem „ungehinderten Zugang zu den Kulturgü-tern“.101 Für die Urheberrechte gibt es daher gesetzlich festgelegte Schranken, um beispiels-weise Privatkopien oder die freie wissenschaftliche Forschung zu ermöglichen. Allerdings wird die Balance auf unterschiedlichen Wegen angestrebt: in der kontinentaleuropäischen Tradition existiert für bestimmte Verwendungszwecke eine Zwangslizenzierung mit Pau-schalabgaben (die an Verwertungsgesellschaften wie beispielsweise die GEMA oder die VG Wort in Deutschland weitergeleitet werden). Das Copyright sieht eine generelle Lizenzie-rungspflicht plus gebührenfreiem fair use vor. Speziell in den USA sind die Bestimmungen zum fair use traditionell sehr umfassend gewesen, da die liberale amerikanische Gesellschaft im Gegensatz zu europäischen Herrschern ursprünglich darauf bedacht war, die freie Mei-nungsäußerung nicht durch Monopole zu gefährden. Das Copyright sollte ein Mittel zum Zweck sein, „um den Fortschritt der Wissenschaft und der nützlichen Künste zu fördern“102. Auch hierin wird deutlich, dass das dortige Urheberrecht – bis heute – nicht auf moralischen Autorenrechten basiert, sondern wie das Patentrecht utilitaristisch begründet wird.

Geistesgeschichtliche Grundlagen des Patentrechts

Vier klassische Patentrechtstheorien dominieren in der Literatur und in öffentlichen Debatten:

Die Naturrechtstheorie, die Belohnungstheorie, die Offenbarungstheorie und die Anspor-nungstheorie.103 Die beiden ersten, philosophischen Theorien zum geistigen Eigentum stellen die „natürlichen“ Rechte des Individuums ins Zentrum, ohne die wirtschaftlichen Konsequen-zen für die Gesellschaft abzuwägen.104 Sie leiten die Rechtfertigung geistiger Eigentumsrech-te aus individualethischen Überlegungen ab. Die hegelianische VarianEigentumsrech-te der Naturrechtsthe-orie besagt, dass eine Idee ihrem Schöpfer gehöre. Die Gesellschaft ist moralisch verpflichtet, das Eigentum gegen Diebstahl zu schützen. Dieser Ansatz ist auch heute im Alltagsverständ-nis weit verbreitet, wie es unter anderem in der unpräzisen und häufig falschen Verwendung des Begriffs Produktpiraterie zum Ausdruck kommt.105 „But to accept this proposition, it is necessary first to believe that property is a natural right and not a social institution estab-lished for social purposes, and second, that ideas are a possible subject of such exclusive

101 So formuliert in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, zitiert in Grassmuck (2002), S. 66.

102 US-Verfassung von 1790, Artikel I, Sektion 8, Klausel 8, zitiert in Grassmuck (2002), S. 52.

103 Vgl. ausführlich Penrose (1951), Kap. II sowie für eine knappe Zusammenfassung Paulwitz (1991), S. 8 ff.

104 Vgl. zu den philosophischen Grundlagen geistiger Eigentumsrechte Hughes (1988).

105 Wenn in einem Land für bestimmte Produkte kein Schutz geistigen Eigentums besteht, ist es legal, die Produkte zu kopieren. Es handelt sich dann nicht um „Piraten“, sondern um Wettbewerber, die im Rahmen der geltenden Gesetze als free-rider das bestehende Wissen nutzen, welches von anderen entwickelt wurde.

rights, and a proper subject irrespective of the social consequence of the denial to others of the right to imitate.“106

Auf Locke geht die Belohnungstheorie zurück. Hier wird die Rechtfertigung für ein Patent aus der mühevollen Arbeit gezogen, für die der Erfinder entschädigt werden müsse. Ein Pa-tent, so die Argumentation, sei die geeignete Belohnung für eine Erfindung. Hinter diesem Ansatz steckt zwar auch eine gesellschaftlich-instrumentelle Dimension, da das Patent sozial erwünschte Erfindungen fördern soll. Aber die Essenz bleibt individualethisch, da es sich bei der Entschädigung um eine moralische Verpflichtung der Gesellschaft handelt. Selbst wenn man das akzeptiert, so folgt daraus nicht, dass ausgerechnet ein Patent die angemessene Form der Entlohnung ist.

Beide Ansätze spielen zwar auch heute noch eine Rolle, letztlich greift die moralische Natur dieser Argumente aber gerade in internationalen Debatten zu kurz.107 Überdies sind sie nicht hilfreich zur Beantwortung der Frage, wie ein Patentrecht genau ausgestaltet werden sollte.

Die ökonomischen und politischen Debatten zum Patentrecht verlagerten sich daher auf sozi-alethische Überlegungen, in denen individuelle Interessen mit ihren Konsequenzen auf die Gesellschaft abgewogen werden.

Die Offenbarungstheorie unterstellt eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Erfindern und Staat. Der Staat vergibt ein temporäres Monopol, dafür erklärt sich der Erfinder bereit, sein Wissen aufzudecken. Dadurch wird verhindert, dass Erfindungen unentdeckt bleiben; außer-dem können Wissenschaftler auf der Basis offen vorliegender Patentinformationen An-schlussinnovationen tätigen. Die Relevanz dieser Argumentation wird aus verschiedenen Gründen kritisch gesehen: Die in Patentanmeldungen enthaltenen Informationen reichen häufig nicht aus, um eine Erfindung nachzubauen; wichtige Erfindungen würden ohnehin nicht geheim bleiben, da sie entweder von jemand anders gemacht würden oder kommerziell zu interessant seien, um sie schlummern zu lassen. Allerdings gibt es in jüngster Zeit durch-aus Belege dafür, dass die Informationen durch-aus Patentanmeldungen genutzt werden, um An-schlussinnovationen zu tätigen.108 Außerdem verdeutlicht die Offenbarungstheorie, dass die relevante Alternative zum Patent für einen Erfinder die Geheimhaltung ist, und dass letzteres aus gesellschaftlicher Sicht die Wissensdiffusion erheblich verlangsamt. Insofern ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Gesellschaft von einem solchen Gesellschaftsvertrag profitieren kann. Nur kann auch dieser Argumentationsgang wenig zur konkreten Gestaltung des geisti-gen Eigeisti-gentumsschutzrechts beitrageisti-gen, beispielsweise in Bezug auf die Schutzvoraussetzun-gen, den Schutzumfang oder die Schutzdauer.

106 Penrose (1951), S. 22.

107 Die hegelianische Rechtfertigung hat in Europa ihren Niederschlag in den moralischen Autorenrechten im Urheberrecht gefunden. Diese Einstellung ist jedoch kulturell geprägt. In der chinesischen Kultur bedeutete es für Künstler traditionell eine hohe Auszeichnung, wenn sie kopiert wurden. Vgl. Deardorff (1990), S.

499.

108 Vgl. z.B. Jaffe/Trajtenberg/Fogarty (2000).

Heutige ökonomische Debatten folgen der Anspornungstheorie.109 Demnach ist die Verlei-hung privater Eigentumsrechte nötig, damit Unternehmer einen Anreiz haben, riskante Inves-titionen in Forschung und Entwicklung zu tätigen, aus denen im Erfolgsfalle Innovationen entstehen. Die Argumentation basiert auf der utilitaristisch geprägten Wohlfahrtsökonomik.

Im Sinne einer teleologischen Ethik wird gefragt, welche wirtschaftspolitischen Instrumente (bzw. allgemeiner: Institutionen) den Wohlstand einer Gesellschaft maximieren.110 Geistige Eigentumsrechte sind eine solche Institution, deren Konsequenzen wohlfahrtsökonomisch untersucht werden können. Daraus ergeben sich Rückschlüsse auf die bestmögliche Ausges-taltung des Systems geistiger Eigentumsrechte. Zuvor wird aber noch ein Überblick über die heute gängigen Formen geistiger Eigentumsrechte gegeben.

3.2 Wer schützt was? Formen geistiger Eigentumsrechte und ihre heutige Anwendung

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