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4 Der Einfluss geistiger Eigentumsrechte auf den Wissenstransfer in Entwicklungs- Entwicklungs-länder

5.3 Diskussionen um eine Weiterentwicklung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte Der Schutz geistiger Eigentumsrechte entwickelt sich kontinuierlich weiter. Nationalstaaten

5.3.1 Diskussionen um das TRIPS-Abkommen innerhalb der WTO

Die Gründung der WTO im Jahr 1995 und das damit verbundene Inkrafttreten des TRIPS-Abkommens führte nicht zu einem Ende der Debatten um das Abkommen. Der TRIPS-Rat in der WTO nahm als Gremium zu Überwachung des TRIPS-Abkommens seine Arbeit auf. In den ersten drei Jahren verlief die Arbeit des Rates relativ ruhig und konzentrierte sich auf technische Fragen. Ende 1998 brachen dann die seit der Uruguay-Runde bestehenden Kon-flikte wieder auf. In den beiden folgenden Jahren blockierten sich Entwicklungs- und Indust-rieländer mit Verfahrensfragen. Etwa seit dem Jahr 2000 finden im TRIPS-Rat intensive inhaltliche Debatten statt, die in der Ministererklärung von Doha (2001) mündeten, in der die Punkte für die Überarbeitung des TRIPS-Abkommens im Rahmen der neuen Welthandels-runde festgelegt wurden. Bis Ende 2003 gab es zwar erst in einem wichtigen Teilbereich eine Einigung (TRIPS und öffentliche Gesundheitsversorgung), aber über andere Themen wurde immerhin konstruktiv diskutiert, so dass am Ende der Verhandlungsrunde weitere Änderun-gen des TRIPS-Abkommens stehen könnten.

Das Aufbrechen der alten Konflikte im Jahr 1998 war kein Zufall: Die Übergangsfrist für Entwicklungsländer näherte sich ihrem Ende, die generelle Enttäuschung über die Ergebnisse

der Uruguay-Runde war angestiegen, und die WTO-Ministerkonferenz in Seattle stand an, von der der Startschuss für eine neue multilaterale Liberalisierungsrunde erwartet wurde. Es war das erklärte Ziel der Entwicklungsländer, vor oder in einer neuen Runde die Ergebnisse der Uruguay-Runde zurechtzurücken. Dieses Mal, so lautete der allgemeine Tenor, würden sie sich nicht wieder „über den Tisch ziehen“ lassen.

Im Vorfeld der Ministerkonferenz von Seattle brachten zahlreiche Entwicklungsländer Re-formvorschläge für das TRIPS-Abkommen ein. Das Abkommen wird als Fait accompli ak-zeptiert, aber es soll „entwicklungsfreundlicher“ gestaltet werden. Selbst diejenigen Entwick-lungsländer, die das Abkommen scharf kritisieren, weisen darauf hin, dass sie keinesfalls den Schutz geistiger Eigentumsrechte an sich ablehnen. Vielmehr richte sich ihre Kritik gegen einzelne Bestandteile des Abkommens und gegen die Art, wie es umgesetzt werde. Das Ziel der meisten Entwicklungsländer bestand darin, Korrekturen in Einzelbereichen zu erreichen.

Die Industrieländer weigerten sich zunächst, in inhaltliche Debatten einzusteigen, da sie befürchteten, angesichts der zunehmenden Kritik am TRIPS-Abkommen auch innerhalb der Industrieländer einen Teil ihrer Verhandlungserfolge aus der Uruguay-Runde wieder zu ver-lieren.

Nach dem Scheitern der Konferenz von Seattle gaben die Industrieländer ihre Verweige-rungshaltung auf, und eine Phase konstruktiver Debatten wurde eingeläutet. Im TRIPS-Rat gelang es, Konfliktfelder zu identifizieren und mögliche Lösungsansätze zu diskutieren. Zwar kam es noch nicht zu substantiellen Entscheidungen, aber die Entwicklungsländer konnten durch das mittlerweile erworbene Wissen über geistige Eigentumsrechte die Verhandlungen beeinflussen. Als Basis für die Verhandlungen diente der Artikel 71.1, der für das Jahr 2000 eine allgemeine Überprüfung des Abkommens vorsah.

Die inhaltlichen Debatten zu Teilaspekten des TRIPS-Abkommens kreisten sowohl um Punk-te, die durch den Abkommenstext vorgegeben werden, als auch um darüber hinausgehende Themen. Der Abkommenstext enthält eine sogenannte built-in agenda, durch die dem Rat Verhandlungen über Abkommensbestandteile vorgeschrieben werden. Darunter fallen die gesonderte Überprüfung des Patentschutzes biotechnologischer Erfindungen und genetischer Ressourcen nach Artikel 27.3(b), der zusätzliche Schutz geographischer Herkunftsangaben sowie die Anwendbarkeit von Non-Violation Complaints (NVCs).312 Über die built-in agenda hinaus gelangten die Themen Technologietransfer und öffentliche Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung des Rates.313

312 Normalerweise beziehen sich Handelsstreitigkeiten in der WTO darauf, dass ein Mitgliedsland eingegange-ne Verpflichtungen nicht erfüllt (Violation Complaints). Der Streitschlichtungsmechanismus der WTO lässt jedoch auch Klagen gegen Vertragsparteien zu, wenn die beklagte Seite nicht direkt gegen das Abkommen verstößt, sondern durch andere Maßnahmen die Verpflichtungen indirekt unterläuft. Diese Fälle werden als NVCs bezeichnet.

313 Vgl. für ausführlichere Darstellungen z.B. Liebig (2001), S. 54–71, oder Watal (2001), Kap. XII.

Mit zweijähriger Verspätung gelang es den Industrieländern im Jahr 2001 auf der Minister-konferenz in Doha, die Entwicklungsländer zur Zustimmung zu einer neuen multilateralen Verhandlungsrunde zu bewegen. Die Doha-Runde wurde als „Entwicklungsrunde“ apostro-phiert, da die Industrieländer deutlich machen wollten, dass dieses Mal die Interessen der Entwicklungsländer besondere Berücksichtigung finden sollten. Auf der Ministerkonferenz wurden drei Erklärungen verabschiedet, die das TRIPS-Abkommen beeinflussen: Die allge-meine Ministererklärung von Doha, die Entscheidung zu Implementierungsfragen und die Erklärung zu TRIPS und öffentlicher Gesundheit.314

Die Ministererklärung von Doha enthält die Agenda der Doha-Runde. Für den TRIPS-Komplex werden im Wesentlichen die bereits laufenden Diskussionen fortgeschrieben, ohne ein Ergebnis vorwegzunehmen. So soll die Überprüfung des Abkommens nach Art. 71.1 und 27.3(b) ebenso fortgesetzt werden wie die Erarbeitung eines multilateralen Systems geogra-phischer Herkunftsangaben für Weine und Spirituosen. Der Verhandlungsauftrag wird ergänzt durch die Entscheidung zu Implementierungsfragen.315 Hier wird der TRIPS-Rat unter ande-rem aufgefordert, eine Lösung bei den NVCs zu finden, den zusätzlichen Schutz geographi-scher Herkunftsangaben für andere Produkte als Weine und Spirituosen zu prüfen, die Be-stimmungen zum Technologietransfer zu operationalisieren sowie die Übergangsfrist für LDCs zu verlängern.

Die Erklärung zu TRIPS und öffentlicher Gesundheit enthält – anders als die beiden erstgenannten Erklärungen – bereits Ergebnisse.316 Sie gilt als Verhandlungserfolg für die Entwicklungsländer, die auf eine Reform des TRIPS-Abkommens gedrungen hatten. Die Erklärung ändert jedoch nicht den Abkommenstext, sondern interpretiert ihn lediglich in Bezug auf die öffentliche Versorgung mit patentgeschützten Medikamenten. Während die Industrieländer bestritten, dass das Abkommen für die mangelhafte Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern verantwortlich gemacht werden könne, betonten die Entwicklungsländer die Auswirkungen des Abkommens auf die Preise patentgeschützter Medikamente. Der ge-fundene Kompromiss spiegelt sich in Paragraph 4 der Erklärung wider: „We agree that the TRIPS Agreement does not and should not prevent members from taking measures to protect public health.” Damit wird deutlich, dass die Erklärung einerseits das TRIPS-Abkommen anerkennt, aber gleichzeitig die (bestehenden) Spielräume bei seiner Umsetzung bestätigt bzw. erweitert. In künftigen Streitschlichtungsverfahren könnte die Erklärung dazu beitragen, das Abkommen stärker im Sinne der Technologienutzer auszulegen als im Sinne der Besitzer geistiger Eigentumsrechte von Medikamenten.

314 Alle Erklärungen finden sich im Wortlaut auf der Homepage der WTO: www.wto.org.

315 Unter dem Oberbegriff „Implementierung“ verbergen sich diverse Anliegen der Entwicklungsländer, die nach ihrer Einschätzung vor dem Abschluss der Doha-Runde gelöst werden sollten. Im Kern geht es darum, die Ergebnisse der Uruguay-Runde zu korrigieren, Übergangsfristen für Entwicklungsländer zu verlängern oder die Entwicklungsländer bei der Umsetzung eingegangener Verpflichtungen stärker zu unterstützen.

316 Vgl. für ausführliche Analysen Abbott (2002) und Correa (2002).

Bis zur Ministerkonferenz in Cancún im September 2003 konnten sich die Mitgliedsländer in keinem Verhandlungsfeld auf ein Ergebnis einigen, obwohl die Ministererklärungen diverse Fristen vorgesehen hatten. Lediglich die offen gebliebene Frage, wie die Medikamentenver-sorgung in Entwicklungsländern ohne eigene Produktionskapazitäten verbessert werden kann, wurde in letzter Minute vor Konferenzbeginn durch einen komplizierten Kompromiss ge-löst.317 Da die Ministerkonferenz ohne Ergebnis endete, kam es auch beim TRIPS-Abkommen zu keinen Entscheidungen.

Das Scheitern der Ministerkonferenz in Cancún wurde von den meisten Beobachtern als Ausdruck eines gewachsenen Selbstvertrauens der Entwicklungsländer in der WTO, und zwar speziell der Schwellen- und Ankerländer, die sich in der G-20 zusammenschlossen, gewer-tet.318 Obwohl das TRIPS-Abkommen nur eine Nebenrolle in Cancún spielte, so hat sich der Nord-Süd-Konflikt, in dem sich die Welthandelsorganisation insgesamt befindet, im TRIPS-Rat bereits deutlich abgezeichnet. Das TRIPS-Abkommen ist – auch durch die öffentlich-keitswirksamen Kampagnen großer NROs – zu einem Symbol für ein ungleichgewichtiges Abkommen geworden, in dem die Interessen der Entwicklungsländer nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Anders als noch in der Uruguay-Runde waren die Entwicklungsländer besser vorbereitet und politisch entschlossen, Korrekturen des TRIPS-Abkommens zu errei-chen. Die Industrieländer reagierten darauf zunächst mit Verweigerung, dann mit Flexibilität im Detail. Insgesamt waren die zehn Jahre seit Abschluss des TRIPS-Abkommens gekenn-zeichnet durch eine weitgehende Blockadehaltung zwischen Nord und Süd. Die Fortentwick-lung geistiger Eigentumsrechte verlagerte sich zunehmend in andere internationale Foren. Das TRIPS-Abkommen hat dadurch zwar nicht an Bedeutung eingebüßt, steht aber nicht länger allein im Blickpunkt der öffentlichen Debatten.

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