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4 Der Einfluss geistiger Eigentumsrechte auf den Wissenstransfer in Entwicklungs- Entwicklungs-länder

4.3 Auswirkungen auf den Handel mit wissensintensiven Gütern

Wissen wird nicht nur als Gut über Märkte gehandelt, sondern ist häufig in anderen Gütern inkorporiert. Beim Kauf erwirbt der Käufer das Wissen mit, ohne es im Einzelnen verstehen oder gar selbst herstellen zu müssen. Für den Konsumenten eines Medikaments ist nicht die dahinter stehende chemische Formel von Bedeutung, sondern die heilende Wirkung der Arz-nei. Der Käufer einer Maschine muss nicht die genaue Funktionsweise der Maschine verste-hen, solange sie funktioniert.

Dies ist bei grenzüberschreitenden Transaktionen wissensintensiver Güter nicht anders. Inter-nationaler Handel trägt dazu bei, Wissen zu verbreiten. Im Folgenden wird untersucht, wie der stärkere Schutz geistiger Eigentumsrechte auf den internationalen Handel mit wissensin-tensiven Gütern wirkt. Wie Wissen über diesen Kanal international transferiert wird, ist be-reits im ersten Kapitel dargestellt worden. In den innovationsorientierten Wachstumsmodellen stellt der internationale Handel sogar den primären Kanal dar, durch den Wissen international diffundiert. Dort wird auch gezeigt, wie Entwicklungsländer im wirtschaftlichen Aufholpro-zess vom internationalen Handel mit wissensintensiven Gütern profitieren können. Zusam-mengefasst lautet die Aussage, dass die Produktivität des importierenden Landes und/oder die Produktvielfalt erhöht wird.

Empirisch kann zunächst festgehalten werden, dass der Handel mit wissensintensiven Gütern überproportional zunimmt.263 In den Produktkategorien, die in den letzten Jahren eine wichti-ge Rolle in der Diskussion um den Schutz wichti-geistiwichti-ger Eiwichti-gentumsrechte wichti-gespielt haben (z.B.

pharmazeutische und chemische Erzeugnisse, Elektronik, Parfums, Software, audiovisuelle Medien) lässt sich ein starkes Wachstum des Handelsvolumens beobachten. Ein Großteil erklärt sich durch zunehmende Importe der (fortgeschrittenen) Entwicklungsländer. Aller-dings macht es wenig Sinn, genaue Zahlen über den Handel wissensintensiver Güter wieder-zugeben, da ihre Abgrenzung extrem schwierig und teilweise willkürlich ist. Über den Trend besteht jedoch Einigkeit.

Um die Auswirkungen des stärkeren Schutzes geistiger Eigentumsrechte auf den Wissens-transfer durch den internationalen Handel zu beurteilen, sind Antworten auf zwei Fragen notwendig: Erstens auf die positive Frage, wie geistige Eigentumsrechte den Handel beein-flussen, und zweitens auf die normative Frage, wie dieser Einfluss zu beurteilen ist.

Die Befürworter des TRIPS-Abkommens argumentierten in der Uruguay-Runde, dass fehlen-de geistige Eigentumsrechte wie ein nicht-tarifäres Hanfehlen-delshemmnis wirken. Wird im

263 Vgl. Maskus (2000), S. 73–79.

land der Verkauf von Imitationsprodukten nicht verhindert, dann verschiebt sich die Nachfra-ge hin zu den billiNachfra-geren einheimischen Produkten, und der internationale Handel verrinNachfra-gert sich. Verschärfter Schutz führt im Umkehrschluss zu einer Handelsausweitung, da sich der Absatzmarkt für den Exporteur vergrößert. Diesem Effekt steht jedoch die Einschränkung des Handelsvolumens gegenüber, die üblicherweise bei Monopolisierung auftritt (geringere Men-gen werden vom Monopolisten zu höheren Preisen verkauft, um seinen Gewinn zu maximie-ren – Marktmachteffekt). Dazu tritt drittens ein kostenreduziemaximie-render Effekt für das exportie-rende Unternehmen, das bei stärkerem Patentschutz weniger Ressourcen für die Abwehr von Imitationsaktivitäten aufwenden muss.

Die Auswirkungen eines strengeren Schutzes geistiger Eigentumsrechte in Entwicklungslän-dern auf das Handelsvolumen sind aus theoretischer Sicht unklar, da es darauf ankommt, welcher Effekt überwiegt.264 Einiges spricht für die Hypothese, dass der handelsausweitende Effekt in großen Ländern mit relativ leistungsfähigen Imitationsbetrieben dominiert, weil hier die Substitutionskonkurrenz lokaler Anbieter durch geistige Eigentumsrechte wirkungsvoll verringert werden kann. Gleichzeitig führt die fortgeschrittene technologische Basis solcher Länder dazu, dass auch Patentschutz kein vollständiges Monopol verleiht, da zumindest ähn-liche Produkte hergestellt werden können und dadurch potenzielle Konkurrenz herrscht. Dem Patentinhaber sind also Grenzen in der Preisgestaltung nach oben gesetzt. Hingegen dürfte der marktmachtbedingte Effekt in kleineren Ländern ohne Imitationskapazität dominieren. Hier ist eher mit Preissteigerungen als mit einer Handelsausweitung zu rechnen.

Bei empirischen Tests dieser Hypothesen treten erhebliche Messprobleme auf. Denn Verän-derungen beim Schutz geistiger Eigentumsrechte können nicht isoliert von der Handelspolitik eines Landes beobachtet werden. Solange beispielsweise Importquoten in einem Land gelten, kann kein handelsausweitender Effekt auftreten, selbst wenn der stärkere Patentschutz in diese Richtung wirken würde. Darüber hinaus ist ein Unternehmen zwar grundsätzlich an der weltweiten Vermarktung seiner Güter interessiert, verfügt aber unter Umständen über alterna-tive Vermarktungsoptionen. Gerade multinational operierende Konzerne können ihr Wissen auch über Lizenzen oder die Produktion in ausländischen Tochterunternehmen verwerten (siehe hierzu näher den folgenden Abschnitt). Schließlich hängt die unternehmerische Reakti-on vReakti-on der bestehenden Marktform und damit der KReakti-onkurrenzsituatiReakti-on ab, welche das strate-gische Verhalten in unterschiedlicher Weise beeinflusst.

Die (wenigen) empirischen Arbeiten zu diesem Thema kommen zwar nicht zu eindeutigen Ergebnissen, bestätigen aber in der Tendenz die oben dargestellten Hypothesen.265 Der stärke-re Schutz geistiger Eigentumsstärke-rechte führt in großen, fortgeschrittenen Entwicklungsländern zu steigenden Importen wissensintensiver Güter. In Entwicklungsländern mit schwachen Imitationskapazitäten und starkem Patentschutz dominiert hingegen die marktmachtbedingte Einschränkung des Handels, verbunden mit höheren Preisen.

264 Vgl. für die folgenden Ausführungen Maskus (2000), S. 110-119.

265 Vgl. Maskus/Penubarty (1995), Smith (1999) und Fink/Primo Braga (1999). Abweichend Fink (2000).

Es liegt auf der Hand, dass sich die Imitationskapazität sektoral unterscheidet. Urheber- und markenrechtlich geschützte Produkte sind relativ leicht zu kopieren, ohne dass dafür erhebli-che Fähigkeiten oder große Mengen an Kapital nötig sind. Insofern ist bei diesen Gütergrup-pen mit den größten Wirkungen auf das Handelsvolumen zu rechnen. Die empirischen Unter-suchungen zeichnen jedoch kein klares Bild, und können das wohl auch in Zukunft nicht, da der überwiegende Teil des Handels mit gefälschten oder imitierten Produkten illegal organi-siert ist. Es steht zwar außer Frage, dass sich das legale Handelsvolumen bei starkem interna-tionalen Urheber- und Markenschutz vergrößern würde, aber wie sich der illegale Handel verändert, hängt unter anderem von der effektiven Abwehr der Kopien an den Grenzen der Importländer ab. Es ist außerdem schwer prognostizierbar, welche Preise in Entwicklungslän-dern von den Rechtsinhabern für ihre Produkte durchsetzbar sind, da dies von den jeweiligen Marktverhältnissen abhängt.

Akzeptiert man insgesamt die Argumente und empirischen Hinweise darauf, dass stärkere geistige Eigentumsrechte das Handelsvolumen tendenziell vergrößern, dann stellt sich die normative Frage, wie dies zu beurteilen ist. Im alten GATT war die Antwort einfach: Die Senkung von Zöllen verringert Verzerrungen im internationalen Warenhandel und führt da-durch zu Wohlfahrtssteigerungen.266 Die Verleihung geistiger Eigentumsrechte beseitigt zwar ebenfalls bestimmte Verzerrungen (indem Freifahrerverhalten unterbunden wird), schafft hingegen gleichzeitig neue Verzerrungen (indem monopolistisches Verhalten ermöglicht wird). Es ist ausgesprochen schwierig zu beurteilen, welche genaue Gestaltung geistiger Eigentumsrechte zu einem optimalen Handelsmuster und -volumen führt. Dadurch fehlt für die Bewertung eines Schutzsystems geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung ein klarer Effizienzmaßstab.267 Außerdem ist es nicht automatisch so, dass ein höheres Importvo-lumen zu einem stärkeren Wissenstransfer führt. Bei wissensintensiven Importgütern, die relativ leicht zu kopieren sind oder durch reverse engineering nachgebaut werden können, benötigt man häufig nur geringe Mengen, damit das Wissen in das Land transferiert wird.

Zwei Beispiele sollen die Bewertungsproblematik erläutern: Wenn ein stärkerer Schutz geis-tiger Eigentumsrechte dazu führt, dass mehr Hochtechnologieprodukte in ein Entwicklungs-land geliefert werden, für die es ansonsten keinen gleichwertigen Ersatz finden würde, dann steigt die nationale Wohlfahrt. Dieser Fall gilt vor allem für Kapitalgüter, die als Produkti-onsinputs genutzt werden. Der Import von wissensintensiven Zwischenprodukten ist eine entscheidende Quelle für endogenes Wachstum in Entwicklungsländern. Ihr Nutzen besteht nicht nur in den marktvermittelten Skalenvorteilen, die im vorigen Abschnitt dargestellt wur-den, sondern auch in realen Wissensspillovern. Jüngere empirische Arbeiten haben erneut gezeigt, dass die totale Faktorproduktivität in Entwicklungsländern positiv vom F&E-Gehalt der Importe abhängt, und zwar insbesondere von F&E-intensiven Importen aus

266 Natürlich ist die Welt nicht so einfach, wie es diese Antwort suggeriert. Aber sie ist immerhin theoretisch im Rahmen der statischen neoklassischen Aussenhandelstheorie sauber hergeleitet und empirisch gut belegt.

267 Vgl. auch Rodrik (1994).

dern.268 Offenheit gegenüber Industrieländern führt zu Lerneffekten in F&E-intensiven Bran-chen in Entwicklungsländern. Sofern starke geistige Eigentumsrechte diese Offenheit (im Sinne eines höheren Handelsvolumens) stärken, und dafür gibt es Hinweise, dann führen sie zu Wohlfahrtsgewinnen in den importierenden Ländern. Mehr Importe sind in diesem Fall also gleichbedeutend mit einem erhöhten Wissenstransfer. Allerdings sollte man einschrän-kend bedenken, dass der Kapitalgütersektor nur in geringem Maße auf Patente als Aneig-nungsinstrument setzt, weil die Imitationsgefahr aufgrund der Komplexität der Produkte nicht besonders hoch ist. Insofern muss bezweifelt werden, dass stärkere Patente einen massiven Anstieg an wissensintensiven Kapitalgütern mit den damit verbundenen Wissensspillovern nach sich ziehen.

Schwieriger wird die Beurteilung des Handelsvolumens bei urheber- und markenrechtlich geschützten Produkten. In den allermeisten Fällen gehen von den Produkten nur begrenzte Wissensspillover aus, obwohl sie F&E-intensiv sind.269 Ein großer Teil dieser Produkte kann zu einem Bruchteil der Produktionskosten in annähernd der gleichen Qualität hergestellt werden. Aus Sicht des importierenden Entwicklungslands bildet das Handelsvolumen daher erneut kein geeignetes Kriterium, um die Wohlfahrtswirkungen und das Ausmaß des Wis-senstransfers durch den stärkeren Schutz zu bewerten. Andere Überlegungen sind in diesem Zusammenhang wichtiger. Beispielsweise birgt die Imitation von geschützten Produkten und deren massiver illegaler Export die Gefahr mafiöser Strukturen und der Herausbildung einer Schattenökonomie, die mit dem Drogenhandel vergleichbar ist. Die destabilisierende Wir-kung einer solchen Wirtschaftsstruktur könnte die positiven Effekte niedrigerer Preise leicht überkompensieren, zumal sie gerade in Entwicklungsländern mit schwachen Staaten auch mittelfristig nur schwer wieder korrigiert werden kann.

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