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9.2 “The School as a City”

10 Lärm und Ruhe in ihrer Bedeutung für Schule und Unterricht

10.5 Effekte von Lärm auf mentale Leistungen

Aus den umfangreichen Laborstudien bezüglich der Effekte von Lärm auf mentale Leistungen lassen sich nach Schick, Klatte und Meis (1999: 77) meh-rere Schlussfolgerungen ableiten:

„ Monotone, einfache und Routine-Aufgaben werden durch Lärm unter 95 dB (A) nicht behindert.

Bei komplexen, auf Sprachverarbeitungsprozessen im Arbeitsgedächtnis beruhenden Aufgaben sind Lärmeffekte schon bei Schallpegeln von 70 bis 80 dB (A) nachweisbar. Diese Effekte bestehen u.a. in einer Einen-gung der Aufmerksamkeit, welche sich z. B. im Rückgriff auf möglichst einfache Lösungsstrategien ausdrückt.“

Die Störwirkung des Hintergrundgeräuschs hängt nur zu einem geringen Teil von dessen Lautstärke ab. Es kommt vielmehr auf die Art des Schalls an. Ein gleichmäßiges Hintergrundrauschen (wie das Geräusch von einer entfernten Autobahn, das entspricht dem „rosa Rauschen“) bewirkt zumeist keine Leis-tungsbeeinträchtigung, es kann sich sogar positiv auf Leistung und Befinden auswirken, da es störende Geräusche (Gespräche von anderen Personen im Raum, Telefonklingeln) teilweise maskiert. Zeitlich strukturierte Schalle wie z. B. Sprache, Stakkato-Musik oder das Klappern einer Schreibmaschinentas-tatur bewirken dagegen schon bei geringen Pegeln einen Leistungsabfall. Die hier abgebildeten Daten wurden im Rahmen eines an der Katholischen Uni-versität Eichstätt laufenden Forschungsprojekts zum „Irrelevant Sound Effekt“

von Sabine Schlittmeier erhoben (Schlittmeier/Hellbrück/Klatte 2002).

Hat Lärmbelastung im häuslichen Alltag eine Auswirkung auf schulische Leistungen und Verhalten in der Schule im Allgemeinen? Musik stört bei Rechenaufgaben, da beides die linke Gehirnhälfte beansprucht (Schick et al.

1999: 78). Leiden die Kinder bereits unter Lärm in der Wohnumgebung, wirkt sich das auch auf schulische Leistungen aus (Schick et al. 1999: 81).

Die Verkehrslärmbelastung – Straßenlärm erzeugt teilweise bis zu 60 dB (A) mittlerer Schallpegel und führt zu entsprechenden Störungen – von Kindern in der schulischen Umwelt (z. B. Straßenverkehr, Fluglärm) geht zumindest in den alten Bundesländern zurück, da Schulen zunehmend mehr aus Sicherheitsgrün-den straßenabgewandt liegen.

10.5.1 Benachteiligte Schülergruppen und Lärm

Drei durch Lärm benachteiligte Schülergruppen sowie Störungen von Hilfe-verhalten in der Schule konnten in den Forschungen zur Lärmakustik (vgl.

Klatte, Meis & Schick 2002) identifiziert werden:

1) Lese- und rechtschreibschwache Kinder 2) Kinder aus Migrantengruppen

3) Kinder mit Hörschäden

Kinder haben große Schwierigkeiten, sprachliche oder nicht sprachliche Sig-nale zu erkennen, wenn Störgeräusche vorhanden sind. Es stellte sich heraus, dass bei optimalen Hörbedingungen keine großen Unterschiede zwischen den Altersgruppen bestehen. Werden Störgeräusche eingespielt, zeigen insbeson-dere jüngere Kinder gravierende Leistungsabfälle (Elliott 1979; Klatte/Meis/

Nocke/Schick 2004: 39).

In Schulen geht es nicht nur um Leistungen bei einzelnen Störgeräuschen, sondern um sehr viel höhere Anforderungen an die „Hörkompetenz“:

Zu 1) Insbesondere lese-rechtschreibschwache Kinder haben Störungen des sprachlichen Kurzzeitgedächtnisses (vgl. de Jong 1998). In der frühen Pha-se des LePha-seerwerbs spielen die Fähigkeit, Wörter in Einzellaute zu zerlegen (phonemisches Dekodieren) sowie der Erwerb von Graphem-Phonem-Korres- pondenzregeln eine maßgebliche Rolle. Defizite in dieser Stufe des Schrift-spracherwerbs führen meist zu dauerhaften Lese-Rechtschreibproblemen (vgl.

Wimmer et al. 1991 lt. Klatte/Meis/Schick 2002). Klatte et al. vermuten, dass die Rolle des sprachlichen Kurzzeitgedächtnisses beim Erwerb und Gebrauch sprachlicher Fähigkeiten sehr wichtig ist und diese Fähigkeiten durch eine zu laute Lernumgebung beeinträchtig werden.

Zu 2) Unter selbstverursachtem Lärm leiden Schüler und Lehrer insbesondere in der Schule. Aufmerksamkeitsstörungen drücken sich bei Grundschulkin-dern teilweise durch zielloses Herumrennen in der Klasse und unmotiviertes Schreien aus. Plötzlich eintretende, laute, ungewöhnliche, unbekannte Geräu-sche lenken automatisch vom Zuhören ab und unterbrechen Denkprozesse.

Kinder sind davon in besonderem Maße betroffen (Klatte/Meis/Nocke/Schick 2004: 39).

Insbesondere die bis zu 50% ausländischen Schulkinder, die der deutschen Sprache nur teilweise mächtig sind, werden benachteiligt, wenn die Sprache von Lärm überdeckt wird (ebd. 2004).

Zu 3) Durch Hörschäden benachteiligte Kinder: In Deutschland haben 5 bis 10 Prozent der Kinder in jeder Schulklasse zeitweilige oder chronische Hör-schäden (Schick et al. 1999: 78). Durch Erkältungen sind ca. 95% der Kin-der und Lehrer in ihrer Hörfähigkeit um 10 bis 15 dB eingeschränkt (ebd.

1999: 82).

Übliche Umgangssprache ist bei einem Störgeräuschpegel von 45 dB (A) völlig verständlich und wird noch bis zu einem Pegel von 55 dB (A) mäßig gut verstanden. Sprache mit erhobenem Tonfall kann bis zu einem Störgeräuschpegel von 65 dB (A) gut verstanden werden. Doch ist das Sprechen mit erhobenem Tonfall auf Dauer sehr anstrengend (ebd. 1999: 82).

Schick et al. empfehlen für Räume, in denen es auf Sprachverständlichkeit ankommt, einen Grundgeräuschpegel von maximal 35 dB (A).

Den hörgeschädigten Kindern fehlen also bei üblichen Geräuschverhält-nissen zehn bis 15 dB ihres Hörvermögens, um die wichtigen Informationen aus den Hintergrundgeräuschen herauszufiltern.

Lärm mindert (nach Glass/Singer 1972 lt. Schick et al. 1999) auch die Kon-takt- und Hilfsbereitschaft. Lärmbelastete Kinder sind schwerer für Aufgaben zu motivieren, sie geben schneller auf, wenn die Aufgaben schwieriger wer-den. Es tritt infolgedessen gelernte Hilflosigkeit auf (Evans 1998; Seligman 1999).

10.5.2 Lärmbedingte Gesundheitsstörungen bei Lehrkräften Lärm wirkt sich auch in gesundheitlichen Störungen der Lehrer aus: Die An-zahl der stimmgestörten Lehrer wird in den USA auf 3,1 Millionen geschätzt.

Bei Lehrern, die vorwiegend in raumakustisch ungünstigen Klassenräumen unterrichteten, trat ein höherer Krankenstand auf als bei ihren Kollegen, die in besseren Räumen tätig waren (MacKenzie/Airey 1999). Der Unterrichtsfluss wird durch häufiges Wiederholen von Informationen und Ermahnungen der Kinder zur Ruhe unterbrochen. Unlust, Ärger, Erschöpfung sowie Hals- und Stimmlippenprobleme sind die Folge. Die Mitteilungen der Lehrkraft werden unter Lärm kürzer und einfacher formuliert, es wird langsamer gesprochen, der Tonfall wird monotoner und insgesamt wird weniger mitgeteilt. Für einen interessanten und motivierenden Unterricht ist dies kaum förderlich.