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Begriffsklärung: Educational Governance von und durch Schularchitektur

Haben Schulgebäude und Klassenzimmer Einfluss auf Lehren und Lernen?

6 Educational Governance-Strategien im öffentlichen Schulbau

6.2 Begriffsklärung: Educational Governance von und durch Schularchitektur

Der Governance-Begriff ist vielfältig besetzt. Seine Facetten umfassen de-skriptiv-normative, (verwaltungs)politische sowie analytische Aspekte. Zu ersteren ist auch der Schulbau als staatlich regulierter Bereich zu zählen. Die Aspekte beschreiben zwei Entwicklungen, die mit dem Governance-Begriff verbunden werden und einander notwendigerweise bedingen. Dies ist einer-seits die veränderte Rolle des Staates bei der Regelung sozialer Sachverhal-te und andererseits ein veränderSachverhal-tes sozialwissenschaftliches Verständnis von

2 Rittelmeyer (2009) nennt in seinem Beitrag verschiedene Forschungsansätze und Evaluations-methoden zur Analyse von Schularchitektur, die für eine Governance-Analyse von Schulbau-ten genutzt werden können (vgl. auch Rieger-Ladich/Ricken 2009).

3 Vgl. Schuppert (2011), der analog von einer Governance von und durch Verwaltungsreformen oder einer Governance von und durch Wissen (Schuppert/Voßkuhle 2008) spricht.

Formen der kollektiven Problemlösung und ihrer wissenschaftlichen Analyse.

Im Folgenden wird sich an eine Educational Governance von und durch Schul-architektur entlang der vorgenannten Aspekte und Entwicklungen angenähert.

6.2.1 Deskriptiv-normative Governance und Good Governance Die veränderte Rolle des Staates bei der Regelung sozialer Sachverhalte kommt in der deskriptiv-normativen4 Verwendung des Governance-Begriffs zum Ausdruck. In den staatlichen Regelungssystemen nimmt der Staat häufig keine zentrale Stellung mehr ein, weil ihm der notwendige Einfluss und die hierarchische Durchsetzungsmacht fehlen. Daher steht Governance schlecht-hin für anti-hierarchische Regelungsformen, derer sich der Staat in den letzten Jahrzehnten immer mehr bedient, oder sogar für „einen grundlegenden Wan-del von Staatlichkeit“ (von Blumenthal 2005: 1166). In diesem Zusammen-hang wird Governance auch als „Gegenbegriff“ (Mayntz 2004: 66) zu den hierarchisch-linearen Steuerungsansätzen verwendet. Ebenso verweist der deskriptiv-normative Governance-Begriff über den Staat als alleinigem Steu-erungsakteur hinaus auf die vielfältigen anderen Akteure, die ein Regelungs-system mit ihren Handlungen intentional und transintentional beeinflussen.

Um seinen Einflussbereich auszuweiten, kooperiert der Staat mit den gesell-schaftlichen Akteuren und greift auf kulturell-institutionelle Governance- Strategien zurück (vgl. Jann/Wegrich 2004). Eine dieser Möglichkeiten, über die der Staat diese Strategien umsetzen kann, ist eine Governance von und durch Schularchitektur (s. u.).

An den Wandel von Staatlichkeit und Governance als Gegenbegriff knüpft der normative Begriff von Governance an. Im Sinne einer Good Governance5 steht er für Mindeststandards einer guten Regierungs- und Verwaltungsfüh-rung (vgl. Hill 2005). Von ihm leitet sich das praktische, (verwaltungs)poli-tische Governance-Konzept als Regierungs- und Verwaltungsleitbild ab (vgl.

Jann 2005; Schuppert 2011). Es betont die alternativen Formen des Regierens und Verwaltens zum Modus Hierarchie aus sozialethischen, rechtsstaatlichen, demokratietheoretischen und rein steuerungs-pragmatischen Gründen.

Da Schulbau Teil staatlichen Verwaltungshandelns ist, unterliegt er den allgemeinen Normen von Good Governance. Wie für jeden anderen staatli-chen Regelungsbereich können auch für den öffentlistaatli-chen Schulbau spezifische Good-Governance-Normen formuliert werden. Dieses Verständnis von

Gover-4 Das Adjektiv „deskriptiv-normativ“ soll andeuten, dass sich der Wandel von Staatlichkeit so-wohl empirisch beobachten lässt, als sich auch in den normativen Vorstellungen von Staatlich-keit wiederfindet.

5 Das Good Governance-Konzept der EU (Kommission 25.07.2001) enthält die fünf Grund- sätze Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz.

nance im Bereich des öffentlichen Schulbaus ist Gegenstand des Abschnitts 6.4 sowie des Ausblicks auf zukünftige Vorstellungen von öffentlichem Schulbau.

Zur Annäherung an diesen Forschungsgegenstand wird sich der analytischen Governance bedient.

6.2.2 Deskriptiv-analytische Governance

Aufgrund des Wandels der staatlichen Regierungsführung hat sich in den Sozialwissenschaften auch das Verständnis von Formen der kollektiven Pro-blemlösung und ihrer wissenschaftlichen Analyse gewandelt (vgl. Mayntz 2005, 1987). Hier steht der deskriptiv-analytische Governance-Begriff für die strukturelle Koordination sozialer Handlungen zwischen interdependenten Akteuren in Systemen, Institutionen oder Organisationen. Formen der Hand-lungskoordination können die Governance-Modi Hierarchie, Markt/Wettbe-werb, Selbstregelung, Netzwerk, Gemeinschaft, Assoziierung, Profession, Wissen und Kommunikation sein. In Verbindung bilden diese Modi Struktu-ren zur Regelung von Akteurszusammenhängen (RegelungsstruktuStruktu-ren). Als Governance-Regime wird ein gesamtes Regelungssystem zur Koordination der Handlungen von staatlichen, gesellschaftlichen und privaten Akteuren be-zeichnet (vgl. Lange/Schimank 2004; Benz u. a. 2007).

Setzt man sich eine Untersuchung von spezifischen Regelungsstrukturen und ihrer Wirkung auf Akteurshandlungen, wie z. B. die der Governance von und durch Schularchitektur, oder gar eines gesamten Governance-Regimes zum Ziel, so wird Governance auch als Analysebegriff genutzt. Die dahinter stehende Analysefrage lautet, wie sich die Regelungsstrukturen aus den Modi zusammensetzen, um das durch sie konstituierende Governance-Regime cha-rakterisieren zu können.6 Die Governance-Perspektive ist mithin am gesamten Regelungssystem einer sozialen Einheit, d.h. einer Leistungsstruktur wie z. B.

der Schule oder des Mehrebenensystems „Schulsystem“, interessiert. Hierzu gehört es auch, die „endogene[n] Dynamik“ (Benz u. a. 2007: 21) von Rege-lungsstrukturen und ihre nicht intendierten Effekte auf die Handlungslogiken der Akteure in Regelungs- und Leistungsstrukturen zu thematisieren. Denn gerade sie beeinflussen die tatsächliche Ausrichtung und schließlich auch die Effektivität eines Governance-Regimes. So hat z. B. die Schularchitektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entgegen ihrer Intentionen bei den Schü-lerinnen und Schülern häufig ein Gefühl der sozialen Kälte und Entfremdung und dadurch bedingt Entsolidarisierung und Vandalismus hervorgerufen (vgl.

6 Die Regelungsstrukturen werden dabei nicht nur auf die sie konstituierenden Governance- Modi, sondern auch auf die diese begründenden basalen Governance-Mechanismen der wech-selseitigen Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlung hin analysiert (vgl. Lange & Schi-mank 2004).

Klockhaus/Habermann-Morbey 1986). Solche nicht intendierten Wirkungen resultieren häufig aus Unkenntnis der Zielgruppe oder dem Fehlen grundle-gender anthropologischer, psychologischer und soziologischer Kenntnisse sei-tens der Planer von Governance-Strategien. Dies trifft auch auf die Planung von (Schul-)Bauten zu (vgl. Bär 2008; Richter 2008). Daher werden bei einer Governance-Analyse auch die verschiedenen beteiligten Akteure, ihre Rolle, Intentionen, Normen und Einflussmöglichkeiten untersucht. Die hinter den Formen und Mechanismen stehenden Handlungslogiken der Akteure sollen aufgedeckt und Zusammenhänge zwischen Strukturen, Interessen und Interak-tionen gefunden werden (vgl. Langer 2008).

Dieses Forschungssinteresse hat sich die Educational Governance zu eigen gemacht. Ihr Fokus liegt auf der Frage, wie die zielorientierte Hand-lungskoordination in einem Mehrebenensystem mit zahlreichen Akteuren wie dem Schulwesen erfolgt bzw. erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund unter-sucht sie, wie die Schulqualität im Rahmen eines intentional eingerichteten Interdependenz- und Schnittstellenmanagements beeinflusst werden kann (vgl.

Altrichter u. a. 2007). Die Bestandsaufnahme in Abschnitt 6.4 zeigt, dass auch eines der Probleme der heutigen Governance von und durch Schularchitektur ein mangelhaftes zielgerichtetes Schnittstellenmanagement ist.

6.3 Analyseaspekte: einer Educational Governance von