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Durchlässigkeit im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland

Der Durchlässigkeit im Bildungssystem in Deutschland wird im Kontext des lebens-langen Lernens viel Bedeutung beigemessen. Besonders intensiv wird diese Debatte im Rahmen des Berufsbildungsmodernisierungsgesetzes (BBiMoG) fortgesetzt, wo-bei die Frage der Vergleichbarkeit der akademischen und beruflichen Bildung disku-tiert wird. Die Gleichwertigkeit der Abschlüsse trägt zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Aus- und Fortbildung bei jungen Menschen bei.

Durchlässigkeit im Bildungssystem wird in vier stark miteinander verbundenen Teildimensionen betrachtet (Banscherus et al., 2016; vgl. auch den Beitrag von Jene-wein):

1. Zugang in Bildungsbereiche;

2. Anrechnung von Erlerntem;

3. Organisationale Verbindung von Bildungsbereichen sowie 4. Umgang mit heterogenen Gruppen.

Überdies definiert das BIBB (2020) ein Bildungssystem als durchlässig, wenn Bil-dungszugänge und -übergänge in beide Richtungen strukturell, prozessual und sozial ohne Hindernisse möglich sind.

In diesem Zusammenhang sind Übergänge und deren Gestaltung unter transpa-renter Anerkennung von Abschlüssen sowohl von der Berufsbildung in die akademi-sche Bildung als auch in umgekehrter Richtung zu berücksichtigen. Das Hochschul-system öffnet sich zwar neuen Zielgruppen, berücksichtigt die vorhandene Berufs-und Bildungserfahrung sowie die Defizite beruflich qualifizierender Studierender aber nur eingeschränkt. Beispielsweise ist die Anrechnung mitgebrachter Kompeten-zen der Berufserfahrenen auf das Studium noch gering. Um mehr Transparenz im Bildungssystem zu schaffen, sollten akademische und beruflich-betriebliche Bil-dungsgänge nicht miteinander konkurrieren, sondern kooperieren. Unterschiedliche Formen von Verzahnungs- bzw. Hybridmodellen, die akademische und berufliche Kompetenzentwicklung miteinander verbinden, deuten darauf hin, dass eine strikte Trennung zunehmend an Bedeutung verliert. Duale Studiengänge, Modelle zur Inte-gration von Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung ein-schließlich unterschiedlicher Anrechnungsformen der mitgebrachten Kompetenzen auf das Studium sowie Programme zur Einmündung der Studienaussteiger*innen in die duale Ausbildung und in einigen Fällen sogar in eine berufliche Fortbildung sind Zeichen der zunehmenden wechselseitigen Durchlässigkeit des Bildungssystems in Deutschland.

Die Verknüpfung beider Bildungssysteme führt zur Individualisierung der Bil-dungswege der jungen Erwachsenen und bedarf der Berücksichtigung von Leistun-gen aus verschiedenen Bildungsbereichen, der bewussten Gestaltung von System-übergängen und des aktiven Umgangs mit den unterschiedlichen Bedürfnissen heterogener Gruppen (Vogel, 2017).

Als Unterstützung, diesen Herausforderungen des Berufsbildungssystems zu begegnen, kann der Deutsche Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (DQR) genutzt werden (BIBB, 2020). Basierend auf dem Europäischen Qualifikationsrah-men (EQR) kann das nationale Gegenstück als Transparenz-, Vergleichs- und Über-setzungsinstrument Anwendung finden. Der DQR fördert nicht nur die grenzüber-schreitende Mobilität zu Bildungs- und Arbeitszwecken, er stärkt darüber hinaus die Durchlässigkeit zwischen allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung zur Gestaltung des lebenslangen Lernens (ebd.).

Im DQR sind acht Niveaus mit der Benennung der dazugehörigen Qualifika-tionen bzw. Qualifikationstypen verankert. Zudem werden im DQR (2021) die dazuge-hörigen Kompetenzen beschrieben, wobei zwischen Fachkompetenz und personaler Kompetenz unterschieden wird. Die fachlichen Kompetenzen werden nach Wissen und Fertigkeiten differenziert. Unter personalen Kompetenzen werden Sozialkompe-tenz und Selbstständigkeit verstanden.

Die Niveaustufen, die für die Verzahnung bzw. Übergänge zwischen beruflicher und akademischer Bildung aktuell in erster Linie relevant sind (insbesondere die Ni-veaus 3 bis 6), sind in Tabelle 1 grau hinterlegt). Diese NiNi-veaustufen sollen im Folgen-den besonders unter dem Aspekt der Durchlässigkeit betrachtet werFolgen-den.

Deutscher Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (DQR, 2021))

• Erster Schulabschluss (ESA)/Hauptschulabschluss (HSA) 3 • Duale Berufsausbildung (2-jährige Ausbildungen)

• Berufsfachschule (Mittlerer Schulabschluss)

• Mittlerer Schulabschluss (MSA)

4 • Duale Berufsausbildung (3- und 3½-jährige Ausbildungen)

• Berufsfachschule (Landesrechtlich geregelte Berufsausbildungen)

• Berufsfachschule (Bundesrechtliche Ausbildungsregelungen für Berufe im Gesundheits-wesen und in der Altenpflege)

• Berufsfachschule (vollqualifizierende Berufsausbildung nach BBiG/HwO)

• Fachhochschulreife (FHR)

• Fachgebundene Hochschulreife (FgbHR)

• Allgemeine Hochschulreife (AHR)

• Berufliche Umschulung nach BBIG (Niveau 4) […]

5 • IT-Spezialistin und -Spezialist (Zertifizierte*r)

• Servicetechnikerin und -techniker (Geprüfte*r)

• Sonstige berufliche Fortbildungsqualifikationen nach § 53 BBIG bzw. § 42 HwO (Niveau 5)

• Berufliche Fortbildungsqualifikationen nach § 54 BBiG bzw. § 42 HwO (Niveau 5) 6 • Bachelor und gleichgestellte Abschlüsse

• Fachkauffrau und -mann (Geprüfte*r)

• Fachschule (Landesrechtlich geregelte Weiterbildungen)

• Fachwirtin und -wirt (Geprüfte*r)

• Meister*in

• Operative*r Professional (IT) (Geprüfte*r)

• Sonstige berufliche Fortbildungsqualifikationen nach § 53 BBIG bzw. § 42 HwO (Niveau 6)

• Berufliche Fortbildungsqualifikationen nach § 54 BBIG bzw. § 42 HwO (Niveau 6) 7 • Master und gleichgestellte Abschlüsse

• Strategische*r Professional (IT) (Geprüfte*r)

• Sonstige berufliche Fortbildungsqualifikationen nach § 53 BBIG bzw. § 42 HwO (Niveau 7) […]

8 • Doktorat und äquivalente künstlerische Abschlüsse

Der Zugang in Bildungsbereiche (Dimension I) bleibt weiterhin ausbaufähig. Nach der in 2009 erfolgten Öffnung des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Studie-rende hat sich der Anteil von StudieStudie-renden „ohne Abitur“ deutschlandweit erhöht und steigt weiterhin. In quantitativer Sicht betrifft dieser Zugangsweg in das Hochschul-system derzeit ca. 64.000 Studierende, die ein Studium ohne formale schulische Hoch-schulzugangsberechtigung aufgenommen haben (Zahlen des Jahrs 2019, CHE, 2021), das entspricht einer Quote von 2,2 Prozent der Gesamtstudierendenzahl. Dabei wer-den die Bildungsgruppen ohne allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife (Personen ohne Abitur und Fachhochschulreife allgemein; Personen mit abgeschlos-sener Berufsausbildung und Berufserfahrung sowie Inhaber*innen von höheren Be-rufsbildungsabschlüssen wie Meister*innen und Staatlich geprüfte Techniker*innen) zusammengefasst betrachtet. Die Wege zur Hochschulzugangsberechtigung sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. In diesem Bezug sind die in der Tabelle 1 markierten Abschlüsse von Bedeutung.

Die Anrechnung von Erlerntem (Dimension II) ist laut BIBB (2020) eine der wich-tigsten Voraussetzungen in der Realisierung von Anschluss- und Kombinationsmög-lichkeiten beruflicher und akademischer Bildung. Im Bereich technischer sowie auch anderer Studiengänge sind bisherige Regelungen zur Anerkennung beruflich erwor-bener Kompetenzen (obwohl bis zu 50 Prozent eines Studienprogramms möglich – KMK 2008) oft kaum über die Praxis von Einzelfallprüfungen hinaus entwickelt wor-den. Transparenz, Verlässlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz von Anrech-nungen müssen laut BIBB (2020) gefördert und die Anrechnungsspielräume stärker, sogar über die festgelegten 50 Prozent hinaus ausgeschöpft werden.

Anrechnungsverfahren können individuell, pauschal und als Kombination bei-der Formen organisiert werden. Zur Anrechnung bei-der außerhochschulischen Kennt-nisse, Fertigkeiten und Kompetenzen der berufsqualifizierten Studierenden auf das Studium wurde eine Vielzahl von Verfahren und Modellen entwickelt. Bevorzugt wer-den pauschale Anrechnungsverfahren, die auf einem Äquivalenzvergleich der Lern-ergebnisse und des Niveaus beruflicher und hochschulischer Qualifikationen basie-ren (Loroff & Hartmann, 2012; Müskens, 2020).

Die pauschale Anrechnung trägt nicht nur zur Reduzierung der Qualifizierungs-zeiten und zur Schonung von Ressourcen bei, sondern auch zur Steigerung der At-traktivität der wechselseitigen Übergänge. Dabei muss auf die Sicherung der Qualität und auf die Evaluierung neuer Ansätze Wert gelegt werden (BIBB, 2020). Eine weitere Entwicklung der pauschalen Anrechnung stellen Kooperationsmodelle unterschied-licher Bildungseinrichtungen und die Entwicklung von Aufbaustudiengängen mit einem beschleunigten Bachelorabschluss dar. Diese Art der Gestaltung von Übergän-gen steht in engem Bezug zur Dimension III.

Die Organisationale Verbindung von Bildungsbereichen als Dimension III wurde be-reits durch die KMK (2008) im Zusammenhang mit Anrechnungsaspekten betont.

Um den mit Einzelfallprüfungen verbundenen Aufwand zu reduzieren, wird empfoh-len, die Möglichkeiten der Kooperation mit geeigneten beruflichen Aus- und Fortbil-dungseinrichtungen und Hochschulen stärker zu nutzen (ebd.). Zum Ausbau dieser Dimension sollen entsprechende, auf Gegenseitigkeit basierende Kooperationsfor-mate zwischen Bildungsträgern forciert werden. Die Vernetzung von Informations-und Beratungsangeboten, der Austausch über die regionalen Informations-und überregionalen Be-rufsbildungsangebote sowie die Förderung eines Dialoges zwischen allen Beteiligten sind die Voraussetzungen flexibler Bildungsübergänge. Eine besondere Form bilden die sogenannten dualen Studiengänge (mit der Verbindung einer beruflichen und akademischen Ausbildung), in denen beide Bildungsbereiche institutionell und inte-grativ verbunden sind.

Sowohl akademische als auch berufsbildende Systeme sind in letzter Zeit gefor-dert, den Umgang mit heterogenen Gruppen (Dimension IV) auszubauen. Beginnend mit der Durchführung von beratenden und orientierenden Maßnahmen und Brü-ckenangeboten zum Einstieg und während des Studiums sowie fortführend mit einer begleitenden Förderung im Rahmen spezieller Tutorien, der Beobachtung der Studie-renden in ihrer gesamten Entwicklung und der Dokumentation der Studienergeb-nisse reagiert das Hochschulsystem auf unterschiedliche Zielgruppen.