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Bildungspolitischer Handlungsrahmen

Die kasachische Regierung setzt umfassende Reformen im Berufsbildungssektor um.

In den vergangenen Jahren wurden Programme zum Ausbau der Berufsbildungsein-richtungen, zur Einführung der dualen Berufsausbildung sowie zur Umstrukturie-rung der Colleges mit einem stärkeren Fokus auf technische Fächer, Innovation und Praxisnähe begonnen (LIPortal, o. J.). Die Beteiligung der Betriebe an der dualen Be-rufsausbildung (bzw. die stärkere Einbeziehung der Wirtschaft) kann derzeit noch als moderat bezeichnet werden. Vor allem sind Großbetriebe aktiv, dies liegt zum Teil daran, dass sie die sowjetische Tradition der Nachwuchskräfte-Ausbildung beibehal-ten haben. Außerdem fällt es ihnen viel leichter als kleinen und mittleren Unterneh-men (KMU), ihren langfristigen Fachkräftebedarf zu planen.

KMU sind dagegen oft mit Existenzrisiken konfrontiert. Darum wird in Kasachs-tan mehr und mehr Richtung Etablierung überbetrieblicher Ausbildungszentren (Kompetenzzentren) gedacht, und die Nationale Unternehmerkammer engagiert sich dazu. Die Ausbildung in den Betrieben ist nur in Einzelfällen wie in Deutschland organisiert. Meistens, und wenn überhaupt, werden die Auszubildenden nur in einfa-cheren Produktionsprozessen eingesetzt. Aber wenn man bedenkt, dass vor der

Na-zarbayev-Merkel-Initiative zur Einführung der dualen Berufsausbildung die Studie-renden der Colleges während ihres Praktikums nur Beobachter*innen waren, sind die Fortschritte bei der Entwicklung der Berufsbildung in Kasachstan offensichtlich.

Auszubildende können den Status als Lernende oder Arbeitskräfte erhalten – je nach Betrieb und je nach Vertrag, den der Betrieb mit dem College unterzeichnet. Dem-entsprechend hängen davon die Ausbildungsbedingungen ab.

Die Qualität der Ausbildung an Betrieben überprüft derzeit das College, gemäß der Anordnung N50 des Ministers für Bildung und Wissenschaft vom 21.01.2016 (Adi-let, 2016). Es hängt jedoch von der jeweiligen regionalen Kammer ab, ob sie auch diese Kontrolle mittragen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat der Nationalen Unternehmerkammer geraten, diese Bestimmung gesetz-lich zu verankern. Das Bildungsgesetz wurde insoweit abgeändert, dass 60 Prozent der Praxis in Form der dualen Ausbildung im Betrieb und als Betriebspraktika statt-finden sollen (Artikel 17, Punkt 6 des Gesetzes „Über die Bildung“), darüber hinaus wurden Prinzipien der dualen Ausbildung im Gesetz festgehalten (Artikel 1, Punkt 19–1 des Gesetzes „Über die Bildung“). Es wurde eine Novelle des obligatorischen Bil-dungsstandards für berufliche Bildung verabschiedet1, dessen Inhalt die Colleges in Hinsicht auf Praxisvermittlung bis zu 80 Prozent flexibel gestalten und Theoriestun-den zugunsten der Praktika abändern können (Kostanaycontrol, 2017).

Darüber hinaus werden mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Vereinba-rungen getroffen, wonach Auszubildende einen Antrag auf ein Stipendium von Un-ternehmen während der Ausbildungszeit stellen können. Diese Art Vergütung wird im Gesetz „Über die Bildung“ Kompensationszahlung genannt. Betriebe, die im Sys-tem der dualen Berufsausbildung aktiv sind, haben zudem Anspruch auf gewisse Steuererleichterungen. Anreize sind gesetzlich für Einzelpersonen und juristische Personen vorgesehen, die bestimmte Kriterien erfüllen.

Berufsbildungsreform

Die anlässlich des Staatsbesuchs von Nazarbayev in Deutschland eingeleiteten Be-strebungen der kasachischen Regierung, die duale Berufsausbildung nach dem deutschen Modell in Kasachstan einzuführen, haben den Namen „Nazarbayev-Mer-kel-Initiative“ bekommen. In diesem Zusammenhang wurden die Beziehungen zu Deutschland weiter ausgebaut: 2013 wurde eine Vereinbarung zwischen der GIZ und dem kasachischen Bildungsministerium unterzeichnet, die 2015 für weitere drei Jahre verlängert wurde. In diesem Rahmen beriet der von der GIZ in das Bildungsmi-nisterium entsandte internationale Berater auf der nationalen Ebene in Fragen der institutionellen Etablierung der dualen Ausbildung. Auf der lokalen Ebene arbeiteten von März 2015 bis Februar 2019 im Rahmen des GIZ develoPPP-Programms „Strate-gische Allianz der dualen Berufsausbildung“ die deutschen Unternehmen Evonik

1 In Kasachstan gibt es Bildungsstandards für jede Bildungsstufe (Schulbildung, Berufliche Bildung, Hochschulbildung).

Diese Standards sind für jede Bildungseinrichtung verbindlich.

Industries AG, HeidelbergCement sowie CLAAS und John Deere mit kasachischen Pilotcolleges zusammen. Ziel war es, in drei kasachischen Regionen deutsche duale Ausbildungsberufe für Industrie-, Landmaschinen- und Automatisierungstechnik einzuführen. Deutsche Ausbildungsordnungen wurden an kasachische Bedingungen angepasst und in den Pilotcolleges umgesetzt. Eine umfassende Bewertung des dua-len Ausbildungssystems wurde in Kasachstan noch nicht durchgeführt. Es ist jedoch deutlich, dass die Voraussetzungen für diese Ausbildungsform in Großbetrieben viel mehr vorhanden sind als bei KMU. Darum werden in den Regionen Ressourcenzen-tren (AusbildungszenRessourcenzen-tren) an gut ausgestatteten Colleges oder Unternehmen initiiert, die die Möglichkeiten besitzen, Praktika und Kurzzeitkurse anzubieten.

Das Berufsbildungssystem Kasachstans wird kontinuierlich reformiert: Es wird angestrebt, die Berufsbildung zugänglicher und attraktiver zu machen und ihre Qua-lität und Bedarfsorientierung zu erhöhen. Denn die internationale Erfahrung zeigt, dass Investitionen in Humankapital und insbesondere in Bildung erhebliche Vorteile bringen. Bildungsinvestitionen sind besonders relevant für die Entstehung techno-logisch fortschrittlicher und produktiver Arbeitskräfte, die zur Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Landes für ausländische Investoren beitragen können. Der kasa-chische Staat steigert somit kontinuierlich die Bildungsausgaben und strebt an, An-reize für den privaten Sektor, in Bildung, Wissenschaft und Innovationen zu investie-ren, weiterzuentwickeln.

Derzeit sind im Berufsbildungssystem jedoch viele Herausforderungen festzu-stellen. Darum stehen für die Weiterentwicklung der Berufsbildung in Kasachstan folgende Aspekte im Vordergrund:

• Aufbau des National Quality Standard (NQS), Entwicklung der National Qualifi-cation Frameworks (NQF), eines Sectoral QualifiQualifi-cation Frameworks (SQF) und von Berufsbildungsstandards;

• Modernisierung der Ausbildungsinhalte und ihre Entsprechung in den Berufs-bildungsstandards;

• Einführung neuer praxisorientierter Unterrichts- und Lernmethoden, insbeson-dere der modularen und kompetenzorientierten Ausbildung;

• Verbesserung der materiell-technischen Ausstattung (Lernwerkstätten, Übungs-plätze) und der Unterrichtsmaterialien;

• Entwicklung der Infrastruktur zur Qualifizierung des Bildungspersonals, sowohl in Berufsbildungseinrichtungen als auch in Betrieben;

• Erhöhung der Attraktivität der beruflichen Bildung sowohl für Schulabgänger und ihre Eltern als auch für Praktiker in Betrieben und für Nachwuchslehrkräfte;

• Einführung neuer Finanzierungsmodelle der Berufsbildungseinrichtungen (Treuhand-Verwaltung, Pro-Kopf-Finanzierung);

• Orientierung am Bedarf der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts, insbesondere in Bezug auf Industrie 4.0 und neue technologische Entwicklungen;

• Reformierung der Berufsorientierung;

• Integration in den globalen Bildungsraum (Durchlässigkeit der Bildungsstufen, Bologna-Prozess).

Bereits die iMOVE-Studie (2016) zeigte einen sehr hohen Bedarf an qualifizierten Fachkräften. So wurde mit Verweis auf die Befragung des Zentrums für Informations-analysen in Beschäftigungsfragen herausgestellt, dass Unternehmen einen hohen Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit niedrigen oder mittleren Berufsqua-lifikationen (73 %) haben und insbesondere in den Bereichen Bildung, sonstige Dienstleistungen, Gesundheits- und Sozialwesen, Bau, Verwaltung und Sozialversi-cherung, Bergbau, Information und Kommunikation zukünftig weitere Fachkräfte be-nötigt werden. Doch auch die Transformation der Wirtschaft weg von einem vom Erdöl abhängigen zu einem zukunftsorientierten Wirtschaftssystem wird zu neuen Bedarfen führen.

Digitalisierung als Veränderungstreiber für die