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4 Konsonantenkoordination mit Liquiden

4.4 Räumliche intragestische Koordination (Phasing)

4.4.4 Diskussion der wichtigsten Ergebnisse

Der Stimulustyp übte keinen signifikanten Einfluss auf die Dauer des C1-Plateaus, aber auf die Dauer des C2-Plateaus aus, indem sie länger bei <C1eC2> als bei <C1uC2> oder Clustern war. Dies kann mit Koartikulationseffekten in Verbindung gebracht werden, in der Hinsicht, dass Plosive resistenter gegen Koartikulation sind als Liquide (z.B. Farnetani & Recasens 1997, Recasens 2011, 2001, Recasens & Pallarès 1999).

Die Dauer des intermediären Abstands und die darauffolgende Koordinierung der Plateaus sowie die Synchronisierung und Überlappung beider Konsonantengesten waren je nach Stimulustyp unterschiedlich: Der intermediäre Abstand war am längsten bei <C1uC2>, gefolgt von <C1eC2> und am kürzesten bei Clustern. Folglich ergab das Verfahren eine weitere Koordinierung der <C1uC2> und <C1eC2>-Token, während Cluster eine enge Koordinierung hatten. Ein ähnliches Ergebnis zeigte die Analyse der Synchronisierung, bei der Cluster ebenso enger koordiniert wurden als <C1eC2> und <C1uC2>. Zwischen

<C1eC2> und <C1uC2> gab es zwar Unterscheide, aber ihre Koordinierung war insgesamt weiter als die von Clustern. Die übereinstimmenden Ergebnisse zeigen vor allem, wie robust die engere Koordination der Cluster im Vergleich zu den beiden CVC-Sequenzen ist.

Die Sprechervarietät wirkte sich signifikant auf die Dauer des C1 -Plateaus und auf den intermediären Abstand sowie auf die Synchronisierung beider Konsonantengesten aus. Die längeren intermediären Abstände im BP bedeuten, dass die entsprechenden Konstriktionen weiter voneinander entfernt liegen als im EP und folglich die Koordination der Plateaus im BP weiter ist als im EP.

Im Letzteren liegen die Gesten näher aneinander und die Koordination ist dementsprechend enger als im BP. Auch die Synchronisierung zeigte, dass die beiden Konsonanten in BP-Token signifikant weiter koordiniert werden als in EP-BP-Token.

Dies war angesichts der mehrfach beschriebenen Vokaltilgung im EP (Martins 1975, Silva 1997, 1998, Cunha 2011a) zu erwarten.

Außerdem war die Dauer des C2-Plateaus länger bei Lateralen als bei Taps in beiden Varietäten. Auch dies war zu erwarten, da ein Tap mit einer schnelleren und ballistischen Bewegung der Zungenspitze sowie einem kurzen Verschluss produziert wird und die Konstriktionsdauer von /ɾ/ deutlich kürzer war als die von /l/. Bei Lateralen kann dagegen der zentrale Verschluss beliebig lange gehalten werden (Proctor 2009) und die Luft strömt über die Seitenränder der Zunge aus. Die Plosiv-r-Token wiesen insgesamt deutlich längere intermediäre Abstände und eine breitere Synchronisierung mit weniger Überlappung beider Konsonantengesten auf als die Plosiv-l-Token. Daher waren die Konsonanten bei den Plosiv-r-Token weiter auseinander koordiniert als bei den Plosiv-l-Token. Alles deutet darauf hin, dass die beiden Liquide anders koordiniert werden, und zwar beginnen die Taps zu einem späterem Zeitpunkt im Vergleich zu den Lateralen. Dies hängt möglicherweise mit der kurzen Konstriktion von Taps zusammen, die erst nach dem Plosiv einsetzt, damit sie vom Plosiv nicht verdeckt wird.

Ob das erste Element der Token (C1) labial oder velar war, hatte keinen aussagekräftigen Einfluss auf die Konsonanten-koordinierung. Bei dem aktuellen Datensatz konnte die von Chitoran et al. (2002) und Kühnert et al. (2006) beschriebene Tendenz zur stärkeren Überlappung bei front-to-back Clustern im Vergleich zu Clustern mit der umgekehrten Richtung (back-to-front)

nicht bestätigt werden. Allerdings wurden signifikante Interaktionen in beiden Koordinationsverfahren bei den CVC-Sequenzen festgestellt: Der intermediäre Abstand war in beiden Varietäten länger bei <C1eC2> als bei <C1uC2> und länger bei bilabialem als bei velarem C1. Dies spricht dafür, dass <C1eC2>

und <C1uC2> stärker in bilabialem als in velarem Kontext neutralisiert sind. Das Synchronisierungsverfahren zeigt jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Artikulationsorten im EP auf. Im BP hingegen ergab sich eine starke Interaktion von Artikulationsort und Vokal, wobei <C1eC2> weniger Überlappung nach bilabialem und <C1uC2> nach velarem C1-Artikulationsort aufwiesen.

Die Betonung hatte einen marginalen Effekt auf die Dauer des C1 -Plateaus sowie auf die intermediären Abstände, indem betonte Token etwas längere Dauern als unbetonte zeigten. Dies hängt teilweise mit der Verwendung der absoluten Dauer im Verfahren zusammen und könnte möglicherweise durch eine Zeitnormali-sierung minimiert werden. Allerdings zeigte sich der gleiche marginale Effekt auf die Synchronisierung beider Konsonanten-gesten, bei dem Token enger in der unbetonten als in der betonten Kondition koordiniert wurden.

Bezüglich der Dynamik der Zungenspitzengeste zeigten die Ergebnisse, dass sich sowohl die maximale Geschwindigkeit als auch der räumliche Umfang insbesondere im BP unterschieden:

Beide Verfahren wiesen insgesamt geringere Werte bei <C1eC2>

als bei Clustern oder <C1uC2> auf. Der Grund hierfür ist die mittlere Zungenhöhe des vorderen Zungenteils für die Produktion von /e/. Diese intermediäre Höhe verringert im BP den Abstand zwischen der Zungenspitze und den Alveolen für die (anschließende) Produktion von C2 und dies betrifft auch den Umfang der vertikalen Position der Zungenspitze. Die Geschwindigkeit wird womöglich entsprechend angepasst.

Bei den hinteren Vokalen findet die Zungenerhöhung im Bereich des Zungendorsums statt und hat daher einen geringeren Einfluss auf die Zungenspitze. Dies würde erklären, warum Sequenzen mit

dem hinteren Vokal (<C1uC2>) und Cluster einen ähnlichen Umfang aufweisen. Das Gleiche gilt für den hinteren Vokal im EP. Der andere analysierte Vokal ist hoch und zentriert (/ɨ/). Im Hinblick auf die Tatsache, dass dieser Vokal ähnliche Geschwindigkeiten und Umfänge wie die Cluster aufwies, wäre interessant zu prüfen, inwiefern bei diesem Vokal ein Target vorhanden ist, d.h. ob der Vokal eine zusätzliche Geste hervorruft oder nicht (wie für das Schwa /ə/ im Englischen diskutiert wurde, Browman & Goldstein 1990). Der Einfluss des Stimulustyps auf die EP-Daten war nicht signifikant bei der Geschwindigkeit und gering beimGestenumfang. Dies bringt zum Ausdruck, dass die räumliche Organisation der Gesten bei allen drei Stimulustypen im EP stark neutralisiert ist. Diese Neutralisierung war angesichts der verbreiteten Vokaltilgung (Cunha 2011a, Silva 1998, 1997, Martins 1975, u.a.) nicht unerwartet.

Zentrale Approximanten wurden mit einer höheren Geschwindigkeit produziert und erreichten einen höheren Umfang als Laterale, was angesichts der schnelleren ballistischen Bewegung der Zungenspitze für die Produktion der Taps im Vergleich zu den Lateralen vorhersehbar war. Bilabiale Plosive in der C1-Position begünstigten eine hohe Geschwindigkeit und einen größeren Umfang der Geste als die velaren Gegenstücke.

Dies könnte einerseits mit der Unabhängigkeit der Artikulatoren bei den bilabial-apikalen Token (z.B. /pr/ – /pl/) zusammen-hängen und anderseits mit der langsamen, trägen Bewegung des Zungendorsums, die die Zungenspitze beeinträchtigen kann.