• Keine Ergebnisse gefunden

6. Empirische Untersuchung

6.4. Diskussion der Ergebnisse

Auf Basis von H1 wird vermutet, dass Unternehmen mit einem höheren Verschuldungsgrad eine höhere Anzahl an Kontroversen aufweisen als weniger verschuldete Unternehmen. Abgeleitet wird diese Hypothese von der Überinvestmenttheorie, welche aufgrund der in dieser Arbeit präsentierten Studien vermehrte Bestätigung erfährt. Banken honorieren übermäßige Investments in ESG-Maßnahmen nicht, sondern bestrafen Unternehmen sogar in Form von höheren Fremdkapitalzinsen. Die Aufnahme von Fremdkapital wird somit unattraktiver und Unternehmen mit höherer ESG-Performance weisen einen geringeren Verschuldungsgrad auf. Abgeleitet davon müssten Unternehmen mit höherem Verschuldungsgrad im Umkehrschluss mehr Kontroversen aufweisen, was auch durch die Ergebnisse der empirischen Analyse bestätigt wird. Auch Barnea und Rubin (2010) finden einen negativen Zusammenhang zwischen Fremdkapital und dem CSR-Rating von Unternehmen, wonach Banken durch die Festlegung unvorteilhafterer Kreditbedingungen dem Überinvestment in CSR entgegenwirken. Höhere Fremdkapitalzinsen stellen eine größere finanzielle Belastung für Unternehmen dar und folglich versuchen diese dieser Belastung entgegenzuwirken, indem sie weniger CSR-Investitionen tätigen und versuchen die von Banken wahrgenommene Überinvestition in den Bereich CSR einzudämmen. Sinken die CSR-Investitionen liegt in weiterer Folge die Wahrscheinlichkeit eines höheren Kontroversenaufkommens nahe.195 Der positive Zusammenhang eines hohen Verschuldungsgrades mit ESG-Kontroversen kann dennoch etwas paradox wirken, da unter anderem Goss und Roberts (2011) und Izzo und Magnanelli (2012) ESG-Kontroversen mit einem höheren Unternehmensrisiko assoziieren. Demnach finden sie Evidenz dafür, dass Banken unverantwortlich agierende Unternehmen in Form von höheren Fremdkapitalkosten bestrafen und es somit unattraktiver wäre, mehr Fremdkapital aufzunehmen.196 Nichtsdestotrotz kann als Erklärungsansatz dafür vor allem die dem Fremdkapital unterstellte Disziplinierungsfunktion genannt werden. Die Maximierung des Shareholder-Values ist oft nicht die oberste Priorität der Manager, da diese durch ihre Handlungen ihre eigenen Interessen, in Form von Macht, Status, Gehälter, Prestige, etc., vor die der Shareholder stellen und infolgedessen Prinzipal-Agenten-Konflikte erzeugen. Unternehmensoperationen, welche in Kontroversen resultieren, mögen zur Interessensverfolgung der Manager beitragen, wirken jedoch langfristig wertzerstörend und sind somit nicht im Interesse der Shareholder. Ein erhöhter Fremdkapitalanteil wirkt dabei disziplinierend für Manager, weil der Handlungsspielraum für wertzerstörende Aktivitäten

195 Vgl. Barnea/Rubin, 2011, 74.

196 Vgl. Goss/Roberts, 2011, 1807; Izzo/Magnanelli, 2012, 23f.

aufgrund ständiger Tilgungs- und Zinszahlungen eingeschränkt wird und Shareholder ihre Überwachsungsfunktion effektiver ausführen können.197

Im Rahmen der Rentabilität zeigt sich auf Basis der Studien zum Zusammenhang der Rentabilität und nachhaltigem Unternehmensverhalten ein klar positiver Zusammenhang. Damit im Einklang stehen die Ergebnisse der empirischen Analyse, wonach Unternehmen mit geringerer Rentabilität eine höhere Anzahl von Kontroversen aufweisen und somit unverantwortlicheres Unternehmensverhalten an den Tag legen als rentablere Unternehmen. Dadurch kann davon ausgegangen werden, dass weniger rentable Unternehmen geringere Bemühungen setzen, den Erwartungen ihrer Stakeholder gerecht zu werden, und somit eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, in Kontroversen verwickelt zu sein. Erklärungsansatz dafür ist, dass Unternehmenskontroversen generell einen Vertrauensverlust der Investoren und negative Reaktionen des Aktienmarktes bedingen, welche auf die besorgniserregenden Nachrichtenmeldungen folgen. Intermediäre des Kapitalmarktes interpretieren die Unternehmenskontroversen als Indikator für weitere zukünftige negative Entwicklungen, wie z.B.

potentielle Strafzahlungen aufgrund drohender Gerichtsverfahren, fehlende Kooperationsbereitschaft der Stakeholder, aber vor allem sinkende Umsätze, da die Reputationsschäden die Kaufbereitschaft der Konsumenten negativ beeinträchtigen könnten. Bei einem Eintritt dieser potentiellen Bedrohungen sind folglich negative Auswirkungen auf die finanzielle Unternehmensperformance bzw. die Rentabilität zu erwarten. Wertzerstörende Unternehmensaktivitäten weisen weiters auf fehlende Entscheidungskompetenzen von Verantwortungsträgern hin, was nunmehr eine Gefahr der Verschmälerung der Investorenbasis und einer sinkenden Nachfrage für die Aktien des Unternehmens erhöht, da Investoren Unternehmen mit einem Fokus auf Umweltschutz, gelebter sozialer Akzeptanz und transparenten Governance-Mechanismen bevorzugen.198 Somit kann H2, wonach Unternehmen mit einer geringeren Rentabilität eine höhere Anzahl an Unternehmenskontroversen aufweisen, bestätigt werden.

Hinsichtlich des Zusammenhangs des Unternehmenswachstums mit kontroversem Unternehmensverhalten wird auf Basis von H3 vermutet, dass wachstumsschwächere Unternehmen eine höhere Anzahl an Unternehmenskontroversen aufweisen als wachstumsstärkere Unternehmen und sich wachstumsstarke Unternehmen somit verantwortungsvoller verhalten. Diese Aussage kann zum einen durch die Literaturergebnisse hinsichtlich des Zusammenhanges von Unternehmenswachstum und ESG-Performance bestätigt werden, da hier ein ganzheitlich positiver

197 Vgl. Rudolph, 2010, 1152; Villaron-Peramato/Martinez-Ferrero/Garcia-Sanchez, 2018, 30ff.

198 Vgl. Dalal/Thaker, 2019, 53; Margolis/Elfenbein/Walsh, 2009, 18f.

Zusammenhang präsentiert werden kann. Zum anderen zeigt auch die empirische Analyse Evidenz für H3, da die wachstumsschwächere Unternehmensgruppe durchgehend eine höhere Anzahl an Unternehmenskontroversen aufweist. Diese fehlenden Wachstumspotentiale von in Kontroversen verwickelten Unternehmen können vor allem durch fehlende kompetitive Wettbewerbsvorteile und damit verbundene fehlende Umsatzzuwächse erklärt werden. Diese Unternehmen versäumen es, soziale Aspekte und Umweltaspekte in ihre Unternehmensphilosophie bzw. ihre Produkte und Dienstleistungen zu integrieren, und verzichten somit auf einen nachhaltigen Mehrwert, welcher von Stakeholdern geschätzt wird und diese durch geschaffene Unternehmensreputation an das Unternehmen bindet.199

Sehr eindeutige Ergebnisse zeigen sich bei der Betrachtung der Unternehmensgröße. Da die Literaturergebnisse hinsichtlich des Zusammenhanges von Größe und ESG-Performance eine positive Beziehung darlegen, wird, daraus abgeleitet, im Rahmen von H4 eine höhere Kontroversenanzahl kleinerer Unternehmen vermutet. Auf Basis der empirischen Analyse wird jedoch eine klare Neigung größerer Unternehmen zu kontroversem Unternehmensverhalten evident, was im Gegensatz zu H4 aber im Einklang mit den Untersuchungsergebnissen von Mishra und Modi (2013) steht. Diese untersuchen explizit die Auswirkungen der Unternehmensgröße auf kontroverses Verhalten und finden heraus, dass besonders größere Unternehmen in Unternehmensaktivitäten verwickelt sind, welche kontroverser Natur sind und dabei wertzerstörend wirken.200 Dieses erhöhte Kontroversenaufkommen für größere Unternehmen lässt sich vor allem durch die erhöhte Komplexität der Unternehmensoperationen erklären, welche eine internationale Diversifikation mit sich bringt. Mit erhöhtem Internationalisierungsgrad steigt die Anzahl der Tochterunternehmen, welche ins Unternehmensnetzwerk aufgenommen werden, und dabei nehmen auch die Kontroll- und Überwachungstätigkeiten zu. Fehlende Managementkompetenzen, kognitive Grenzen und ineffiziente Informations- und Kontrollsysteme führen folglich dazu, dass diese Tätigkeiten nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden können, die mit internationaler Diversifizierung einhergehende Komplexität nicht bewältigt werden kann und somit die Wahrscheinlichkeit von ESG-Kontroversen steigt. Dabei können Unternehmen auch unwissentlich in ESG-Kontroversen verwickelt werden, wenn z.B. Lieferanten im Rahmen von komplexen Lieferketten Kinder als Arbeitskräfte oder verbotene chemische Substanzen, ohne das Wissen des auftraggebenden Unternehmens, einsetzen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in Ländern mit relativ niedrigen Umweltstandards oder geringer sozialer Gerechtigkeit produziert oder operiert wird. Physische und kulturelle Distanzen erschweren dabei die Überwachung,

199 Vgl. Gregory/Tharyan/Whittaker, 2014, 636, 654; Rexhepi/Kurtishi/Bexheti, 2013, 535f.

200 Vgl. Mishra/Modi, 2013, 443.

während die damit verbundenen Kontrollkosten Unternehmen weiter daran hemmen, intensiver an der Vermeidung von ESG-Kontroversen zu arbeiten. 201

Im Rahmen der Liquidität kann unter anderem von Cheung (2016) ein positiver Zusammenhang mit unternehmerischem ESG-Engagement nachgewiesen werden. Weitere Studien von Toledo und Bocatto (2014) und Arouri und Pijourlet (2017) bestätigen diese Aussage und zeigen Evidenz dafür, dass der Wert, der dem Halten von hohen liquiden Beständen zugemessen wird, besonders bei Unternehmen mit hoher ESG-Performance als hoch erachtet wird und somit das von Investoren präferierte Ausmaß von liquiden Beständen von der CSR-Performance abhängt. Weisen somit liquidere Unternehmen verantwortungsvolleres Unternehmensverhalten auf, stehen diese Ergebnisse im Umkehrschluss in Einklang mit den empirischen Resultaten dieser Arbeit, wonach liquiditätsschwache Unternehmen in mehr kontroverse Handlungen verwickelt sind und H5 folglich bestätigt werden kann. Erklärt werden kann dieser Sachverhalt dadurch, dass Manager liquiditätsstarker und ESG-orientierter Unternehmen zum einen durch das Vorhandensein von finanziellen Überschüssen die Möglichkeit haben, diese in werterhöhende Aktivitäten zu investieren und die Unternehmensreputation zu erhöhen, aber damit auch gleichzeitig Prinzipal-Agenten-Konflikte geringhalten, da sie den Shareholdern damit signalisieren, auch in ihrem Besten Interesse zu handeln.202 Im Gegensatz dazu erweist sich die Ressourcenallokation bei liquiditätsschwachen Unternehmen, aufgrund der begrenzteren finanziellen Mitteln, als schwieriger und somit werden diese ihren Fokus nicht vorrangig darauf setzen, die ESG-Erwartungen im Rahmen ihrer operationalen Tätigkeiten zu erfüllen.203

Hinsichtlich der untersuchten Eigentümerstrukturen wird im Rahmen der empirischen Analyse evident, dass folgende Ausprägungen der Eigentümerstrukturen das Vorhandensein von Unternehmenskontroversen begünstigen:

▪ ein hoher Streubesitz ▪ ein hoher staatlicher Anteilsbesitz

▪ geringe von Investmentgesellschaften oder Pensionsfonds gehaltene Anteile

▪ geringe von Mitarbeitern gehaltene Anteile

Werden im Umkehrschluss die literarischen Darlegungen hinsichtlich des Zusammenhanges vom Free-Float-Anteil und der ESG-Performance mit diesem empirischen Ergebnis verglichen, steht dieses Ergebnis den Aussagen von Gamerschlag, Möller und Verbeeten (2010), Dam und Scholtens

201 Vgl. Lin-Hi/Müller, 2013, 1932; Strike/Bansal, 2006, 853f.

202 Vgl. Arouri/Pijourlet, 2017, 263ff.

203 Argumentation des Verfassers.

(2012) und Ducassy und Montandrau (2015) entgegen, welche einen höheren Free-Float-Anteil in ihren Studien mit verantwortungsvollem ESG-Verhalten assoziieren. Argumentiert wird in diesem Zusammenhang, dass ein höherer Streubesitz die Wahrscheinlichkeit von Prinzipal-Agenten-Konflikten erhöht und Manager somit ein höheres Ausmaß an ESG-Aktivitäten setzen, um Prinzipal-Agenten-Konflikte zu minimieren und Shareholdern zu signalisieren, nicht nur in eigenem, sondern auch in deren Interesse, im Sinne einer Erhöhung des Shareholder-Values, zu agieren.204 Somit muss H6 verworfen werden. Nichtsdestotrotz zeigt sich dennoch auf Basis der empirischen Analyse, trotz des erhöhten Kontroversenaufkommens für Unternehmen mit höherem Free-Float-Anteil, auch eine höhere ESG-Performance, was grundsätzlich die theoretischen Ausführungen unterstützen würde. Die höhere Kontroversenanzahl kann folglich damit argumentiert werden, dass sich Manager möglicherweise die geringeren Überwachungs- und Kontrollmechanismen der Shareholder, welche durch den höheren Free-Float-Anteil bestehen, zu Nutze machen und dennoch vermehrt Handlungen setzen, mit denen ihre eigenen Interessen verfolgt werden, auch wenn diese in Kontroversen resultieren. Um trotzdem als verantwortungsvoller Marktteilnehmer wahrgenommen zu werden, vertrauen sie dabei eher auf symbolische CSR-Maßnahmen, mit welchen zwar der Wille kommuniziert wird, nachhaltig zu agieren, diese im Endeffekt zu keinen wesentlichen Verhaltensänderungen führen. Durch effektive Kommunikationsstrategien kann so relativ günstig eine CSR-Fassade aufgebaut werden, durch welche die in diesem Zusammenhang erhöhte ESG-Performance, in Kombination mit der hohen Kontroversenanzahl, erklärt werden kann.205

Auch die empirischen Kontroversenergebnisse stehen im Umkehrschluss nicht mit den Literaturergebnissen hinsichtlich des Zusammenhanges von staatlichem Anteilsbesitz und der ESG-Performance im Einklang, wonach H7 verworfen werden kann. Während unter anderem Xu und Zeng (2016) und Lopatta, Jaeschke und Chen (2017) positive Effekte von staatlichem Anteilsbesitz auf das ESG-Engagement feststellen können, zeigt die empirische Analyse ein Bild, wonach staatlicher Anteilsbesitz eine höhere Kontroversenanzahl begünstigt. Dieser Sachverhalt ist bemerkenswert, da es vor allem in staatlichem Interesse sein sollte, soziale Bedingungen und Umweltstandards auf höchstem Niveau zu halten, dabei im Rahmen der Geschäftstätigkeit transparent zu agieren und diese Grundsätze ebenso in Unternehmensoperationen zu integrieren.206 Dennoch zeigt sich auch hier ein ähnliches Muster wie beim Streubesitz, da neben einem erhöhten Kontroversenaufkommen auch eine erhöhte ESG-Performance für Unternehmen mit hohem staatlichen Anteilsbesitz festgestellt wird, was wiederum die Literaturergebnisse hinsichtlich der

204 Vgl. Ducassy/Montandrau, 2015, 393; Gamerschlag/Möller/Verbeeten, 2011, 238.

205 Vgl. Li et al., 2018, 8.

206 Vgl. Dam/Scholtens, 2012, 237ff.

Beziehung von staatlichem Anteilsbesitz und ESG-Performance bestätigen würde. Folglich kann auch dem Staat unterstellt werden, nach außen hin zwar ein CSR-orientiertes Bild zu vermitteln, im Endeffekt jedoch nicht wirklich interessiert daran zu sein, unverantwortliches Unternehmensverhalten zu vermeiden, wobei der Zusammenhang von ESG-Performance und ESG-Kontroversen am Ende dieses Kapitels noch detaillierter diskutiert wird.

Höherer institutioneller Anteilsbesitz wird in den theoretischen Ausführungen zum Zusammenhang von Eigentümerstruktur und dem CSR-Verhalten von Unternehmen mit höherer ESG-Performance in Verbindung gebracht.207 Im Einklang damit stehend, zeigt die empirische Analyse ein höhere Anzahl von ESG-Kontroversen für jene Unternehmensgruppe, welche geringeren institutionellen Anteilsbesitz vorweist, und bestätigt somit H8. Das höhere Kontroversenaufkommen, welches durch geringeren institutionellen Anteilsbesitz in Form von Investmentgesellschaften/Pensionsfonds bedingt wird, kann dadurch erklärt werden, dass die Überwachung von institutionellen Investoren, gemäß der Prinzipal-Agenten-Theorie, Manager eher dazu bringt, Entscheidungen zu treffen, welche im Einklang mit den langfristigen Zielvorstellungen der Shareholder stehen und der alleinige Fokus somit nicht nur auf die persönlichen Interessen der Manager bzw. die Erreichung finanzieller Ziele gelegt wird.208

Familienunternehmen werden auf Basis der in dieser Arbeit präsentierten Studien primär mit einer höheren ESG-Performance assoziiert, was sich mit den Ergebnissen der empirischen Analyse deckt, wonach Familienunternehmen im Umkehrschluss eine geringere Anzahl an ESG-Kontroversen aufweisen als Unternehmen mit geringeren von Mitarbeitern gehaltenen Anteilen.

Auch auf Basis von H9 wird ein geringeres Kontroversenaufkommen bei Familienunternehmen vermutet, womit diese bestätigt werden kann. Grund für dieses verantwortungsvollere Verhalten von Familienunternehmen ist der Wunsch nach Aufrechterhaltung des sozial-emotionalen Reichtums, also der Wahrung der Unternehmensreputation und vor allem des Rufes der Familie, da besonders bei Familienunternehmen unternehmerische Fehltritte sofort mit dem Namen der Familie in Verbindung gebracht werden. Daraus resultiert der Fokus darauf, sich zum einen durch ESG-Maßnahmen als verantwortungsvoller Marktteilnehmer zu präsentieren aber auch durch die Vermeidung von kontroversem Verhalten keinen Schaden anzurichten, welcher in Folge den Namen der Familie mit wertzerstörenden Aktivitäten assoziieren würde.209

207 Vgl. Kapitel 5.7.

208 Vgl. Oh/Cha/Chang, 2017, 113.

209 Vgl. Block/Wagner, 2014, 340ff; Dyer/Whetten, 2006, 789.

Die Literaturergebnisse hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen dem Unternehmensrisiko und dem ESG-Engagement von Unternehmen zeigen primär risikoverringernde Effekte von hoher ESG-Performance. In Kombination mit der Kontroversenliteratur, welche risikoerhöhende Effekte von ESG-Kontroversen darlegt, bildet sich H10 heraus, wonach risikoreichere Unternehmen eine höhere Anzahl an Unternehmenskontroversen aufweisen als risikoärmere Unternehmen. Diese Hypothese wird im Rahmen der empirischen Analyse, in der sowohl das unsystematische Risiko als auch das Gesamtrisiko analysiert wird, zumindest anhand des unsystematischen Risikos bestätigt. Demnach weisen vor allem Unternehmen mit einem hohen Beta eine höhere Anzahl an Unternehmenskontroversen auf als Unternehmen mit niedrigerem Beta. Dies steht im Einklang mit den Erklärungsansätzen, dass eine höhere Anzahl an Kontroversen bzw. ein generell geringes Level an ESG-Performance die Wahrscheinlichkeit von Gerichtsprozessen und Strafzahlungen erhöht, die Beziehung zu Stakeholdern nachhaltig negativ beeinflusst und somit das Potential einer sinkenden finanziellen Performance aufgrund unsicherer und besorgniserregender Zukunftsentwicklungen höher ist. In gesamtwirtschaftlich schwierigen Zeiten unterliegen diese Unternehmen somit einer höheren Volatilität als der Markt, wodurch Investoren weniger gewillt sind, ihr Kapital diesen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, und die Wahrscheinlichkeit von fehlenden finanziellen Ressourcen und geringeren Handlungsspielräumen höher wird.210 Auf Basis der Studien von Bouslah, Kryzanowski und M‘Zali (2013) und Sassen, Hinze und Hardeck (2016) kann ebenso ein positiver Zusammenhang zwischen Unternehmenskontroversen und dem Gesamtrisiko gezeigt werden. Diese Ergebnisse können im Rahmen dieser Arbeit nicht bestätigt werden, da der T-Test der Anzahl der Unternehmenskontroversen nur auf Basis des Wilcoxon-Mann-Whitney-Tests einer statistischen Signifikanz unterliegt und genauso wie der T-Test des Controversies-Scores ein marginal höheres Kontroversenaufkommen für risikoärmere Unternehmen darstellt. Die Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests liegen ebenso sehr eng beieinander, zeigen jedoch auch ein leicht erhöhtes Kontroversenaufkommen für risikoärmere Unternehmen.

Diese Ergebnisse stehen den Ausführungen der Literatur entgegen, wonach besonders risikoreichere Unternehmen mehr kontroverses Verhalten an den Tag legen müssten, da genau durch diese Kontroversen Stakeholder das Vertrauen in das Unternehmen verlieren und eine unsichere Unternehmenszukunft prognostizieren.211

Neben der Untersuchung von kontroversem Unternehmensverhalten wird im Rahmen der empirischen Analyse gleichzeitig auch der Zusammenhang der Unternehmensdeterminanten mit der ESG-Performance analysiert. Dabei kann ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen

210 Vgl. Sassen/Hinze/Hardeck, 2016, 873ff.

211 Vgl. Price/Sun, 2017, 86.

der Ausprägung der Unternehmensdeterminanten und dem Ausmaß der ESG-Performance von Unternehmen nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse sind jedoch im Gegensatz zu den Ergebnissen hinsichtlich kontroversem Unternehmensverhaltens weniger stimmig und wirken in vielen Fällen paradox. So erscheint es grundsätzlich nachvollziehbar, dass Unternehmen mit hoher Verschuldung oder geringer Rentabilität mehr Kontroversen aufweisen als jene Unternehmen, welche in diesen Bereichen besser performen. Gleichzeitig erweist sich jedoch auch die ESG-Performance immer bei jener Unternehmensgruppe am besseren, welche in diesen Bereichen schlechter performt. Abstrakt betrachtet bedeutet dies, dass immer jene Unternehmensgruppe mit einer höheren Anzahl an Unternehmenskontroversen gleichzeitig auch die besseren ESG-Bemühungen aufweist. Aufgrund dieses Paradoxons wird speziell der Zusammenhang von verantwortlichem und unverantwortlichem Unternehmensverhalten auf Jahresbasis aber auch im Zeitverlauf analysiert. Dabei wird evident, dass speziell Unternehmen mit einer hohen Anzahl an Unternehmenskontroversen im selben Jahr einen dementsprechend hohen ESG-Score aufweisen.

Jahresübergreifend zeigt sich ein ähnliches Bild. Haben Unternehmen in einem Jahr eine hohe ESG-Performance, sind im darauffolgenden Jahr die Anzahl der Unternehmenskontroversen umso höher bzw. der Controversies-Score geringer. Weisen Unternehmen jedoch im Vorjahr unverantwortliches Unternehmensverhalten, ausgedrückt durch eine hohe Anzahl an Unternehmenskontroversen bzw. einen geringen Controversies-Score, auf, ist im darauffolgenden Jahr deren ESG-Score ebenso umso höher. Basierend auf diesen Aussagen kann H11 bestätigt werden, wonach es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß von kontroversem Unternehmensverhalten und dem ESG-Engagement von Unternehmen gibt. Erklärt werden können diese Ergebnisse nun durch zwei verschiedene Ansätze. Zum einen haben diese paradoxen Ergebnisse mit dem Messsystem der Scores von Thomson Reuters zu tun. Kontroverses Unternehmensverhalten und verantwortliches Unternehmensverhalten werden separat voneinander gemessen und beeinflussen sich gegenseitig nicht. So ist es möglich, dass Unternehmen im Großen und Ganzen ein ausgereiftes CSR-Konzept haben und den ESG-Erwartungen der Stakeholder in den meisten Fällen gerecht werden, aber dennoch durch Kontroversen in einzelnen Bereichen umso geringere Controversies-Scores aufweisen, womit sich diese Diskrepanz ergibt. Auch Lin-Hi und Müller (2013) kommen in ihrer Studie zum Ergebnis, dass sich die meisten Unternehmen nicht nur durch positives oder negatives ESG-Verhalten auszeichnen, sondern beide Charakteristika aufweisen, wobei dabei die negativen Effekte von ESG-Kontroversen stärker auf das Unternehmen wirken als dies die durch ESG-Engagement erzielten positiven Effekte tun.212 Nichtsdestotrotz erklärt dieser Erklärungsversuch die aufgezeigten Muster hinsichtlich des zeitlichen

212 Vgl. Lin-Hi/Müller, 2013, 1933.

Zusammenhanges von verantwortlichem und unverantwortlichem Unternehmensverhalten nicht gänzlich.

Ein weiterer Erklärungsversuch wird bereits bei der Aufstellung von H11 angesprochen, welchem, basierend auf diesen Ergebnissen, nun erhöhte Relevanz zukommt. Demnach liegt die Vermutung nahe, dass Unternehmen in der Tat das Ausmaß ihres ESG-Engagements an das Ausmaß ihres kontroversen Unternehmensverhaltens koppeln und im Falle von einer Vielzahl von Unternehmenskontroversen sogenanntes Greenwashing betreiben oder ESG-Aktivitäten als proaktives Risikomanagementtool verwenden, mit dem versucht wird, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die überdurchschnittliche ESG-Performance zu lenken, um in weiterer Folge Reputationsschäden, welche durch das unverantwortliche Unternehmensverhalten entstehen würden, vom Unternehmen abzuwenden. Diese beiden Ansätze werden vor allem durch den positiven Zusammenhang von hoher Kontroversenanzahl und gleichzeitig hoher ESG-Performance im selben Jahr unterstützt. Weiters bestärkt wird dies durch die bemerkenswert hohen aufgewiesenen ESG-Scores von Unternehmen, welche im Vorjahr in kontroverse Unternehmensaktivitäten verwickelt waren. Dadurch wird der Eindruck erweckt, Unternehmen würden diese gesteigerte ESG-Performance nur an den Tag legen, um deren in der Vergangenheit liegenden kontroversen Handlungen zu verdecken. Die auffallenden kontroversen Handlungen in Folge von hoher ESG-Performance im Vorjahr würden die These unterstützen, dass sich Unternehmen in vielen Fällen auf ihren Lorbeeren ausruhen, welche durch proaktive Aktivitäten erreicht werden und erst dann wieder in Form von ehrlichen ESG-Tätigkeiten oder in Form von Greenwashing aktiv werden, wenn die Öffentlichkeit auf die Kontroversen aufmerksam wird.

Auffallend ist auch die geringe ESG-Performance von Unternehmen in Jahren, in denen vorhergehend eine sehr geringe Anzahl von Kontroversen verzeichnet wurden. Hier wird der Eindruck erweckt, dass Investitionen in ESG-Aktivitäten geringer gehalten werden, da keine Notwendigkeit der Verschleierung von unverantwortlichem Unternehmensverhalten besteht.

Weiters basieren die von Thomson Reuters veröffentlichten ESG-Scores zum einen auf öffentlichen objektiven Berichterstattungen und Nachrichtenmeldungen hinsichtlich unternehmerischer ESG-Aktivitäten aber auch auf Informationen, welche vom Unternehmen selbst veröffentlicht werden, womit Unternehmen diese Scores durch vorgetäuschte Bemühungen beeinflussen könnten.213

Ein möglicher Unterschied ergibt sich nun bei der Motivation, mit welcher Unternehmen diese Verhaltensmuster an den Tag legen. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen

213 Vgl. Refinitiv, 2019a, 4.

generell kein Interesse an der Vermeidung von ESG-Kontroversen zeigen und somit beabsichtigt kontroverse Handlungen wie z.B. Bestechung, Korruption oder Steuerhinterziehung setzen, um daraus wirtschaftliche Vorteile zu generieren.214 Zur Verschleierung bedienen sich diese Unternehmen in Folge dem Instrument des Greenwashings und verwenden symbolische CSR-Maßnahmen, welche der Öffentlichkeit das Bild eines verantwortungsvollen Marktteilnehmers vermitteln. Dieses Bild ist jedoch trügerisch, da dahinter in Wahrheit keine wirklichen Bemühungen stehen, nachhaltig zu agieren.215 Zum anderen kann hinter diesem empirisch festgestellten Zusammenhang die unternehmerische Intention liegen, ESG-Aktivitäten als proaktives Risikomanagementtool zu verwenden. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn Unternehmen in Sündenbranchen (Alkohol, Glücksspiel, Tabak) operieren, sich der erhöhten Anfälligkeit für ESG-Kontroversen bewusst sind und deshalb eine höhere ESG-Performance verwenden, um die durch Kontroversen erzeugte Aufregung zu verringern. Diese Verhaltensweise stellt jedoch nicht Greenwashing dar, weil die CSR-Aktivitäten, welche zu erhöhter ESG-Performance führen, auch substantieller Natur und somit ehrlich gemeint sein können.216 Betroffen von diesen Phänomenen sind vor allem größere Unternehmen, welche eher versuchen, diesen Eindruck durch koordiniertes Impressions-Management und umfassende externe Kommunikationsmechanismen zu vermitteln.

Der Grund dafür liegt darin, dass größere Unternehmen einer höheren Überwachung und einem größeren Druck der Stakeholder unterliegen, wodurch eine transparente Berichterstattung gefordert wird. Eigens dafür etablierte Abteilungen konstruieren dabei in vielen Fällen eine CSR-Fassade, wo es besonders für Konsumenten und andere Stakeholder schwierig ist, zwischen der kommunizierten und der eigentlichen CSR-Performance zu unterscheiden.217 Dieser Ansatz wird unter anderem nicht nur auf theoretischer Basis vermutet, sondern auch durch die in dieser Arbeit durchgeführte empirische Analyse bestätigt, wonach im Kapitel 6.3.5. eindeutig gezeigt wird, dass besonders große Unternehmen eine hohe Anzahl an Kontroversen, aber gleichzeitig auch eine signifikant höhere ESG-Performance als kleinere Unternehmen aufweisen.