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Diplominszenierung Danse macabre

Am 15. Januar 2008 hatte die von der Gieße-ner Hochschulgesellschaft e.V. geförderte Di-plominszenierung von Sahar Rahimi, Danse macabre, auf der Probebühne des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft Premiere.

Das Stück wurde ohne textliche Vorlage erar-beitet; die Herangehensweise war es vielmehr, den Versuch zu starten, sich dem schwierigen und zunächst allumfassenden Thema Tod mit theatralen und performativen Mitteln an-zunähern. Dabei war der hohe Anspruch dieses Vorhabens vor Beginn der Arbeit allen Beteilig-ten bewusst, jedoch war man sich einig, dass sich eine Konkretisierung und Konzentration unseres Interesses auf Aspekte des Themas während der Recherchearbeit und des Proben-prozesses ergeben würden bzw. eine Themen-verlagerung oder Wegbewegung vom Aus-gangspunkt durchaus möglich wären. Die Kon-kretisierung ergab sich während des Proben-prozesses, so dass wir das Setting für Danse macabre an der Schnittstelle zwischen einer phantastischen Albtraumwelt eines (toten) Kin-des einerseits und den örtlichen wie zeitlichen Rändern von Kriegsschauplätzen andererseits ansetzten, wobei sich die Inspirationen hierfür einerseits aus dem Genre des Horrorfilms und andererseits aus dem des Kriegsfilms speisten.

Der Ausgangspunkt für die Arbeit war der Schwellenraum, in dem der Verstorbene die Sphäre der Lebenden nicht vollständig verlas-sen, jedoch das Reich der Toten noch nicht er-reicht hat. Das Interesse gilt dem Moment, in dem der abwesende Tote eine kurzweilige Prä-senz erlangt, indem er sich wieder in das Reich der Lebenden begibt, sei es als „reale“ Erschei-nung oder als Erinnerung, die in das Imaginäre der Lebenden eindringt. „Wenn der Tod, das zunächst noch klar verortbare Anderswo, zum Nirgendwo verkommt, dann droht schon bald die Verwandlung des Nirgendwo ins Überall.

Solche Mutation wäre gefährlich, viel gefährli-cher als limitierter Austausch zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten. Die Toten müssen ihre Heimat noch einmal besuchen. Sie müssen zurückkehren, damit sie wegbleiben können.“1

In jenem Schwellenraum treffen wir auf Figu-ren wie den Un- und Scheintoten, den Wieder-gänger, den Vampir; wir treffen auf Ahasver, den ewigen Juden, der durch Jesus’ Fluch zur ewigen Wanderschaft durch die Zeit verdammt worden ist. Wir treffen auf Franz Kafkas Jäger Gracchus, dessen Todeskahn sich verirrte und seither irdische Gewässer befährt, und auf den von Giorgio Agambe in seinem Buch Homo Sacer beschriebenen Ultrakomatösen, dessen Herz Tag für Tag weiterschlägt, ohne dass er je erwacht. Eine wichtige Archefigur der „Schein-toten“, die immer wieder stirbt und ins Leben zurückkommt, war Schneewittchen. Das in der Kulturgeschichte häufig vorkommende Motiv

„Der Tod und das Mädchen“ wird im Schnee-wittchen-Märchen dargestellt und zielt auf die Verbindung der nach Freud gegensätzlichen Pole Eros und Thanatos. In Danse macabre wurden viele Symbole bzw. Motive aus dem Genre des Märchens verwendet, da uns die Perspektive des Kindes auf Themen wie Krieg und Tod interessierte. Es wurden Elemente ein-gebaut, die auch sehr gut in einem Kinderstück Platz hätten, wie ein laufender Schrank oder ein Spielzeug-Hubschrauber, die dann jedoch umgedeutet bzw. einer Brutalität ausgesetzt wurden, die sicherlich nichts in einem Kinder-stück zu suchen hätte.

Um unsere theoretischen Überlegungen umzu-setzen, legten wir uns auf zwei Bühnenbild

-Gießener Universitätsblätter 41|2008

1Thomas Macho, in: Six feet under – Autopsie unseres Umgangs mit Toten, Ausstellungskatalog Kunstmuse-um Bern, Kerber Verlag, 2006, S. 21.

elemente fest: erstens ein Holzhaus auf Rädern, das mit Tannen verkleidet war, und zweitens eine Zuckerwattemaschine. Die austretende Zuckerwatte wurde mit Hilfe eines Laubgebläses im Raum verteilt und erzeugte so die Illusion eines Schneesturms. Durch die große Masse an Zuckerwatte, die die gesamte Bühne über-decken sollte, sollten Assoziationen zum Schla-raffenland entstehen: ein abgründiges Kinder-paradies aus Süßigkeit. Zusätzlich sollten Asso-ziationen mit einem Jahrmarkt oder mit Disney-Land entstehen. Der süßliche Geruch würde sich nach und nach im ganzen Raum verteilen.

Inhaltlich schien uns das Material Zucker schlüs-sig und ergiebig zu sein: Die Zuckerwatte schmilzt mit der Dauer des Stücks bzw. verwan-delt sich in Zucker zurück und symbolisiert da-durch Vergänglichkeit. Sie „verwest“ wie eine Leiche, löst sich auf wie die Erinnerung an einen Menschen. Nur ein süßlicher Geruch bleibt zurück, der auf etwas verweist, das nicht mehr vorhanden ist.

Durch die Größe des Waldhauses ließ sich schnell an das Zwergenhaus im Wald bei Schneewittchendenken, in dem man ebenfalls einen Verweis auf das Jenseits sehen kann. „Im Grunde ist der Tod im Märchen eine Wand-lungsmetapher, und umgekehrt: Bilder, die auf den ersten Blick nichts mit Tod und Jenseits zu tun haben, können im Märchen Todesmeta-phern sein. […] Oder der Held verlässt die Men-schenwelt und gelangt in den Märchenwald, wo ihm die Mächte des Dunkels entgegentreten. Der Wald oder das Waldhaus sind Jenseits -orte.“2Wir entschieden uns für ein sechsseiti-ges, bewegbares Haus, dessen Eingangstür der Schrank sein sollte. Außerdem sollte es ein Fens ter und einen Dachmechanismus geben:

Durch eine Seilkonstruktion konnte das Dach von innen aufgeklappt werden, so dass sich die Dachelemente blütenartig öffneten. Mit dieser

2Ursula Heindrichs (Hrsg.): Tod und Wandel im Märchen, Erich Röth Verlag, Regensburg, 1991, S.70.

Abb. 1: Szenenbild aus Danse macabre

Dach befindende Kinderbett, in dem sich eine Schauspielerin befand, zu dem Turm der kind -lichen Kaiserin aus der Unend-lichen Geschichte von Michael Ende.

In Auseinandersetzung mit der Inszenierung und dem Aufführungsabend des 15. Januar 2008 lässt sich festhalten, dass ein Stand der Arbeit gezeigt wurde, der für uns als Produzen-ten interessante Ansätze versammelte, die si-cher lich noch ausgebaut und radikalisiert wer-den könnten, für wer-den Zuschauer aber hoffent-lich eine ästhetische Erfahrung ermöghoffent-lichten, die gerade wegen ihrer kryptischen Verweise und ihrer ästhetischen „Rohheit“ Leerstellen ließen, um eigene Interpretationsversuche zu wagen und sich formal wie inhaltlich zu positio-nieren.

Gestalt des Hauses eröffneten sich uns ver-schiedene Assoziationsräume: Einerseits ein märchenhaftes Waldhäuschen, Zwergenhäus chen oder Hexenhäuschen, wurde das Häus -chen durch die Figur eines Esels, der das Ge-fährt mühsam hinter sich her zieht, und die an-gehängten Gewichte, die für den Dachöff-nungsmechanismus relevant waren (Kanister, Autoreifen, Schlauchrolle, Töpfe und Pfannen), andererseits zum Karren eines Flüchtlings, der sein Hab und Gut durch die Zeiten zieht. Im Kontext der Kriegsschlachten und aufgrund der Tannenzweige, die auch als Tarnung gese-hen werden konnten, assoziierten wir außer-dem einen Bunker, aber auch einen Kriegspan-zer. Schließlich wurde das Haus durch die sich öffnende Dachkonstruktion und das sich im

Mahulena Hofmann, Ricarda Kessebohm, Alexander Marks