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Sowohl zwischen der europäischen und der irischen Umweltpolitik als auch zwischen dem Politikinhalt der IVU-Richtlinie und dem Policy-Kern der IPPC-Koalition besteht nach wie vor ein hoher Grad der Kompatibilität. Folglich war der externe Anpassungsdruck auf das Policy-Subsystem sowie auf die Akteure gering. In diesem Fall war zu erwarten, dass die Koalition die Umsetzung der IVU-Richtlinie in irisches Recht vorantreibt. Da die IPPC-Koalition die einzige Advocacy-IPPC-Koalition innerhalb des Policy-Subsystems war und ist, kon-kurriert sie nicht mit anderen Advocacy-Koalitionen um Ressourcen. Darüber hinaus wurden die Ressourcen der IPPC-Koalition nicht durch effektive Veto-Punkte verringert. Indem sämt-liche Akteure des Policy-Subsystems den Policy-Kern der IVU-Richtlinie teilten, blieben po-tentielle Veto-Punkte, wie z. B. die Ablehnung des Politikinhalts durch einen Koalitionspart-ner in der Regierung aus Fianna Fáil und Progressive Democrats, ungenutzt. Aufgrund der Beobachtung, dass in Irland zum einen ein hoher Grad der Kompatibilität zwischen dem Poli-tikinhalt der IVU-Richtlinie und dem Policy-Kern der IPPC-Koalition bestand und zum ande-ren die IPPC-Koalition die einzige Advocacy-Koalition innerhalb des Policy-Subsystems bil-dete, in dem kein effektiver Veto-Punkte vorlag, war nach der Hypothese dieser Abhandlung (Kap. 3.4) zu erwarten, dass bei der rechtlichen Implementation der IVU-Richtlinie in Irland keine Probleme auftreten würden. Allerdings wurde die IVU-Richtlinie nicht effektiv in iri-sches Recht umgesetzt und die Protection of the Environment Bill wurde erst im Januar 2003, über vier Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist, im Seanad eingebracht.

Obgleich sich die Umsetzung der IVU-Richtlinie in irisches Recht verzögerte, hatte die Euro-päische Kommission während des Jahres 2001 gegen Irland, im Unterschied zu anderen säu-migen Mitgliedstaaten, keine Klage beim EuGH wegen der ineffektiven rechtlichen Imple-mentation der IVU-Richtlinie erhoben (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2002c: 39). Wenn auch die IPPC-Koalition weiterhin damit rechnen musste, dass die Europäi-sche Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet (Antwort Devlin), nahmen die Akteure der IPPC-Koalition die rechtliche Implementation der IVU-Richtlinie nicht als vor-rangiges Policy-Problem war. Im Department of the Environment and Local Government ge-nossen andere Umweltschutzvorhaben Priorität (Antwort Devlin) und obgleich im Seanad die

43 Eine symbiotische Interdependenz unter Akteuren, die den Policy-Kern ihres belief systems teilen, führt zu

ineffektive Implementation europäischer Richtlinien in Irland kritisiert wurde, wurde die Ver-zögerung der Umsetzung der IVU-Richtlinie im Vergleich zu anderen Umweltschutzrichtli-nien der EU als gering angesehen (Seanad Éireann, 2003b). Vor dem Hintergrund der Beo-bachtung der rechtlichen Implementation der IVU-Richtlinie in Deutschland, hätte die Einlei-tung eines Vertragsverletzungsverfahrens dazu führen können, dass sich die Akteure der Dringlichkeit der Umsetzung bewusst werden und auf diese Weise die Umsetzung beschleu-nigt wird. Allerdings wäre auch in diesem Fall die Umsetzung der IVU-Richtlinie in irisches Recht ineffektiv, da ein Vertragsverletzungsverfahren erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist eingeleitet wird.

Da weder effektive Veto-Punkte noch das Ausbleiben eines Vertragsverletzungsverfahrens zu der Erklärung der ineffektiven rechtlichen Implementation in Irland beitragen, stellt sich die Frage nach weiteren Faktoren, die für die verspätete Umsetzung verantwortlich sind. Dabei weist der Advocacy-Koalitionsansatz auf mögliche Faktoren hin. Während das belief system der Akteure die Richtung ihrer Handlungen angibt, bestimmen die Ressourcen, über die die Akteure verfügen, die Fähigkeit, diese Handlungen auch ausführen zu können. Da aufgrund des hohen Grads der Kompatibilität zwischen dem Politikinhalt der IVU-Richtlinie und dem Policy-Kern der IPPC-Koalition, die IPPC-Koalition bestrebt ist, die IVU-Richtlinie in iri-sches Recht umzusetzen, müssen die Gründe für die Umsetzungsprobleme in der Ressourcen-ausstattung der IPPC-Koalition gesucht werden. Sabatier nennt beispielsweise Geld, Experti-se, Zahl der Unterstützer und rechtliche Autorität, die durch Institutionen begründet wird, als Ressourcen, die die Fähigkeit der Advocacy-Koalitionen bestimmen, ihre policy-orientierten Ziele zu verwirklichen (Sabatier, 1988: 143).

Angewandt auf die rechtliche Implementation der IVU-Richtlinie, entspricht die rechtliche Autorität im Wesentlichen der Verfügung über Veto-Punkte, die in Irland nicht effektiv wa-ren. Auch die Zahl der Unterstützer war nicht entscheidend für die ineffektive rechtliche Implementation in Irland. Da die IPPC-Koalition die Umsetzung der IVU-Richtlinie befür-wortete, bestand eine wesentliche Zahl an Unterstützern der Umsetzung, während kein nen-nenswerter Widerstand gegen die Umsetzung vorgebracht wurde (Antwort Devlin). Wenn auf der einen Seite kein wesentlicher Widerstand gegen den Politikinhalt der IVU-Richtlinie be-stand, muss auf der anderen Seite die IPPC-Koalition über zu wenig eigene Ressourcen ver-fügt haben, um die IVU-Richtlinie effektiv in irisches Recht umsetzen zu können. In diese

einer starken Koordination (Fenger/Klok, 2001: 163f.).

Richtung weisen die von Sabatier genannten Ressourcen Geld und Expertise. Bei einem Mangel an diesen Ressourcen ist eine Umsetzung auch dann ineffektiv, wenn keine nennens-werte nationale Opposition besteht.

Laffan/Manning/Kelly identifizieren eine geringe Ressourcenausstattung der öffentlichen Verwaltung im Bereich der Europaangelegenheiten als einen Erklärungsfaktor für die verspä-tete Umsetzung europäischer Richtlinien in Irland. Aus der Sicht der öffentlichen Verwaltung wird die geringe Größe der irischen Bürokratie für Probleme bei der Implementation europäi-scher Politik verantwortlich gemacht. Im Vergleich zu größeren Mitgliedstaaten weist die irische Verwaltung einen geringeren Grad der Spezialisierung und der Arbeitsteilung auf.

Dieselben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind oft sowohl für den Politikformulierungspro-zess auf europäischer Ebene als auch für die Implementation europäischer Policy-Outputs auf nationaler Ebene verantwortlich. Im Falle einer hohen Arbeitsbelastung genießen dabei die Aufgaben auf europäischer Ebene Vorrang. Darüber hinaus bilden Europaangelegenheiten nur einen Teil des gesamten Aufgabenbereichs der zuständigen Organisationseinheit. Vor dem Hintergrund der Ressourcenausstattung empfindet die öffentliche Verwaltung die von europä-ischen Richtlinien vorgesehenen Umsetzungsfristen als zu kurz (Laffan et al., 1988: 392f.).

Für die Interpretation, dass die geringe Ressourcenausstattung der öffentlichen Verwaltung einen Erklärungsfaktor für die verspätete ineffektive rechtliche Implementation darstellt, spricht zum einen der Umstand, dass gewöhnlich das formalisierte Vorverfahren einer Klage-erhebung der Europäischen Kommission beim EuGH, das als letzten Schritt die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme umfasst, ausreicht, um eine Umsetzung europäischer Richtlinien in irisches Recht zu erreichen (Laffan et al., 1988: 396). Zum anderen wird die Interpretation der geringen Ressourcenausstattung als Erklärungsfaktor dadurch gestützt, dass die Protection of the Environment Bill erst im Januar 2003 im Seanad eingebracht wurde, obwohl kein wesentlicher Widerstand gegen die Umsetzung bestand.

Die Umsetzung der IVU-Richtlinie in irisches Recht wurde weder durch eine Opposition auf nationaler Ebene gegen den Politikinhalt der IVU-Richtlinie erschwert noch durch effektive Veto-Punkte blockiert. Vielmehr bestand innerhalb des Policy-Subsystems lediglich eine Ad-vocacy-Koalition, die den Policy-Kern der IVU-Richtlinie teilte und die Umsetzung vornahm.

Trotz dieser für eine effektive rechtliche Implementation günstigen Voraussetzungen, wurde die Protection of the Environment Bill erst über vier Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist in die parlamentarische Arena eingebracht. Obgleich Hinweise bestehen, dass ein

Vertragsver-letzungsverfahren die Akteure zu einer zügigeren rechtlichen Implementation gedrängt hätte, wäre dadurch das Umsetzungsproblem nicht behoben worden. Die IPPC-Koalition verfügte nicht über genügend Ressourcen, um die IVU-Richtlinie effektiv in irisches Recht zu trans-formieren. Insbesondere Merkmale der öffentlichen Verwaltung im Bereich der Europaange-legenheiten könnten für Probleme der rechtlichen Implementation verantwortlich sein. Hier-bei handelt es sich um eine Interpretation, die entstand, weil die aus der aktuellen Europafor-schung gewonnenen unabhängigen Variablen die Umsetzungsprobleme der IVU-Richtlinie in Irland nicht erklären. Da jedoch der Grad der Spezialisierung und Arbeitsteilung der öffentli-chen Verwaltung von der gegenwärtigen Europaforschung nicht als erklärender Faktor für die Effektivität der rechtlichen Implementation identifiziert wurde, wurde er in dieser Abhand-lung nicht systematisch berücksichtigt. Aussagen über seine Wirksamkeit bleiben deshalb innerhalb dieser Abhandlung spekulativ.

7 VERGLEICH DER RECHTLICHEN IMPLEMENTATION DER IVU-RICHTLINIE

Das Ziel von Sozialwissenschaften ist die Erklärung von Phänomenen auf der Makro-Ebene.

Da jedoch gesellschaftliche Strukturen nicht selbst handeln, sondern soziale Phänomene das Ergebnis der Handlungen individueller Akteure sind, muss auch die Mikro-Ebene in die Er-klärung sozialer Phänomene mit einbezogen werden. Dabei ist indes nicht das tatsächliche Verhalten des einzelnen Akteurs Gegenstand der Analyse. Vielmehr beruht die Erklärung sozialer Phänomene auf einer Abstraktion, die individuelle Handlungen vereinfacht, um dar-aus deren Folgen für die Makro-Ebene ableiten zu können. Um das Ausmaß zu bestimmen, in dem die Handlungen der Akteure in die Analyse aufgenommen werden müssen, sieht die Me-thode der abnehmenden Abstraktion vor, zunächst von abstrakten Annahmen auszugehen, die dann Schritt für Schritt problematisiert werden, indem zusätzliche Annahmen eingeführt wer-den, die die Realitätsnähe erhöhen. Da durch dieses Vorgehen neben der Realitätsnähe auch die Komplexität der Ableitung sozialer Phänomene aus den individuellen Handlungen erhöht wird, soll der Prozess der Problematisierung abgebrochen werden, wenn das Erklärungsmo-dell hinreichend komplex und dennoch möglichst einfach ist (Lindenberg, 1991: 46-57). In Anlehnung an die Methode der abnehmenden Abstraktion werden zunächst die Ausprägungen der strukturellen unabhängigen Variablen miteinander verglichen, um die rechtlichen Imple-mentationen der IVU-Richtlinie in Deutschland und Irland zu analysieren (vgl.

Mayntz/Scharpf, 1995: 66). Erst danach wird der Vergleich um die aus dem Advocacy-Koalitionsansatz gewonnenen Annahmen über die handelnden Akteure erweitert. Dieses Vor-gehen dient insbesondere dazu, den Zusammenhang von externem Anpassungsdruck auf das Policy-Subsystem und externem Anpassungsdruck auf die Advocacy-Koalitionen innerhalb des Policy-Subsystems herauszustellen.