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Die „Kulturgeographie” im Disziplingebäude der „anthropogenen Umweltforschung”

A FRAGESTELLUNGEN UND FORSCHUNGSANSÄTZE EINER „ANWENDUNGS- „ANWENDUNGS-ORIENTIERTEN HISTORISCH-GEOGRAPHISCHEN GEWÄSSERFORSCHUNG“

2 Die „Kulturgeographie” im Disziplingebäude der „anthropogenen Umweltforschung”

a Zur Begriffsbestimmung „anthropogene Umweltforschung"

Als Konklusion der o. g. Ausführungen lässt sich resümieren: die Umweltforschung der Umweltwissen-schaften beschäftigt sich mit der Analyse lebensräumlicher Einheiten – und dazu gehört auch und insbesondere der gestaltende Mensch. Gemeinsames Ziel der Umweltforschung ist daher neben der Erkenntnis vom Funktionieren der Umwelt, Gefahren für die Umwelt zu erkennen und Abwehrmaßnahmen auszuarbeiten, auch Normen und Wertevorstellungen zu entwickeln, die der Umwelt als Lebensraum des Menschen gerecht werden. Eine als Menschheitsschutz so verstandene Umweltforschung schließt auch die Umweltethik, das heißt die Diskussion von Verhaltensweisen des Menschen in der Umwelt mit ein. Nach diesem erklärten Selbstverständnis „will die Umweltforschung die Umwelt der Menschen und ihrer Gesellschaft untersuchen.” (BECKER 1998:34)

In Reduktion der ursprünglich weiter zu fassenden Bedeutung des Begriffes „Umwelt“ und im Gegensatz zur noch immer dominierenden naturwissenschaftlich-ökologisch orientierten Betrachtungsrichtung beziehe ich mich deshalb im Folgenden auf einen Teilaspekt: der „menschlichen Umwelt“. Sie erfasst „alle für den Menschen relevanten Teile der Außenwelt“ und beschreibt damit den Betrachtungsansatz der „anthropo-zentrischen Umweltforschung“, wobei hier definitionsgemäß die „Veränderungen dieser Außenwelt durch natürliche und menschliche Einflüsse und ihre Rückwirkungen auf den Menschen im Vordergrund“ stehen (LERSNER/HUCKE 1992:552).

Anthropologie – als institutionelle Einheit und zugleich adjektivisches Merkmal der hier vorgetragenen anthropogenen Umweltforschung – heißt ,Wissenschaft vom Menschen’. Die anthropologische Forschung

betrachtet den Menschen nach zwei Hauptaspekten – als Naturwesen und als Kulturwesen –, die sich wiederum nicht voneinander trennen lassen. Modern ausgedrückt: Der Mensch ist ein Lebewesen, zu dessen Natur die Kultur gehört. Das Kennzeichen der Anthropologie ist demnach, „daß sie ganz spezifisch nach dem Gesamtbild vom Menschen fragt, nach dem Menschenbild oder, wie man früher gesagt hätte, nach dem Wesen des Menschen. Sie bündelt alle zur Beantwortung dieser Fragestellung geeigneten Fakten aus den Wissenschaften zu einem Paket, das einen Überblick über das Wesen des Menschen ermöglicht und vor allem, das zur Orientierung in der Praxis dienen kann. [...] Anthropologie will die Menschenbilder bewußt machen; sie will über den Menschen aufklären.” (STAMM 2000:18) Die Anthropologie nutzt dabei – im Sinne der Interdisziplinarität – „die Beobachtungen der Fachwissenschaften und das umfassende Nachdenken der Philosophie.” (:18)

Die von BECHMANN/FREDERICHS (1998:15) vorgetragene Kritik der „Anthropologenisierung“ in der Umweltforschung muss jedoch insofern geteilt werden, als „daß die relevanten gesellschaftlichen Fragen, zu denen das Mensch-Umwelt Problem [...] in besonderer Weise gehört, eben nicht aus fachspezifischer Enge – so wichtig die Detailforschung und Detailkenntnisse auch sind –, sondern nur aus der Berücksichtigung des komplexen Zusammenwirkens einer Vielzahl von Faktoren der natürlichen und kultürlichen Umwelt zu verstehen und letztlich zu beantworten sind” (SCHOLZ 1995:269).

Das von der anthropozentrischen Umweltforschung studierte Wechselgefüge zwischen Außenwelt und Mensch wird infolgedessen in diesem Betrachtungsansatz gedanklich verknüpft mit dem Konzept der Ökosysteme und erreicht somit wieder den ursprünglich holistischen Ganzheitsanspruch einer integrativen Umweltforschung.

Um dennoch die Bedeutung des Menschen als maßgebliche Einflussgröße der Umwelt herauszustellen, ist die Frage zu klären: „Ist die Umweltforschung eine Natur- oder eine Sozialwissenschaft, oder beides, oder keines von beiden? Solche Fragen müssen beantwortet werden, wenn eine integrative Umweltforschung mehr sein will als ein schönes Versprechen.” (BECKER 1998:34) Und in diesem schwierigen wissenschafts-theoretischen Rahmen ist die Positionierung der Geographie als kulturgeographische Umweltforschung zu ermitteln.

b Zur Stellung der Kulturgeographie in der anthropogenen Umweltforschung

Manche, wie beispielsweise MÜLLER-HOHENSTEIN (1995:271), verstehen Geographie noch heute als eine Umweltforschung im Sinne einer „umfassenden Ökosystemforschung”. Nicht in Kontradiktion zu einer solchen vom naturwissenschaftlichen Verständnis geprägten physisch-geographischen Umweltforschung, vielmehr in einer den ökologischen Ansatz integrierenden, aber nicht hervorhebenden Weise, steht bei anderen ‚Umweltforschern’ wiederum die Geographie als anthropogene bzw. kulturelle Geographie im Zentrum der Umweltforschung. Doch nicht als eigenständiger Disziplin, sondern als Betrachtungsansatz. Die theoretische Grundlegung dieses Betrachtungsansatzes liegt für SCHOLZ (1995:269) in der Thematik

‚Mensch-Umwelt’. Sie „ist originär geographisch, Gegenstand und Programm geographischer Wissenschaft an sich”. Oder wie DANIELS et al. (2001:3, Hervorhebung im Original) zwingend ausführen: “geographers must [...] accept that all descriptions of the world are culturally determined, often politically motivated, and always contested.”

In Fortführung der Betrachtung von Geographie als Raumwissenschaft (siehe 1a) stehen nach DENECKE (1989c:51) „die Betrachtung räumlicher Verhältnisse sowie das Verhältnis des Menschen zum Raum und zu seiner natürlichen, gebauten wie auch sozialen Umwelt […] im Vordergrund der Untersuchungen der Anthropo- oder Kulturgeographie.” „Cultural geography” so in gleicher Sichtweise JOHNSTON et al.

(1986:86, Hervorhebung im Original), “focuses on the impact of human CULTURE [...] upon the natural environment and the human organisation of SPACE.” „Dabei ist der wirtschaftende, nutzende und gestaltende Mensch“, um zu DENECKEs (2000:212) Argumentationsstrang zurückzukehren, „mit der sich daraus ergebenden Kulturlandschaft ein wesentlicher Ausgangs- und Zielpunkt der Betrachtung wie auch der Maßnahmen.” Kulturgeographie wird demgemäß als die „geographische Forschung an der vom Menschen gestalteten Landschaft” definiert (PFEIFER 1982:329).

Bezeichnet man die Geographie also „als ganzheitliche, komplexe Landschaftsforschung“ (DENECKE 2000:198) und steht der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung, so hat sie auch dementsprechende spezielle Aufgaben wahrzunehmen: „A classic concern of cultural geography is”, wie NORTON (2000:2) das zentrale Anliegen ausdrückt, „to decribe and explain the visible material landscapes that different groups of people have fashioned from the physical geographic environment that they occupy.”

„Cultural geographers”, so NORTON (2000:2) weiter in seiner Aufgabenbeschreibung, „try to make sense of the visible and material landscapes that are associated with cultural groups”. Beschreibung und Erklärung der

„visible landscape” nach NORTON, dessen Auffassung hier uneingeschränkt gefolgt wird, ist eine der wichtigen, doch oftmals unterbewerteten Aufgaben der Kulturgeographen.

Der Einfluss der ‚cultural groups’, der Betrachtungsgegenstand der ‚visible landscape’ sowie die Deskription und Analytik als klassisches Aufgabenfeld machen es notwendig, Kulturgeographie innerhalb der anthropogenen Umweltforschung in diesem Sinne als Landschaftsforschung bzw. – da der Mensch seit Beginn die Landschaft gestaltete – besserhin als Kulturlandschaftsforschung zu verstehen. Landschaft bzw.

Kulturlandschaft stellt somit das zentrale Forschungsobjekt innerhalb der Kulturgeographie dar.

c Zum Begriff „Kulturlandschaft”

Der Begriff Kulturlandschaft, so FEHN bereits 1975 (1975a:51,52) unter Hervorhebung der räumlichen Abgrenzung und seiner anthropogenen geschichtlichen Ausgestaltung „könnte [...] von der Historischen Geographie als Bezeichnung für eine geographische Einheit mit einer ausgeprägten individuellen Geschichte übernommen werden.” Man weiß nicht, ob der langjährige Direktor des Bonner Seminars für Historische Geographie vor nunmehr fast 30 Jahren den anstehenden Siegeszug, SCHENK (2003:mündl.) spricht von einer „Karriere” des Begriffs, dieses eine ganze geographische Teildisziplin prägenden und identifikationsstiftenden Terminus geahnt hat. Zu vermuten ist hingegen, daß FEHN keine Vorstellung davon besaß, wie lange dieser Begriff für etymologische Beschäftigung sorgte und inhaltlich noch immer für Unruhe sorgt.

Dies zeigen aktuell solche begrifflichen Erweiterungen und räumlichen Übertragungen wie „Urbane Kulturlandschaft“3 (BROERMANN 2003) und „Suburbane Kulturlandschaft“4 (LANGE 2003) aus dem traditionell ländlichen Raum heraus und es gipfelt in der Aussage, „das Sonnborner Autobahnkreuz“ als

„kulturlandschaftliches Element der Gegenwart“ zu bezeichnen (DINNEBIER 2002:7).

Über den Landschaftsbegriff herrscht – vielleicht auch neu angeregt aufgrund der in jüngster Zeit vorgenommenen Erweiterung – noch immer „innerhalb der Disziplinen, die sich mit Natur und Landschaft beschäftigen, aber auch außerhalb in der Öffentlichkeit, eine babylonische Sprachverwirrung.”

(BURGGRAAFF 1997:237) und „a number of different – and debated – definitions” (BAKER 1992:6).

Ohne an dieser Stelle auf den Landschaftsbegriff tiefgründig eingehen zu können5, sollen dennoch einige zum Verständnis beitragene Erklärungsversuche gemacht werden, denn „es ist dringlich geboten, die heute vielseitige und oft unklar angewendete Bedeutung des Begriffes ‚Kulturlandschaft’ zu verifizieren und dabei zugleich das Objekt wie den Betrachtungsansatz auf die jeweilige Fragestellung bezogen zu definieren.“

3 Johannes B. BROERMANN/Hamburg hat sich in seiner Diplomarbeit der „urbane[n] Kulturlandschaft als Forschungsgegenstand“

(2003:V,5ff.) angenommenen und mit einer methodischen Erfassung urbaner Freiflächen, d. h. unbebauter Flächen, die allgemeine Defnition von „Kulturlandschaft“ auf den urbanen Kontext übertragen.

4 Das Beispiel des Dissertationsvorhabens von Beate LANGE/Bonn, vorgestellt auf dem Historisch-Geographischen Forum 2003 an der Universität Bonn unter dem Vortragstitel “Suburbaner Raum als Kulturlandschaft?” [!] und am 02.07.2003 mit dem Vortragstitel

„Junge Kulturlandschaft suburbaner Raum?” [!] anlässlich der Fachtagung “Kulturlandschaften in Deutschland” der Konrad-Adenauer-Stiftung auf Schloss Eichholz, widmet sich dem bisher am stärksten vernachlässigten Anwendungsbereich der Kulturlandschaftsforschung, lässt aber gleichzeitig Unsicherheit dadurch erkennbar werden, dass sie die Übertragung des Begriffs auf den suburbanen Raum in Frage stellt – symbolisiert durch ein Fragezeichen.

5 Mit den Fragen „Was ist Landschaft“ (18ff.), „Was sind historische Kulturlandschaften“ (25ff.) hat sich JOB (19991) in seiner Dissertation ausführlich beschäftigt. Antworten über die Schlüsselbegriffe „Landschaft“, „Kulturlandschaft“, „historische Kulturlandschaft“ gibt ebenso GUNZELMANN (1987:30ff, 41ff.; ib.: 1999a:5). Zur spannenden Geschichte der Schlüsselbegriffe

„Landschaft“ und „Kulturlandschaft“ und ihrer aktuellen Verwendung und Stellung siehe SCHENK (2003a:6-13). Zu den begrifflichen und sachlichen Gemeinsamkeiten zwischen Heimat und Kulturlandschaft siehe GUNZELMANN (2003:2-7).

(DENECKE 1997:35) Die von DENECKE erfolgte Aufforderung wie auch die von BURGGRAAFF beschriebene terminologische Situation wurde neben der (bevorstehenden) Einbeziehung der urbanen und suburbanen Räume in Kulturlandschaften in neuer Zeit in anderer Hinsicht – pragmatisch – gelöst:

Einen noch weitergehenden pragmatischen respektive anwendungs- und politikorientierten Umgang mit dem

„Kulturlandschaftsbegriff“ verfolgt BURGGRAAFF (2003). Der Begriff der Kulturlandschaft sei entsprechend mit dem jeweiligen Auftraggebern und den Bürgern gemeinsam zusammenzutragen. Es müsse eine inhaltliche Anpassung des theoretischen Begriffs zur Praxis je nach Auftraggeber und gemeinsam mit dem Bürger erfolgen. Eine begriffliche Festlegung abseits der akademischen Diskurse fordert ebenso KALESSE (2003). Um den Kulturlandschaftsbegriff umsetzbar zu machen, muss er eingeengt werden, eingeschränkt in Bezug auf den Auftrag, um Kulturlandschaft zum Beispiel für eine Denkmalpflege operationalisierbar zu machen. GUNZELMANN (1999a:5) sieht zwar auch „ein grundsätzliches Problem im Umgang mit der Kulturlandschaft“ im terminologischen Bereich, sieht jedoch „die inhaltliche Definition dessen, was unter Kulturlandschaft zu verstehen ist […] jeweils fachintern festgelegt“, beschränkt damit die Variabilität der begrifflichen Festlegung, verhindert aber so eine zu starke individuelle Begriffsauslegung abseits der fachspezifischen Diskussion, die mit der übertriebenen Bürgerfreundlichkeit am Beispiel der Stadtplanung und Stadtentwicklung zu einer mancherorts weitgehenden Aufgabe der fachlich versierten Lenkung als Hoheitsaufgabe geführt hat.

Hinsichtlich der Aufgabe, den Terminus „Kulturlandschaft” aufzudecken, gibt es dabei unterschiedliche Vorgehensweisen: entweder über den Wortstamm „Kultur” oder den der „Landschaft”. Die Entscheidung darüber ist eher von theoretischer Natur, sind doch beide miteinander unzertrennlich verbunden, wie die weiter unten stehenden Ausführungen zeigen. Dennoch sei hier nicht der Sicht Herbert MÜCKEs (1988:152) gefolgt, es sei “wenig erfolgversprechend, dem Inhalt von Kulturlandschaft über den Begriff der Landschaft näher kommen zu wollen.“ „Im geschlossenen System der Landschaft”, so seine Begründung, „laufen Prozesse ab, die für den Kontaktbereich Mensch-Umwelt nur in der Form wirksam sind, in welcher sie vom Menschen wahrgenommen und bewertet werden.” (:152). Daher seien “Beziehungen und Wirkungsfelder offenzulegen” (:152), die erst eine Auseinandersetzung mit der Kategorie Kultur innerhalb der Geographie und der Historischen Geographie ermöglichen. Dieselbe Auslegung ist bei NORTON (2000:15) anzutreffen:

“the single most important cultural geographic idea derived from the cultural studies tradition is a concept of cultures as maps of meaning”. Auch CRANG (1998:6) sieht als “the guiding principle [...] that cultures are sets of beliefs or values that give meaning to ways of life and produce (and are reproduced through) material and symbolic forms.”

Was spricht gegen eine solche eher sozialwissenschaftlich und wahrnehmungsgeographisch fundierte primäre Annäherung an den Begriff Kulturlandschaft über den Begriff „Kultur“?:

„Kultur“ („culture“), so sagt zunächst MITCHELL (2000:13) auf der Suche nach dem Wortinhalt, „is an incredibly complex word” (:13), meint „a lot of things” (:13) und scheint „thus something of a muddle” (:14;

ebenso CRANG 1998:1). „’Culture’”, so sein vorläufiges Resümee, „seems to mean everything. Or maybe it is so broad a term it means nothing – or at least not anything analytically useful.” (MITCHELL 2000:15).

Der Kulturbegriff scheint nach seiner Auffassung „to be both a nebulous ‘structure of feeling’ [...] that defines the life of people (or perhaps is constructed out of the lives of peoples) and a set of productions (like art) that reflect upon, speak to, or attempt to mold that ‘structure of feeling’ through various strategies of representation” (Hervorhebung im Original).

Des Weiteren sei der Term ‘Kultur’ negativ besetzt. „’Culture’ was becoming a term to differentiate the good from the bad, the cultivated from the unruly.” (MITCHELL 2000:15, Hervorhebung im Original) und MITCHELL (:14) fährt in seiner anti-kulturellen Argumentation fort, dass: „the idea of culture often indicates a hierarchical ordering of all these processes, activities, ways of life, and culture production”

Schließlich und am wichtigsten für die Entscheidung ist die rein etymologische Bedeutung, auf die man sich hier zurückziehen kann: Das Wort „Kultur“ entstammt dem lateinischen „cultura”6, bedeutet in der Verbform colere = [das Land] bebauen und deshalb ist die Übersetzung klar: Doch was bedeutet (dann) „Landschaft”?

Ist es nicht so, wie VAN DEN HÖVEL (2001:36) es sagt: „Eine Landschaft ohne Kultur ist somit eine Kultur ohne Landschaft“?

Einfach wäre es auch, den Begriff – ähnlich wie den der negativ getönten „Kultur“ – zu diskreditieren, wie Friedmar APEL, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft in Paderborn, es beispielsweise versucht, indem er der Frage nachgeht, „warum die Landschaftsdarstellung seit dem 18. Jahrhundert gerade in Deutschland die reichste und eigentümlichste Tradition ausgebildet hat“ (APEL 1998:27). Nach seiner Auffassung „lassen sich insbesondere am Landschaftsverständnis bedenkliche Züge des deutschen Wesens entziffern“ (:13) und er gibt angesichts der Ganzheitlichkeit von Landschaft zu bedenken, „daß solche Ganzheitsvorstellung in gefährliche Nähe zu totalitärer Ideologie geraten kann“ (:13).

Die „3. Reich-Keule“ greift aber nur bei einer symbolischen Evidenz von Landschaft, aber nicht, wenn sie als wirklicher Raum möglichen Handelns begriffen wird. Die Zeugnisse „sind die Buchstaben, Worte und Sätze in einer Geschichte, die Menschen vor langer Zeit zu schreiben begonnen haben und an der andere unablässig weiterformulieren“ (SCHUMACHER/STRAUSS 1998:9).

Das Wort „Landschaft” hat also eine mehr als 60jährige Geschichte, eine Historie, die sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen lässt, und verschiedene Bedeutungen besessen:

1. Landschaft als Personenkollektiv: Im 12. Jahrhundert bezeichnete ‘Landschaft’ die Bevölkerung, eine Personengruppe eines Landes, der Begriff wurde später auf die politisch handlungsfähigen Bewohnerinnen und Bewohner, d. h. für die Versammlung der politischen Vertreter eines solchen Raumes (z. B. die Ständeversammlung der Ritterschaft eines Landes) eingeengt. Heute würde man dafür eher das Wort ‘Landstände’ verwenden.

2. Landschaft als Region: Das althochdeutsche ‘lantscaf’ bezeichnete einen größeren Siedlungsraum mit gewissen einheitlichen rechtlichen und sozialen Normen (provincia, regio). Diese Bedeutung dominierte in der Hochsprache bis ins späte 18. Jahrhundert. Als Synonym für diese Landschaft als einen politisch-rechtlich abgegrenzten Raum könnte das Wort Region stehen.

3. Landschaft als Kunst: Die heutige alltagssprachliche Bedeutung von Landschaft stammt aus dem späten Mittelalter und der Zeit der Renaissance, als unter Landschaft die gemalte Darstellung des Ausschnitts einer Gegend verstanden wurde. Dabei handelte es sich aber nicht nur um eine möglichst wirklichkeitsgetreue Darstellung, sondern auch um die bewusste Komposition von Ideallandschaften.

Diese Bedeutung wurde im 16. und 17. Jahrhundert auf die Vorlage des gemalten Landschaftsbildes – also auf das, was wir heute alltagssprachlich unter Landschaft verstehen – ausgedehnt, aber nur von Künstlern und Kunsttheoretikern verwendet.

4. Landschaft als Gegenstand der Geographie: Eine spezielle Form der Landschaft ist die

“geographische Landschaft”, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein Amalgam aus der alltagssprachlichen Landschaft und der Bedeutung von Landschaft als Region entstand. Die alltagssprachliche Landschaft wird also um eine räumliche, regionale und materielle Komponente ergänzt (AMANN 1999:32; NEUMANN 1989:65). Es handelt sich „aus Sicht der Geographie – um einen wissenschaftlichen Grundbegriff [...], auch wenn keine allgemein anerkannte Landschaftsdefinition existiert” (AMANN 1999:33). Dies ist umso verwunderlicher, „da das Entscheidende für den Landschaftsbegriff die konkrete Gestaltung der Erdoberfläche ist” (FEHN 1975a:51). „Sie ist nämlich das Konkreteste, was wir haben auf der Welt.” (EISEL 1997:41)

6 Im Gegensatz zur wörtlichen Übersetzung aus dem lateinischen bezeichnet „cultura“ – in der Auslegung von TÖLLE-KASTENBEIN (1990:8) „ursprünglich die Gesamtheit der Bestrebungen einer Gemeinschaft, den Grundbedürfnissen der mensch-lichen Natur nachzukommen.“ Diese Übersetzung in seiner allumfassenden, auch die Bestrebungen abseits der Wertevorstellungen integrierenden Form, kann nach meiner Aufassung jedoch nicht überzeugen.

Auch wenn es keine Legaldefinition von ‘Landschaft’ und so unterschiedliche Begriffsbestimmungen gibt, so können dennoch Übereinstimmungen mehrheitlich festgestellt werden, die die Herkunft der Landschaft zur Grundlage haben:

Landschaft ist Kulturlandschaft, das heißt vom Menschen überformte, gestaltete und kultivierte Landschaft (KRAUSMANN/WEISZ 1999:49; SUSKE 1999:112), und „galt und gilt auch heute noch als ein Korrelat landschaftlicher und menschlicher Elemente.” (MÜCKE 1988:152f.) „Die Kulturlandschaft”, so schrieb bereits KRENZLIN (1969:1) in ihrer Einleitung zu ihrer Dissertation 1931 über das hannoversche Wendland, „ist das durch menschliche Tätigkeit umgestaltete Landschaftsbild”. Pathetischer drückt es SCHWIND (1964a:3) aus, wenn er von Kulturlandschaft „als ein Werk des Menschen“ spricht, indem also

„objektivierter Geist […] in der Landschaft dauernde Form gewonnen habe.“ Ein Geist, der „objektive Werte schafft und sich in diesen ausdrückt.“ Es handelt sich also nicht um ein Erleben bzw. eine Seele des Menschen, sondern es gilt in interpretatorischer und analytischer Sicht aus den „Objekten“, eben den Kulturlandschaften, „herauszuholen, was von den Schaffenden hineingelegt wurde.“ (:6). Die menschliche Ideengeschichte und Gedankenwelt als Konstrukteur betont auch DENECKE (1992:306), wenn er hervorhebt, dass „the shaping and changing of the countryside and of settlement patterns are initiated by human thought.”. In gleicher, aber allgemeinerer Weise ist für FEHN (1989:2) die Kulturlandschaft „das Ergebnis der raumwirksamen Tätigkeit des Menschen.“

Ebenso wird von KISTEMANN (1997:377) Kulturlandschaft „als anthropogen beeinflußte physische Lebensumwelt verstanden”. Auch GUNZELMANN (2002:93) meint: „die Kulturlandschaft ist das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen naturräumlichen Gegebenheiten und menschlicher Einflussnahme im Verlauf der Geschichte.“ Und diese unterliegt einem fortwährenden Wandel und ist niemals statisch. „Kulturland-schaft ist also ein System der permanenten Veränderung bei gleichzeitiger Übernahme älterer Strukturen, die angepasst oder aber auch unverändert, zum Teil sogar funktionslos, weitertradiert werden können.“ (:4) Auch für den anglo-amerikanischen Sprachraum sahen bereits in den 1960er Jahren WAGNER und MIKESELL „cultural landscape“ als „a concrete and characteristic product of the complicated interplay between a given human community, embodying certain cultural preferences and potentials, and a particular set of natural circumstances. It is a heritage of many eras of natural evolution and of many generations of human effort” (WAGNER/MIKESELL 1962; aus: JOHNSTON et al. 1986:90). Mit gleicher inhaltlicher Aussage definieren CRUMLEY/MARQUARDT (1987; aus CRUMLEY 1994:6) Landschaften „as the material manifestion of the relation between humans and the environment.”, wie auch KNOWLES (1985:21) der Ansicht ist: „Landscapes reflect the societies that create them, their values and priorities, their social distinctions, and their stage of economic and social development.” Und der bekannte US-amerikanische Kulturgeograph Carl Ortwin SAUER (1889 – 1975) (1963:343; aus: MITCHELL 2000:27) schrieb zum Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn: „The cultural landscape is fashioned from a natural landscape by a culture group”. Eine Einsicht, die er bereits inmitten seines Forscherdaseins mit seiner oft zitierten Trilogie (z. B. in JOHNSTON et al. 1986:87) äußerte: „Culture”, so schrieb er 1925 (:46) in „einem seiner einflußreichen Aufsätze” (LEXIKON DER GEOGRAPHIE, Bd. 3:180), „is the agent, the natural area is the medium, the cultural landscape the result”. Und weiter an gleicher Stelle formuliert er hinsichtlich der wechselseitigen, doch klar abgegrenzten Bedeutung von Natur und Kultur: „The unnatural landscape is of course of fundamental importance, for it supplies the materials out of which the cultural landscape is formed.

The shaping force, however, lies in the culture itself.”

Abb. I-1: Die Evolution der Kulturlandschaft

nach Carl O. SAUER (1926) (aus: NORTON 1984:32)

Diese “culture” hingegen ist es, die in ihren verschiedenartigen Ausprägungen zu einem räumlich differenzierten Landschaftsbild führt: „a landscape […] needs to be situated within ist own natural and cultural history – ist own ancestry and upbringing – if it is to be properly understood.” (BAKER 1992:2) Der

“way of seeing” Landschaften bei den meisten traditionellen Kultur- und Historischen Geographen hingegen, kritisiert BAKER (:7f.) seine Kollegen, „focussed their attentions upon landscape expressions of material culture and tended to ignore, or at least to neglect, the mentalité of the people who created them.” (:7f., Hervorhebung im Original) Mentalitäten sind die Kräfte, die hinter den Landschaftenformungen und -ausprägungen stehen und die es nach seiner Auffassung gilt, stärker in den Vordergrund zu bringen: „A landscape is a resultant of attitudes and actions; but to the extent that actions are themselves outcomes of attitudes the latter deserve – but have by no means always been granted – a privileged status over the former

“way of seeing” Landschaften bei den meisten traditionellen Kultur- und Historischen Geographen hingegen, kritisiert BAKER (:7f.) seine Kollegen, „focussed their attentions upon landscape expressions of material culture and tended to ignore, or at least to neglect, the mentalité of the people who created them.” (:7f., Hervorhebung im Original) Mentalitäten sind die Kräfte, die hinter den Landschaftenformungen und -ausprägungen stehen und die es nach seiner Auffassung gilt, stärker in den Vordergrund zu bringen: „A landscape is a resultant of attitudes and actions; but to the extent that actions are themselves outcomes of attitudes the latter deserve – but have by no means always been granted – a privileged status over the former