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Die „historische Kulturgeographie“ im Disziplingebäude der „historischen Umweltforschung“

A FRAGESTELLUNGEN UND FORSCHUNGSANSÄTZE EINER „ANWENDUNGS- „ANWENDUNGS-ORIENTIERTEN HISTORISCH-GEOGRAPHISCHEN GEWÄSSERFORSCHUNG“

3 Die „historische Kulturgeographie“ im Disziplingebäude der „historischen Umweltforschung“

„[…] Geography without History seemeth as a carcass without Motion, so History without Geography wandereth as a Vagrant without a certaine habitation.”

[John SMITH 1624] 12

Der Terminus „historische Kulturgeographie“ wurde nach meiner Kenntnis erstmalig von PFEIFER (1982:330) verwendet, der jedoch eine nähere Begriffsbestimmung schuldig blieb. Der Begriff als disziplinärer Terminus – eingeordnet in das übergeordnete Schema der historischen Umweltforschung – soll hier aber wieder aufgegriffen werden, um die anthropogene Determinante als zentrales Merkmal innerhalb des Faches einer historischen Kulturlandschaftsforschung zu verdeutlichen. Synonym und häufiger wird der Begriff „Historische Geographie” als Fachbezeichnung verwendet.

„Über das, was unter Historischer Geographie zu verstehen sei, ist viel Widersprüchliches formuliert worden. Es in allen Nuancen nachzeichnen zu wollen, wäre müßig.” (BECKER 1998:15) Da dem nur beizupflichten ist und diese Aufgabe an dieser Stelle unlösbar erscheint, aber auf der anderen Seite in Ermangelung einer begrifflichen Festlegung und disziplinären Einordnung einer „historischen Kulturgeographie” in das interdisziplinäre Wissenschaftsgebäude der historischen Umweltforschung Klärungsbedarf besteht, wird in vier Erklärungsschritten (a – d) versucht, diesen theoretischen Ansatz zu verdeutlichen. Dabei ist eine Beschäftigung mit der Wort- und Disziplingeschichte unumgänglich.

a Stellung und Aufgaben der „historischen Kulturgeographie“ innerhalb der Geographie

„Die Historische Geographie hat innerhalb des Faches Geographie in Deutschland eine lange und bedeutende Tradition.” (BECKER 2001:6) und „die Betrachtung der heutigen Kulturlandschaft ist undenkbar ohne die Hilfe der historischen Geographie.“ (SCHWIND 1964b:15, Hervorhebung im Original) .

Umso verwunderlicher, dass sie sich gegen Ende der 1990er Jahre in „einer noch immer nicht ganz gefestigten Begriffs- und Standortbestimmung” (BECKER 1998:15) befindet. Den Grund dafür liefert FEHN (1997:542): „Bedauerlicherweise fehlt in Deutschland eine Plattform für einen kontinuierlichen Gedanken-austausch zwischen den historisch orientierten Geographen bzw. Historischen Geographen, unabhängig von ihren räumlichen Schwerpunkten. Deshalb findet auch nicht [...] eine intensive Diskussion über die theoretischen Grundpositionen der Historischen Geographie statt.” Ob dies noch immer so ist, vermag der Verfasser nicht abschließend zu beurteilen. Die Inhalte der stattfindenden Seminare, Tagungen, Kongresse und Kolloquien jedenfalls lassen nach meiner Einschätzung den wissenschaftstheoretischen Diskurs vermissen zumal auch der Trend zur Anwendungsbezogenheit innerhalb der Geographie allgemein diese Tendenz zu verstärken scheint. Die – auf der anderen Seite – Vielzahl an publizierten, auch in den Anfangskapiteln einer nahezu jeden historisch-geographischen Arbeit dargestellten

12 John SMITH [1579 – 1631], engl. Abenteurer und Seefahrer; (aus VILEISIS 1997:11)

wissenschaftstheoretischen Ansichten zu Stellung und Aufgaben der Historischen Geographie im Wissenschaftsbild der betreffenden historischen und geographischen Disziplin, lassen eine eindeutige Positionierung nicht erkennen bzw. erschweren diese; auch aus Gründen fehlender Unterschiedlichkeit durch Rezeption immer gleicher Autorenzitate. „Als erstes ist die Frage zu stellen, ob die Historische Geographie eine selbständige Disziplin neben der Geographie oder eine Teildisziplin sei?” (EGLI 1997:64); denn

„Historische Geographen werden weiterhin lediglich als Lieferanten und nicht als zuständige Fachdisziplin anerkannt.” (BURGGRAAFF 1997:236) Oder ob es lediglich nur ein anderer Name für die „alte“

Kulturgeographie ist? (vgl. BECKER 2001:6)

Der ehemalige Ordinarius Helmut JÄGER (1997:345) sieht in einem seiner letzten Aufsätze die „Funktion der Historischen Geographie als Hilfswissenschaft für alle historisch-landeskundlich ausgerichteten Fächer und einzelne Naturwissenschaften” und weist damit der Historischen Geographie keinen eigenen institu-tionellen Wissenschaftsrahmen, sondern lediglich eine Art ‚Zulieferfunktion’ zu, wie sie BURGGRAAFF bemängelt. Das alte WESTERMANN-LEXIKON DER GEOGRAPHIE (1973:417) definiert die Historische Geographie gar lediglich als „ein geographisches Studium der historisch belegten Vergangenheit“. Nach dieser „ältlichen“ Auffassung besitzt die Historische Geographie gar keinen disziplinären Charakter, sondern ist nur einfacher Bestandteil des allgemeinen Geographiestudiums. Darüber hinaus besteht nach dieser Definition gar kein Gegenwarts- bzw. Zukunftsbezug, wie er für die Kulturgeographie zuvor festgelegt worden war.

Historische Geographie, stellt Robert A. BUTLIN (1993:51) zunächst grundlegend fest, „is essentially a geographical subject. Its excitements and intellectual possibilities and challenges largely derive from that fact, and it follows logically therefore that space, place, time and scale are critical components of the historical geographer’s thinking and practice.”

Dieser durch die Inhalte bedingten geographischen Zugehörigkeit stimmt auch Paul COONES (1992:75) zu, da nach seiner Ansicht nur wenige „subjects are so innately geographical in their content, significance and ramifications as the study of landscape, involving the physical and the human, the past and the present, the reality of the environment and the realm of ideas, and, not least, in this period of concern with ‘relevance’, the pure and the applied.”

DENECKE (2001) ordnet an mehreren Stellen die Historische Geographie als „Teildisziplin“ (:291) resp.

„Teilbereich der Geographie“ (:282) bzw. „der geographischen Wissenschaft“ (:275,292) zu.

Die wissenschaftstheoretische Standortbestimmung der Historischen Geographie als Teilbereich der Geographie stellt Klaus FEHN (1975a:49) unter eine „Wenn-Dann”-Bedingung und beantwortet die Eingangsfrage diplomatisch: „Die Historische Geographie ist eine selbständige Wissenschaft, die sowohl für die Gegenwartsgeographie als auch für die Geschichtswissenschaft eine wichtige Hilfswissenschaft darstellt.

Falls der Geographie nicht nur die Aufgabe zugewiesen wird, die Verhältnisse der Gegenwart zu erforschen, kann die Historische Geographie auch als ein Teil der Gesamtgeographie bezeichnet werden. Die Historische Geographie ist dementsprechend Geographie im umfassenden Sinne, die sich im Gegensatz zur Gegenwartsgeographie nur nicht mit der Gegenwart, sondern mit der Vergangenheit beschäftigt. [...] Ebenso wie die Gegenwartsgeographie läßt sich die Historische Geographie in eine (Historische) Landschafts- und Länderkunde und eine (Historische) Allgemeine Geographie unterteilen.”

Für FEHN gebührt der Historischen Geographie der Rang einer selbständigen Wissenschaft, die aber zugleich für die sog. Gegenwartsgeographie und die Geschichtswissenschaft die Rolle einer jeweils wichtigen Hilfswissenschaft übernimmt. Einschränkend formuliert er: Falls sich die Geographie nicht nur als gegenwartsorientierte Wissenschaft verstehe, könne die Historische Geographie Teil der Gesamtgeographie sein (und sei dann nicht mehr eigenständige Wissenschaft). Diese disziplinäre Separierung unter gleichzeitiger hilfsweiser Zuteilung zur Geographie und zur Geschichtswissenschaft oder, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nur zur Geographie, ist unter heutigem Gesichtspunkt schwer zu verstehen, weil sie viele Optionen offenhält; doch vor dem Hintergrund der damaligen institutionellen Situation des einzigen Historischen Seminars in Deutschland, das der Philosophischen Fakultät Bonn zugeordnet war und erst mit der Verschmelzung mit dem Geographischen Institut im Jahr 2002 eine eindeutige geographische

Eingliederung erfahren hat, durchaus verständlich13; verständlich auch vor dem allgemeinen zeitgeschicht-lichen Hintergrund, dass sich der siedlungsgenetische Zweig an allen Geographischen Lehrstätten, vor allem nach der 1968er Zeit, auflöste. In der Generation der 68er Bewegung, so die These eines CDU-Papiers14 sei die Pflege des deutschen Kultur-Erbes ausgesetzt, gar demontiert worden. Und der Zerfallsprozess hält bis heute an.

Bei seiner weiteren Ausdifferenzierung zur disziplinären Stellung setzt FEHN beim zeitgeschichtlichen Bezug an, der ihn zu einer inhaltlichen Zweiteilung veranlasst. So ist „von der Historischen Geographie im engeren Sinne zu trennen [...] die Genetische (Kultur-) Geographie“(1975a:50). An anderer, späterer, Stelle vereint er deutlich diese beiden Grundrichtungen unter einem gemeinsamen Haupt und füllt diese Begriffe mit Inhalt. Danach umfasst die Historische Geographie „sowohl die Historische Geographie im engeren Sinne (d. h. ohne Gegenwartsbezug) als auch die Genetische Siedlungsgeographie mit direktem Bezug zu den gegenwärtigen Verhältnissen“ (1998:11). FEHN unterscheidet also deutlich zwischen eigentlicher Historischer und Genetischer Geographie.

Dies macht er fest anhand der unterschiedlichen Fragestellung bei der Historischen und der Genetischen Geographie. Die Genetische Geographie – im Gegensatz zur Historischen Geographie – „untersucht zur Bewertung eines einzelnen in der Vergangenheit entstandenen Elementes das Gesamtgefüge der betreffenden Zeit, greift zur Erklärung der heutigen Kulturlandschaft weit in historische Zeiten aus. […] Es werden dabei nur die Fakten aus der Vergangenheit verwertet, die für die Gegenwart von Bedeutung sind.” (FEHN 1975a:50) Die Anwendungsorientierung und gleichzeitige Aufsplittung der Historischen Geographie in eine Angewandte und eine „pure“, d. h. rein auf die wissenschaftliche Lehre bezogene, nicht pragmatische und nicht so sehr politikorientierte Historische Geographie wird schon hier deutlich.

MÜCKE (1988:15) entscheidet sich sowohl für eine anwendungsbezogene als auch für eine geographische Sichtweise. Für ihn „stellt sich die Historische Geographie als Teilaspekt einer gegenwartsbezogenen Allgemeinen Geographie dar.“ Er sieht dies vor allem „durch die starken Affinitäten zur genetischen Siedlungsforschung“, die „ein Kernbereich“ der historisch-geographischen Arbeit auszeichnet. Er nähert sich damit der FEHNschen Sichtweise an, die sich unter der Prämisse der “Falls-Dann”-Bedingung ergibt, d. h.

wenn die Geographie auch ein Geschichtsbewusstsein besitzt, ist die Historische Geographie Mitglied dieses Faches, setzt den Schwerpunkt aber eindeutig auf die Verbindung an die moderne, praxisbezogene Geographie. Während er in dieser Definition die Zusammenlegung mit dem Fach Geographie aus disziplingeschichtlichen Gründen zwar eindeutig präferiert, sieht MÜCKE an anderer Stelle (1988:9;

ebenso:20) dennoch die „Eigenständigkeit einer Historischen Geographie als Grenzwissenschaft zwischen Geographie und Geschichtswissenschaft” bewahrt. Er geht „damit von einer Definition von Historischer Geographie aus, welche Historische Geographie als Wissenschaft zwischen Geographie und Geschichtswissenschaft auffaßt.“ (:8)

Auch für SONNABEND (1999d:219) ist die Historische Geographie „sowohl für die Geographie als auch für die Geschichtswissenschaft eine Zweigdisziplin.“ Hierbei bleibt aber unklar, ob eine eigenständige Lösung erkannt wird, die sich nur thematisch zwischen beiden Disziplinen ansiedelt, oder ob damit eine Unterabteilung des jeweiligen Faches gemeint ist.

Eine ebensolche Sichtweise für den anglo-amerikanischen Raum vertritt früh GOLDENBERG (1972:421, zitiert aus NORTON 1984:38), wenn er die Historische Geographie positioniert als „a unified historical geography (both ‚geographical’ and ‚historical’) as an independent scientific discipline located in the transition zone between geography and history”. Der institutionelle Standort bzw. Zugehörigkeit einer solchen „unabhängigen wissenschaftlichen Disziplin“ wird auch hier nicht geklärt.

BUTLIN andererseits erkennt die Historische Geographie als Mitglied der Geographie und übernimmt das bekannte hierarchische Disziplingebäude der Geographie. Er bezeichnet die Historische Geographie als –

13 Die wissenschaftsgeschichtliche und wissenschaftstheoretische Aufarbeitung zu Definitionen und zum Verständnis der

„Historischen Geographie“ innerhalb der Geographie und der Geschichtswissenschaft bis 1974 ist nachzulesen bei Klaus FEHN 1975a, vor allem auf den Seiten 31-44.

14 Rheinische Post v. 25.Mai 2002, Nr. 119, 0483

eine von vielen – „subdisciplines“ der Geographie. Er begründet das damit, „that the properties and relations of time and space are the unique prerogative of geography in general, and thus also of subdisciplines such as [...] historical geography.” (1993:51) In gleicher Hinsicht sieht PACIONE (1987:IX) die Historische Geographie als eine von anderen „sub-branches of geography“. NORTON (1984:VI) spricht gar nur von „the historical as being one approach to geography”.

BECKER ist in der Festlegung der disziplinären Stellung selbstbewusster und geht einen Schritt weiter als die vorherigen (anglo-)amerikanischen und deutschen Positionen, die die Historische Geographie nur als einen Teil der Geographie sehen, aber in der genauen Positionierung vage bleiben. Für ihn handelt es sich

„um einen übergreifenden Teil des Gesamtfaches, der – zumindest nach der formalen Systematik – gleichberechtigt neben der gegenwartsorientierten Geographie steht.“ (1998:16)

UHLIG ordnete bereits 1967 (:130) die Historische Geographie in seinem Gliederungsschema als eigenständiges Teilfach parallel zur Natur- und Kulturgeographie ein, weil sie sowohl Teilgebiete als auch das Gesamtgebiet der Geographie behandelt.

Ist die Historische Geographie eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin neben Physischer und Anthropo-gener Geographie, so können darunter weitere „Sub-Disziplinen“ subsumiert werden. BECKER (1998:15) betrachtet beispielsweise die Historische Agrargeographie als Teil der Historischen Geographie. Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung differenziert er das geographische Strukturmodell: Danach gehört die Historische Agrargeographie „als Teil der Historischen Kulturgeographie […] zu den allgemein-geographischen Unterdisziplinen der Historischen Geographie.“ (:17).

Diese Einordnung in das Strukturschema haben in neuerer Zeit NAGEL/SCHENK (2001:4) bestätigt, aber auch vereinfacht: Sie sehen die Historische Geographie unterhalb des Daches der Allgemeinen Geographie und verstehen sie als thematisch und auch in der Forschungspraxis eng verwandten Forschungsansatz der Kulturgeographie. BECKER und NAGEL/SCHENK setzten hier also Historische Geographie mit Kulturgeographie näherungsweise gleich. Insofern ist sie eine “historische Kulturgeographie”.

Unberücksichtigt bei diesem Modell bleibt der physiogeographische Zweig, der bis heute den einen Teil des dualen Ansatzes der Allgemeinen Geographie (Kulturgeographie – Physische Geographie) beschreibt. Und auch die historisch-physiogeographische Komponente wird unter das Dach der Historischen Kulturgeographie subsumiert, nach der Vorstellung des oben skizzierten Landschaftsmodells, nachdem die heutige scheinbare Naturlandschaft eine anthropogen überformte Kunstlandschaft darstellt.

Geht man aber von einem Strukturmodell aus, bei dem neben der Historischen Kulturgeographie, gleichsam der grundlegenden fachlichen Differenzierung zwischen Natur- und Kulturgeographie, „auch eine historische Naturgeographie [...] möglich“ ist (WESTERMANN-LEXIKON DER GEOGRAPHIE 1973:418), so müsste schließlich das wissenschaftstheoretische Geographiemodell wie folgt aussehen:

Abb. I-2: Das traditionelle disziplinäre Sytem der Geographie

eingebunden in den wissenschaftlichen Überbau der Umweltforschung. Hier ist die Historische Geographie eine selbstständige Teildisziplin innerhalb der Geographie, nicht Teildisziplin der Allgemeinen Kulturgeographie. Die historisch-geographische Gewässerforschung ist als wissenschaftliche Unterdisziplin der Historischen Kulturgeographie zugeordnet, die historisch-geographische Gewässerplanung der Angewandten Historischen Geographie. Die Arbeitsweisen können – deshalb grafisch herausgestellt – allen Teildisziplinen zugeordnet werden; wenn auch unter Verschiebung der Fragestellungen es spezielle Methoden sind, die nur in der Historischen Geographie zur Anwendung kommen (nach LESER 1980: 26 stark verändert; Grundschema basierend auf P. Haggett 1975).

Die Historische Geographie ist demnach als eigenständiger Bestandteil der Gesamtgeographie zu betrachten.

Unterhalb dieser eigenen Fachrichtung existiert wie bei der Allgemeinen Geographie die Aufspaltung einer Historischen Geographie in die Zweige ‚historische Naturgeographie’ und ‚historische Kulturgeographie’. So leistet die Historische Geographie nach NASH/GRAHAM (2000:3) auch „a work of reconstructing past environments and understanding processes of landscape change within physical geography”. „Dabei untersucht sie im Bereich der Naturgeographie nur die für den Menschen wichtigen Gegebenheiten, vor allem die Unterschiede zu heute und ihre verschiedene Bewertung im Laufe der Zeiten.” (FEHN 1975a:49) Resümierend lässt sich die Einordnung von FEHN (1975a:31) übernehmen, der die „Historische Geographie als Hilfswissenschaft der Geschichte und als Teilwissenschaft der Geographie“ einordnet. Sie ist überzeugend, weil erstens die Historische Geographie aufgrund ihres geschichtlichen Bezuges eine historische Wissenschaft darstellt und zweitens aufgrund ihres Raumbezuges als selbständiger Teil des institutionellen Faches „Geographie“ angesehen werden muss.

Um diese (end-)gültige Positionsbestimmung der Historischen Geographie bzw. Historischen Kulturgeographie zu begründen, erscheint es notwendig, die Frage nach den zentralen Untersuchungsobjekten, den Inhalten, zu stellen:

Historische Geographie ist, wie JOHNSTON et al. (1986:194) es plakativ ausdrücken: „The geography of the past”. Doch ist die Historische Geographie „im Rahmen der immer wieder zu stellenden Frage“

(DENECKE 2001:279) deshalb eine geographische Geschichtswissenschaft? Oder wie DENECKE (:279) die Frage formuliert: „Die Historische Geographie – ein historischer oder ein geographischer Forschungs- und Betrachtungsansatz?“

MÜCKE (1998:20) beantwortet sie wie folgt: „Eine Historische Geographie als eigenständige Wissenschaft im Grenzbereich Geographie/Geschichtswissenschaft muß nicht nur beide wissenschaftstheoretischen Standorte verbinden, sondern auch einen produktiven Beitrag zur Forschung leisten, der darin liegt, Gegenstände und Fragestellungen von Geographie und Geschichtswissenschaft zu verbinden, in Beziehung zu setzen und drittens somit etwas zu leisten, zu dem Geographen und Historiker in der Regel nicht in der Lage sind.” Dies ist die historische, natur- und kulturgeographische Erforschung des Raumes, d. h. der Landschaft. Den zeitgeschichtlichen Anspruch berücksichtigend, besitzt die Historische Geographie die

„Raum-Zeit-Kompetenz“ (FEHN 1997:539).

Diese grenzwissenschaftliche Stellung begründet auch PACIONE (1987:IX) mit „the fact that historical geography studies both space (chorography) and time (chronology) […], but in contrast to other sub-branches of geography, it is defined not by concentration on a particular area or theme but by its focus on the fourth dimension – that of time.” Die Betonung der Dimension „Zeit“ bringen auch DENECKE/FEHN (1989:8) zum Ausdruck, wenn sie sagen: „Die historische Geographie ist eine Forschungsrichtung, die von der Fragestellung her der historischen Disziplin und besonders der Landesgeschichte schon immer sehr nahegestanden hat.“

Der Schwerpunkt aber, befragt man stellvertretend das in dieser Hinsicht noch immer aktuelle WESTER-MANN-LEXIKON DER GEOGRAPHIE (1973:417, lexikalische Abkürzungen ausgeschrieben), liegt auf Geographie, denn „wenn sich die Historische Geographie auch mit der Geschichte befaßt, so stehen doch im Vordergrund die Untersuchungen über die Wirkungen der Landesnatur und der anthropogenen Kräfte auf die kulturgeographische Substanz, die Einwirkungen des Menschen auf die Erdoberfläche und die Veränderung der Landschaften und Länder als räumliche Gebilde.“ Die Historische Geographie „umfaßt das Werden der Landschaften und Länder als geographisch-räumliche Gebilde in geschichtlicher Zeit, […] das ein besseres Verständnis der Gegenwart mit ihren in der Vergangenheit entstandenen Formen und Verhältnissen erstrebt.”

Als Gegenstand der Historischen Geographie erscheint somit, wie JÄGER (1969:33) es ausdrückt, „die anthropogene Veränderung der Geomorphologie“.

Die anthropogeographische Betonung der Genese wird bei FEHN (1982:277) noch deutlicher. Er sieht als

„eine der wichtigsten Aufgaben der Historischen Geographie als einer historischen Raumwissenschaft […]

die Erforschung der allmählichen Umwandlung der Naturlandschaft in die gegenwärtige Kulturlandschaft.“

Auch DENECKE (1997:43) ist der Meinung, „die historische Geographie verfolgt als eine ihrer wesent-lichen Aufgaben die Zielsetzung, ältere Landschaftszustände zu rekonstruieren“. Nach seinem Betrachtungs-ansatz „stehen für eine historisch-geographische Betrachtung die Primärform, die Abfolge historischer Sekundärformen wie auch der formale Entwicklungsprozeß der Vergangenheit im Vordergrund des Interesses” (:43). Wie zugleich NAGEL/SCHENK (2001:3) diese Auffassung vertreten, indem sie sagen:

„Historisch-arbeitende Geographen sahen und sehen ihre Hauptaufgabe [...] in der Rekonstruktion vergangener Raumgefüge zu bestimmten Zeitschnitten.“

In der englischsprachigen Geographie wird auch die Ansicht vertreten, „the description and interpretation of Landscapes has been a long and honourable tradition within geography“ (BAKER 1992:6). Für Alan BAKER (:6) steht die Landschaftsbeschreibung und -interpretation gleichberechtigt neben „the main

‚deviations’ from geography’s central concern with regions, places and areas.“ Dergleichen auch POWELL (2000:169, Hervorhebung im Original) für die amerikanische Geographie: „One of historical geography’s most venerable traditions focuses on reconstructions of past physical environments” und erinnert damit glücklicherweise nochmals an die Bedeutung des physiogeographischen Bereiches für die Rekonstruktionsaufgabe der Historischen Geographie.

In Zusammenfassung des Aufgabenfeldes einer „Historischen Kulturgeographie“ besitzt noch immer die nunmehr fast 30jährige Aussage von FEHN (1975a:49) Gültigkeit, die Historische Geographie „untersucht die Wirkungen der Landesnatur und der anthropogeographischen Kräfte auf die kulturgeographische Substanz, die Einwirkungen des Menschen auf die Erdoberfläche und die Veränderung der Landschaften und Länder als räumliche Gebilde.“ „Die Untersuchung der physiognomisch-strukturellen Landschaften und der funktionalen Räume der Vergangenheit einschließlich der Geschichtslandschaften im oben definierten Sinne wäre also die Aufgabe der Historischen Geographie” (:52). Die Historische Geographie erforscht, wie FEHN (:51) den historisch-räumlichen Forschungsauftrag zusammenfasst, „primär Struktur und Wandel historischer Räume“.

Durch historische Konstanten, also Traditionen und Überreste, versucht die Historische Geographie dabei die Entwicklung von Kulturlandschaft zu erklären. „Persistente Strukturen und Elemente15 sind im Konzept der Kulturlandschaft ein objektivierter Bestandteil der raumzeitlichen Analyse, welche Kulturland-schaftsgeschichte in Begriffen der Veränderungen, des Beharrens und der Dauer untersucht.“ (MÜCKE 1988:155f.) „Ihr [der Historischen Geographie] ist abgesehen von verbalen [...] und archäologischen Zeugnissen der Vergangenheit der landschaftliche Rahmen historischer Ereignisse die zentrale Quelle.“, hebt ebenso SONNABEND (1999d:219) die historisch-räumlichen Komponenten als primäre Bestandteile des historisch-kulturgeographischen Forschungsansatzes hervor. Auch nach NORTON (1984:33) hat die Historische Geographie „insights into the character of past landscapes“ zu liefern, „offered by the present landscape“. Sein griffiger Slogan hierfür lautet: „The past in the present“.

Diese klassische Sichtweise hat sich im deutschen und weitgehend auch im anglo-amerikanischen Sprachraum bis heute erhalten. Historische Kulturgeographie nach heutigem Maßstab, so BECKER (1998:15, ebenso: 16) allgemein, beschäftigt sich mit der „Erforschung allgemein-geographischer oder landes- und länderkundlicher geographischer Sachverhalte in der Vergangenheit“, der entsprechend arbeitende Historische Geograph, so BURGGRAAFF (1997:235) ein Aufgabengebiet herausgreifend, „mit vergangenen Kulturlandschafts- bzw. Siedlungsphasen“, die ebenfalls durch ihre jeweiligen räumlichen Korrespondenzen sichtbar und deshalb erfassbar sind.

Hinsichtlich der Zeitfrage, d. h. mit welchen Vergangenheitsepochen oder -perioden sich der Historische Geograph auseinandersetzen sollte, bestehen divergierende Auffassungen bzw. Auslegungen. JÄGER (1987:106) sieht die Erforschung der historischen Kulturlandschaft auf die Zeit vor den 1940er Jahren begrenzt. Für BECKER (1998:16) ist es „prinzipiell gleichgültig, ob die gewählte historische Situation in frühgeschichtlicher Zeit oder etwa im 19. Jahrhundert liegt“. „Diese Position“, stellt BECKER (:16) in seiner Arbeit allgemeingültig fest, „hat sich heute [...] weitgehend durchgesetzt.“ Dennoch werden hinsichtlich der Zeiten für die Historische Geographie bestimmte Schwerpunkte von FEHN (1975a:50) empfohlen: „Obwohl

15 Persistente Elemente und Strukturen sind "in historischen Epochen gebildete, heute noch in verschiedenen Stadien erhaltene und

15 Persistente Elemente und Strukturen sind "in historischen Epochen gebildete, heute noch in verschiedenen Stadien erhaltene und