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2. Theoretische Grundlagen

2.3. Die Grundidee des Dehnens

Dehnungen werden erzeugt, indem einzelne Körperpartien in eine bestimmte Haltung gebracht wer-den und somit Zugkräfte auf das betroffene Muskelgewebe, auf Sehnen und Bänder, einwirken. Die Auswirkungen des Dehnens sind bis heute umstritten. Es wurde behauptet, durch Dehnen sei eine Leistungssteigerung und eine verbesserte Durchblutung und Regeneration der Muskulatur herbeizu-führen. Auch sei von einer Reduktion des Muskeltonus die Rede (Walker, 2014, S.29-30). Diese Thesen werden jedoch durch neuere Erkenntnisse der Wissenschaft widerlegt. Der Einfluss einer Dehnung auf die Muskulatur ist gering. Durch Dehnen lässt sich hauptsächlich der Bewegungsradius einzelner Ge-lenke vergrößern. Durch einen verbesserten Bewegungsradius wird das Verletzungsrisiko für Muskeln und Sehnen verringert. Eine verbesserte Durchblutung kann aufgrund der Verengung der Gefäße wäh-rend der Dehnung nicht stattfinden. Somit ist auch der Stoffwechsel in der Muskulatur vermindert (Freiwald, 2009, S.120-123). In Bezug auf den Muskeltonus lässt sich keine allgemeine Aussage tätigen, da die Ursache der erhöhten Muskelspannung in Betracht gezogen werden muss. Eine verspannte Muskulatur kann die Folge einer Erkrankung der Gelenke oder inneren Organe sein. Tritt dies auf, stellt sich durch Dehnen keine Verbesserung ein. Handelt es sich jedoch um Stressverspannungen, so ist es möglich, durch gezieltes Dehntraining den kontraktilen oder auch den viskoelastischen Muskeltonus zu vermindern (Freiwald, 2009, S. 136/142). Generell gilt: Funktionelle Anpassungen, zum Beispiel die

13 Vergrößerung des Bewegungsradius, erzielt man schneller, wohingegen strukturelle Veränderungen, also die Anpassung des Muskelgewebes, einen längeren Zeitraum benötigen (Freiwald, 2009, S. 128).

2.3.1. Auswirkungen vom Dehnen

Nach einer Dehnung erwartet man, dass sich unter anderem eine verbesserte Gelenksbeweglichkeit einstellt. Auftretende Veränderungen können in kurz-, mittel- und langfristig einteilt werden. Kurzfris-tig bedeutet, dass Veränderungen unmittelbar nach dem Dehnen erkennbar sind. MittelfrisKurzfris-tige Verän-derungen sind bis zu zwölf Wochen nach dem Dehnen messbar und langfristige Effekte wirken noch mehrere Monate danach (Freiwald, 2009, S. 193).

Unmittelbar nach einer Dehnung ist der Bewegungsradius des jeweiligen Gelenks größer. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich die persönliche Toleranz gegenüber Dehnungsspannungen bzw. dem Dehnungsschmerz verändert (Freiwald, 2009, S. 193-195). Es kann auch zu kurzfristigen Ver-änderung der Gewebestruktur kommen (Konrad et al, 2017). Bei mittel- und langfristigen Veränderun-gen kommt es zu AnpassunVeränderun-gen des Gewebes, indem dieses stärker wird. Einerseits wird dadurch der Dehnungswiderstand erhöht, andererseits kommt es zu Beweglichkeitszunahmen durch erhöhte Ge-webestabilität (Freiwald, 2009, S. 193-195).

2.3.2. Einflüsse von Geschlecht, Wachstum und Alter auf die Dehnfähigkeit

Es gibt verschiedene Einflüsse, die die Dehnbarkeit von Gewebe beeinflussen. Es ist erwiesen, dass Frauen eine höhere Dehnbarkeit aufweisen als Männer. Dies ist auf die geschlechtsspezifischen ana-tomischen und physiologischen Merkmale, verschiedene Muskelausprägungen und andere Eigen-schaften des Muskel- und Bindegewebes zurückzuführen. Weiters spielen die geschlechtsspezifischen Hormone eine Rolle bei der Dehnfähigkeit von Gewebe. Während einer Schwangerschaft werden Frauen noch beweglicher. Dies ist vor allem in den Wirbelsäulengelenken, aber auch bei der Hüfte und im Iliosakralbereich beobachtbar (Freiwald, 2009, S. 144).

Kleinkinder sind auf Grund ihres Längenverhältnisses des Körpers (langer Rumpf und kurze Beine) be-weglicher als Jugendliche, die durch ein vermehrtes Längenwachstum veränderte Proportionen auf-weisen. Weiters spielt das zeitversetzte Wachstum von Knochen und Muskeln eine Rolle bei der Dehn-barkeit von Jugendlichen. Die Knochen wachsen zuerst und die Muskulatur passt sich erst etwas ver-zögert an (Freiwald, 2009, S. 145).

Mit fortschreitendem Alter verliert das Gewebe an Dehnfähigkeit. Regelmäßiges Dehnen kann diesem Abbau entgegenwirken. Einerseits kommt es zu altersbedingten Veränderungen im Gewebe, anderer-seits verändern sich die Aktivitätsgewohnheiten. Im fortgeschrittenen Alter kommt es häufig zu Binde-gewebseinlagerungen in der Muskulatur, da sich diese umbaut. Dazu werden Wassereinlagerungen

14 vermindert und somit geht Elastizität verloren. Altersbedingte Deformierungen der Gelenke sind ein weiterer Grund für eingeschränkte Beweglichkeit im Alter (Freiwald, 2009, S. 146).

2.3.3. Die Reaktion von Muskelgewebe auf Dehnreize

Wissenschaftler haben noch keine genaue Erklärung, ob und wie sich ein Muskel durch Dehnreize ver-längert. Vermutet werden Einflüsse der DNA und Messenger RNA (mRNA). Auch wird über mögliche Wachstumsfaktoren spekuliert, aber diese können noch nicht benannt werden. Derzeitiger Stand der Literatur ist, dass die mechanischen Einwirkungen einer Dehnung Auswirkungen auf den Zellkern ha-ben und diesen stimulieren. Somit kommt es zu Anpassungen struktureller Art. Dabei werden Sarko-mere hinzugefügt oder, bei ausbleibendem mechanischem Reiz, wieder abgebaut. Diese Veränderun-gen passieren am Ansatz bzw. Ursprung eines Muskels bei Sehnen- oder MuskelübergänVeränderun-gen. Nach Be-endigung des Reizes (Ruhestellung in gedehnter oder verkürzter Position) sind diese Veränderungen sehr schnell umkehrbar. Wurden Muskelfasern vor diesen Experimenten von den Nervenbahnen ge-trennt, kam es dennoch zu den erwarteten und zuvor beobachteten Veränderungen. Daher kann die die Aussage getätigt werden, dass mechanische Reize die Anpassungen hervorrufen (Freiwald, 2009, S.47-49).

2.3.4. Dehnarten und ihre Auswirkungen

Es gibt verschiedene Arten, die Muskulatur zu dehnen. Grundsätzlich teilt man in zwei Überkategorien ein: statisches Dehnen und dynamisches Dehnen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Art des Dehnes der Erfahrung angepasst werden sollte, um positive Ergebnisse zu erreichen (Walker, 2014, S. 32).

2.3.4.1. Statische Dehn-Formen

Statisches Dehnen bedeutet, dass eine Dehnposition eingenommen und für eine bestimme Zeitspanne beibehalten wird. Nachfolgend werden unterschiedliche statische Dehnmethoden genauer beschrie-ben (Walker, 2014, S. 32).

Statisches Dehnen: Bei dieser Art des Dehnens sind alle beteiligten Muskeln und Muskelgruppen, die gedehnt werden, aber auch der oder die Gegenspieler, passiv. Es findet keine Aktivierung der Muskel-fasern statt. Das zu dehnende Muskelgewebe wird durch das Einnehmen der passenden Körperposi-tion unter Spannung versetzt. Durch Verlagerung des Körpergewichtes kann die Intensität der Deh-nung kontrolliert und angepasst werden. Um sich längenmäßig anpassen und entspannen zu können, benötigt die Muskulatur mindestens 20 Sekunden Dehnbelastung. Die Dauer von 45-60 Sekunden sollte nicht überschritten werden. Das Verletzungsrisiko dieser Dehnmethode ist sehr gering und daher ist diese Methode für Anfänger oder Menschen mit einem geringen Bewegungspensum passend. Die Methode wird als sicher und zielführend bewertet (Walker, 2014, S. 32). Laut Freiwald (2009) unter-scheidet man beim statischen Dehnen Methoden mit unterschiedlichen Durchführungszeiten. Die

15 erste Methode hat eine Dehndauer von zehn bis fünfzehn Sekunden und wird eingesetzt, um eine neurophysiologische Veränderung zu erzielen. Die zweite Methode sieht eine Dehndauer von bis zu sechzig Sekunden vor und ruft neurophysiologische und strukturelle Veränderungen hervor. Methode drei sieht Dehnungen von über einer Minute Länge bis hin zu mehreren Wochen (Einsatz von Orthesen, Quengelgips, spezielle Schienen) vor und wird nur für therapeutische Zwecke empfohlen (Freiwald, 2009, S. 278-279).

Passives Dehnen: Diese Dehnform wird ähnlich ausgeführt wie das statische Dehnen, jedoch kommen Hilfsmittel oder ein Partner zum Einsatz. Die erreichte Dehnintensität ist höher als beim statischen Dehnen. Es entsteht eine größere Einwirkung auf das Gewebe, da die zugeführten Kräfte höher sind.

Wichtig ist, dass die eingesetzten Materialien stabil sind und die Zusammenarbeit mit dem Partner funktioniert. Ruckartige oder federnde Bewegungen sollten unterlassen werden, da es bei dieser Me-thode leicht zu Gewebeschäden kommen kann. Das Ergebnis dieser DehnmeMe-thode ist ein vergrößerter Bewegungsradius. Die Verletzungsgefahr ist bei dieser Art des Dehnens erhöht. Es eignet sich für Re-habilitationszwecke oder ein Abwärmprogramm nach einer Belastung (Walker, 2014, S. 32-33). Wie beim statischen Dehnen sollten beim passiven Dehnen die Zeitvorgaben von zehn bis fünfzehn Sekun-den (Methode eins), bis zu sechzig SekunSekun-den (Methode zwei) und für therapeutische Zwecke (Me-thode drei) angewandt werden (Freiwald, 2009, S. 278-279).

Aktives Dehnen: Diese Dehnmethode wird ohne Einwirkungen von außen angewandt. Die Dehnung wird durch das Anspannen der Gegenspieler der zu dehnenden Muskulatur hervorgerufen. Die zu deh-nende Muskulatur ist dadurch entspannt und flexibel. Die Position kann auf Grund der geleisteten Muskelarbeit des Gegenspielers nur über eine kurze Dauer von zehn bis fünfzehn Sekunden gehalten werden. Dennoch ist es eine effektive Art, um die Muskulatur für dynamische Dehnformen vorzube-reiten. Auch für Rehabilitationszwecke ist diese Form des Dehnens gut geeignet (Walker, 2014, S. 33).

Anspannen-Entspannen-Antagonistische Kontraktion und Dehnen: Der englische Begriff dieser Dehn-form ist „CRAC“ (Contract-Relax-Antagonist-Contract). Diese Dehnmethode wird nach demselben Prin-zip wie das Aktive Dehnen ausgeführt, jedoch wird der zu dehnende Muskel zuvor kontrahiert. Dabei ist darauf zu achten, dass die Kontraktion mit einer hohen Intensität für zwei bis zehn Sekunden durch-geführt wird. Nachdem die Muskulatur entspannt wurde, wird die zu dehnende Muskulatur durch An-spannen des Gegenspielers in Dehnung gebracht (Freiwald, 2009, S. 285-286).

PNF-Dehnen: „Propriozeptives neuromuskuläre Fazilitation“ ist die vollständige Bezeichnung von PNF.

Diese Art des Dehnens ist für Fortgeschrittene und kombiniert Kontraktion und gleichzeitige Dehnung in der ausgewählten Muskulatur. Als Rehabilitationsmethode entwickelt, dient sie der Vergrößerung

16 des Bewegungsradius und der Verbesserung der Muskelkraft. Die Methode wird als sehr effektiv ein-gestuft. Die Auswahl an PNF-Dehn-Methoden ist groß. Ein Beispiel wäre die „Post-Isometric Relaxa-tion“ (kurz: PIR). Bei dieser Methode wird die bereits gedehnte Muskulatur fünf bis sechs Sekunden angespannt. Die Unterstützung eines Partners ist hilfreich, damit keine Bewegungen in der Anspan-nungsphase möglich sind. Die wieder entspannte Muskulatur wird für weitere dreißig Sekunden in der Dehnposition gehalten. Dieser Vorgang sollte mit Unterbrechungen von bis maximal einer halben Mi-nute zwei bis vier Mal wiederholt werden (Walker, 2014, S. 33-34).

Isometrisches Dehnen: Diese Dehnmethode verfolgt denselben Ansatz wie das PNF-Dehnen. Es geht darum, einen Muskel im gedehnten Zustand zu kontrahieren, jedoch ist die Anspannungszeit mit zehn bis fünfzehn Sekunden um einiges länger als bei einer PNF-Dehnung. Der Vorgang sollte zwei bis fünf Mal wiederholt und durch mindestens zwanzig Sekunden Pause getrennt werden. In der kontrahierten Position sollte die gedehnte Muskulatur keine Bewegungsmöglichkeiten haben. Eine Erholungszeit von 48 Stunden zwischen Dehntrainings nach dieser Methode wird empfohlen und pro Einheit sollte pro Muskelgruppe nur eine Übung angewendet werden. Weiters sollten Kinder und Jugendliche im Wachs-tum diese Methode meiden (Walker, 2014, S. 34-35).

2.3.4.2. Dynamische Dehn-Formen

Im Gegensatz zu statischen Dehnmethoden werden bei dynamische Dehnformen Beweglichkeitsver-besserungen mit Hilfe von Bewegung erzielt. Schwingende und federnde Bewegungselemente führen zu einem größeren Bewegungsradius (Walker, 2014, S. 35-36). Im Folgenden werden unterschiedliche dynamische Dehnmethoden genauer erörtert.

Ballistisches Dehnen: Bei dieser Dehntechnik geht es darum, Dreh- und Federbewegungen für die Be-schleunigung der zu dehnenden Muskelpartien zu nützen und durch den entstehenden Schwung den Bewegungsradius zu vergrößern. Das Verletzungsrisiko ist sehr hoch und die Zeitspanne der Dehnung zu kurz, als dass die Faserlänge angepasst werden könnte. Das Risiko für Verkrampfungen auf Grund des Dehnreflexes steigt. Diese Dehntechnik ist schon älter und entspricht nicht mehr den Standards der Wissenschaft (Walker, 2014, S. 35-36).

Dynamisches Dehnen: Die dynamische Dehnmethode arbeitet mit Dreh- und Federbewegungen, je-doch werden diese kontrolliert, langsam und gezielt ausgeführt, um die maximale Dehnfähigkeit der Muskulatur zu erreichen und zu verbessern. Es kommt zu einer vorsichtigen Erhöhung der Intensität während der Ausführung. Ruckartige, unkontrollierte Bewegungen finden nicht statt (Walker, 2014, S.

36). Es werden fünf bis fünfzehn Wiederholungen in maximal möglicher Dehnposition ausgeführt. Bei einer dynamischen Dehnungsübung entstehen größere Spannungen als bei einer statisch ausgeführten Übung. Das Bindegewebe wird verstärkt gereizt und dies führt bei gesunden Menschen zu positiven

17 Veränderungen. Viele Sportarten werden dynamisch ausgeführt und somit eignet sich dynamisches Dehnen zur Vorbereitung bzw. zum Aufwärmen. Statisches Dehnen wird als unpassende Vorberei-tungsmaßnahme eingestuft und führt zu keiner Leistungsverbesserung im Wettkampf (Freiwald, 2009, S. 281-282).

Resistance Stretching und Loaded Stretching: Diese zwei Dehntechniken dehnen den Muskel während er kontrahiert ist. In der kontrahierten, gedehnten Position wird der gesamte Bewegungsradius der ausgewählten Muskelgruppe ausgenutzt. Das Ziel dieser Methoden ist das zeitgleiche Kräftigen und Dehnen der Muskulatur. Die Anforderungen an den Bewegungsapparat, diese Übungen richtig auszu-führen, sind hoch und benötigen ein gutes Körpergefühl (Walker, 2014, S. 37).