• Keine Ergebnisse gefunden

IV. Der Gott des Friedens in Philipper 4,9

1. Die Colonia Iulia Augusta Philippensis

Die Stadt, wo Paulus seine erste Gemeinde in Makedonien gründete, war eine römische Veteranenkolonie, die zur Zeit seines Aufenthalts maximal zehntausend Einwohner hatte und stark römisch geprägt war.424 Dieser Stadt soll im Folgenden besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.

423 Ein Überblick über die unterschiedlichen kontextuellen Elemente, die Paulus im Philipperbrief einsetzt, würde die hier vertretene These über eine mögliche Motivation für die Bildung und Verwendung des Syntagmas o` qeo.j th/j eivrh,nhj nur unterstützen. Im Folgenden wird aber eine Herangehensweise bevorzugt, die sich letztendlich von dem argumentum a minori ad maius leiten lässt.

424 Nach P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 76 hatte Philippi zu Paulus‘ Zeit zwischen 5.000 und 10.000 Einwohner.

113

Die römischen Kolonien wurden nicht nur als Lösung für ein praktisches Problem gegründet, nämlich für die Versorgung von Veteranen (wie es in Philippi geschah) und für die Umsiedlung von Bevölkerungsteilen aus dem überbevölkerten Rom (wie im Fall von Korinth), sondern sie spielten eine entscheidende regionale Rolle bei der strategischen politischen Stabilisierung des Reiches. Eine Kolonie stand durch Privilegien (ius Italicum)425 und in Verwaltungssachen viel enger in Verbindung mit Rom als alle anderen Städte einer Provinz.

Paulus scheint an solchen politischen Zentren der römischen Macht besonders interessiert gewesen zu sein, was sowohl sein missionarisches Wirken in diesen Städten als auch seine überlieferten Briefe an Gemeinden in solchen Städten bezeugen. Die Mehrheit dieser paulinischen Briefe ging gerade an Glaubende, die sich in Städten befanden, welche in enger bzw. außergewöhnlicher Verbindung mit Rom standen. Ohne große Schwierigkeit kann man vermuten, dass dieses römische Gepräge sich auch in den Gemeinden widergespiegelt hat. Einen Einblick in das römische Gepräge der Colonia Iulia Augusta Philippensis zu geben, verspricht deswegen einen spannenden Aspekt dessen, was Paulus in Philippi vorfand.

Einer der wichtigsten Schlachten des Imperium Romanum lieh Philippi seinen Namen.

Im Jahr 42 v.Chr. entschied sich in der Doppelschlacht bei Philippi das Schicksal des Imperium Romanum, indem Octavian und Antonius die Caesarmörder besiegten und dadurch den verheerenden Bürgerkrieg zu Ende brachten. Für die aus seinen Heeren entlassenen Soldaten ließ Antonius gleich nach der Schlacht in Philippi eine Militärkolonie gründen. Philippi lag in Antonius‘ Herrschaftsbereich, und für die Ansiedlung der Veteranen bedurfte es keiner großen Umsiedelung von Einheimischen, denn zu jener Zeit war Philippi noch „ein kleines, unbedeutendes Dorf“.426 Nach Octavians Sieg gegen Antonius bei Aktium im Jahr 31 v. Chr. ließ Octavian die Militärkolonie neu gründen. Dies geschah besonders deswegen, weil „die Koloniegründung ein besonderes, außerhalb der sonstigen staatlichen Ordnung stehendes Loyalitätsverhältnis begründete“427 und „genau dieses besondere Verhältnis zwischen Philippi und Antonius dem Sieger von Aktium, Oktavian/Augustus, ein Dorn im Auge sein“428 musste.

Selbstverständlich wollte sich Octavian mit der Neugründung der Militärkolonie dieses

425 Zu den Privilegien einer Kolonie vgl. M. Telbe, Paul, 2001, S. 214. Für die römische Steuerpolitik vgl. v.a. S. E.

Alcock, Graecia Capta, 1993, S. 19ff.

426 W. Elliger, Paulus, 1984, S. 41. Vgl. zu dieser Angabe bes. Strabo, Geographika, VIII, 41, der Philippi als katoiki,a mikra, bezeichnet.

427 L. Bormann, Philippi, 1995, S. 15.

428 L. Bormann, Philippi, 1995, S. 15.

114

Loyalitätsverhältnisses versichern, was er besonders durch die Neuansiedlung weiterer Bevölkerungsteile erreicht hat429 und offiziell durch die Neubenennung klarstellte.

Die neugegründete Veteranenkolonie brachte ihre Verbundenheit mit Augustus dadurch zum Ausdruck, dass sie sogar Colonia Iulia Augusta Philippensis hieß. In diesem Zusammenhang spielte auch das religiöse Element eine wichtige Rolle. Denn „(d)ie religiöse Identität, derer sich die Kolonie im Gründungsakt versichert hatte, wurde eng mit der Person des Augustus verknüpft. Das Heil der Kolonie garantierten nicht allein die Götter, sondern auch deren mit Augustus verbundene Manifestationen, wie z.B. Mercurius Augustus.“430 Die allgemeine Tendenz, Augustus in die göttliche Aura einzuführen, fand auch in Philippi schon sehr früh statt, was sich besonders an einer unter Augustus selbst geprägten Münzserie erkennen lässt (RPC I, Nr. 1650). Durchaus instruktiv ist die Vorderseite dieser Münze, welche erweist, dass die augusteische Kolonie (COL(onia) AUG(usta) IUL(ia) PHIL(ippensis)) auf Befehl des Augustus gegründet wurde (IUSSU AUG(usti)). Die Rückseite dieser Münze bringt dann eine zentrale religiöse Botschaft zum Ausdruck. Auf einem gemeinsamen Sockel stehen zwei Personen nebeneinander. Jene auf der rechten Seite trägt eine Toga und die nebenstehende geprägte Beischrift lautet: DIVO IUL(io). Der Divus Iulius bekrönt das Haupt der zu seiner Rechten stehenden Figur (in militärischer Kleidung) mit einem Kranz. Die Beischrift dieser Figur lautet: AUG(ustus) DIVI F(ilius). Die Münzserie, wie die Legende selbst zeigt, wurde zur Ehre des vergöttlichten Iulius Caesars geprägt, aber verrät zugleich auch, dass es für Augustus selbst sehr wichtig war, sich als Divi Filius unmissverständlich zu präsentieren.431 Noch deutlicher kommt die religiöse bzw. zur Verehrung anhaltende Botschaft zum Ausdruck, indem sowohl neben dem Divus Iulius als auch neben dem Divus Filius ein Rundaltar zu sehen ist.432

429 Inschriften bezeugen, dass Philippi in mehreren Angelegenheiten neue Veteranen bekam: vgl. z.B. die Erwähnung einer prätorianischen Kohorte auf einer Münze (RPC – S. 308, Nr. 1651); die Inschriften mit Erwähnungen von Veteranen der legio XXVIII (Pilhofer, Philippi II, 418).

430 Vgl. L. Bormann, Philippi, 1995, S. 15. L. Bormann stellt aber vorschnell einen Zusammenhang von religiösen Aspekten bei der Gründung der Kolonie und dieser Inschrift her. Erst im Laufe der Zeit wurde Augustus in Verbindung mit Mercurius gebracht. P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, S. 268 weist mit Recht auf Folgendes hin:

„Mercurius begegnet in Philippi auch auf anderen Inschriften, allerdings nirgendwo als Mercurius Augustus“.

Einerseits veranlasst dies dazu, die Verbindung von Augustus und Mercurius bzw. Hermes in Philippi (anhand der überlieferten Zeugnisse) eher als eine Ausnahme zu betrachten. Dennoch wird anderseits durch die Inschrift ersichtlich, dass es solche Verbindungen auch gab, und zwar an einer zentralen Stelle der Stadt, nämlich auf dem Markt! Diese Weihinschrift gehört zudem zur Tendenz in Philippi, Augustus mit divinisierten Abstraktionen in Verbindung zu bringen (z.B. Victoria Augusta: RPC, S. 308, Nr. 1651; Quieti Augustae: P. Pilhofer, Philippi, Bd.

II, 203; Aequitatem Augusti: P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, 249), wonach auch ein Zusammenhang mit Augustus und anderen Göttern im Laufe der Zeit vorstellbar ist. Dass Augustus auch anderswo im Reich mit Mercurius in Verbindung gebracht wurde, kann man auch nachweisen: dazu vgl. P. Zanker, Macht der Bilder, 2009, S. 267.

431 Dass Augustus sich um die Verehrung des vergöttlichten Iulius Caesar bemüht hat, bestätigt er selbst in seinen Res gestae 19 (in gleicher Bedeutung mit der Apollonverehrung, die für ihn besonders wichtig wurde).

432 Diese Darstellung von Augustus und dem Divus Iulius auf einem gemeinsamen Sockel in Verbindung mit der Gründung der Colonia Iulia Augusta Philippensis lässt vermuten, dass es um eine in Philippi schon unter Augustus vorhandene Doppelstatue geht.

115

Anhand von Octavians‘ militärischem Erfolg und seiner Selbstdarstellung sieht man also auch in Philippi am Anfang des Prinzipats die Verwicklung von religiösen und politischen Aspekten, welche für die Entfaltung der politischen Karriere des Augustus konstitutiv wurden.

Dass seine Nachfolger an diese Tendenz anknüpfen, zeigt unmissverständlich eine andere in/für Philippi aus Claudius‘ Zeit geprägte Münzserie (RPC I, 1653 und 1654). Auf der Vorderseite zeigt die Münze das Porträt des Claudius mit der Beischrift TI(berius) CLAUDIUS CAESAR AUG(ustus) P(ontifex) M(aximus) TR(ibunitiae) P(otestate) IMP(erator) P(ater) P(atriae). Auf der Rückseite bringt die Münze die entsprechende Darstellung aus augustäischer Zeit mit den zwei Figuren auf dem gemeinsamen Sockel von zwei Rundaltären flankiert, aber diesmal mit dem Divus Iulius und mit der in den Sockel eingravierten Inschrift DIVUS AUG(ustus).433 An die Stelle der Beischriften Divo Iulio und Agustus Divi Filius tritt COL(onia) AUG(usta) IUL(ia) PHILIP(pensis).

Auch Philippis Bürger beteiligten sich an der Legitimation der Kaiser durch die Vergöttlichung ihrer Vorgänger. Wie ein solcher Legitimationsversuch aussah, zeigt besonders deutlich eine Ehreninschrift für Tiberius aus dem Jahr 36/37 n.Chr., die drei Freigelassene des Caius Iulius Augustus (Cadmus, Atimetus und Martialis) auf eigene Kosten anfertigen ließen (Pilhofer, Philippi, Bd. II, 282):

Ti(berius) C[aesa]r divi Augusti f(ilius)

Divi [Iuli] n(epos), trib(uniciae) potes[t(atis)] XXXIIX, Dru[sus] Caesar Ti[beri] Aug(usti) f(ilius),

Divi [Aug(usti) n(epos)], divi Iuli pro[n(epos)], tr(ibuniciae) pot(estatis) II

... Tiberius Caesar, der Sohn des vergöttlichten Augustus, der Enkel des vergöttlichten Iulius, zum achtunddreißigsten Male Inhaber der tribunizischen Gewalt, Drusus Caesar, der Sohn des Tiberius Augustus, der Enkel des vergöttlichten Augustus, der Urenkel des vergöttlichten Iulius, zum zweiten Male Inhaber der tribunizischen Gewalt.434

Durch die vorher erwähnten Münzen und diese Inschrift können zwei politische Intentionen in religiösem Gewand gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden: a) auf der Seite

433 Für die gleiche Darstellung zur Zeit des Nero vgl. RPC I, 1655.

434 Übersetzung von P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, S. 291.

116

des regierenden Kaisers, sich selbst mit den vergöttlichten Vorgängern in Verbindung zu setzen und dadurch die eigene Legitimität religiös abzusichern und b) auf der Seite der Kolonie, ihre Loyalität gegenüber dem Kaiser öffentlich und unmissverständlich zu bestätigen.435

Ein Tempel für den Kaiserkult bzw. zur Verehrung des vergöttlichten Kaisers lässt sich in Philippi für das 1.Jh.n.Chr. archäologisch nicht nachweisen.436 Nur mit großer Mühe und durch Mutmaßungen schafft es z.B. L. Bormann, zwei Bauwerke im Forum von Philippi (aus dem 2.Jh.n.Chr.) dem Kaiserkult zuzuordnen und eine „Kontinuität der Augustusverehrung und des Kaiserkultes“437 seit dem 1.Jh.n.Chr. festzustellen.438 Immerhin wird in Philippi die Existenz von flamines bezeugt. „Mit der Ordnung dieser Ämter erfüllte die Stadt ihre Verpflichtungen zur Einrichtung eines Kultes für den verstorbenen und divinisierten Kaiser bzw. für seine Frau.“439 Für die Colonia Iulia Augusta Philippensis sind sowohl flamines des vergöttlichten Augustus (Pilhofer, Philippi, Bd. II, 031,4; 241,1; 700,4; 701,3; 702,3; 703,3)440 und des vergöttlichten Claudius (Pilhofer, Philippi, Bd. II, 001,3), als auch Liviapriesterinnen (Pilhofer, Philippi, Bd.

II, 002; 226) im 1.Jh. n.Chr. belegt.441 In Zusammenhang mit den von Philippi den Kaisern zu erweisenden Ehren stand das Amt der sexviri Augustales, welches in Philippi reichlich belegt

435 In dieser Hinsicht lässt sich auch eine Ehreninschrift der Colonia Philippensium für die Kaiserfamilie bzw. das Kaiserhaus schon zu Augustus‘ Lebzeiten (n. b. Augustus wird noch nicht Divus genannt) nachweisen (P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, 452): Liberisǀ et nepotib(us)ǀ Aug(usti) felic(is)ǀ col(onia) Philipp(ensium). Übersetzung von P.

Pilhofer, Philippi, Bd. II, S. 441: „Den Kindern und Enkeln des glücklichen Augustus weiht die Kolonie der Philipper (diese Inschrift)“.

436 Im Jahr 2 n.Chr. fanden aber in Neapolis, im Hafen von Philippi also, die Kaiserspiele statt. Der offizielle und verpflichtende Status der Veranstaltung kommt deutlich in einer Inschrift zum Ausdruck (s. W. Dittenberger/ K.

Purgold, Die Inschriften von Olympia, vol. 5 Nr. 56, bes. Zeilen 48 und 52), in der die Bevölkerung aufgerufen wird zum Kaisertempel zu kommen (ἀγέτωσαν τὸ Καισαρεῖον), um dort dem Kaiser Caesar Augustus zu opfern (θύσαντες Σεβαστῷ Καίσαρι).

437 L. Bormann, Philippi, 1995, S. 41.

438 Auf L. Bormann, Philippi, 1995, baut M. Tellbe, Paul, 2001, S. 214ff. (mit Heranziehung von archäologischen Zeugnissen) weiter auf und vertritt dann mit besonderem Nachdruck den Kaiserkult in Philippi als „clearly integrated into the civic life“ (S. 216) schon für die Mitte des 1.Jh.n.Chr. Obwohl P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 47 sich von L.

Bormann bezüglich des Kaiserkultes distanziert, hat er sich dann später (P. Pilhofer, Philippi zur Zeit des Paulus, 2009, S. 16) eher (auch wenn nicht ganz direkt) zustimmend geäußert bzw. es zumindest angedeutet. Vgl. weiter H.

Wojtkowiak, Christologie und Ethik, 2012, S. 59, nach dem „offenbar schon in paulinischer Zeit unmittelbar am Forum ein Kaiserkulttempel existiert (hat).“

439 L. Bormann, Philippi, S. 42.

440 Wie besonders aus der Ehreninschrift für Caius Antonius Rufus (P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, 700) hervorgeht, konnte die gleiche Person mehrfach im Kaiserkult beschäftigt sein, indem er sowohl als flamen divi Iuli (in der Colonia Iulia Augusta Troas) wie auch als flamen divi Augusti (in der Colonia Iulia Philippensis und in der Colonia Claudia Aprensis) diente. Wie P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, S. 702, aus dieser Inschrift logischerweise herausstellt, sind „(d)ie Ämter des Caius Antonius Rufus […] also mit vier verschiedenen Orten verknüpft: mit der Colonia Claudia Aprensis, der Colonia Iulia Philippensis, der colonia Iulia Pariana und schließlich mit der Colonia Iulia Augusta Troas.“ Auffällig ist bei diesem Priester aber vor allem, dass er nicht an unbedeutenden Orten tätig war, sondern in mehreren römischen Kolonien (!) als Priester des Kaiserkults diente. Die Bedeutung dieses Priesters erweist sich zudem dadurch, dass von dieser Ehreninschrift mehrere Exemplare erhalten sind (vgl. P. Pilhofer, Philippi, Bd. II, 700, 701, 702, 703).

441 Daraus schließt mit guten Gründen L. Bormann, Philippi, S. 44: „Augustus richtete zur Verehrung seines divinisierten Adoptivvaters als erstem einen persönlichen Kult mit flamines ein. Die Caesarenreligion beginnt in Philippi mit dieser frühesten Form der Verehrung des Hauses der Julier, aus der sich die spätere Augustusverehrung und schließlich der Kaiserkult entwickelt hat.“

117

ist.442 „Neben den flamines (…) sind die sexviri Augustales die wichtigsten Funktionäre im Kaiserkult.“443 „Die Hauptaufgabe dieses in der Regel auf ein Jahr vergebenen Amtes bestand in der Durchführung der Festlichkeiten zu Ehren des Augustus.“444

Paulus selbst hat höchstwahrscheinlich während seines Missionseinsatzes in Makedonien eine wichtige Phase der städtischen Entwicklung der Colonia Iulia Augusta Philippensis miterlebt, nämlich die Einrichtung eines eigenen Forums.445 Dieses unter Claudius gebaute Forum behielt seine ursprüngliche Größe bei, wurde aber in späterer Zeit mit monumentalen Bauten allmählich repräsentativ ausgestaltet. Eine in diesem Forum angelegte Weihinschrift446 eines Zenturios447 vermittelt einen kleinen Einblick in die Vorstellungen, die die Bürger von Philippi mit Augustus in Verbindung brachten (Philhofer, Philippi, Bd. II, 203):

Quieti Aug(ustae)/ col(oniae) Philippien(is)448

Diese divinisierte Abstraktion personifiziert den sowohl empfundenen als auch erwarteten Zustand der Kolonie,449 der durch die Bezeichnung Ausgusta in Zusammenhang mit dem Kaiser gebracht wird und dadurch zeigt, dass die Bürger das Wohlergehen ihrer Stadt dem Augustus verdankten.

Als Bühne der verheerenden Kämpfe während des Bürgerkrieges zwischen Octavian und Antonius war Makedonien sicher sehr erleichtert über den neuen Zustand, der seit 31 v.Chr. ihre Region bestimmte.450 Von besonderer Bedeutung für Philippi im Makrokontext des römischen Reiches war sein Anschluss an die Via Egnatia, wodurch diese Kolonie eine besondere Rolle als Durchzugsstation für das römische Heer und als Verwaltungsposten zwischen Rom und den östlichen Provinzen bekam. Die besondere Lage der Kolonie an der Via Egnatia und der Zugang

442 vgl. z.B.: Pilhofer, Philippi, 2000, Bd. II, 037; 276; 256; 289; 505; etc.

443 P. Pilhofer, Philippi, 2000, Bd. II, S. 42.

444 L. Bormann, Philippi, S. 45. Wie in anderen Städten des Reiches waren auch in Philippi die Feierlichkeiten zur Ehre des Kaisers bzw. zur Verehrung der vergöttlichten Kaiser auf die Öffentlichkeit ausgerichtet. Besonders bei den Festtagen mit Prozessionen und Opferungen zu Ehren des divus Augustus erreichte der ausdrücklich öffentliche Charakter der Feierlichkeiten seine Klimax.

445 Vgl. P. Oakes, Philippians, 2001, S. 34.

446 Es handelt sich um die Sockel einer Statue: Vgl. P. Collart, Inscriptiones de Philippes, 1932, S. 220.

447 Mit dem Hinweis auf den cursus honorum des Zenturios Lucius Tatinius Luci filius (s. Pilhofer, Philippi, Bd. II, 202) datiert L. Bormann, Philippi, S. 53 diese Inschrift in die Zeiten Domitians (81–96 n.Chr.), wobei die Weihinschrift sehr wahrscheinlich älter ist als der cursus honorum. Dadurch hat man mindestens den terminus a quo für die Inschrift.

448 Anders als Philhofer, Philippi, 2000, Bd. II, 203 die Weihung (halbwegs) übersetzt („Der Quies der Colonia Augusta Philippensis“), lässt die Abbildung der Inschrift bei P. Collart, Inscriptiones de Philippes, 1932, S. 221 deutlich erkennen, dass die Bezeichnung AUG in Zusammenhang mit QUIETI steht.

449 Vgl. L. Bormann, Philippi, 1995, S. 53: „Er [der ehemalige Zenturio] bezieht die Quies Augusta auf ein Kollektiv, die Kolonie Philippi, und gibt damit seiner Hoffnung auf Ruhe und Sicherheit im öffentlichen Leben Ausdruck.“

450 Über die Umstände in Makedonien während dieser Konflikte vgl. L. Bormann, Philippi, 1995, S. 20.

118

zum Meer durch den nahe gelegenen Hafen in Neapolis ermöglichten ihr, sich ziemlich schnell zu einem regionalen und überregionalen Handelszentrum zu entwickeln.451 Durch den Sieg bei Aktium, welcher sehr früh in Philippi auf Münzen mit der Legende vic(toria) Aug(usta) zu sehen ist,452 fing für die Region Makedonien eine wirklich neue Ära an. Mit der Gründung der Provinz Thracia unter Claudius im Jahr 46 n.Chr., nach langen politischen Instabilitäten seit 14 n.Chr., stand auch Philippi unter dem besonderen Schutz des römischen Friedens. „Der Weg für die Entwicklung Philippis von einer römischen Grenzkolonie in unsicherer Randlage zu einem Verkehrs- und Handelszentrum an einer wichtigen Verkehrslinie, die die östliche und westliche Reichshälfte verband, war frei.“453

Dass die Colonia Iulia Augusta Philippensis so römisch geprägt war wie kaum eine andere Stadt des griechisch sprechenden Teils des Römischen Reiches, liegt auf der Hand,454 aber trotzdem sei P. Pilhofers zusammenfassendes Urteil exemplarisch herangezogen: „Philippi ist im ersten und zweiten Jahrhundert eine durch und durch römische Stadt, das Theater wird dem römischen Geschmack entsprechend umgebaut, und eine lateinische Schauspielertruppe spielt lateinische Stücke. Das Forum wird im römischen Stil errichtet und prägt das Zentrum der Stadt. Die Inschriften, die der Wanderer sieht – im ersten und zweiten Jahrhundert sind sie in Philippi ausschließlich lateinisch. Eine ganze Reihe von römischen Göttern ist nun in Philippi anzutreffen (…).“455 Als Paulus in Philippi, der erste Stadt überhaupt in der neuen Phase seines missionarischen Wirkens, eintraf, hatte er unmittelbar Kontakt mit einer römisch geprägten Stadt – einschließlich ihrer sozio-politischen und religiösen Realität, die wesentlich von Rom bestimmt war und in Philippi besonders gepflegt wurde.456 Zudem erlebte er in Hinblick auf die Stellung der Kolonie gegenüber Rom und dem Kaiserhaus eine sehr positive Atmosphäre. Wer in der Mitte des 1.Jh. n.Chr. in Philippi den Brief des Paulus gelesen bzw. gehört hat, hat es mit

‚römischen Ohren und Augen‘ getan.457

451 Vgl. z. B. P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 83ff.

452 Vgl. R. Collart, Philippes, 1932, S. 232f und die betreffende Tafel XXX, Nr. 8–11.

453 L. Bormann, Philippi, 1995, S. 26.

454 Vgl. das Urteil von Gellius (Noc. Att. 16,13) über die römischen Kolonien: „Populi Romani, cuius istae coloniae quasi effigies parva simulacraque esse quaedam videtur.”

455 P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 91.

456 Vgl. z. B. das Urteil von P. Oakes, Philippians, 2001, S. 76: „No other city in which Paul founded a church is likely to have had this many Romans [nach P. Oakes etwa 40% der Bevölkerung]. In none of the other cities was the experience of everyday life so firmly under the control of local, visible Romans.” Diese war Paulus’ erste Erfahrung in der neuen Phase seines missionarischen Wirkens.

457 Vgl. P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 115: „(D)aran kann es ja nicht den geringsten Zweifel geben, daß für die Menschen in Philippi die römische Daseinsform der entscheidende Bezugspunkt war, nach dem man sich ausrichtete. Die römische ‚Daseinsform‘, damit soll hier beides, die Glaubensweise und die Lebensweise, gemeint sein. Sie hat das Leben aller Menschen in Philippi geprägt, nicht nur das der cives Romani und der andern lateinisch sprechenden Bewohner, sondern auch das der thrakischen und griechischen Bevölkerungsteile.“

119

Philippis Verbundenheitsgefühl gegenüber Rom lässt sich schon deutlich im Neuen Testament selbst erkennen. In einer Angelegenheit in Philippi werden nach Apg 16,19ff. Paulus und Silas von römischen Bürgern auf den Markt vor die Stadtbehörden (ἄρχοντες bzw.

στρατηγοί,) geschleppt und mit folgenden Anklagen konfrontiert: οὗτοι οἱ ἄνθρωποι ἐκταράσσουσιν ἡμῶν τὴν πόλιν, Ἰουδαῖοι ὑπάρχοντες καὶ καταγγέλλουσιν ἔθη ἃ οὐκ ἔξεστιν ἡμῖν παραδέχεσθαι οὐδὲ ποιεῖν Ῥωμαίοις οὖσιν. Obwohl Lukas den Anlass für die Anklage der Bürger als aus persönlich motivierten Vorteilen heraus entstanden (und nicht aus politischer Motivation) abqualifiziert, zeigt die Anklage selbst ganz deutlich die sozio-politische und religiöse Brisanz der Verkündigung des Evangeliums in einer römischen Kolonie.