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VI. Der Gott des Friedens in Röm 16,20

3. Auslegung von Röm 16,17–20

Eine erneute charakteristische Einführungsformel eines parakletischen Abschnittes (παρακαλῶ δὲ ὑμᾶς, ἀδελφοί: vgl. Röm 12,1; 15,30) leitet Röm 16,17ff ein. Zuerst ruft Paulus die Glaubenden in Rom auf, sich vor denjenigen, die entgegen der „gelernten Lehre“ Spaltungen und Ärgernisse bewirken, in Acht zu nehmen.762 Durch den Infinitiv von σκοπέω in 16,17a (vgl.

Phil 3,17; Gal 6,1) und den Imperativ Aorist ἐκκλίνατε763 in 16,17b (vgl. Phil 3,17; Gal 6,1) zeigt Paulus, dass die Einstellung der Glaubenden nicht nur von Wachsamkeit bestimmt sein soll, sondern dass sie vor allem diejenigen Dinge aktiv untersuchen, die der gelernten Lehre entgegenwirken (παρὰ τὴν διδαχὴν ἣν ὑμεῖς ἐμάθετε). Denn er fordert auch eine Distanzierung von denjenigen Menschen, die sich konträr zu dieser Lehre verhalten. Aufgrund ihrer allgemeinen Formulierung kann man die Paraklese sowohl als eine allgemeine Warnung

760 Vgl. den Unterschied in der Verwendung von ἀσπάσασθε in Röm 16,3–16a und ἀσπάζεται in Röm 16,21.

761 Für eine nachpaulinische Interpolation von Röm 16,17ff. plädieren u.a. W. H. Ollrog, Abfassungsverhältnisse, 1980, S. 229–234; R. Jewett, Romans, 2007, S. 985ff. Vgl. weiter J. Fitzmyer, Romans, 1993, S. 745: „The similarity of this paragraph to Phil 3:17-19 makes one think that verses could have come from another fragment of Pauline epistolary correspondence.“ Wenn man diese Paraklese des Römerbriefes mit den anderen letzten Ermahnungen in 1Kor 16,21ff und Gal 6,11ff. vergleicht, kann man mit Recht vermuten, dass diese Perikope nicht nur von Paulus stammt, sondern von seiner eigenen Hand geschrieben wurde (vgl. O. Michel, Römer, 1978, S. 479 und bes. J. D.

G. Dunn, Romans, 1988, 2 Bde., S. 906). Die Gewohnheit des Paulus, am Ende seiner diktierten Briefe eine persönliche letzte Ermahnung – meistens temperamentvoll, mit zugespitztem Nachdruck und Anathema – mit eigener Hand hinzuzufügen, erklärt möglicherweise den unterschiedlichen Sprachgebrauch dieser Paraklese. Da, wo Paulus selbst zur Feder greift, vermehren sich die Hapaxlegomena am Ende der Briefe.

762 Im gesamten Brief kommt nur hier in Röm 16,17ff. eine solche Polemik ganz direkt vor. Dieses Vorkommen ist aber keinesfalls unvereinbar mit dem Brief, sondern zeigt sich als hintergründiger Bestandteil des Briefkonzepts, wie noch gezeigt wird. Eine nur harmlose, prophylaktische Paraklese am Ende des Briefes als Bestandteil des paulinischen traditionellen Briefformulars isoliert diese Paraklese von dem Briefkorpus.

763 Die Lesart mit Imperativ Aorist ἐκκλίνατε (P46 א2 A D F G 33 M) hat Vorzüge gegenüber dem Imperativ Präsens ἐκκλίνετε (א* B C Ψ 6. 630. 1505. 1739. 1881. 2464 pc).

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vor möglichen Widersachern der von den Glaubenden angenommenen Lehre verstehen764 als auch in der Weise, dass Paulus entweder mit dem Eindringen solcher Menschen in die Gemeinden765 rechnet oder ihre Anwesenheit in Rom voraussetzt. Unabhängig davon, von welchem Szenario Paulus ausgeht (dazu s.u.), gilt, dass er die Glaubenden dazu aufruft, die Handlungen bestimmter Personen und deren Wirkungen zu untersuchen und sich von ihnen dann abzuwenden. Für die Beurteilung der bewirkten Spaltungen und Ärgernisse setzt Paulus kein neues Kriterium ein, denn für eine Abwendung von den Widerstehenden reicht die διδαχὴ ἣν ὑμεῖς ἐμάθετε.

Als Bezeichnung für gelernte Lehre verwendet Paulus einen bei ihm insgesamt nur viermal vorkommenden Begriff, nämlich διδαχή,. Anders als in 1Kor 14,16.26, wo διδαχή einen unbestimmten Charakter enthält, kann man aus Röm 6,17766 ersehen, dass sie als entsprechender Begriff für die verkündete und angenommene Botschaft des Evangeliums selbst verstanden wird.767 Paulus bezeugt in Röm 6,17, dass die Glaubenden in Rom von Herzen gehorsam geworden sind in der Gestalt der Lehre (τύπον διδαχῆς), welcher sie hingegeben wurden (παρεδόθητε).768 Der Komplex, in dem dieser Begriff dort vorkommt, lässt deutlich erkennen, dass damit an das Evangelium selbst gedacht wird.769 Dass Paulus jetzt im Zusammenhang von Röm 16,17ff. das Verb μανθάνω verwendet, ist von großem Belang. Er verwendet es in Bezug auf bestimmte Inhalte, welche durch die Verkündigung des Evangeliums vermittelt und dadurch von den Glaubenden angenommen bzw. gelernt wurden.770 Deswegen steht διδαχή,, hier für die Lehraussagen, welche die Grundlagen des Glaubens selbst bilden. In der Paraklese Röm 16,17ff.

versucht Paulus also, den Glaubenden vor allem zu zeigen, dass Personen, die im Widerspruch

764 Vgl. z.B.: K. Haacker, Römer, 2006, S. 362 sieht diese Warnung nur als „prophylaktisch“ und setzt nicht voraus, dass „die angesprochene Gefahr in Rom bereits akut ist.“

765 Durch die textkritische Entscheidung für ἐκκλίνετε versucht U. Wilkens, Römer, 1982, S. 141, die Irrlehrer von den Gliedern der römischen Gemeinde zu unterscheiden. Sie seien „von auswärts Kommende, denen man die

‚Aufnahme‘ verweigern und gar nicht erst ins Leben der Gemeinde Einlaß gewähren darf.“

766 R. Bultmann, Glosse, 1947, S. 283, lehnt den paulinischen Ursprung von ὑπηκούσατε δὲ ἐκ καρδίας εἰς ὃν παρεδόθητε τύπον διδαχῆς in Röm 6,17 jedoch ab. Vgl. aber E. Lohse, Römer, 2003, S. 200, der in τύπον διδαχῆς einen Bezug auf „einen vorgegebenen urchristlichen Ausdruck“ sieht.

767 Vgl. E. Peterson, Römer, 1997, S. 201, der τύπος διδαχῆς als „das Evangelium, soweit es in lehrhafter Überlieferung ausgeprägt ist“, versteht.

768 Bemerkenswert ist die passivische Formulierung, die Paulus an dieser Stelle bildet. Nicht eine Lehre wurde den Glaubenden überliefert, sondern sie wurden dieser Lehre hingegeben.

769 Nach E. Lohse, Römer, 2003, S. 201 gilt das τύπον διδαχῆς jedoch als „zusammenfassende Bezeichnung urchristlicher Unterweisung (…), wie sie bei der Taufe in Gestalt gemeinchristlichen Bekenntnisses ausgesprochen und angenommen wurde.“

770 Vgl. z.B. in 1Kor 4,17, wie Paulus den Korinthern erklärt, dass er Timotheus zu ihnen schicken wird, damit er sie an seine Wege in Christus erinnere (ὃς ὑμᾶς ἀναμνήσει τὰς ὁδούς μου τὰς ἐν Χριστῷ), d.h. wie er überall in allen Gemeinden lehrt (καθὼς πανταχοῦ ἐν πάσῃ ἐκκλησίᾳ διδάσκω).

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zu der gelernten Lehre stehen, sie vom Evangelium selbst abbringen könnten, was besonders durch die Verwendung von διχοστασίας und σκάνδαλα deutlich wird.771

Über diejenigen, welche τὰς διχοστασίας καὶ τὰ σκάνδαλα in den Gemeinden bewirken, wurde von Paulus selbst nichts gesagt. In diesem Sinn bleibt es reine Spekulation, diese Menschen sogar ‚Irrlehrer‘ zu nennen, sie mit irgendeiner Gruppe zu identifizieren und darüber hinaus das Spezifikum einer vermuteten ‚Lehre‘ zu bestimmen.772 Das Einzige, was man über sie wissen kann, ist, dass sie entgegen der von den Glaubenden in Rom ‚gelernten Lehre‘

bzw. entgegen dem Evangelium selbst (s.u.) Spaltungen und Ärgernisse bewirken und dass Paulus sie durch zwei bzw. drei Bezeichnungen charakterisiert: 1. Sie dienen nicht dem Herrn Christus, 2. sondern ihrem eigenen Bauch und 3. verführen sie durch Schmeicheleien und schöne Worte die Herzen der Arglosen. Paulus deutet aber bemerkenswerterweise auch nicht an, dass diese Menschen Spaltungen und Ärgernisse in Rom selbst schon bewirkt haben.

Wer diese Personen sind, wird von Paulus nicht näher präzisiert. Paulus nennt sie aber verachtend einfach οἱ τοιοῦτοι, was darauf hindeuten kann, dass es sich doch um den Glaubenden in Rom bekannte Personen handelt. Auch die Verwendung des bestimmten Artikels vor διχοστασίας und σκάνδαλα lässt vermuten, dass Paulus an bestimmte Personen und bestimmte Spaltungen und Ärgernisse denkt.773 Eines ist aber klar: Diese Personen und die von ihnen bewirkten Spaltungen und Ärgernisse haben Paulus dazu gebracht, eine Paraklese an die Glaubenden in Rom zu richten, und zwar als letzte Worte seines Briefes. Paulus vermutet die Anwesenheit von Widersachern in Rom. Wenn es sie gibt, dann treten sie als Glaubende auf774 und könnten – nach Paulus‘ Ansicht – versuchen, sie bzw. könnten noch versuchen in den Gemeinden in Rom (gegen Paulus selbst?) Fuß zu fassen. Das Ziel dieser Ermahnung ist demzufolge, den Einfluss solcher Personen in jenen Gemeinden zu verhindern bzw. zu

771 An dieser Stelle gewinnbringend ist ein Blick auf die Verwendung von τύπον διδαχῆς in Röm 6,17 mit Berücksichtigung der Art und Weise, wie Paulus zwischen den Glaubenden und den der Sünde hingegebenen Menschen unterscheidet. In Röm 6,17 stellt Paulus das ἦτε δοῦλοι τῆς ἁμαρτίας dem ὑπηκούσατε δὲ ἐκ καρδίας εἰς ὃν παρεδόθητε τύπον διδαχῆς gegenüber. Der Gedanke, ‚der Sünde zu dienen‘ und der ‚Gehorsamkeit im Glauben‘, wird in Röm 16,17 pointiert ausgeesprochen, indem Paulus die ‚Irrlehrer‘ mit dem Bild ‚seinem eigenen Bauch zu dienen‘ kennzeichnet und demgegenüber die Gehorsamkeit der Glaubenden lobt (Röm 16,19a). Die Glaubenden in Rom sind nach Paulus‘ theologischer Darstellung Diener der Gerechtigkeit geworden, indem sie von Herzen der Gestalt der Lehre, an die sie hingegeben wurden, gehorsam geworden sind (Röm 6,17). Als Folge muss man dann sagen, dass diejenigen aber, die dieser Lehre nicht gehorsam geworden sind, immer noch Sklaven der Sünde sind, die zum Tode führt, denn sie haben sich zu Dienern der Sünde gemacht (vgl. das Indikativ Präsens aktiv reflexiv παριστάνετε ἑαυτούς in Röm 6,16f). Auf diesen Zusammenhang zwischen ‚Gehorsam‘ und ‚Lehre‘

komme ich noch zu sprechen.

772 Anders aber z.B. Wilckens, Römer, 1982, S. 141, 144f und P. Stuhlmacher, Römer, 1998, S. 223, die hinter dieser Paraklese „Judenchristen“ identifizieren. Nach J. D. G. Dunn, Romans, 1988, S. 904f. „the language is directed against antinomians or gnosticizing (Jewish?) Christian” (mit Fragezeichen im Original).

773 So z.B. auch D. Moo, Romans, 2007, S. 930.

774 Wenn diese Personen sich nicht in irgendeiner Weise als Glaubende präsentiert haben, hätte Paulus sie nicht als Diener ihres eigenen Bauches herabstufen müssen.